folgte auf Schlag; ein wüthender Streit begann, der beiden Theilen zur Unehre gereichte. Die Gerichte schritten ein und verurtheilten beide Par- teien; Lindner ward ausgewiesen und ging ins Elsaß, wo er bald, bezaubert von den Doctrinen der Franzosen, zu einem liberalisirenden Rheinbündler wurde. Die Studenten aber hatten jetzt endlich ein Opfer gefunden für den ziellosen, ingrimmigen Haß, der in ihren Herzen kochte; der faunische Kauz in Weimar erschien ihnen wie der Ausbund aller Niedertracht, wie der böse Dämon des Vaterlandes, und drohend erklang es auf dem Burschenhause:
Noch bellt der Kamptz- und Schmalzgesell, Beel- und Kotzebue.
So gährte es in den Köpfen der Jugend; die Nation aber fuhr fort jeden Thorenstreich der Studenten mit kindischer Neugierde zu besprechen. Im Sommer 1818 zogen die Göttinger Studenten aus der Musenstadt aus, in Folge eines ganz unpolitischen Streites mit der Bürgerschaft, erklärten die Georgia Augusta in Verruf, und kneipten einige Tage lang in Witzen- hausen, wobei dem Tode ein Pereat gebracht wurde. Solche Auszüge hatten in der alten Zeit zuweilen den Bestand einer Hochschule gefährden können; jetzt, da jeder Bundesstaat von seinen Beamten und Geistlichen den Besuch der Landesuniversität verlangte, waren sie nur noch lächerlich. Gleichwohl rief auch diese Kinderei eine ganze Schaar von Flugschriften ins Leben. Staatsrath Dabelow, der berühmte Organisator des Empire Anhaltin-Coethien, der auch den Zorn der Feuerrichter auf der Wart- burg hatte erfahren müssen, beschwor die hohen Regierungen, mit Ernst gegen die jungen Hochverräther einzuschreiten; zufällig wurde der brauch- bare Jurist bald nachher nach Dorpat berufen, und nun schien es den Studenten klar erwiesen, daß der Czar sie mit Spionen rings umstellt habe. Ein anderer Schriftsteller schilderte das Göttinger Ereigniß in einem gründlichen Buche und schmückte sein Werk mit den Bildern der Studenten "im Rathe des Verrufs", unheimlichen Gestalten, welche gradeswegs aus den böhmischen Wäldern von der Bande des Räubers Moor entlaufen schienen. Bald nachher lieferten die Tübinger Studenten die Lustnauer Schlacht, einen Kampf um ein Dorfwirthshaus, von dem die Poeten der schwäbischen Hochschule noch heute singen und sagen; dann wurden auch die Heidelberger Burschen von dem Geiste der Unruhe er- griffen und stürmten das Bierhaus zum Großen Faß. Alle diese Nich- tigkeiten besprach Deutschlands Presse mit feierlicher Salbung. Der Stu- dent errang sich an den Höfen wie im Volke ein unbegreifliches Ansehen, ward hier als geborener Tribun gefeiert, dort als gewerbmäßiger Ver- schwörer beargwöhnt, und der französische Minister Graf de Serre schrieb seinem Freunde Niebuhr: "Eure Staatsmänner thun mir leid, sie führen Krieg mit Studenten!"
Nur der beherzte Großherzog ließ sich in seinem hochsinnigen Vertrauen
28*
Akademiſche Unruhen.
folgte auf Schlag; ein wüthender Streit begann, der beiden Theilen zur Unehre gereichte. Die Gerichte ſchritten ein und verurtheilten beide Par- teien; Lindner ward ausgewieſen und ging ins Elſaß, wo er bald, bezaubert von den Doctrinen der Franzoſen, zu einem liberaliſirenden Rheinbündler wurde. Die Studenten aber hatten jetzt endlich ein Opfer gefunden für den zielloſen, ingrimmigen Haß, der in ihren Herzen kochte; der fauniſche Kauz in Weimar erſchien ihnen wie der Ausbund aller Niedertracht, wie der böſe Dämon des Vaterlandes, und drohend erklang es auf dem Burſchenhauſe:
Noch bellt der Kamptz- und Schmalzgeſell, Beel- und Kotzebue.
So gährte es in den Köpfen der Jugend; die Nation aber fuhr fort jeden Thorenſtreich der Studenten mit kindiſcher Neugierde zu beſprechen. Im Sommer 1818 zogen die Göttinger Studenten aus der Muſenſtadt aus, in Folge eines ganz unpolitiſchen Streites mit der Bürgerſchaft, erklärten die Georgia Auguſta in Verruf, und kneipten einige Tage lang in Witzen- hauſen, wobei dem Tode ein Pereat gebracht wurde. Solche Auszüge hatten in der alten Zeit zuweilen den Beſtand einer Hochſchule gefährden können; jetzt, da jeder Bundesſtaat von ſeinen Beamten und Geiſtlichen den Beſuch der Landesuniverſität verlangte, waren ſie nur noch lächerlich. Gleichwohl rief auch dieſe Kinderei eine ganze Schaar von Flugſchriften ins Leben. Staatsrath Dabelow, der berühmte Organiſator des Empire Anhaltin-Coethien, der auch den Zorn der Feuerrichter auf der Wart- burg hatte erfahren müſſen, beſchwor die hohen Regierungen, mit Ernſt gegen die jungen Hochverräther einzuſchreiten; zufällig wurde der brauch- bare Juriſt bald nachher nach Dorpat berufen, und nun ſchien es den Studenten klar erwieſen, daß der Czar ſie mit Spionen rings umſtellt habe. Ein anderer Schriftſteller ſchilderte das Göttinger Ereigniß in einem gründlichen Buche und ſchmückte ſein Werk mit den Bildern der Studenten „im Rathe des Verrufs“, unheimlichen Geſtalten, welche gradeswegs aus den böhmiſchen Wäldern von der Bande des Räubers Moor entlaufen ſchienen. Bald nachher lieferten die Tübinger Studenten die Luſtnauer Schlacht, einen Kampf um ein Dorfwirthshaus, von dem die Poeten der ſchwäbiſchen Hochſchule noch heute ſingen und ſagen; dann wurden auch die Heidelberger Burſchen von dem Geiſte der Unruhe er- griffen und ſtürmten das Bierhaus zum Großen Faß. Alle dieſe Nich- tigkeiten beſprach Deutſchlands Preſſe mit feierlicher Salbung. Der Stu- dent errang ſich an den Höfen wie im Volke ein unbegreifliches Anſehen, ward hier als geborener Tribun gefeiert, dort als gewerbmäßiger Ver- ſchwörer beargwöhnt, und der franzöſiſche Miniſter Graf de Serre ſchrieb ſeinem Freunde Niebuhr: „Eure Staatsmänner thun mir leid, ſie führen Krieg mit Studenten!“
Nur der beherzte Großherzog ließ ſich in ſeinem hochſinnigen Vertrauen
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Akademiſche Unruhen.
folgte auf Schlag; ein wüthender Streit begann, der beiden Theilen zur
Unehre gereichte. Die Gerichte ſchritten ein und verurtheilten beide Par-
teien; Lindner ward ausgewieſen und ging ins Elſaß, wo er bald, bezaubert
von den Doctrinen der Franzoſen, zu einem liberaliſirenden Rheinbündler
wurde. Die Studenten aber hatten jetzt endlich ein Opfer gefunden für
den zielloſen, ingrimmigen Haß, der in ihren Herzen kochte; der fauniſche
Kauz in Weimar erſchien ihnen wie der Ausbund aller Niedertracht, wie
der böſe Dämon des Vaterlandes, und drohend erklang es auf dem
Burſchenhauſe:
Noch bellt der Kamptz- und Schmalzgeſell,
Beel- und Kotzebue.
So gährte es in den Köpfen der Jugend; die Nation aber fuhr fort
jeden Thorenſtreich der Studenten mit kindiſcher Neugierde zu beſprechen.
Im Sommer 1818 zogen die Göttinger Studenten aus der Muſenſtadt aus,
in Folge eines ganz unpolitiſchen Streites mit der Bürgerſchaft, erklärten
die Georgia Auguſta in Verruf, und kneipten einige Tage lang in Witzen-
hauſen, wobei dem Tode ein Pereat gebracht wurde. Solche Auszüge
hatten in der alten Zeit zuweilen den Beſtand einer Hochſchule gefährden
können; jetzt, da jeder Bundesſtaat von ſeinen Beamten und Geiſtlichen
den Beſuch der Landesuniverſität verlangte, waren ſie nur noch lächerlich.
Gleichwohl rief auch dieſe Kinderei eine ganze Schaar von Flugſchriften
ins Leben. Staatsrath Dabelow, der berühmte Organiſator des Empire
Anhaltin-Coethien, der auch den Zorn der Feuerrichter auf der Wart-
burg hatte erfahren müſſen, beſchwor die hohen Regierungen, mit Ernſt
gegen die jungen Hochverräther einzuſchreiten; zufällig wurde der brauch-
bare Juriſt bald nachher nach Dorpat berufen, und nun ſchien es den
Studenten klar erwieſen, daß der Czar ſie mit Spionen rings umſtellt
habe. Ein anderer Schriftſteller ſchilderte das Göttinger Ereigniß in
einem gründlichen Buche und ſchmückte ſein Werk mit den Bildern der
Studenten „im Rathe des Verrufs“, unheimlichen Geſtalten, welche
gradeswegs aus den böhmiſchen Wäldern von der Bande des Räubers
Moor entlaufen ſchienen. Bald nachher lieferten die Tübinger Studenten
die Luſtnauer Schlacht, einen Kampf um ein Dorfwirthshaus, von dem
die Poeten der ſchwäbiſchen Hochſchule noch heute ſingen und ſagen; dann
wurden auch die Heidelberger Burſchen von dem Geiſte der Unruhe er-
griffen und ſtürmten das Bierhaus zum Großen Faß. Alle dieſe Nich-
tigkeiten beſprach Deutſchlands Preſſe mit feierlicher Salbung. Der Stu-
dent errang ſich an den Höfen wie im Volke ein unbegreifliches Anſehen,
ward hier als geborener Tribun gefeiert, dort als gewerbmäßiger Ver-
ſchwörer beargwöhnt, und der franzöſiſche Miniſter Graf de Serre ſchrieb
ſeinem Freunde Niebuhr: „Eure Staatsmänner thun mir leid, ſie führen
Krieg mit Studenten!“
Nur der beherzte Großherzog ließ ſich in ſeinem hochſinnigen Vertrauen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/449>, abgerufen am 22.11.2024.
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