Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
konnten das Ansehen des bairischen Hofs bei den großen Mächten, das
ohnehin seit dem Hervortreten der pfälzischen Eroberungspläne tief ge-
sunken war, nicht erhöhen; jedoch dem Papste gegenüber stand Baiern im
Vortheil. Die Curie war in ihren eigenen Netzen gefangen; sie hatte
selber gehofft, die Veröffentlichung des Concordats als eines Staatsge-
setzes könne ihr zum Nutzen gereichen, und sah sich nun fast wehrlos,
als dies Staatsgesetz durch ein anderes Gesetz von Rechtswegen einge-
schränkt wurde. Das große Publikum blieb ohne nähere Kenntniß von
allen den häßlichen Wendungen dieser verworrenen Händel und freute
sich unbefangen des Sieges der weltlichen Gewalt. Einige Monate lang
genoß Baiern die wohlfeile Freude, von der gesammten deutschen Presse
als der liberalste aller deutschen Staaten verherrlicht zu werden.


In Baiern befreite die Erfüllung des Art. 13 den weltlichen Arm
von der Last des Concordats, in Baden rettete sie den Bestand des
Staates selber. Schon seit einigen Jahren befand sich das junge Groß-
herzogthum in einem gefährlichen Zustande arger Zerrüttung, und fast
schien es als sollte dies künstliche Staatsgebilde ebenso schnell wie es
entstanden war wieder verschwinden. Das alte Haus der Zähringer
hatte einst weithin am Oberrhein bis in das schweizerische Uechtland
hinauf geherrscht und mit den Staufern um die schwäbische Herzogs-
würde gerungen; seine Städtegründungen Bern und die beiden Frei-
burg erzählten von seinem Ruhme. Aber schon im dreizehnten Jahr-
hundert begann der Verfall, die Zähringer sanken zurück in die Reihe
der kleinen Dynasten. Als Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Herrschaft antrat, gebot
er über ein Ländchen von kaum dreißig Geviertmeilen, das von der
Schweizer Grenze bis über Karlsruhe hinab in mehreren Stücken zer-
streut lag und zum Reichsheere ein Simplum von 95 Mann stellte.
Als seine zweiundsechzigjährige Regierung im Jahre 1811 zu Ende ging,
hatte sich das Gebiet fast verzehnfacht. Zuerst wurde das katholische
Baden-Baden mit dem lutherischen Durlach vereinigt; dann schüttete
Napoleon das buntscheckige rechtsrheinische Ufergelände von Constanz bis
Mannheim zu einem seltsamen Staate zusammen, der sechzig Meilen
lang am Rheine hingedehnt, an seiner schmalsten Stelle nur zwei Meilen
breit, fast allein aus Grenzbezirken bestand. Die vorderösterreichischen
Landschaften Nellenburg, Breisgau, Ortenau, die rechtsrheinische Jung-
pfalz und Bruchstücke der Bisthümer Constanz, Straßburg, Speier wurden
mit zahllosen kleineren Gebieten von Fürsten, Grafen, Reichsrittern und
Reichsstädten zusammengeworfen. Zwei Drittel der Unterthanen der pro-
testantischen Dynastie waren katholisch, fast ein Drittel des Landes gehörte

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
konnten das Anſehen des bairiſchen Hofs bei den großen Mächten, das
ohnehin ſeit dem Hervortreten der pfälziſchen Eroberungspläne tief ge-
ſunken war, nicht erhöhen; jedoch dem Papſte gegenüber ſtand Baiern im
Vortheil. Die Curie war in ihren eigenen Netzen gefangen; ſie hatte
ſelber gehofft, die Veröffentlichung des Concordats als eines Staatsge-
ſetzes könne ihr zum Nutzen gereichen, und ſah ſich nun faſt wehrlos,
als dies Staatsgeſetz durch ein anderes Geſetz von Rechtswegen einge-
ſchränkt wurde. Das große Publikum blieb ohne nähere Kenntniß von
allen den häßlichen Wendungen dieſer verworrenen Händel und freute
ſich unbefangen des Sieges der weltlichen Gewalt. Einige Monate lang
genoß Baiern die wohlfeile Freude, von der geſammten deutſchen Preſſe
als der liberalſte aller deutſchen Staaten verherrlicht zu werden.


In Baiern befreite die Erfüllung des Art. 13 den weltlichen Arm
von der Laſt des Concordats, in Baden rettete ſie den Beſtand des
Staates ſelber. Schon ſeit einigen Jahren befand ſich das junge Groß-
herzogthum in einem gefährlichen Zuſtande arger Zerrüttung, und faſt
ſchien es als ſollte dies künſtliche Staatsgebilde ebenſo ſchnell wie es
entſtanden war wieder verſchwinden. Das alte Haus der Zähringer
hatte einſt weithin am Oberrhein bis in das ſchweizeriſche Uechtland
hinauf geherrſcht und mit den Staufern um die ſchwäbiſche Herzogs-
würde gerungen; ſeine Städtegründungen Bern und die beiden Frei-
burg erzählten von ſeinem Ruhme. Aber ſchon im dreizehnten Jahr-
hundert begann der Verfall, die Zähringer ſanken zurück in die Reihe
der kleinen Dynaſten. Als Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Herrſchaft antrat, gebot
er über ein Ländchen von kaum dreißig Geviertmeilen, das von der
Schweizer Grenze bis über Karlsruhe hinab in mehreren Stücken zer-
ſtreut lag und zum Reichsheere ein Simplum von 95 Mann ſtellte.
Als ſeine zweiundſechzigjährige Regierung im Jahre 1811 zu Ende ging,
hatte ſich das Gebiet faſt verzehnfacht. Zuerſt wurde das katholiſche
Baden-Baden mit dem lutheriſchen Durlach vereinigt; dann ſchüttete
Napoleon das buntſcheckige rechtsrheiniſche Ufergelände von Conſtanz bis
Mannheim zu einem ſeltſamen Staate zuſammen, der ſechzig Meilen
lang am Rheine hingedehnt, an ſeiner ſchmalſten Stelle nur zwei Meilen
breit, faſt allein aus Grenzbezirken beſtand. Die vorderöſterreichiſchen
Landſchaften Nellenburg, Breisgau, Ortenau, die rechtsrheiniſche Jung-
pfalz und Bruchſtücke der Bisthümer Conſtanz, Straßburg, Speier wurden
mit zahlloſen kleineren Gebieten von Fürſten, Grafen, Reichsrittern und
Reichsſtädten zuſammengeworfen. Zwei Drittel der Unterthanen der pro-
teſtantiſchen Dynaſtie waren katholiſch, faſt ein Drittel des Landes gehörte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0368" n="354"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeut&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ungskämpfe.</fw><lb/>
konnten das An&#x017F;ehen des bairi&#x017F;chen Hofs bei den großen Mächten, das<lb/>
ohnehin &#x017F;eit dem Hervortreten der pfälzi&#x017F;chen Eroberungspläne tief ge-<lb/>
&#x017F;unken war, nicht erhöhen; jedoch dem Pap&#x017F;te gegenüber &#x017F;tand Baiern im<lb/>
Vortheil. Die Curie war in ihren eigenen Netzen gefangen; &#x017F;ie hatte<lb/>
&#x017F;elber gehofft, die Veröffentlichung des Concordats als eines Staatsge-<lb/>
&#x017F;etzes könne ihr zum Nutzen gereichen, und &#x017F;ah &#x017F;ich nun fa&#x017F;t wehrlos,<lb/>
als dies Staatsge&#x017F;etz durch ein anderes Ge&#x017F;etz von Rechtswegen einge-<lb/>
&#x017F;chränkt wurde. Das große Publikum blieb ohne nähere Kenntniß von<lb/>
allen den häßlichen Wendungen die&#x017F;er verworrenen Händel und freute<lb/>
&#x017F;ich unbefangen des Sieges der weltlichen Gewalt. Einige Monate lang<lb/>
genoß Baiern die wohlfeile Freude, von der ge&#x017F;ammten deut&#x017F;chen Pre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
als der liberal&#x017F;te aller deut&#x017F;chen Staaten verherrlicht zu werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>In Baiern befreite die Erfüllung des Art. 13 den weltlichen Arm<lb/>
von der La&#x017F;t des Concordats, in Baden rettete &#x017F;ie den Be&#x017F;tand des<lb/>
Staates &#x017F;elber. Schon &#x017F;eit einigen Jahren befand &#x017F;ich das junge Groß-<lb/>
herzogthum in einem gefährlichen Zu&#x017F;tande arger Zerrüttung, und fa&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chien es als &#x017F;ollte dies kün&#x017F;tliche Staatsgebilde eben&#x017F;o &#x017F;chnell wie es<lb/>
ent&#x017F;tanden war wieder ver&#x017F;chwinden. Das alte Haus der Zähringer<lb/>
hatte ein&#x017F;t weithin am Oberrhein bis in das &#x017F;chweizeri&#x017F;che Uechtland<lb/>
hinauf geherr&#x017F;cht und mit den Staufern um die &#x017F;chwäbi&#x017F;che Herzogs-<lb/>
würde gerungen; &#x017F;eine Städtegründungen Bern und die beiden Frei-<lb/>
burg erzählten von &#x017F;einem Ruhme. Aber &#x017F;chon im dreizehnten Jahr-<lb/>
hundert begann der Verfall, die Zähringer &#x017F;anken zurück in die Reihe<lb/>
der kleinen Dyna&#x017F;ten. Als Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach<lb/>
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Herr&#x017F;chaft antrat, gebot<lb/>
er über ein Ländchen von kaum dreißig Geviertmeilen, das von der<lb/>
Schweizer Grenze bis über Karlsruhe hinab in mehreren Stücken zer-<lb/>
&#x017F;treut lag und zum Reichsheere ein Simplum von 95 Mann &#x017F;tellte.<lb/>
Als &#x017F;eine zweiund&#x017F;echzigjährige Regierung im Jahre 1811 zu Ende ging,<lb/>
hatte &#x017F;ich das Gebiet fa&#x017F;t verzehnfacht. Zuer&#x017F;t wurde das katholi&#x017F;che<lb/>
Baden-Baden mit dem lutheri&#x017F;chen Durlach vereinigt; dann &#x017F;chüttete<lb/>
Napoleon das bunt&#x017F;checkige rechtsrheini&#x017F;che Ufergelände von Con&#x017F;tanz bis<lb/>
Mannheim zu einem &#x017F;elt&#x017F;amen Staate zu&#x017F;ammen, der &#x017F;echzig Meilen<lb/>
lang am Rheine hingedehnt, an &#x017F;einer &#x017F;chmal&#x017F;ten Stelle nur zwei Meilen<lb/>
breit, fa&#x017F;t allein aus Grenzbezirken be&#x017F;tand. Die vorderö&#x017F;terreichi&#x017F;chen<lb/>
Land&#x017F;chaften Nellenburg, Breisgau, Ortenau, die rechtsrheini&#x017F;che Jung-<lb/>
pfalz und Bruch&#x017F;tücke der Bisthümer Con&#x017F;tanz, Straßburg, Speier wurden<lb/>
mit zahllo&#x017F;en kleineren Gebieten von Für&#x017F;ten, Grafen, Reichsrittern und<lb/>
Reichs&#x017F;tädten zu&#x017F;ammengeworfen. Zwei Drittel der Unterthanen der pro-<lb/>
te&#x017F;tanti&#x017F;chen Dyna&#x017F;tie waren katholi&#x017F;ch, fa&#x017F;t ein Drittel des Landes gehörte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0368] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. konnten das Anſehen des bairiſchen Hofs bei den großen Mächten, das ohnehin ſeit dem Hervortreten der pfälziſchen Eroberungspläne tief ge- ſunken war, nicht erhöhen; jedoch dem Papſte gegenüber ſtand Baiern im Vortheil. Die Curie war in ihren eigenen Netzen gefangen; ſie hatte ſelber gehofft, die Veröffentlichung des Concordats als eines Staatsge- ſetzes könne ihr zum Nutzen gereichen, und ſah ſich nun faſt wehrlos, als dies Staatsgeſetz durch ein anderes Geſetz von Rechtswegen einge- ſchränkt wurde. Das große Publikum blieb ohne nähere Kenntniß von allen den häßlichen Wendungen dieſer verworrenen Händel und freute ſich unbefangen des Sieges der weltlichen Gewalt. Einige Monate lang genoß Baiern die wohlfeile Freude, von der geſammten deutſchen Preſſe als der liberalſte aller deutſchen Staaten verherrlicht zu werden. In Baiern befreite die Erfüllung des Art. 13 den weltlichen Arm von der Laſt des Concordats, in Baden rettete ſie den Beſtand des Staates ſelber. Schon ſeit einigen Jahren befand ſich das junge Groß- herzogthum in einem gefährlichen Zuſtande arger Zerrüttung, und faſt ſchien es als ſollte dies künſtliche Staatsgebilde ebenſo ſchnell wie es entſtanden war wieder verſchwinden. Das alte Haus der Zähringer hatte einſt weithin am Oberrhein bis in das ſchweizeriſche Uechtland hinauf geherrſcht und mit den Staufern um die ſchwäbiſche Herzogs- würde gerungen; ſeine Städtegründungen Bern und die beiden Frei- burg erzählten von ſeinem Ruhme. Aber ſchon im dreizehnten Jahr- hundert begann der Verfall, die Zähringer ſanken zurück in die Reihe der kleinen Dynaſten. Als Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Herrſchaft antrat, gebot er über ein Ländchen von kaum dreißig Geviertmeilen, das von der Schweizer Grenze bis über Karlsruhe hinab in mehreren Stücken zer- ſtreut lag und zum Reichsheere ein Simplum von 95 Mann ſtellte. Als ſeine zweiundſechzigjährige Regierung im Jahre 1811 zu Ende ging, hatte ſich das Gebiet faſt verzehnfacht. Zuerſt wurde das katholiſche Baden-Baden mit dem lutheriſchen Durlach vereinigt; dann ſchüttete Napoleon das buntſcheckige rechtsrheiniſche Ufergelände von Conſtanz bis Mannheim zu einem ſeltſamen Staate zuſammen, der ſechzig Meilen lang am Rheine hingedehnt, an ſeiner ſchmalſten Stelle nur zwei Meilen breit, faſt allein aus Grenzbezirken beſtand. Die vorderöſterreichiſchen Landſchaften Nellenburg, Breisgau, Ortenau, die rechtsrheiniſche Jung- pfalz und Bruchſtücke der Bisthümer Conſtanz, Straßburg, Speier wurden mit zahlloſen kleineren Gebieten von Fürſten, Grafen, Reichsrittern und Reichsſtädten zuſammengeworfen. Zwei Drittel der Unterthanen der pro- teſtantiſchen Dynaſtie waren katholiſch, faſt ein Drittel des Landes gehörte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/368
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/368>, abgerufen am 22.11.2024.