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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
Vater die Augen schlossen. Als er zur Regierung gelangte, stand er schon
im dreiundvierzigsten Jahre, da war keine Zeit zu verlieren.

Es galt zunächst, dem Hause Württemberg eine ansehnliche Beute zu
sichern bei dem Raubzuge des deutschen Fürstenstandes gegen seine kleinen
Genossen. Aber auf Schritt und Tritt fand sich der Herzog durch seinen
Landtag gehemmt. Während er selbst, als ein geschworener Feind der
Revolution, auf Oesterreichs Seite trat, verlangten die Stände Neutralität
oder Anschluß an das freie Frankreich und schickten ihre eigenen Ge-
sandten nach Rastatt, Wien, Paris um die Politik des Landesherrn zu
durchkreuzen. Wiederholte Vermahnungen des Reichshofraths an die Aus-
schüsse, harte Gewaltthaten des Herzogs gegen die Führer der Stände
steigerten die gegenseitige Erbitterung. Als in den letzten Zeiten des
Directoriums die Heere Moreaus den Südwesten überschwemmten und die
Agenten Frankreichs an dem Plane einer süddeutschen Republik arbeiteten,
da entstanden in Schwaben wie in Baiern geheime jakobinische Vereine.
Eine Flugschrift warf bereits die Frage auf: "was gewonnen wird, wenn
Schwaben eine Republik wird?" Inzwischen erkannte der Herzog, daß er
die ersehnte Gebietsvergrößerung nicht ohne Frankreichs Gunst erlangen
konnte. Er näherte sich den Franzosen und brachte durch den Reichs-
deputationshauptschluß seine Beute in Sicherheit, bis er dann endlich,
überwältigt durch Napoleons dämonische Beredsamkeit, offen unter Frank-
reichs Fahnen trat, das heilige Reich vernichten half, die souveräne Königs-
krone errang und den ehrwürdigen Bau der alten Landesverfassung mit
einem Fußtritt über den Haufen warf. Der Schlag fiel so plötzlich und
wirkte so betäubend, daß im ganzen Lande nur zwei Beamte, Georgii und
Sartorius, dem neuen Selbstherrscher den Schwur verweigerten; einige
Andere erklärten, daß sie nur der Gewalt gewichen seien; alle Uebrigen
sagten sich ohne Widerstand von ihrem alten Verfassungseide los. Bei
der gewaltsamen Abrundung seines Staatsgebiets verfuhr König Friedrich
mit der ganzen Unbefangenheit eines Wegelagerers und gab den Occu-
pationscommissären, die er mit seinen gefürchteten schwarzen Jägern und
Chevauxlegers den kleinen Nachbarn über den Hals schickte, kurzab die
Weisung: "wer unter Ihnen am häufigsten von fremden Regierungen
bei mir verklagt wird, der soll mir am willkommensten sein." Und wie
der Herr so die Diener. Welch ein Genuß für den groben, ungebildeten
altwürttembergischen Schreiber, wenn er als "königlich württembergischer
souveräner Stabsschultheiß" in ein erobertes Gebiet einziehen oder den
stolzen Reutlinger Bürgern durch brutale Willkür "den sakermentschen
reichsstädtischen Hochmuth austreiben" konnte.

Fast auf das Dreifache vergrößert blieb das Reich des neuen Schwa-
benkönigs noch immer ein sehr bescheidener Mittelstaat, das winzigste unter
den Kleinkönigreichen des Rheinbunds. Es umfaßte nicht einmal das ge-
sammte Gebiet des ostschwäbischen Stammes und ragte im Norden nur

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Vater die Augen ſchloſſen. Als er zur Regierung gelangte, ſtand er ſchon
im dreiundvierzigſten Jahre, da war keine Zeit zu verlieren.

Es galt zunächſt, dem Hauſe Württemberg eine anſehnliche Beute zu
ſichern bei dem Raubzuge des deutſchen Fürſtenſtandes gegen ſeine kleinen
Genoſſen. Aber auf Schritt und Tritt fand ſich der Herzog durch ſeinen
Landtag gehemmt. Während er ſelbſt, als ein geſchworener Feind der
Revolution, auf Oeſterreichs Seite trat, verlangten die Stände Neutralität
oder Anſchluß an das freie Frankreich und ſchickten ihre eigenen Ge-
ſandten nach Raſtatt, Wien, Paris um die Politik des Landesherrn zu
durchkreuzen. Wiederholte Vermahnungen des Reichshofraths an die Aus-
ſchüſſe, harte Gewaltthaten des Herzogs gegen die Führer der Stände
ſteigerten die gegenſeitige Erbitterung. Als in den letzten Zeiten des
Directoriums die Heere Moreaus den Südweſten überſchwemmten und die
Agenten Frankreichs an dem Plane einer ſüddeutſchen Republik arbeiteten,
da entſtanden in Schwaben wie in Baiern geheime jakobiniſche Vereine.
Eine Flugſchrift warf bereits die Frage auf: „was gewonnen wird, wenn
Schwaben eine Republik wird?“ Inzwiſchen erkannte der Herzog, daß er
die erſehnte Gebietsvergrößerung nicht ohne Frankreichs Gunſt erlangen
konnte. Er näherte ſich den Franzoſen und brachte durch den Reichs-
deputationshauptſchluß ſeine Beute in Sicherheit, bis er dann endlich,
überwältigt durch Napoleons dämoniſche Beredſamkeit, offen unter Frank-
reichs Fahnen trat, das heilige Reich vernichten half, die ſouveräne Königs-
krone errang und den ehrwürdigen Bau der alten Landesverfaſſung mit
einem Fußtritt über den Haufen warf. Der Schlag fiel ſo plötzlich und
wirkte ſo betäubend, daß im ganzen Lande nur zwei Beamte, Georgii und
Sartorius, dem neuen Selbſtherrſcher den Schwur verweigerten; einige
Andere erklärten, daß ſie nur der Gewalt gewichen ſeien; alle Uebrigen
ſagten ſich ohne Widerſtand von ihrem alten Verfaſſungseide los. Bei
der gewaltſamen Abrundung ſeines Staatsgebiets verfuhr König Friedrich
mit der ganzen Unbefangenheit eines Wegelagerers und gab den Occu-
pationscommiſſären, die er mit ſeinen gefürchteten ſchwarzen Jägern und
Chevauxlegers den kleinen Nachbarn über den Hals ſchickte, kurzab die
Weiſung: „wer unter Ihnen am häufigſten von fremden Regierungen
bei mir verklagt wird, der ſoll mir am willkommenſten ſein.“ Und wie
der Herr ſo die Diener. Welch ein Genuß für den groben, ungebildeten
altwürttembergiſchen Schreiber, wenn er als „königlich württembergiſcher
ſouveräner Stabsſchultheiß“ in ein erobertes Gebiet einziehen oder den
ſtolzen Reutlinger Bürgern durch brutale Willkür „den ſakermentſchen
reichsſtädtiſchen Hochmuth austreiben“ konnte.

Faſt auf das Dreifache vergrößert blieb das Reich des neuen Schwa-
benkönigs noch immer ein ſehr beſcheidener Mittelſtaat, das winzigſte unter
den Kleinkönigreichen des Rheinbunds. Es umfaßte nicht einmal das ge-
ſammte Gebiet des oſtſchwäbiſchen Stammes und ragte im Norden nur

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[304/0318] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. Vater die Augen ſchloſſen. Als er zur Regierung gelangte, ſtand er ſchon im dreiundvierzigſten Jahre, da war keine Zeit zu verlieren. Es galt zunächſt, dem Hauſe Württemberg eine anſehnliche Beute zu ſichern bei dem Raubzuge des deutſchen Fürſtenſtandes gegen ſeine kleinen Genoſſen. Aber auf Schritt und Tritt fand ſich der Herzog durch ſeinen Landtag gehemmt. Während er ſelbſt, als ein geſchworener Feind der Revolution, auf Oeſterreichs Seite trat, verlangten die Stände Neutralität oder Anſchluß an das freie Frankreich und ſchickten ihre eigenen Ge- ſandten nach Raſtatt, Wien, Paris um die Politik des Landesherrn zu durchkreuzen. Wiederholte Vermahnungen des Reichshofraths an die Aus- ſchüſſe, harte Gewaltthaten des Herzogs gegen die Führer der Stände ſteigerten die gegenſeitige Erbitterung. Als in den letzten Zeiten des Directoriums die Heere Moreaus den Südweſten überſchwemmten und die Agenten Frankreichs an dem Plane einer ſüddeutſchen Republik arbeiteten, da entſtanden in Schwaben wie in Baiern geheime jakobiniſche Vereine. Eine Flugſchrift warf bereits die Frage auf: „was gewonnen wird, wenn Schwaben eine Republik wird?“ Inzwiſchen erkannte der Herzog, daß er die erſehnte Gebietsvergrößerung nicht ohne Frankreichs Gunſt erlangen konnte. Er näherte ſich den Franzoſen und brachte durch den Reichs- deputationshauptſchluß ſeine Beute in Sicherheit, bis er dann endlich, überwältigt durch Napoleons dämoniſche Beredſamkeit, offen unter Frank- reichs Fahnen trat, das heilige Reich vernichten half, die ſouveräne Königs- krone errang und den ehrwürdigen Bau der alten Landesverfaſſung mit einem Fußtritt über den Haufen warf. Der Schlag fiel ſo plötzlich und wirkte ſo betäubend, daß im ganzen Lande nur zwei Beamte, Georgii und Sartorius, dem neuen Selbſtherrſcher den Schwur verweigerten; einige Andere erklärten, daß ſie nur der Gewalt gewichen ſeien; alle Uebrigen ſagten ſich ohne Widerſtand von ihrem alten Verfaſſungseide los. Bei der gewaltſamen Abrundung ſeines Staatsgebiets verfuhr König Friedrich mit der ganzen Unbefangenheit eines Wegelagerers und gab den Occu- pationscommiſſären, die er mit ſeinen gefürchteten ſchwarzen Jägern und Chevauxlegers den kleinen Nachbarn über den Hals ſchickte, kurzab die Weiſung: „wer unter Ihnen am häufigſten von fremden Regierungen bei mir verklagt wird, der ſoll mir am willkommenſten ſein.“ Und wie der Herr ſo die Diener. Welch ein Genuß für den groben, ungebildeten altwürttembergiſchen Schreiber, wenn er als „königlich württembergiſcher ſouveräner Stabsſchultheiß“ in ein erobertes Gebiet einziehen oder den ſtolzen Reutlinger Bürgern durch brutale Willkür „den ſakermentſchen reichsſtädtiſchen Hochmuth austreiben“ konnte. Faſt auf das Dreifache vergrößert blieb das Reich des neuen Schwa- benkönigs noch immer ein ſehr beſcheidener Mittelſtaat, das winzigſte unter den Kleinkönigreichen des Rheinbunds. Es umfaßte nicht einmal das ge- ſammte Gebiet des oſtſchwäbiſchen Stammes und ragte im Norden nur

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/318>, abgerufen am 22.11.2024.