Bücher errang sich einen Platz in der Literatur. Von Kindesbeinen an aufgewachsen in der Verehrung Josephs II., hatte er sich einst an Sailers mildem Katholicismus begeistert, ohne doch in die geistvolle Mystik des bairischen Prälaten einzudringen, und lebte nun in dem ehrlichen Glauben, daß es möglich sei das Rad der Zeit zurückzuschrauben, die fest centralisirte Kirche der Gegenreformation kurzerhand zu den Reformgedanken des fünf- zehnten Jahrhunderts zurückzuführen.
Gleichwohl blieb er ein tief überzeugter Katholik und verwarf, bei aller Duldsamkeit, "die maßlose Subjectivität" des Protestantismus. Wenn er die Evangelischen, zum Entsetzen der Clericalen, als eine Partei inner- halb der Kirche ansah, so bewies er auch damit nur, wie fest er an die Einheit der sichtbaren Kirche, an die dereinstige Rückkehr ihrer abge- fallenen Kinder glaubte. Seine Geistlichen, die er häufig in Pfarrer- versammlungen um sich zu vereinigen pflegte, verehrten ihn wie einen Heiligen; dem plebejischen neuen Clerus, der jetzt heranwuchs, fühlte er sich überlegen als weltkundiger vornehmer Herr, seinen adlichen Standes- genossen galt er als ein Wunder von Gelehrsamkeit. So gelangte er doch allmählich zu starker Selbstüberschätzung, obgleich der Hochmuth seiner weichen Seele ursprünglich fremd war. Er sah die Jesuiten im Begriff "ein Gemisch von gesetzlichem Judenthum und neuem selbstgeschaffenem Heidenthum an die Stelle der Religion des Geistes, der Liebe, der Wahr- heit zu setzen" und hielt sich berufen diesen Schlag von der Kirche abzu- wehren. Als die Gesellschaft Jesu wiederhergestellt wurde, erkannte er so- gleich den Ernst dieser folgenschweren That und schrieb warnend an seinen Vetter Metternich: auf das Andringen der katholischen Höfe sei dieser Orden einst beseitigt worden; jetzt erdreiste sich die Curie ihn ohne jede Rücksprache mit den Mächten zu erneuern; welch eine Aussicht für die Zukunft! Metternich aber erwiderte gleichmüthig, sein Kaiser habe nichts zu fürchten, in Oesterreich würden die Jesuiten niemals Aufnahme finden.
Um dieselbe Zeit ernannte Dalberg als Bischof von Constanz eigen- mächtig seinen Generalvicar zum Coadjutor mit dem Rechte der Nach- folge. Sofort empfing er aus Rom einen scharfen Verweis und zugleich den Befehl, diesen berüchtigten Wessenberg auch seines Generalvicariats zu entsetzen (2. Nov. 1814). Der ängstliche Primas hielt die Bulle sorg- fältig geheim, wagte aber auch nicht die Ernennung durchzuführen. In diesem sonderbaren Zustande verblieb die Diöcese bis Dalberg starb und das Domcapitel nunmehr einstimmig den Generalvicar zum Bisthums- verweser erwählte. Abermals erklärte der Vatican die Wahl für nichtig. In einem Breve vom 21. Mai 1817 setzte der Papst sodann dem Groß- herzog auseinander, warum er sich bewogen finde, diesen Mann, "den alle Guten verabscheuen, der Unseren Beifall ganz und gar nicht hat", zurück- zuweisen. Der Großherzog, der die Wahl bereits genehmigt hatte, wollte seinem Prälaten wohl, dessen allezeit verständigen Rath er auch in poli-
Weſſenberg und das Bisthum Conſtanz.
Bücher errang ſich einen Platz in der Literatur. Von Kindesbeinen an aufgewachſen in der Verehrung Joſephs II., hatte er ſich einſt an Sailers mildem Katholicismus begeiſtert, ohne doch in die geiſtvolle Myſtik des bairiſchen Prälaten einzudringen, und lebte nun in dem ehrlichen Glauben, daß es möglich ſei das Rad der Zeit zurückzuſchrauben, die feſt centraliſirte Kirche der Gegenreformation kurzerhand zu den Reformgedanken des fünf- zehnten Jahrhunderts zurückzuführen.
Gleichwohl blieb er ein tief überzeugter Katholik und verwarf, bei aller Duldſamkeit, „die maßloſe Subjectivität“ des Proteſtantismus. Wenn er die Evangeliſchen, zum Entſetzen der Clericalen, als eine Partei inner- halb der Kirche anſah, ſo bewies er auch damit nur, wie feſt er an die Einheit der ſichtbaren Kirche, an die dereinſtige Rückkehr ihrer abge- fallenen Kinder glaubte. Seine Geiſtlichen, die er häufig in Pfarrer- verſammlungen um ſich zu vereinigen pflegte, verehrten ihn wie einen Heiligen; dem plebejiſchen neuen Clerus, der jetzt heranwuchs, fühlte er ſich überlegen als weltkundiger vornehmer Herr, ſeinen adlichen Standes- genoſſen galt er als ein Wunder von Gelehrſamkeit. So gelangte er doch allmählich zu ſtarker Selbſtüberſchätzung, obgleich der Hochmuth ſeiner weichen Seele urſprünglich fremd war. Er ſah die Jeſuiten im Begriff „ein Gemiſch von geſetzlichem Judenthum und neuem ſelbſtgeſchaffenem Heidenthum an die Stelle der Religion des Geiſtes, der Liebe, der Wahr- heit zu ſetzen“ und hielt ſich berufen dieſen Schlag von der Kirche abzu- wehren. Als die Geſellſchaft Jeſu wiederhergeſtellt wurde, erkannte er ſo- gleich den Ernſt dieſer folgenſchweren That und ſchrieb warnend an ſeinen Vetter Metternich: auf das Andringen der katholiſchen Höfe ſei dieſer Orden einſt beſeitigt worden; jetzt erdreiſte ſich die Curie ihn ohne jede Rückſprache mit den Mächten zu erneuern; welch eine Ausſicht für die Zukunft! Metternich aber erwiderte gleichmüthig, ſein Kaiſer habe nichts zu fürchten, in Oeſterreich würden die Jeſuiten niemals Aufnahme finden.
Um dieſelbe Zeit ernannte Dalberg als Biſchof von Conſtanz eigen- mächtig ſeinen Generalvicar zum Coadjutor mit dem Rechte der Nach- folge. Sofort empfing er aus Rom einen ſcharfen Verweis und zugleich den Befehl, dieſen berüchtigten Weſſenberg auch ſeines Generalvicariats zu entſetzen (2. Nov. 1814). Der ängſtliche Primas hielt die Bulle ſorg- fältig geheim, wagte aber auch nicht die Ernennung durchzuführen. In dieſem ſonderbaren Zuſtande verblieb die Diöceſe bis Dalberg ſtarb und das Domcapitel nunmehr einſtimmig den Generalvicar zum Bisthums- verweſer erwählte. Abermals erklärte der Vatican die Wahl für nichtig. In einem Breve vom 21. Mai 1817 ſetzte der Papſt ſodann dem Groß- herzog auseinander, warum er ſich bewogen finde, dieſen Mann, „den alle Guten verabſcheuen, der Unſeren Beifall ganz und gar nicht hat“, zurück- zuweiſen. Der Großherzog, der die Wahl bereits genehmigt hatte, wollte ſeinem Prälaten wohl, deſſen allezeit verſtändigen Rath er auch in poli-
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[365/0379]
Weſſenberg und das Bisthum Conſtanz.
Bücher errang ſich einen Platz in der Literatur. Von Kindesbeinen an
aufgewachſen in der Verehrung Joſephs II., hatte er ſich einſt an Sailers
mildem Katholicismus begeiſtert, ohne doch in die geiſtvolle Myſtik des
bairiſchen Prälaten einzudringen, und lebte nun in dem ehrlichen Glauben,
daß es möglich ſei das Rad der Zeit zurückzuſchrauben, die feſt centraliſirte
Kirche der Gegenreformation kurzerhand zu den Reformgedanken des fünf-
zehnten Jahrhunderts zurückzuführen.
Gleichwohl blieb er ein tief überzeugter Katholik und verwarf, bei
aller Duldſamkeit, „die maßloſe Subjectivität“ des Proteſtantismus. Wenn
er die Evangeliſchen, zum Entſetzen der Clericalen, als eine Partei inner-
halb der Kirche anſah, ſo bewies er auch damit nur, wie feſt er an
die Einheit der ſichtbaren Kirche, an die dereinſtige Rückkehr ihrer abge-
fallenen Kinder glaubte. Seine Geiſtlichen, die er häufig in Pfarrer-
verſammlungen um ſich zu vereinigen pflegte, verehrten ihn wie einen
Heiligen; dem plebejiſchen neuen Clerus, der jetzt heranwuchs, fühlte er
ſich überlegen als weltkundiger vornehmer Herr, ſeinen adlichen Standes-
genoſſen galt er als ein Wunder von Gelehrſamkeit. So gelangte er
doch allmählich zu ſtarker Selbſtüberſchätzung, obgleich der Hochmuth ſeiner
weichen Seele urſprünglich fremd war. Er ſah die Jeſuiten im Begriff
„ein Gemiſch von geſetzlichem Judenthum und neuem ſelbſtgeſchaffenem
Heidenthum an die Stelle der Religion des Geiſtes, der Liebe, der Wahr-
heit zu ſetzen“ und hielt ſich berufen dieſen Schlag von der Kirche abzu-
wehren. Als die Geſellſchaft Jeſu wiederhergeſtellt wurde, erkannte er ſo-
gleich den Ernſt dieſer folgenſchweren That und ſchrieb warnend an ſeinen
Vetter Metternich: auf das Andringen der katholiſchen Höfe ſei dieſer
Orden einſt beſeitigt worden; jetzt erdreiſte ſich die Curie ihn ohne jede
Rückſprache mit den Mächten zu erneuern; welch eine Ausſicht für die
Zukunft! Metternich aber erwiderte gleichmüthig, ſein Kaiſer habe nichts
zu fürchten, in Oeſterreich würden die Jeſuiten niemals Aufnahme finden.
Um dieſelbe Zeit ernannte Dalberg als Biſchof von Conſtanz eigen-
mächtig ſeinen Generalvicar zum Coadjutor mit dem Rechte der Nach-
folge. Sofort empfing er aus Rom einen ſcharfen Verweis und zugleich
den Befehl, dieſen berüchtigten Weſſenberg auch ſeines Generalvicariats
zu entſetzen (2. Nov. 1814). Der ängſtliche Primas hielt die Bulle ſorg-
fältig geheim, wagte aber auch nicht die Ernennung durchzuführen. In
dieſem ſonderbaren Zuſtande verblieb die Diöceſe bis Dalberg ſtarb und
das Domcapitel nunmehr einſtimmig den Generalvicar zum Bisthums-
verweſer erwählte. Abermals erklärte der Vatican die Wahl für nichtig.
In einem Breve vom 21. Mai 1817 ſetzte der Papſt ſodann dem Groß-
herzog auseinander, warum er ſich bewogen finde, dieſen Mann, „den alle
Guten verabſcheuen, der Unſeren Beifall ganz und gar nicht hat“, zurück-
zuweiſen. Der Großherzog, der die Wahl bereits genehmigt hatte, wollte
ſeinem Prälaten wohl, deſſen allezeit verſtändigen Rath er auch in poli-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/379>, abgerufen am 22.11.2024.
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