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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Weimarische Presse.
Einbruch des Professorenthums in die deutsche Politik. Luden hatte schon
während des Krieges seine Nemesis gegründet, zunächst zur Bekämpfung
der Fremdherrschaft, und fügte jetzt noch ein Staatsverfassungs-Archiv
hinzu; dann folgten Okens Isis und das Weimarische Oppositionsblatt;
Bran begann die Fortsetzung der alten Archenholtzischen Minerva; der
aus Heidelberg vertriebene Jurist Martin brachte seinen Neuen rheinischen
Merkur mit nach Jena; Ludwig Wieland, der warmherzige, federgewandte
Sohn des Dichters, gab einen "Volksfreund" heraus, der zur Beruhigung
der polizeilichen Seelenangst seinen staatsgefährlichen Namen bald ablegte
und als "Patriot" weiter erschien. Und diese Ueberfülle journalistischer
Thätigkeit drängte sich in zwei kleinen Städten zusammen, in einer rein
literarischen Luft, wo schlechterdings nichts an den Ernst des Staatslebens
erinnerte, wo die Presse weder zuverlässige Nachrichten über den inneren
Zusammenhang der Tagesereignisse erhielt, noch an einer politischen Partei
oder einem wirthschaftlichen Interesse irgend einen Rückhalt fand. In
glücklicher Unkenntniß der wirklichen Welt konnte hier der reine Doctri-
narismus sich seiner "Ueberzeugung" erfreuen und mit der Miene der
Unfehlbarkeit seine Kathedermonologe halten. Alle diese Blätter erhoben
den Anspruch, der ganzen Nation als Lehrer zu dienen, denn es war der
Stolz des Professors, daß die praktische deutsche Einheit allein in den
Universitäten sich zeigte; und da nun das freie Wort, das an der Ilm
und Saale erklang, den Argwohn der Höfe erweckte, die gesammte
reaktionäre Partei, wie Luden sagte, ihre Blicke angstvoll auf die Höhen
des schönen Thüringens richtete, so schwoll das Selbstgefühl der akade-
mischen Publicisten bald bedenklich an, und sie meinten alles Ernstes,
ihr deutsches Athen bilde den Mittelpunkt der nationalen Staatskunst.
Von dem gründlichen Fleiße deutscher Gelehrsamkeit war in diesen poli-
tischen Schriften nichts zu spüren. In der Wissenschaft ward alle Pfuscher-
arbeit verachtet, über die Staatsmänner durfte Jeder zu Gericht sitzen,
wenn er gelegentlich in einer verlorenen Stunde die Zeitungen las.

Ludens Nemesis stand tief unter den weit weniger verbreiten Kieler
Blättern. Während Dahlmanns Zeitschrift in gediegenen historischen und
staatsrechtlichen Erörterungen ihren Lesern die sachliche Belehrung bot,
deren dies unreife Geschlecht vor Allem bedurfte, brachte Luden fast durch-
weg nur leere Allgemeinheiten oder oberflächliche kritische Bemerkungen
über kleine Tagesereignisse; und obwohl er selbst nicht zu den Bekennern
des Rotteck'schen Vernunftsrechts gehörte, sondern den Staat historisch zu
verstehen suchte, so lief doch die ganze Weisheit der Nemesis immer wieder
auf den Art. 13 der Bundesakte hinaus, der ihr als das einzige Mittel
um eine Revolution von Deutschland abzuwenden erschien: "Nur gehalten
was so heilig versprochen wurde! O Ihr Fürsten, wolltet Ihr diese, nur
diese Ausübung ganz gewöhnlicher Tugenden!" Seit Jahren galt Luden
als der beliebteste Docent in Jena; seine Vorlesungen über deutsche Ge-

Die Weimariſche Preſſe.
Einbruch des Profeſſorenthums in die deutſche Politik. Luden hatte ſchon
während des Krieges ſeine Nemeſis gegründet, zunächſt zur Bekämpfung
der Fremdherrſchaft, und fügte jetzt noch ein Staatsverfaſſungs-Archiv
hinzu; dann folgten Okens Iſis und das Weimariſche Oppoſitionsblatt;
Bran begann die Fortſetzung der alten Archenholtziſchen Minerva; der
aus Heidelberg vertriebene Juriſt Martin brachte ſeinen Neuen rheiniſchen
Merkur mit nach Jena; Ludwig Wieland, der warmherzige, federgewandte
Sohn des Dichters, gab einen „Volksfreund“ heraus, der zur Beruhigung
der polizeilichen Seelenangſt ſeinen ſtaatsgefährlichen Namen bald ablegte
und als „Patriot“ weiter erſchien. Und dieſe Ueberfülle journaliſtiſcher
Thätigkeit drängte ſich in zwei kleinen Städten zuſammen, in einer rein
literariſchen Luft, wo ſchlechterdings nichts an den Ernſt des Staatslebens
erinnerte, wo die Preſſe weder zuverläſſige Nachrichten über den inneren
Zuſammenhang der Tagesereigniſſe erhielt, noch an einer politiſchen Partei
oder einem wirthſchaftlichen Intereſſe irgend einen Rückhalt fand. In
glücklicher Unkenntniß der wirklichen Welt konnte hier der reine Doctri-
narismus ſich ſeiner „Ueberzeugung“ erfreuen und mit der Miene der
Unfehlbarkeit ſeine Kathedermonologe halten. Alle dieſe Blätter erhoben
den Anſpruch, der ganzen Nation als Lehrer zu dienen, denn es war der
Stolz des Profeſſors, daß die praktiſche deutſche Einheit allein in den
Univerſitäten ſich zeigte; und da nun das freie Wort, das an der Ilm
und Saale erklang, den Argwohn der Höfe erweckte, die geſammte
reaktionäre Partei, wie Luden ſagte, ihre Blicke angſtvoll auf die Höhen
des ſchönen Thüringens richtete, ſo ſchwoll das Selbſtgefühl der akade-
miſchen Publiciſten bald bedenklich an, und ſie meinten alles Ernſtes,
ihr deutſches Athen bilde den Mittelpunkt der nationalen Staatskunſt.
Von dem gründlichen Fleiße deutſcher Gelehrſamkeit war in dieſen poli-
tiſchen Schriften nichts zu ſpüren. In der Wiſſenſchaft ward alle Pfuſcher-
arbeit verachtet, über die Staatsmänner durfte Jeder zu Gericht ſitzen,
wenn er gelegentlich in einer verlorenen Stunde die Zeitungen las.

Ludens Nemeſis ſtand tief unter den weit weniger verbreiten Kieler
Blättern. Während Dahlmanns Zeitſchrift in gediegenen hiſtoriſchen und
ſtaatsrechtlichen Erörterungen ihren Leſern die ſachliche Belehrung bot,
deren dies unreife Geſchlecht vor Allem bedurfte, brachte Luden faſt durch-
weg nur leere Allgemeinheiten oder oberflächliche kritiſche Bemerkungen
über kleine Tagesereigniſſe; und obwohl er ſelbſt nicht zu den Bekennern
des Rotteck’ſchen Vernunftsrechts gehörte, ſondern den Staat hiſtoriſch zu
verſtehen ſuchte, ſo lief doch die ganze Weisheit der Nemeſis immer wieder
auf den Art. 13 der Bundesakte hinaus, der ihr als das einzige Mittel
um eine Revolution von Deutſchland abzuwenden erſchien: „Nur gehalten
was ſo heilig verſprochen wurde! O Ihr Fürſten, wolltet Ihr dieſe, nur
dieſe Ausübung ganz gewöhnlicher Tugenden!“ Seit Jahren galt Luden
als der beliebteſte Docent in Jena; ſeine Vorleſungen über deutſche Ge-

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[407/0421] Die Weimariſche Preſſe. Einbruch des Profeſſorenthums in die deutſche Politik. Luden hatte ſchon während des Krieges ſeine Nemeſis gegründet, zunächſt zur Bekämpfung der Fremdherrſchaft, und fügte jetzt noch ein Staatsverfaſſungs-Archiv hinzu; dann folgten Okens Iſis und das Weimariſche Oppoſitionsblatt; Bran begann die Fortſetzung der alten Archenholtziſchen Minerva; der aus Heidelberg vertriebene Juriſt Martin brachte ſeinen Neuen rheiniſchen Merkur mit nach Jena; Ludwig Wieland, der warmherzige, federgewandte Sohn des Dichters, gab einen „Volksfreund“ heraus, der zur Beruhigung der polizeilichen Seelenangſt ſeinen ſtaatsgefährlichen Namen bald ablegte und als „Patriot“ weiter erſchien. Und dieſe Ueberfülle journaliſtiſcher Thätigkeit drängte ſich in zwei kleinen Städten zuſammen, in einer rein literariſchen Luft, wo ſchlechterdings nichts an den Ernſt des Staatslebens erinnerte, wo die Preſſe weder zuverläſſige Nachrichten über den inneren Zuſammenhang der Tagesereigniſſe erhielt, noch an einer politiſchen Partei oder einem wirthſchaftlichen Intereſſe irgend einen Rückhalt fand. In glücklicher Unkenntniß der wirklichen Welt konnte hier der reine Doctri- narismus ſich ſeiner „Ueberzeugung“ erfreuen und mit der Miene der Unfehlbarkeit ſeine Kathedermonologe halten. Alle dieſe Blätter erhoben den Anſpruch, der ganzen Nation als Lehrer zu dienen, denn es war der Stolz des Profeſſors, daß die praktiſche deutſche Einheit allein in den Univerſitäten ſich zeigte; und da nun das freie Wort, das an der Ilm und Saale erklang, den Argwohn der Höfe erweckte, die geſammte reaktionäre Partei, wie Luden ſagte, ihre Blicke angſtvoll auf die Höhen des ſchönen Thüringens richtete, ſo ſchwoll das Selbſtgefühl der akade- miſchen Publiciſten bald bedenklich an, und ſie meinten alles Ernſtes, ihr deutſches Athen bilde den Mittelpunkt der nationalen Staatskunſt. Von dem gründlichen Fleiße deutſcher Gelehrſamkeit war in dieſen poli- tiſchen Schriften nichts zu ſpüren. In der Wiſſenſchaft ward alle Pfuſcher- arbeit verachtet, über die Staatsmänner durfte Jeder zu Gericht ſitzen, wenn er gelegentlich in einer verlorenen Stunde die Zeitungen las. Ludens Nemeſis ſtand tief unter den weit weniger verbreiten Kieler Blättern. Während Dahlmanns Zeitſchrift in gediegenen hiſtoriſchen und ſtaatsrechtlichen Erörterungen ihren Leſern die ſachliche Belehrung bot, deren dies unreife Geſchlecht vor Allem bedurfte, brachte Luden faſt durch- weg nur leere Allgemeinheiten oder oberflächliche kritiſche Bemerkungen über kleine Tagesereigniſſe; und obwohl er ſelbſt nicht zu den Bekennern des Rotteck’ſchen Vernunftsrechts gehörte, ſondern den Staat hiſtoriſch zu verſtehen ſuchte, ſo lief doch die ganze Weisheit der Nemeſis immer wieder auf den Art. 13 der Bundesakte hinaus, der ihr als das einzige Mittel um eine Revolution von Deutſchland abzuwenden erſchien: „Nur gehalten was ſo heilig verſprochen wurde! O Ihr Fürſten, wolltet Ihr dieſe, nur dieſe Ausübung ganz gewöhnlicher Tugenden!“ Seit Jahren galt Luden als der beliebteſte Docent in Jena; ſeine Vorleſungen über deutſche Ge-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/421>, abgerufen am 25.11.2024.