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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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König Friedrich I.
welche bei dem Umsturz der alten Ordnung mitwirkten, unmöglich ein
Verständniß haben. Sie sah ringsum nur die Zerstörung verbriefter
Rechte, Beamtenwillkür und Steuerdruck, Unterschleif und Angeberei. Da-
zu die alte Plage der landesfürstlichen Jagden bis zum Frevelhaften ge-
steigert; dazu das widerwärtige Schauspiel eines Hofes, der durch ge-
schmacklose Verschwendung, durch die prunkenden Titel seiner Reichs-
kammerherren, Reichsmarschälle und Reichsherolde mit dem Glanze des
Weltherrschers zu wetteifern strebte. Dem ehrenfesten Stuttgarter Bürger
stieg das Blut in die Wangen, wenn er von der voltairianischen Religions-
spötterei seines Landesvaters hörte; nun gar die Frechheit der verwor-
fenen königlichen Lieblinge erinnerte an die Mignons Heinrichs III. von
Valois. Soeben wieder erregte ein widerwärtiges Familiendrama im
königlichen Hause die Entrüstung der ganzen Welt. Der König hatte einst
seine Tochter Katharina zur Ehe mit Jerome Napoleon gezwungen und
verlangte jetzt, nach dem Sturze des Kaiserreichs, daß sie sich von ihrem
Gatten trennen solle. Die edle Frau erwiderte stolz: "ich habe sein Glück
mit ihm getheilt, er gehört mir an in seinem Unglück." Darauf ließ der
Vater die Tochter gewaltsam aus Oesterreich nach Württemberg entführen
und hielt dann die beiden Gatten ein Jahr lang im Schlosse von Ell-
wangen fest, um sie durch Drohungen und Mißhandlungen zur Heraus-
gabe ihres Vermögens zu zwingen. Im Lande stieg die Noth und die
Erbitterung von Jahr zu Jahr; mancher Verzweifelnde ward nur durch
das strenge Verbot der Auswanderung daheim zurückgehalten. Sobald
nach dem Tode des Despoten dies Verbot aufgehoben wurde, verließen
Viele die Heimath. Die ersten Wellenschläge des großen Stromes der ameri-
kanischen Auswanderung zeigten sich schon 1817 in Württemberg; die ab-
ziehenden armen Leute aus dem Heilbronner Lande erklärten laut, daß
allein die Härte der Beamten und die Last der Abgaben sie vertreibe.

Nach siebzehnjähriger Regierung war der König seinem Volke noch
immer völlig fremd. Wie hätte er sonst glauben können, daß diese treuen
steifnackigen Schwaben den Untergang ihres guten alten Rechts so schnell
verschmerzen würden? Voll Zuversicht rechnete er auf den unterthänigen
Dank seines Volkes, als er aus Wien heimgekehrt sich entschloß, durch die
Verleihung einer Verfassung den Beschlüssen des Congresses zuvorzu-
kommen. Er sollte bald erfahren, daß der gefährlichste Augenblick für eine
verderbte Regierung immer dann eintritt, wenn sie selber zu Reformen
schreitet. Ein königliches Manifest berief einen ungetheilten Landtag für
das neue Reich: fünfzig Vertreter des Adels, vier Geistliche, je einen Ab-
geordneten aus den 64 Oberämtern und den sieben Städten, welche den
napoleonischen Titel der guten Städte führten. Noch bevor diese Ver-
sammlung zusammentrat, wußte Jedermann in Stuttgart, selbst das
diplomatische Corps, daß ein großer Schlag gegen den König im Werke
sei. Das unglückliche Volk gewann das so lange unterdrückte Recht der

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König Friedrich I.
welche bei dem Umſturz der alten Ordnung mitwirkten, unmöglich ein
Verſtändniß haben. Sie ſah ringsum nur die Zerſtörung verbriefter
Rechte, Beamtenwillkür und Steuerdruck, Unterſchleif und Angeberei. Da-
zu die alte Plage der landesfürſtlichen Jagden bis zum Frevelhaften ge-
ſteigert; dazu das widerwärtige Schauſpiel eines Hofes, der durch ge-
ſchmackloſe Verſchwendung, durch die prunkenden Titel ſeiner Reichs-
kammerherren, Reichsmarſchälle und Reichsherolde mit dem Glanze des
Weltherrſchers zu wetteifern ſtrebte. Dem ehrenfeſten Stuttgarter Bürger
ſtieg das Blut in die Wangen, wenn er von der voltairianiſchen Religions-
ſpötterei ſeines Landesvaters hörte; nun gar die Frechheit der verwor-
fenen königlichen Lieblinge erinnerte an die Mignons Heinrichs III. von
Valois. Soeben wieder erregte ein widerwärtiges Familiendrama im
königlichen Hauſe die Entrüſtung der ganzen Welt. Der König hatte einſt
ſeine Tochter Katharina zur Ehe mit Jerome Napoleon gezwungen und
verlangte jetzt, nach dem Sturze des Kaiſerreichs, daß ſie ſich von ihrem
Gatten trennen ſolle. Die edle Frau erwiderte ſtolz: „ich habe ſein Glück
mit ihm getheilt, er gehört mir an in ſeinem Unglück.“ Darauf ließ der
Vater die Tochter gewaltſam aus Oeſterreich nach Württemberg entführen
und hielt dann die beiden Gatten ein Jahr lang im Schloſſe von Ell-
wangen feſt, um ſie durch Drohungen und Mißhandlungen zur Heraus-
gabe ihres Vermögens zu zwingen. Im Lande ſtieg die Noth und die
Erbitterung von Jahr zu Jahr; mancher Verzweifelnde ward nur durch
das ſtrenge Verbot der Auswanderung daheim zurückgehalten. Sobald
nach dem Tode des Despoten dies Verbot aufgehoben wurde, verließen
Viele die Heimath. Die erſten Wellenſchläge des großen Stromes der ameri-
kaniſchen Auswanderung zeigten ſich ſchon 1817 in Württemberg; die ab-
ziehenden armen Leute aus dem Heilbronner Lande erklärten laut, daß
allein die Härte der Beamten und die Laſt der Abgaben ſie vertreibe.

Nach ſiebzehnjähriger Regierung war der König ſeinem Volke noch
immer völlig fremd. Wie hätte er ſonſt glauben können, daß dieſe treuen
ſteifnackigen Schwaben den Untergang ihres guten alten Rechts ſo ſchnell
verſchmerzen würden? Voll Zuverſicht rechnete er auf den unterthänigen
Dank ſeines Volkes, als er aus Wien heimgekehrt ſich entſchloß, durch die
Verleihung einer Verfaſſung den Beſchlüſſen des Congreſſes zuvorzu-
kommen. Er ſollte bald erfahren, daß der gefährlichſte Augenblick für eine
verderbte Regierung immer dann eintritt, wenn ſie ſelber zu Reformen
ſchreitet. Ein königliches Manifeſt berief einen ungetheilten Landtag für
das neue Reich: fünfzig Vertreter des Adels, vier Geiſtliche, je einen Ab-
geordneten aus den 64 Oberämtern und den ſieben Städten, welche den
napoleoniſchen Titel der guten Städte führten. Noch bevor dieſe Ver-
ſammlung zuſammentrat, wußte Jedermann in Stuttgart, ſelbſt das
diplomatiſche Corps, daß ein großer Schlag gegen den König im Werke
ſei. Das unglückliche Volk gewann das ſo lange unterdrückte Recht der

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[307/0321] König Friedrich I. welche bei dem Umſturz der alten Ordnung mitwirkten, unmöglich ein Verſtändniß haben. Sie ſah ringsum nur die Zerſtörung verbriefter Rechte, Beamtenwillkür und Steuerdruck, Unterſchleif und Angeberei. Da- zu die alte Plage der landesfürſtlichen Jagden bis zum Frevelhaften ge- ſteigert; dazu das widerwärtige Schauſpiel eines Hofes, der durch ge- ſchmackloſe Verſchwendung, durch die prunkenden Titel ſeiner Reichs- kammerherren, Reichsmarſchälle und Reichsherolde mit dem Glanze des Weltherrſchers zu wetteifern ſtrebte. Dem ehrenfeſten Stuttgarter Bürger ſtieg das Blut in die Wangen, wenn er von der voltairianiſchen Religions- ſpötterei ſeines Landesvaters hörte; nun gar die Frechheit der verwor- fenen königlichen Lieblinge erinnerte an die Mignons Heinrichs III. von Valois. Soeben wieder erregte ein widerwärtiges Familiendrama im königlichen Hauſe die Entrüſtung der ganzen Welt. Der König hatte einſt ſeine Tochter Katharina zur Ehe mit Jerome Napoleon gezwungen und verlangte jetzt, nach dem Sturze des Kaiſerreichs, daß ſie ſich von ihrem Gatten trennen ſolle. Die edle Frau erwiderte ſtolz: „ich habe ſein Glück mit ihm getheilt, er gehört mir an in ſeinem Unglück.“ Darauf ließ der Vater die Tochter gewaltſam aus Oeſterreich nach Württemberg entführen und hielt dann die beiden Gatten ein Jahr lang im Schloſſe von Ell- wangen feſt, um ſie durch Drohungen und Mißhandlungen zur Heraus- gabe ihres Vermögens zu zwingen. Im Lande ſtieg die Noth und die Erbitterung von Jahr zu Jahr; mancher Verzweifelnde ward nur durch das ſtrenge Verbot der Auswanderung daheim zurückgehalten. Sobald nach dem Tode des Despoten dies Verbot aufgehoben wurde, verließen Viele die Heimath. Die erſten Wellenſchläge des großen Stromes der ameri- kaniſchen Auswanderung zeigten ſich ſchon 1817 in Württemberg; die ab- ziehenden armen Leute aus dem Heilbronner Lande erklärten laut, daß allein die Härte der Beamten und die Laſt der Abgaben ſie vertreibe. Nach ſiebzehnjähriger Regierung war der König ſeinem Volke noch immer völlig fremd. Wie hätte er ſonſt glauben können, daß dieſe treuen ſteifnackigen Schwaben den Untergang ihres guten alten Rechts ſo ſchnell verſchmerzen würden? Voll Zuverſicht rechnete er auf den unterthänigen Dank ſeines Volkes, als er aus Wien heimgekehrt ſich entſchloß, durch die Verleihung einer Verfaſſung den Beſchlüſſen des Congreſſes zuvorzu- kommen. Er ſollte bald erfahren, daß der gefährlichſte Augenblick für eine verderbte Regierung immer dann eintritt, wenn ſie ſelber zu Reformen ſchreitet. Ein königliches Manifeſt berief einen ungetheilten Landtag für das neue Reich: fünfzig Vertreter des Adels, vier Geiſtliche, je einen Ab- geordneten aus den 64 Oberämtern und den ſieben Städten, welche den napoleoniſchen Titel der guten Städte führten. Noch bevor dieſe Ver- ſammlung zuſammentrat, wußte Jedermann in Stuttgart, ſelbſt das diplomatiſche Corps, daß ein großer Schlag gegen den König im Werke ſei. Das unglückliche Volk gewann das ſo lange unterdrückte Recht der 20*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/321>, abgerufen am 22.11.2024.