Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Wessenbergs Romfahrt. weiter führen, und die Curie war klug genug vorläufig zu schweigen. Romkonnte warten, denn der Großherzog wünschte dringend die Errichtung eines badischen Landesbisthums, und diese war unmöglich ohne den Papst. Noch blieb eine Hoffnung: -- der Bundestag. In einer ausführlichen Denkschrift (v. 17. Mai 1818) legte der Karlsruher Hof dem Deutschen Bunde den Hergang dar und erklärte schließlich, er halte den Constanzer Streit "nunmehr für eine allgemeine Kirchenangelegenheit der deutschen Nation". Aber da die Kirchensachen unzweifelhaft nicht zu dem Geschäfts- kreise des Bundes gehörten, so wagte Baden nicht einmal einen Antrag in Frankfurt zu stellen, und der Bundestag vermied jede Besprechung. Die Denkschrift wurde fast in alle Sprachen Europas übersetzt, an den Höfen und unter dem Clerus weit verbreitet; Rotteck und seine Freunde redeten noch eine Weile in den Zeitungen hochpathetisch von dem großen "deutschen Kirchenstreite". Dann erlosch die Bewegung, die niemals tief in die Massen des Volks gedrungen war. Nur an den kleinen Höfen des Südwestens behauptete Wessenberg noch einigen Einfluß. Sie hatten einst aus partikularistischer Angst seine nationalkirchlichen Pläne bekämpft; jetzt aber erschien er ihnen als ein brauchbarer Kampfgenosse gegen den römischen Stuhl. Auch er selber begann nunmehr die Unausführbarkeit seiner früheren Träume einzusehen und veröffentlichte bald nach seiner Heimkehr eine anonyme Schrift "Betrachtungen über die Verhältnisse der katholischen Kirche Deutschlands", worin er die Errichtung von Landesbis- thümern empfahl, aber zugleich verlangte, daß die deutschen Regierungen, so viele sich freiwillig dazu bereit fänden, zusammentreten sollten um gemeinsam mit der Curie zu verhandeln und ihre Landesbischöfe einem gemeinsamen Erzbischof unterzuordnen. So schrumpfte die deutsche Na- tionalkirche zu einem kirchenpolitischen Sonderbunde deutscher Einzel- staaten zusammen. Eben diesen Gedanken hatten die Höfe von Karlsruhe und Stutt- Weſſenbergs Romfahrt. weiter führen, und die Curie war klug genug vorläufig zu ſchweigen. Romkonnte warten, denn der Großherzog wünſchte dringend die Errichtung eines badiſchen Landesbisthums, und dieſe war unmöglich ohne den Papſt. Noch blieb eine Hoffnung: — der Bundestag. In einer ausführlichen Denkſchrift (v. 17. Mai 1818) legte der Karlsruher Hof dem Deutſchen Bunde den Hergang dar und erklärte ſchließlich, er halte den Conſtanzer Streit „nunmehr für eine allgemeine Kirchenangelegenheit der deutſchen Nation“. Aber da die Kirchenſachen unzweifelhaft nicht zu dem Geſchäfts- kreiſe des Bundes gehörten, ſo wagte Baden nicht einmal einen Antrag in Frankfurt zu ſtellen, und der Bundestag vermied jede Beſprechung. Die Denkſchrift wurde faſt in alle Sprachen Europas überſetzt, an den Höfen und unter dem Clerus weit verbreitet; Rotteck und ſeine Freunde redeten noch eine Weile in den Zeitungen hochpathetiſch von dem großen „deutſchen Kirchenſtreite“. Dann erloſch die Bewegung, die niemals tief in die Maſſen des Volks gedrungen war. Nur an den kleinen Höfen des Südweſtens behauptete Weſſenberg noch einigen Einfluß. Sie hatten einſt aus partikulariſtiſcher Angſt ſeine nationalkirchlichen Pläne bekämpft; jetzt aber erſchien er ihnen als ein brauchbarer Kampfgenoſſe gegen den römiſchen Stuhl. Auch er ſelber begann nunmehr die Unausführbarkeit ſeiner früheren Träume einzuſehen und veröffentlichte bald nach ſeiner Heimkehr eine anonyme Schrift „Betrachtungen über die Verhältniſſe der katholiſchen Kirche Deutſchlands“, worin er die Errichtung von Landesbis- thümern empfahl, aber zugleich verlangte, daß die deutſchen Regierungen, ſo viele ſich freiwillig dazu bereit fänden, zuſammentreten ſollten um gemeinſam mit der Curie zu verhandeln und ihre Landesbiſchöfe einem gemeinſamen Erzbiſchof unterzuordnen. So ſchrumpfte die deutſche Na- tionalkirche zu einem kirchenpolitiſchen Sonderbunde deutſcher Einzel- ſtaaten zuſammen. Eben dieſen Gedanken hatten die Höfe von Karlsruhe und Stutt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0381" n="367"/><fw place="top" type="header">Weſſenbergs Romfahrt.</fw><lb/> weiter führen, und die Curie war klug genug vorläufig zu ſchweigen. Rom<lb/> konnte warten, denn der Großherzog wünſchte dringend die Errichtung<lb/> eines badiſchen Landesbisthums, und dieſe war unmöglich ohne den Papſt.<lb/> Noch blieb eine Hoffnung: — der Bundestag. In einer ausführlichen<lb/> Denkſchrift (v. 17. Mai 1818) legte der Karlsruher Hof dem Deutſchen<lb/> Bunde den Hergang dar und erklärte ſchließlich, er halte den Conſtanzer<lb/> Streit „nunmehr für eine allgemeine Kirchenangelegenheit der deutſchen<lb/> Nation“. 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Weſſenbergs Romfahrt.
weiter führen, und die Curie war klug genug vorläufig zu ſchweigen. Rom
konnte warten, denn der Großherzog wünſchte dringend die Errichtung
eines badiſchen Landesbisthums, und dieſe war unmöglich ohne den Papſt.
Noch blieb eine Hoffnung: — der Bundestag. In einer ausführlichen
Denkſchrift (v. 17. Mai 1818) legte der Karlsruher Hof dem Deutſchen
Bunde den Hergang dar und erklärte ſchließlich, er halte den Conſtanzer
Streit „nunmehr für eine allgemeine Kirchenangelegenheit der deutſchen
Nation“. Aber da die Kirchenſachen unzweifelhaft nicht zu dem Geſchäfts-
kreiſe des Bundes gehörten, ſo wagte Baden nicht einmal einen Antrag
in Frankfurt zu ſtellen, und der Bundestag vermied jede Beſprechung.
Die Denkſchrift wurde faſt in alle Sprachen Europas überſetzt, an den
Höfen und unter dem Clerus weit verbreitet; Rotteck und ſeine Freunde
redeten noch eine Weile in den Zeitungen hochpathetiſch von dem großen
„deutſchen Kirchenſtreite“. Dann erloſch die Bewegung, die niemals tief
in die Maſſen des Volks gedrungen war. Nur an den kleinen Höfen
des Südweſtens behauptete Weſſenberg noch einigen Einfluß. Sie hatten
einſt aus partikulariſtiſcher Angſt ſeine nationalkirchlichen Pläne bekämpft;
jetzt aber erſchien er ihnen als ein brauchbarer Kampfgenoſſe gegen den
römiſchen Stuhl. Auch er ſelber begann nunmehr die Unausführbarkeit
ſeiner früheren Träume einzuſehen und veröffentlichte bald nach ſeiner
Heimkehr eine anonyme Schrift „Betrachtungen über die Verhältniſſe der
katholiſchen Kirche Deutſchlands“, worin er die Errichtung von Landesbis-
thümern empfahl, aber zugleich verlangte, daß die deutſchen Regierungen,
ſo viele ſich freiwillig dazu bereit fänden, zuſammentreten ſollten um
gemeinſam mit der Curie zu verhandeln und ihre Landesbiſchöfe einem
gemeinſamen Erzbiſchof unterzuordnen. So ſchrumpfte die deutſche Na-
tionalkirche zu einem kirchenpolitiſchen Sonderbunde deutſcher Einzel-
ſtaaten zuſammen.
Eben dieſen Gedanken hatten die Höfe von Karlsruhe und Stutt-
gart ſchon ſeit einiger Zeit ergriffen. Nachdem Baiern in Rom eine ſo
ſchimpfliche Niederlage erlitten, trauten ſie ſich doch nicht mehr die Kraft
zu, einzeln bei der Curie etwas auszurichten; wenn aber Mächte wie
Baden, Württemberg und Naſſau ſich zuſammenthaten, dann mußte der
Papſt unfehlbar nachgeben. Mit Feuereifer betrieb Wangenheim in
Frankfurt dieſe Pläne. Hier bot ſich ihm endlich die Gelegenheit, den er-
ſehnten Bund im Bunde, die deutſche Trias zu begründen und durch die
Demüthigung Roms die Macht des „reinen Deutſchlands“ vor aller Welt
zu erweiſen. Wunderliche Widerſprüche vertrugen ſich friedlich in dieſem
vielſeitigen Kopfe; wie er trotz ſeiner naturphiloſophiſchen Schwärmerei
ein doctrinärer Liberaler blieb, ſo auch ein Vorkämpfer der joſephiniſchen
Staatsallmacht. Von der Lebenskraft des römiſchen Stuhls dachte er
ſehr niedrig; er wähnte ſchon die Anzeichen eines Schismas in Deutſch-
land zu bemerken, obgleich die ungeheure Mehrheit der deutſchen Katho-
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