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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
Heißsporn Heinrich Leo dabei denken, wenn ihn der Turnvater ausführ-
lich belehrte: mit dem Dolche müsse man zuerst nach den Augen zielen
und dann, wenn das Opfer die Arme vor den Kopf halte, nach der unge-
deckten Brust stoßen --? Franz Lieber aber, der geistvollste und aufge-
regteste unter den jungen Schwarmgeistern, trug alle "Goldsprüchlein aus
Vater Jahns Munde" gewissenhaft in sein Taschenbuch ein und ver-
schönerte sie zuweilen noch durch die Weisheit seines eigenen achtzehnjäh-
rigen Kopfes; wenn der Meister die gewichtigen Worte sprach: "Wort
gegen Wort, Feder gegen Feder, Dolch gegen Dolch" so fügte der Schüler
auf eigene Faust den Schluß hinzu: "nehmen sie mich fest, wohlan!" --
und das sinnlose Bramarbasiren klang wie das Losungswort einer Ver-
schwörung. Mit der Vertreibung der Franzosen war Jahns politischer
Gedankenvorrath erschöpft; die öffentlichen Vorlesungen über das Deutsch-
thum, die er im Jahre 1817 hielt, brachten außer einzelnen guten Ein-
fällen nur noch hohle Schlagworte. Am Liebsten wollte er zwischen Deutsch-
land und Frankreich eine große "Hamme" einrichten, eine von Bären und
Auerochsen bewohnte Wildniß; da dies leider nicht mehr anging, so mußte
mindestens jeder Verkehr mit den Wälschen aufhören: "wer seine Tochter
französisch lernen läßt thut nichts Besseres als wer sie die Hurerei lehrt."
Dazwischenhinein heftige Angriffe auf die geheime Rechtspflege der "Schmier-
gerichte mit ihrem Förschlerverfahren", und ein ganzes Wörterbuch von
Schimpfreden wider die Hofleute und Staatsmänner, diese Vorgemachs-
hasen, Steigemänner, Schürzenkrebse, Kuppelpelze, Wettergänse. Zum
Schluß rief er: "Gott segne den König, mehre die Deutschheit und ver-
leihe gnädig und bald das Eine was noth thut, eine weise Verfassung."

Was er sich unter der weisen Verfassung dachte, blieb ihm selber
dunkel. Das junge Volk aber säumte nicht, im thörichten Absprechen über
unverstandene Fragen den Meister noch zu überbieten. Der Cynismus
der Turnerei, ihr Haß gegen allen Glanz und allen Adel wurzelte freilich
in unausrottbaren Eigenheiten des deutschen Charakters; die Sehnsucht
nach der formlosen Einfachheit ursprünglichen Menschenlebens war unserem
Volke immer geblieben und hatte sich schon oft, sobald das germanische
Blut in Wallung gerieth, in ungestümer Roheit Luft gemacht, so in den
grobianischen Schriften des sechzehnten Jahrhunderts und neuerdings wieder
in der Zeit der poetischen Stürmer und Dränger. Doch auch der politische
Gleichheitsfanatismus der verabscheuten Jakobiner wirkte unbewußt auf
die Gedanken der Turner ein. Wenn Buri's "Turnruf" die Eitlen vom
Ringplatze hinwegwies mit den Worten: "fort aus der Gleichheit Heilig-
thum, das Knecht' und Herren haßt," so konnte es nicht ausbleiben, daß
junge Hitzköpfe dies Evangelium der Gleichheit kurzerhand auf das politische
Leben übertrugen. Waidliche Scheltworte wider die "Schmarotzer, Komö-
dianten, Huren, Pferde und Hunde" der prassenden Höfe gehörten zum
Turnerbrauche, und in den Schulstuben vergnügte man sich an einer

II. 7. Die Burſchenſchaft.
Heißſporn Heinrich Leo dabei denken, wenn ihn der Turnvater ausführ-
lich belehrte: mit dem Dolche müſſe man zuerſt nach den Augen zielen
und dann, wenn das Opfer die Arme vor den Kopf halte, nach der unge-
deckten Bruſt ſtoßen —? Franz Lieber aber, der geiſtvollſte und aufge-
regteſte unter den jungen Schwarmgeiſtern, trug alle „Goldſprüchlein aus
Vater Jahns Munde“ gewiſſenhaft in ſein Taſchenbuch ein und ver-
ſchönerte ſie zuweilen noch durch die Weisheit ſeines eigenen achtzehnjäh-
rigen Kopfes; wenn der Meiſter die gewichtigen Worte ſprach: „Wort
gegen Wort, Feder gegen Feder, Dolch gegen Dolch“ ſo fügte der Schüler
auf eigene Fauſt den Schluß hinzu: „nehmen ſie mich feſt, wohlan!“ —
und das ſinnloſe Bramarbaſiren klang wie das Loſungswort einer Ver-
ſchwörung. Mit der Vertreibung der Franzoſen war Jahns politiſcher
Gedankenvorrath erſchöpft; die öffentlichen Vorleſungen über das Deutſch-
thum, die er im Jahre 1817 hielt, brachten außer einzelnen guten Ein-
fällen nur noch hohle Schlagworte. Am Liebſten wollte er zwiſchen Deutſch-
land und Frankreich eine große „Hamme“ einrichten, eine von Bären und
Auerochſen bewohnte Wildniß; da dies leider nicht mehr anging, ſo mußte
mindeſtens jeder Verkehr mit den Wälſchen aufhören: „wer ſeine Tochter
franzöſiſch lernen läßt thut nichts Beſſeres als wer ſie die Hurerei lehrt.“
Dazwiſchenhinein heftige Angriffe auf die geheime Rechtspflege der „Schmier-
gerichte mit ihrem Förſchlerverfahren“, und ein ganzes Wörterbuch von
Schimpfreden wider die Hofleute und Staatsmänner, dieſe Vorgemachs-
haſen, Steigemänner, Schürzenkrebſe, Kuppelpelze, Wettergänſe. Zum
Schluß rief er: „Gott ſegne den König, mehre die Deutſchheit und ver-
leihe gnädig und bald das Eine was noth thut, eine weiſe Verfaſſung.“

Was er ſich unter der weiſen Verfaſſung dachte, blieb ihm ſelber
dunkel. Das junge Volk aber ſäumte nicht, im thörichten Abſprechen über
unverſtandene Fragen den Meiſter noch zu überbieten. Der Cynismus
der Turnerei, ihr Haß gegen allen Glanz und allen Adel wurzelte freilich
in unausrottbaren Eigenheiten des deutſchen Charakters; die Sehnſucht
nach der formloſen Einfachheit urſprünglichen Menſchenlebens war unſerem
Volke immer geblieben und hatte ſich ſchon oft, ſobald das germaniſche
Blut in Wallung gerieth, in ungeſtümer Roheit Luft gemacht, ſo in den
grobianiſchen Schriften des ſechzehnten Jahrhunderts und neuerdings wieder
in der Zeit der poetiſchen Stürmer und Dränger. Doch auch der politiſche
Gleichheitsfanatismus der verabſcheuten Jakobiner wirkte unbewußt auf
die Gedanken der Turner ein. Wenn Buri’s „Turnruf“ die Eitlen vom
Ringplatze hinwegwies mit den Worten: „fort aus der Gleichheit Heilig-
thum, das Knecht’ und Herren haßt,“ ſo konnte es nicht ausbleiben, daß
junge Hitzköpfe dies Evangelium der Gleichheit kurzerhand auf das politiſche
Leben übertrugen. Waidliche Scheltworte wider die „Schmarotzer, Komö-
dianten, Huren, Pferde und Hunde“ der praſſenden Höfe gehörten zum
Turnerbrauche, und in den Schulſtuben vergnügte man ſich an einer

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[392/0406] II. 7. Die Burſchenſchaft. Heißſporn Heinrich Leo dabei denken, wenn ihn der Turnvater ausführ- lich belehrte: mit dem Dolche müſſe man zuerſt nach den Augen zielen und dann, wenn das Opfer die Arme vor den Kopf halte, nach der unge- deckten Bruſt ſtoßen —? Franz Lieber aber, der geiſtvollſte und aufge- regteſte unter den jungen Schwarmgeiſtern, trug alle „Goldſprüchlein aus Vater Jahns Munde“ gewiſſenhaft in ſein Taſchenbuch ein und ver- ſchönerte ſie zuweilen noch durch die Weisheit ſeines eigenen achtzehnjäh- rigen Kopfes; wenn der Meiſter die gewichtigen Worte ſprach: „Wort gegen Wort, Feder gegen Feder, Dolch gegen Dolch“ ſo fügte der Schüler auf eigene Fauſt den Schluß hinzu: „nehmen ſie mich feſt, wohlan!“ — und das ſinnloſe Bramarbaſiren klang wie das Loſungswort einer Ver- ſchwörung. Mit der Vertreibung der Franzoſen war Jahns politiſcher Gedankenvorrath erſchöpft; die öffentlichen Vorleſungen über das Deutſch- thum, die er im Jahre 1817 hielt, brachten außer einzelnen guten Ein- fällen nur noch hohle Schlagworte. Am Liebſten wollte er zwiſchen Deutſch- land und Frankreich eine große „Hamme“ einrichten, eine von Bären und Auerochſen bewohnte Wildniß; da dies leider nicht mehr anging, ſo mußte mindeſtens jeder Verkehr mit den Wälſchen aufhören: „wer ſeine Tochter franzöſiſch lernen läßt thut nichts Beſſeres als wer ſie die Hurerei lehrt.“ Dazwiſchenhinein heftige Angriffe auf die geheime Rechtspflege der „Schmier- gerichte mit ihrem Förſchlerverfahren“, und ein ganzes Wörterbuch von Schimpfreden wider die Hofleute und Staatsmänner, dieſe Vorgemachs- haſen, Steigemänner, Schürzenkrebſe, Kuppelpelze, Wettergänſe. Zum Schluß rief er: „Gott ſegne den König, mehre die Deutſchheit und ver- leihe gnädig und bald das Eine was noth thut, eine weiſe Verfaſſung.“ Was er ſich unter der weiſen Verfaſſung dachte, blieb ihm ſelber dunkel. Das junge Volk aber ſäumte nicht, im thörichten Abſprechen über unverſtandene Fragen den Meiſter noch zu überbieten. Der Cynismus der Turnerei, ihr Haß gegen allen Glanz und allen Adel wurzelte freilich in unausrottbaren Eigenheiten des deutſchen Charakters; die Sehnſucht nach der formloſen Einfachheit urſprünglichen Menſchenlebens war unſerem Volke immer geblieben und hatte ſich ſchon oft, ſobald das germaniſche Blut in Wallung gerieth, in ungeſtümer Roheit Luft gemacht, ſo in den grobianiſchen Schriften des ſechzehnten Jahrhunderts und neuerdings wieder in der Zeit der poetiſchen Stürmer und Dränger. Doch auch der politiſche Gleichheitsfanatismus der verabſcheuten Jakobiner wirkte unbewußt auf die Gedanken der Turner ein. Wenn Buri’s „Turnruf“ die Eitlen vom Ringplatze hinwegwies mit den Worten: „fort aus der Gleichheit Heilig- thum, das Knecht’ und Herren haßt,“ ſo konnte es nicht ausbleiben, daß junge Hitzköpfe dies Evangelium der Gleichheit kurzerhand auf das politiſche Leben übertrugen. Waidliche Scheltworte wider die „Schmarotzer, Komö- dianten, Huren, Pferde und Hunde“ der praſſenden Höfe gehörten zum Turnerbrauche, und in den Schulſtuben vergnügte man ſich an einer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/406>, abgerufen am 22.11.2024.