Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Landeskirchliche Bestrebungen. Frage, wie überall, einen vollständigen Sieg davon getragen. Alle deut-schen Staaten sahen sich nunmehr auf denselben Weg gedrängt, welchen Baiern und Württemberg schon unter dem Rheinbunde eingeschlagen hatten: sie mußten, einzeln oder in Gruppen, mit dem römischen Hofe verhandeln um die Errichtung neuer Landesbisthümer durchzusetzen. In diesem wohl- berechtigten Wunsche waren die Höfe allesammt einig. Denn nach den zahllosen Grenzverschiebungen der letzten Jahre konnten die Diöcesen des heiligen Reichs schlechterdings nicht mehr unverändert bleiben; die alten Bisthümer waren überdies sämmtlich, bis auf fünf, verwaist und befanden sich, da die Secularisationen der katholischen Kirche Deutschlands ein jähr- liches Einkommen von mindestens 21 Mill. Fl. entrissen hatten, durchweg in einer wirthschaftlichen Noth, welche allein durch die Hilfe der Staats- gewalt geheilt werden konnte. Auch die preußischen Staatsmänner, die auf dem Wiener Congresse *) Instruction für die Bundesgesandtschaft 30. Nov. 1816, § 31.
Landeskirchliche Beſtrebungen. Frage, wie überall, einen vollſtändigen Sieg davon getragen. Alle deut-ſchen Staaten ſahen ſich nunmehr auf denſelben Weg gedrängt, welchen Baiern und Württemberg ſchon unter dem Rheinbunde eingeſchlagen hatten: ſie mußten, einzeln oder in Gruppen, mit dem römiſchen Hofe verhandeln um die Errichtung neuer Landesbisthümer durchzuſetzen. In dieſem wohl- berechtigten Wunſche waren die Höfe alleſammt einig. Denn nach den zahlloſen Grenzverſchiebungen der letzten Jahre konnten die Diöceſen des heiligen Reichs ſchlechterdings nicht mehr unverändert bleiben; die alten Bisthümer waren überdies ſämmtlich, bis auf fünf, verwaiſt und befanden ſich, da die Seculariſationen der katholiſchen Kirche Deutſchlands ein jähr- liches Einkommen von mindeſtens 21 Mill. Fl. entriſſen hatten, durchweg in einer wirthſchaftlichen Noth, welche allein durch die Hilfe der Staats- gewalt geheilt werden konnte. Auch die preußiſchen Staatsmänner, die auf dem Wiener Congreſſe *) Inſtruction für die Bundesgeſandtſchaft 30. Nov. 1816, § 31.
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Landeskirchliche Beſtrebungen.
Frage, wie überall, einen vollſtändigen Sieg davon getragen. Alle deut-
ſchen Staaten ſahen ſich nunmehr auf denſelben Weg gedrängt, welchen
Baiern und Württemberg ſchon unter dem Rheinbunde eingeſchlagen hatten:
ſie mußten, einzeln oder in Gruppen, mit dem römiſchen Hofe verhandeln
um die Errichtung neuer Landesbisthümer durchzuſetzen. In dieſem wohl-
berechtigten Wunſche waren die Höfe alleſammt einig. Denn nach den
zahlloſen Grenzverſchiebungen der letzten Jahre konnten die Diöceſen des
heiligen Reichs ſchlechterdings nicht mehr unverändert bleiben; die alten
Bisthümer waren überdies ſämmtlich, bis auf fünf, verwaiſt und befanden
ſich, da die Seculariſationen der katholiſchen Kirche Deutſchlands ein jähr-
liches Einkommen von mindeſtens 21 Mill. Fl. entriſſen hatten, durchweg
in einer wirthſchaftlichen Noth, welche allein durch die Hilfe der Staats-
gewalt geheilt werden konnte.
Auch die preußiſchen Staatsmänner, die auf dem Wiener Congreſſe
ſo lebhaft für eine gemeinſame deutſche Kirchenpolitik eingetreten waren,
mußten jetzt dieſen Gedanken, gleich den Bundeszollplänen und ſo manchen
anderen patriotiſchen Entwürfen jener hoffnungsvollen Tage, als unaus-
führbar fallen laſſen. Die preußiſche Bundesgeſandtſchaft wurde ange-
wieſen, keine Einmiſchung des Bundes in kirchliche Dinge zu dulden, ſchon
weil Preußen nimmermehr die Anweſenheit eines Nuntius in Frankfurt
geſtatten dürfe; der König denke vielmehr ſelbſtändig vorzugehen und durch
freiſinnige Gewährungen den anderen deutſchen Staaten ein Muſter
zu geben. *) Humboldt ſchlug dann noch vor, der preußiſche Staat ſolle die
Rechte, welche er der römiſchen Kirche zu gewähren gedenke, förmlich unter
den Schutz des Bundes ſtellen und dafür fordern, daß auch die Rechte
der Proteſtanten in den katholiſchen Staaten durch die Bürgſchaft des
Bundes geſichert würden. Der Staatskanzler aber lehnte den Vorſchlag
ab; er ſah voraus, daß weder Oeſterreich noch Baiern jemals auf einen
Plan eingehen konnten, welcher der Krone Preußen die Stellung des
Protectors der deutſchen Proteſtanten verſchafft hätte. Da Baiern nun
doch ſeines eigenen Weges zog und Oeſterreich von vornherein aus dem
Spiele blieb, ſo konnte Hardenberg auch von einer gemeinſamen Ver-
handlung mit den Kleinſtaaten ſich keinen Erfolg verſprechen; die Ab-
ſichten der verſchiedenen Höfe gingen allzu weit auseinander. Der preu-
ßiſche Staat beherrſchte allein mehr katholiſche Unterthanen als Baiern
und die kleinen Staaten zuſammen; er allein hatte ſchon unter dem alten
Reiche Landesbiſchöfe gehabt und ſich in der Schule einer reichen Er-
fahrung feſte kirchenpolitiſche Grundſätze gebildet, die mit einigen Aende-
rungen auch dem Bedürfniß der Gegenwart genügen konnten. Die kleinen
proteſtantiſchen Dynaſtien des Weſtens dagegen, Württemberg, Baden,
Heſſen, Naſſau waren mit einem male in den Beſitz ausgedehnter katho-
*) Inſtruction für die Bundesgeſandtſchaft 30. Nov. 1816, § 31.
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