Königshaus angeschlossen, nur die alte Abneigung gegen das fridericia- nische Zeitalter konnte er nicht überwinden. Seit er einst tapfer für die Aufhebung der Leibeigenschaft in seiner vorpommerschen Heimath einge- treten war, stand er bei der reaktionären Partei im Rufe eines Gleich- heitspredigers. Durchaus mit Unrecht. Arndts Wünsche gingen niemals über die Ideen seines Gönners Stein hinaus; er wollte eine lebendige Gliederung der Stände, einen angesehenen Adel, freie Bauerschaften, ein kräftiges in Zünfte geordnetes Bürgerthum und betrachtete selbst Harden- bergs Agrargesetze nicht ohne romantischen Widerwillen.
In diesem liebreichen Herzen, das dem Ueberschwang seiner Gefühle nur durch gehäufte Superlative zu genügen wußte, in dieser offenen, heiteren Natur fand der politische Fanatismus keine Stätte. Nur die Urtheilslosigkeit der Jugend konnte "Vater Jahn und Vater Arndt" wie zwei Brüder feiern, und nur Arndts rührende Bescheidenheit konnte sich diese Vergleichung ge- fallen lassen. In Wahrheit gehörten die Beiden ganz verschiedenen Schichten der geistigen und der sittlichen Cultur an. Arndt gebot über einen uner- schöpflichen Schatz gediegenen Wissens, obwohl er die strenge Methode der Fachgelehrten niemals lernte, und bewegte sich frei auf den Höhen mensch- licher Bildung, zu denen Jahn kaum emporblicken konnte. Er nannte sich selber oft einen Bauern und nahm es als Fußwanderer mit dem besten Turner auf; im Sommer sah man ihn täglich den Rhein durch- schwimmen oder mit dem blauen Kittel angethan in seinem Garten harken. Aber auch in der vornehmen Gesellschaft fühlte er sich heimisch und sicher; Aller Blicke hingen an dem stämmigen kleinen Manne mit den strahlenden blauen Augen, wenn er zu erzählen begann, ein unwiderstehlich liebens- würdiger Plauderer, immer natürlich und kräftig, immer geistreich und edel. Einem so kerngesunden Geiste konnte das cynische Wesen der Turner wenig behagen. Mahnend hielt er der Jugend vor: nicht in der Rauheit der Spartaner oder der Römer dürften Deutsche ihr Vorbild suchen; fraget Euch doch: "waren sie glücklich? machten sie glücklich?"
Unter den Jenenser Professoren stand Fries den Studenten am nächsten; diese Jugend, die an Fichtes Ideen sich begeisterte, saß arglos zu den Füßen eines Lehrers, der immer zu Fichtes Widersachern gehört hatte. Die neue Lehre Hegels galt in Jena noch als reaktionär; sie war, wie Fries behauptete, nicht in den Gärten der Wissenschaft, sondern auf dem Misthaufen der Kriecherei erwachsen. Auch Fries zeigte sich wie Luden als Lehrer ungleich wirksamer denn als Schriftsteller. Der schwärmeri- schen Jugend gefiel, daß der gutmüthige, aber unklare Philosoph Be- griffe und Gefühle vermengte und also die sittliche Welt in einen Brei des Herzens auflöste, wie Hegel ihm hart und treffend vorwarf; sie fühlte sich in ihrer subjectiven Willkür bestärkt, wenn ihr argloser Lehrer in viel- deutigen Worten immer wieder ausführte: der Mensch soll seiner Ueber- zeugung treu bleiben, ob er sich auch die ganze Welt zum Feinde mache.
II. 7. Die Burſchenſchaft.
Königshaus angeſchloſſen, nur die alte Abneigung gegen das fridericia- niſche Zeitalter konnte er nicht überwinden. Seit er einſt tapfer für die Aufhebung der Leibeigenſchaft in ſeiner vorpommerſchen Heimath einge- treten war, ſtand er bei der reaktionären Partei im Rufe eines Gleich- heitspredigers. Durchaus mit Unrecht. Arndts Wünſche gingen niemals über die Ideen ſeines Gönners Stein hinaus; er wollte eine lebendige Gliederung der Stände, einen angeſehenen Adel, freie Bauerſchaften, ein kräftiges in Zünfte geordnetes Bürgerthum und betrachtete ſelbſt Harden- bergs Agrargeſetze nicht ohne romantiſchen Widerwillen.
In dieſem liebreichen Herzen, das dem Ueberſchwang ſeiner Gefühle nur durch gehäufte Superlative zu genügen wußte, in dieſer offenen, heiteren Natur fand der politiſche Fanatismus keine Stätte. Nur die Urtheilsloſigkeit der Jugend konnte „Vater Jahn und Vater Arndt“ wie zwei Brüder feiern, und nur Arndts rührende Beſcheidenheit konnte ſich dieſe Vergleichung ge- fallen laſſen. In Wahrheit gehörten die Beiden ganz verſchiedenen Schichten der geiſtigen und der ſittlichen Cultur an. Arndt gebot über einen uner- ſchöpflichen Schatz gediegenen Wiſſens, obwohl er die ſtrenge Methode der Fachgelehrten niemals lernte, und bewegte ſich frei auf den Höhen menſch- licher Bildung, zu denen Jahn kaum emporblicken konnte. Er nannte ſich ſelber oft einen Bauern und nahm es als Fußwanderer mit dem beſten Turner auf; im Sommer ſah man ihn täglich den Rhein durch- ſchwimmen oder mit dem blauen Kittel angethan in ſeinem Garten harken. Aber auch in der vornehmen Geſellſchaft fühlte er ſich heimiſch und ſicher; Aller Blicke hingen an dem ſtämmigen kleinen Manne mit den ſtrahlenden blauen Augen, wenn er zu erzählen begann, ein unwiderſtehlich liebens- würdiger Plauderer, immer natürlich und kräftig, immer geiſtreich und edel. Einem ſo kerngeſunden Geiſte konnte das cyniſche Weſen der Turner wenig behagen. Mahnend hielt er der Jugend vor: nicht in der Rauheit der Spartaner oder der Römer dürften Deutſche ihr Vorbild ſuchen; fraget Euch doch: „waren ſie glücklich? machten ſie glücklich?“
Unter den Jenenſer Profeſſoren ſtand Fries den Studenten am nächſten; dieſe Jugend, die an Fichtes Ideen ſich begeiſterte, ſaß arglos zu den Füßen eines Lehrers, der immer zu Fichtes Widerſachern gehört hatte. Die neue Lehre Hegels galt in Jena noch als reaktionär; ſie war, wie Fries behauptete, nicht in den Gärten der Wiſſenſchaft, ſondern auf dem Miſthaufen der Kriecherei erwachſen. Auch Fries zeigte ſich wie Luden als Lehrer ungleich wirkſamer denn als Schriftſteller. Der ſchwärmeri- ſchen Jugend gefiel, daß der gutmüthige, aber unklare Philoſoph Be- griffe und Gefühle vermengte und alſo die ſittliche Welt in einen Brei des Herzens auflöſte, wie Hegel ihm hart und treffend vorwarf; ſie fühlte ſich in ihrer ſubjectiven Willkür beſtärkt, wenn ihr argloſer Lehrer in viel- deutigen Worten immer wieder ausführte: der Menſch ſoll ſeiner Ueber- zeugung treu bleiben, ob er ſich auch die ganze Welt zum Feinde mache.
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Aufhebung der Leibeigenſchaft in ſeiner vorpommerſchen Heimath einge-
treten war, ſtand er bei der reaktionären Partei im Rufe eines Gleich-
heitspredigers. Durchaus mit Unrecht. Arndts Wünſche gingen niemals
über die Ideen ſeines Gönners Stein hinaus; er wollte eine lebendige
Gliederung der Stände, einen angeſehenen Adel, freie Bauerſchaften, ein
kräftiges in Zünfte geordnetes Bürgerthum und betrachtete ſelbſt Harden-
bergs Agrargeſetze nicht ohne romantiſchen Widerwillen.
In dieſem liebreichen Herzen, das dem Ueberſchwang ſeiner Gefühle
nur durch gehäufte Superlative zu genügen wußte, in dieſer offenen, heiteren
Natur fand der politiſche Fanatismus keine Stätte. Nur die Urtheilsloſigkeit
der Jugend konnte „Vater Jahn und Vater Arndt“ wie zwei Brüder feiern,
und nur Arndts rührende Beſcheidenheit konnte ſich dieſe Vergleichung ge-
fallen laſſen. In Wahrheit gehörten die Beiden ganz verſchiedenen Schichten
der geiſtigen und der ſittlichen Cultur an. Arndt gebot über einen uner-
ſchöpflichen Schatz gediegenen Wiſſens, obwohl er die ſtrenge Methode der
Fachgelehrten niemals lernte, und bewegte ſich frei auf den Höhen menſch-
licher Bildung, zu denen Jahn kaum emporblicken konnte. Er nannte
ſich ſelber oft einen Bauern und nahm es als Fußwanderer mit dem
beſten Turner auf; im Sommer ſah man ihn täglich den Rhein durch-
ſchwimmen oder mit dem blauen Kittel angethan in ſeinem Garten harken.
Aber auch in der vornehmen Geſellſchaft fühlte er ſich heimiſch und ſicher;
Aller Blicke hingen an dem ſtämmigen kleinen Manne mit den ſtrahlenden
blauen Augen, wenn er zu erzählen begann, ein unwiderſtehlich liebens-
würdiger Plauderer, immer natürlich und kräftig, immer geiſtreich und edel.
Einem ſo kerngeſunden Geiſte konnte das cyniſche Weſen der Turner
wenig behagen. Mahnend hielt er der Jugend vor: nicht in der Rauheit
der Spartaner oder der Römer dürften Deutſche ihr Vorbild ſuchen;
fraget Euch doch: „waren ſie glücklich? machten ſie glücklich?“
Unter den Jenenſer Profeſſoren ſtand Fries den Studenten am
nächſten; dieſe Jugend, die an Fichtes Ideen ſich begeiſterte, ſaß arglos
zu den Füßen eines Lehrers, der immer zu Fichtes Widerſachern gehört
hatte. Die neue Lehre Hegels galt in Jena noch als reaktionär; ſie war, wie
Fries behauptete, nicht in den Gärten der Wiſſenſchaft, ſondern auf dem
Miſthaufen der Kriecherei erwachſen. Auch Fries zeigte ſich wie Luden
als Lehrer ungleich wirkſamer denn als Schriftſteller. Der ſchwärmeri-
ſchen Jugend gefiel, daß der gutmüthige, aber unklare Philoſoph Be-
griffe und Gefühle vermengte und alſo die ſittliche Welt in einen Brei
des Herzens auflöſte, wie Hegel ihm hart und treffend vorwarf; ſie fühlte
ſich in ihrer ſubjectiven Willkür beſtärkt, wenn ihr argloſer Lehrer in viel-
deutigen Worten immer wieder ausführte: der Menſch ſoll ſeiner Ueber-
zeugung treu bleiben, ob er ſich auch die ganze Welt zum Feinde mache.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/428>, abgerufen am 22.11.2024.
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