deutscher Minister die Legitimität des angestammten Fürstenhauses zu preisen, und doch klang dies Selbstlob nirgends lächerlicher als hier, in einem Ländchen von 85 Geviertmeilen, das vor wenigen Jahren noch unter siebenundzwanzig verschiedenen Landesherren vertheilt gewesen.
Nach der Abtretung von Saarbrücken, Lahr, Siegen blieb von dem alten nassauischen Hausbesitze wenig übrig. Auch die altoranischen Land- schaften hatten mit dem deutschen Herzogshause nicht viel mehr als den Namen gemein. Was konnte ein Kleinstaat diesem tapferen Volke bieten, über dem einst der Sonnenschein weltgeschichtlichen Ruhmes geleuchtet hatte? Dort auf den rauhen Bergen des Westerwaldes und in dem ab- gelegenen Winkel des Dillthals erzählte sich jedes Haus von den Hollands- fahrten der Väter; dort stand noch die Linde, unter deren Schatten Wil- helm der Schweiger die Gesandten der niederländischen Rebellen empfangen hatte; dort lag Herborn, vor Zeiten die kampflustige Hochschule des Calvinis- mus, jetzt zogen statt streitbarer Theologen friedliche Ackerbürger durch die Chaldäergasse des stillen Landstädtchens. Noch gleichgiltiger standen die pfälzischen, trierschen, hessischen Aemter des Rheinthals dem neuen Fürsten- hause gegenüber. Den bigotten Kurtrierern kam es hart an, daß sie mit den protestantischen Katzenellenbogenern unter einen Hut geriethen und die trutzigen Grenzfesten der beiden feindlichen Nachbarvölker, die Katz und die Maus nun in Trümmern lagen; aber noch härter, daß die wunder- reiche Wallfahrtskirche zur schmerzhaften Mutter Gottes von Bornhofen durch den nassauischen Amtmann sofort geschlossen wurde. Am Aller- wenigsten wollte sich der kurmainzische Rheingau mit dem neuen Regimente befreunden, das Paradies der rheinischen Lebenslust, das wonnige Land, wo die Poesie des Weines selbst die Armuth froh erhält. Hier in den verkehrsreichen Flecken und städtischen Dörfern, die sich dichtgedrängt wie eine einzige Stadt im Strome wiederspiegeln, lag der radicale Uebermuth in der Luft, und der Minister that das Seine um dem Gespött des lustigen Völkchens täglich neuen Stoff zu bieten.
Da ein Staatsministerium und daneben noch ein Staatsrath, ein Armee-Commando und eine Rechenkammer für die Glückseligkeit von 300,000 Seelen offenbar nicht ausreichten, so setzte der nassauische Organisator noch eine Landesregierung darunter, die mit dem Ministerium unter einem Dache wohnte aber nur schriftlich mit der vorgesetzten Behörde verkehren durfte; darunter wieder 25 Aemter, unter diesen die Gemeinden, deren Schultheißen die Regierung ernannte. Dazu außer den Untergerichten zwei Appellationsgerichte und ein Oberappellationsgericht. Dies mächtige uniformirte Beamtenheer war für sich und seine Kinder von der Militär- pflicht befreit, genoß eines privilegirten Gerichtsstandes und wetteiferte mit dem Minister in despotischer Grobheit. Der wackere Präsident Ibell, ein strenger, aber wohlmeinender und gescheidter Beamter, der an der neuen Gesetzgebung das Beste gethan, kam gegen Marschalls übles Beispiel
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
deutſcher Miniſter die Legitimität des angeſtammten Fürſtenhauſes zu preiſen, und doch klang dies Selbſtlob nirgends lächerlicher als hier, in einem Ländchen von 85 Geviertmeilen, das vor wenigen Jahren noch unter ſiebenundzwanzig verſchiedenen Landesherren vertheilt geweſen.
Nach der Abtretung von Saarbrücken, Lahr, Siegen blieb von dem alten naſſauiſchen Hausbeſitze wenig übrig. Auch die altoraniſchen Land- ſchaften hatten mit dem deutſchen Herzogshauſe nicht viel mehr als den Namen gemein. Was konnte ein Kleinſtaat dieſem tapferen Volke bieten, über dem einſt der Sonnenſchein weltgeſchichtlichen Ruhmes geleuchtet hatte? Dort auf den rauhen Bergen des Weſterwaldes und in dem ab- gelegenen Winkel des Dillthals erzählte ſich jedes Haus von den Hollands- fahrten der Väter; dort ſtand noch die Linde, unter deren Schatten Wil- helm der Schweiger die Geſandten der niederländiſchen Rebellen empfangen hatte; dort lag Herborn, vor Zeiten die kampfluſtige Hochſchule des Calvinis- mus, jetzt zogen ſtatt ſtreitbarer Theologen friedliche Ackerbürger durch die Chaldäergaſſe des ſtillen Landſtädtchens. Noch gleichgiltiger ſtanden die pfälziſchen, trierſchen, heſſiſchen Aemter des Rheinthals dem neuen Fürſten- hauſe gegenüber. Den bigotten Kurtrierern kam es hart an, daß ſie mit den proteſtantiſchen Katzenellenbogenern unter einen Hut geriethen und die trutzigen Grenzfeſten der beiden feindlichen Nachbarvölker, die Katz und die Maus nun in Trümmern lagen; aber noch härter, daß die wunder- reiche Wallfahrtskirche zur ſchmerzhaften Mutter Gottes von Bornhofen durch den naſſauiſchen Amtmann ſofort geſchloſſen wurde. Am Aller- wenigſten wollte ſich der kurmainziſche Rheingau mit dem neuen Regimente befreunden, das Paradies der rheiniſchen Lebensluſt, das wonnige Land, wo die Poeſie des Weines ſelbſt die Armuth froh erhält. Hier in den verkehrsreichen Flecken und ſtädtiſchen Dörfern, die ſich dichtgedrängt wie eine einzige Stadt im Strome wiederſpiegeln, lag der radicale Uebermuth in der Luft, und der Miniſter that das Seine um dem Geſpött des luſtigen Völkchens täglich neuen Stoff zu bieten.
Da ein Staatsminiſterium und daneben noch ein Staatsrath, ein Armee-Commando und eine Rechenkammer für die Glückſeligkeit von 300,000 Seelen offenbar nicht ausreichten, ſo ſetzte der naſſauiſche Organiſator noch eine Landesregierung darunter, die mit dem Miniſterium unter einem Dache wohnte aber nur ſchriftlich mit der vorgeſetzten Behörde verkehren durfte; darunter wieder 25 Aemter, unter dieſen die Gemeinden, deren Schultheißen die Regierung ernannte. Dazu außer den Untergerichten zwei Appellationsgerichte und ein Oberappellationsgericht. Dies mächtige uniformirte Beamtenheer war für ſich und ſeine Kinder von der Militär- pflicht befreit, genoß eines privilegirten Gerichtsſtandes und wetteiferte mit dem Miniſter in despotiſcher Grobheit. Der wackere Präſident Ibell, ein ſtrenger, aber wohlmeinender und geſcheidter Beamter, der an der neuen Geſetzgebung das Beſte gethan, kam gegen Marſchalls übles Beiſpiel
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deutſcher Miniſter die Legitimität des angeſtammten Fürſtenhauſes zu
preiſen, und doch klang dies Selbſtlob nirgends lächerlicher als hier, in
einem Ländchen von 85 Geviertmeilen, das vor wenigen Jahren noch
unter ſiebenundzwanzig verſchiedenen Landesherren vertheilt geweſen.
Nach der Abtretung von Saarbrücken, Lahr, Siegen blieb von dem
alten naſſauiſchen Hausbeſitze wenig übrig. Auch die altoraniſchen Land-
ſchaften hatten mit dem deutſchen Herzogshauſe nicht viel mehr als den
Namen gemein. Was konnte ein Kleinſtaat dieſem tapferen Volke bieten,
über dem einſt der Sonnenſchein weltgeſchichtlichen Ruhmes geleuchtet
hatte? Dort auf den rauhen Bergen des Weſterwaldes und in dem ab-
gelegenen Winkel des Dillthals erzählte ſich jedes Haus von den Hollands-
fahrten der Väter; dort ſtand noch die Linde, unter deren Schatten Wil-
helm der Schweiger die Geſandten der niederländiſchen Rebellen empfangen
hatte; dort lag Herborn, vor Zeiten die kampfluſtige Hochſchule des Calvinis-
mus, jetzt zogen ſtatt ſtreitbarer Theologen friedliche Ackerbürger durch die
Chaldäergaſſe des ſtillen Landſtädtchens. Noch gleichgiltiger ſtanden die
pfälziſchen, trierſchen, heſſiſchen Aemter des Rheinthals dem neuen Fürſten-
hauſe gegenüber. Den bigotten Kurtrierern kam es hart an, daß ſie mit
den proteſtantiſchen Katzenellenbogenern unter einen Hut geriethen und die
trutzigen Grenzfeſten der beiden feindlichen Nachbarvölker, die Katz und
die Maus nun in Trümmern lagen; aber noch härter, daß die wunder-
reiche Wallfahrtskirche zur ſchmerzhaften Mutter Gottes von Bornhofen
durch den naſſauiſchen Amtmann ſofort geſchloſſen wurde. Am Aller-
wenigſten wollte ſich der kurmainziſche Rheingau mit dem neuen Regimente
befreunden, das Paradies der rheiniſchen Lebensluſt, das wonnige Land,
wo die Poeſie des Weines ſelbſt die Armuth froh erhält. Hier in den
verkehrsreichen Flecken und ſtädtiſchen Dörfern, die ſich dichtgedrängt wie
eine einzige Stadt im Strome wiederſpiegeln, lag der radicale Uebermuth
in der Luft, und der Miniſter that das Seine um dem Geſpött des luſtigen
Völkchens täglich neuen Stoff zu bieten.
Da ein Staatsminiſterium und daneben noch ein Staatsrath, ein
Armee-Commando und eine Rechenkammer für die Glückſeligkeit von 300,000
Seelen offenbar nicht ausreichten, ſo ſetzte der naſſauiſche Organiſator noch
eine Landesregierung darunter, die mit dem Miniſterium unter einem
Dache wohnte aber nur ſchriftlich mit der vorgeſetzten Behörde verkehren
durfte; darunter wieder 25 Aemter, unter dieſen die Gemeinden, deren
Schultheißen die Regierung ernannte. Dazu außer den Untergerichten
zwei Appellationsgerichte und ein Oberappellationsgericht. Dies mächtige
uniformirte Beamtenheer war für ſich und ſeine Kinder von der Militär-
pflicht befreit, genoß eines privilegirten Gerichtsſtandes und wetteiferte
mit dem Miniſter in despotiſcher Grobheit. Der wackere Präſident Ibell,
ein ſtrenger, aber wohlmeinender und geſcheidter Beamter, der an der neuen
Geſetzgebung das Beſte gethan, kam gegen Marſchalls übles Beiſpiel
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/390>, abgerufen am 22.11.2024.
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