Die Rechtsfrage lag allerdings so einfach nicht, wie Börne mit rabuli- stischer Keckheit behauptete. Die 440,000 Gulden, welche die israelitische Gemeinde dem Großherzog von Frankfurt gezahlt, konnten nach strengem Rechte nur als die Ablösung des alten Judenschosses von 22,000 Gulden jährlich, nicht als ein Kaufgeld für das Bürgerrecht betrachtet werden, und da die Bundesakte den Juden nur die ihnen von den deutschen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte gewährleistete, so war recht- lich gegen das Vorgehen der Frankfurter Bürgerschaft wenig einzuwenden. Die Klage der israelitischen Gemeinde wurde daher von dem Spruchcol- legium der Berliner Facultät als unbegründet abgewiesen.
Als die Juden sich nunmehr mit einer Beschwerde an den Bundes- tag wandten, da trat die politische Macht des Hauses Rothschild zum ersten male aus dem Dunkel heraus, und es geschah das Unerhörte: der Bundes- tag zeigte sich liberaler als die öffentliche Meinung. Hardenberg ließ, ge- mäß den alten Traditionen preußischer Duldsamkeit, von vornherein er- klären, daß den Frankfurter Juden mindestens ein beschränktes Bürgerrecht gebühre, und zum Erstaunen der Unkundigen schloß sich Oesterreich dieser Meinung an, weil die Hofburg der Rothschild'schen Gelder nicht entrathen konnte. Als Metternich und Gentz im Jahre 1818 nach Frankfurt kamen, boten sie, wie schon früher auf dem Wiener Congresse, ihre ganze Bered- samkeit für ihre reichen Schützlinge auf. Mit der üblichen Langsamkeit ward nun weiter verhandelt, und im Jahre 1824 erhielten die Frank- furter Juden durch Vermittlung des Bundestags einen Theil ihrer Rechte wieder. Freilich nur einen Theil. Sie wurden als "israelitische Bürger" anerkannt, blieben jedoch von den Gemeindeämtern ausgeschlossen und standen nur im Privatrechte den christlichen Bürgern gleich, auch dies nicht ohne einige kleinliche Beschränkungen: so durften sie keinen Fruchthandel treiben, nur je ein Haus besitzen, nur fünfzehn Ehen jährlich schließen. Die Presse aber hielt mit wenigen Ausnahmen hartnäckig die Partei des Frankfurter Pfahlbürgerthums, denn Dalbergs Gesetze standen als Werke der Fremdherrschaft in schlechtem Rufe, und allgemein ward gefürchtet, daß die Bundesstadt durch das Ueberwuchern orientalischer Betriebsamkeit ihren deutschen Charakter verlieren würde. Luden schrieb kurzab: vox populi vox Dei, die Stimme des Volkes ist den Juden nicht günstig.
In den Kreisen der akademischen Jugend ward diese Stimmung der Zeit noch verschärft durch die Romantik christlicher Schwärmerei. Die Burschen fühlten sich als eine neue christliche Ritterschaft und zeigten ihren Judenhaß mit einer groben Unduldsamkeit, die oft stark an die Tage der Kreuzzüge erinnerte. Von Haus aus stand die Absicht fest, alle Nicht- Christen von dem neuen Jugendbunde auszuschließen. Gelang dies, so waren die jüdischen Studenten in Wahrheit ihres akademischen Bürger- rechts beraubt, da die Burschenschaft ja der Gesammtheit der Studenten ihr Gesetz auferlegen, alle anderen Verbindungen beseitigen wollte. --
Der Frankfurter Judenſtreit.
Die Rechtsfrage lag allerdings ſo einfach nicht, wie Börne mit rabuli- ſtiſcher Keckheit behauptete. Die 440,000 Gulden, welche die israelitiſche Gemeinde dem Großherzog von Frankfurt gezahlt, konnten nach ſtrengem Rechte nur als die Ablöſung des alten Judenſchoſſes von 22,000 Gulden jährlich, nicht als ein Kaufgeld für das Bürgerrecht betrachtet werden, und da die Bundesakte den Juden nur die ihnen von den deutſchen Bundesſtaaten bereits eingeräumten Rechte gewährleiſtete, ſo war recht- lich gegen das Vorgehen der Frankfurter Bürgerſchaft wenig einzuwenden. Die Klage der israelitiſchen Gemeinde wurde daher von dem Spruchcol- legium der Berliner Facultät als unbegründet abgewieſen.
Als die Juden ſich nunmehr mit einer Beſchwerde an den Bundes- tag wandten, da trat die politiſche Macht des Hauſes Rothſchild zum erſten male aus dem Dunkel heraus, und es geſchah das Unerhörte: der Bundes- tag zeigte ſich liberaler als die öffentliche Meinung. Hardenberg ließ, ge- mäß den alten Traditionen preußiſcher Duldſamkeit, von vornherein er- klären, daß den Frankfurter Juden mindeſtens ein beſchränktes Bürgerrecht gebühre, und zum Erſtaunen der Unkundigen ſchloß ſich Oeſterreich dieſer Meinung an, weil die Hofburg der Rothſchild’ſchen Gelder nicht entrathen konnte. Als Metternich und Gentz im Jahre 1818 nach Frankfurt kamen, boten ſie, wie ſchon früher auf dem Wiener Congreſſe, ihre ganze Bered- ſamkeit für ihre reichen Schützlinge auf. Mit der üblichen Langſamkeit ward nun weiter verhandelt, und im Jahre 1824 erhielten die Frank- furter Juden durch Vermittlung des Bundestags einen Theil ihrer Rechte wieder. Freilich nur einen Theil. Sie wurden als „israelitiſche Bürger“ anerkannt, blieben jedoch von den Gemeindeämtern ausgeſchloſſen und ſtanden nur im Privatrechte den chriſtlichen Bürgern gleich, auch dies nicht ohne einige kleinliche Beſchränkungen: ſo durften ſie keinen Fruchthandel treiben, nur je ein Haus beſitzen, nur fünfzehn Ehen jährlich ſchließen. Die Preſſe aber hielt mit wenigen Ausnahmen hartnäckig die Partei des Frankfurter Pfahlbürgerthums, denn Dalbergs Geſetze ſtanden als Werke der Fremdherrſchaft in ſchlechtem Rufe, und allgemein ward gefürchtet, daß die Bundesſtadt durch das Ueberwuchern orientaliſcher Betriebſamkeit ihren deutſchen Charakter verlieren würde. Luden ſchrieb kurzab: vox populi vox Dei, die Stimme des Volkes iſt den Juden nicht günſtig.
In den Kreiſen der akademiſchen Jugend ward dieſe Stimmung der Zeit noch verſchärft durch die Romantik chriſtlicher Schwärmerei. Die Burſchen fühlten ſich als eine neue chriſtliche Ritterſchaft und zeigten ihren Judenhaß mit einer groben Unduldſamkeit, die oft ſtark an die Tage der Kreuzzüge erinnerte. Von Haus aus ſtand die Abſicht feſt, alle Nicht- Chriſten von dem neuen Jugendbunde auszuſchließen. Gelang dies, ſo waren die jüdiſchen Studenten in Wahrheit ihres akademiſchen Bürger- rechts beraubt, da die Burſchenſchaft ja der Geſammtheit der Studenten ihr Geſetz auferlegen, alle anderen Verbindungen beſeitigen wollte. —
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[421/0435]
Der Frankfurter Judenſtreit.
Die Rechtsfrage lag allerdings ſo einfach nicht, wie Börne mit rabuli-
ſtiſcher Keckheit behauptete. Die 440,000 Gulden, welche die israelitiſche
Gemeinde dem Großherzog von Frankfurt gezahlt, konnten nach ſtrengem
Rechte nur als die Ablöſung des alten Judenſchoſſes von 22,000 Gulden
jährlich, nicht als ein Kaufgeld für das Bürgerrecht betrachtet werden,
und da die Bundesakte den Juden nur die ihnen von den deutſchen
Bundesſtaaten bereits eingeräumten Rechte gewährleiſtete, ſo war recht-
lich gegen das Vorgehen der Frankfurter Bürgerſchaft wenig einzuwenden.
Die Klage der israelitiſchen Gemeinde wurde daher von dem Spruchcol-
legium der Berliner Facultät als unbegründet abgewieſen.
Als die Juden ſich nunmehr mit einer Beſchwerde an den Bundes-
tag wandten, da trat die politiſche Macht des Hauſes Rothſchild zum erſten
male aus dem Dunkel heraus, und es geſchah das Unerhörte: der Bundes-
tag zeigte ſich liberaler als die öffentliche Meinung. Hardenberg ließ, ge-
mäß den alten Traditionen preußiſcher Duldſamkeit, von vornherein er-
klären, daß den Frankfurter Juden mindeſtens ein beſchränktes Bürgerrecht
gebühre, und zum Erſtaunen der Unkundigen ſchloß ſich Oeſterreich dieſer
Meinung an, weil die Hofburg der Rothſchild’ſchen Gelder nicht entrathen
konnte. Als Metternich und Gentz im Jahre 1818 nach Frankfurt kamen,
boten ſie, wie ſchon früher auf dem Wiener Congreſſe, ihre ganze Bered-
ſamkeit für ihre reichen Schützlinge auf. Mit der üblichen Langſamkeit
ward nun weiter verhandelt, und im Jahre 1824 erhielten die Frank-
furter Juden durch Vermittlung des Bundestags einen Theil ihrer Rechte
wieder. Freilich nur einen Theil. Sie wurden als „israelitiſche Bürger“
anerkannt, blieben jedoch von den Gemeindeämtern ausgeſchloſſen und
ſtanden nur im Privatrechte den chriſtlichen Bürgern gleich, auch dies nicht
ohne einige kleinliche Beſchränkungen: ſo durften ſie keinen Fruchthandel
treiben, nur je ein Haus beſitzen, nur fünfzehn Ehen jährlich ſchließen.
Die Preſſe aber hielt mit wenigen Ausnahmen hartnäckig die Partei des
Frankfurter Pfahlbürgerthums, denn Dalbergs Geſetze ſtanden als Werke
der Fremdherrſchaft in ſchlechtem Rufe, und allgemein ward gefürchtet,
daß die Bundesſtadt durch das Ueberwuchern orientaliſcher Betriebſamkeit
ihren deutſchen Charakter verlieren würde. Luden ſchrieb kurzab: vox
populi vox Dei, die Stimme des Volkes iſt den Juden nicht günſtig.
In den Kreiſen der akademiſchen Jugend ward dieſe Stimmung der
Zeit noch verſchärft durch die Romantik chriſtlicher Schwärmerei. Die
Burſchen fühlten ſich als eine neue chriſtliche Ritterſchaft und zeigten ihren
Judenhaß mit einer groben Unduldſamkeit, die oft ſtark an die Tage der
Kreuzzüge erinnerte. Von Haus aus ſtand die Abſicht feſt, alle Nicht-
Chriſten von dem neuen Jugendbunde auszuſchließen. Gelang dies, ſo
waren die jüdiſchen Studenten in Wahrheit ihres akademiſchen Bürger-
rechts beraubt, da die Burſchenſchaft ja der Geſammtheit der Studenten
ihr Geſetz auferlegen, alle anderen Verbindungen beſeitigen wollte. —
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/435>, abgerufen am 22.11.2024.
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