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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Uhland.
Liedern vornehmlich verdankte er die Liebe des Volkes, die ihm zuerst in
der schwäbischen Heimath, dann auch im übrigen Deutschland frohlockend
entgegenkam bis er endlich der volksthümlichste aller unserer großen Dichter
wurde. In den schlichten, tief empfundenen Worten von Liebes Leid und
Freude, von Wanderglück und Abschiedsschmerz, von der Lust des Weines
und der Waffen fanden Alle, Vornehm und Gering, die Erinnerungen
ihres eigenen Lebens wieder. Zumal die Oberdeutschen fühlten sich an-
geheimelt, wenn ihnen zwischen den Zeilen des Dichters stets die schwäbi-
sche Landschaft mit ihren Rebenhügeln und sonnigen Flüssen, mit ihrem
heiteren sangeslustigen Völkchen entgegenwinkte. Die einfachen, dem Volks-
liede nachgebildeten Weisen forderten unwillkürlich zum Singen auf; bald
wetteiferten die Tonsetzer sich ihrer zu bemächtigen. Die ganze Jugend
stimmte mit ein. Uhlands Lieder erklangen wo immer deutsche Soldaten
über Land marschirten, wo Studenten, Sänger und Turner sich zum
fröhlichen Feste zusammenfanden; sie wurden eine Macht des Segens für
das frisch aufblühende kräftige Volksleben des neuen Jahrhunderts. Das
junge im Kriege gestählte Geschlecht drängte überall aus der Stubenluft
der guten alten Zeit hinaus ins Freie, die deutsche Wanderlust forderte
ihr Recht, alte halbvergessene Volksfeste gelangten wieder zu Ehren. Der
neue Volksgesang schlug eine Brücke über die tiefe Kluft, welche die Ge-
bildeten von den Ungebildeten trennte, führte die Massen, die nichts
lasen, zuerst in die Kunstdichtung der Gegenwart ein; und wenngleich
jene köstliche ungebrochene Einheit der nationalen Gesittung, wie sie einst
in den Tagen der Staufer bestanden, für die gelehrte Bildung der moder-
nen Welt immer unerreichbar blieb, so war es doch eine heilsame Rückkehr
zur Natur, daß allmählich mindestens ein Theil der schönsten deutschen
Gedichte der ganzen Nation lieb und verständlich wurde. Wie schlug dem
schwäbischen Dichter das Herz, als er die neu erwachende Liederfreude
seines Volkes sah; voll Zuversicht rief er den Genossen die nur allzu treu-
lich beherzigte Mahnung zu:

Singe wem Gesang gegeben
In dem deutschen Dichterwald!
Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn's von allen Zweigen schallt!

Der schlichte Mann konnte sich nicht satt sehen an dem lärmenden
Gewimmel der Volksfeste, und das waren ihm die Augenblicke des höch-
sten Dichterlohnes, wenn er einmal auf einer Rheinreise irgendwo im
Walde junges Volk mit frischen Stimmen seine eigenen Lieder singen
hörte, oder wenn ein Tübinger bemoostes Haupt in festlichem Comitat
über die Neckarbrücke hinauszog und das Abschiedslied "es ziehet der
Bursch in die Weite" bis in den Rebgarten des Dichterhauses am Oster-
berge hinüberklang.

Wohl umspannten seine Gedichte nur einen ziemlich engen Kreis von

Uhland.
Liedern vornehmlich verdankte er die Liebe des Volkes, die ihm zuerſt in
der ſchwäbiſchen Heimath, dann auch im übrigen Deutſchland frohlockend
entgegenkam bis er endlich der volksthümlichſte aller unſerer großen Dichter
wurde. In den ſchlichten, tief empfundenen Worten von Liebes Leid und
Freude, von Wanderglück und Abſchiedsſchmerz, von der Luſt des Weines
und der Waffen fanden Alle, Vornehm und Gering, die Erinnerungen
ihres eigenen Lebens wieder. Zumal die Oberdeutſchen fühlten ſich an-
geheimelt, wenn ihnen zwiſchen den Zeilen des Dichters ſtets die ſchwäbi-
ſche Landſchaft mit ihren Rebenhügeln und ſonnigen Flüſſen, mit ihrem
heiteren ſangesluſtigen Völkchen entgegenwinkte. Die einfachen, dem Volks-
liede nachgebildeten Weiſen forderten unwillkürlich zum Singen auf; bald
wetteiferten die Tonſetzer ſich ihrer zu bemächtigen. Die ganze Jugend
ſtimmte mit ein. Uhlands Lieder erklangen wo immer deutſche Soldaten
über Land marſchirten, wo Studenten, Sänger und Turner ſich zum
fröhlichen Feſte zuſammenfanden; ſie wurden eine Macht des Segens für
das friſch aufblühende kräftige Volksleben des neuen Jahrhunderts. Das
junge im Kriege geſtählte Geſchlecht drängte überall aus der Stubenluft
der guten alten Zeit hinaus ins Freie, die deutſche Wanderluſt forderte
ihr Recht, alte halbvergeſſene Volksfeſte gelangten wieder zu Ehren. Der
neue Volksgeſang ſchlug eine Brücke über die tiefe Kluft, welche die Ge-
bildeten von den Ungebildeten trennte, führte die Maſſen, die nichts
laſen, zuerſt in die Kunſtdichtung der Gegenwart ein; und wenngleich
jene köſtliche ungebrochene Einheit der nationalen Geſittung, wie ſie einſt
in den Tagen der Staufer beſtanden, für die gelehrte Bildung der moder-
nen Welt immer unerreichbar blieb, ſo war es doch eine heilſame Rückkehr
zur Natur, daß allmählich mindeſtens ein Theil der ſchönſten deutſchen
Gedichte der ganzen Nation lieb und verſtändlich wurde. Wie ſchlug dem
ſchwäbiſchen Dichter das Herz, als er die neu erwachende Liederfreude
ſeines Volkes ſah; voll Zuverſicht rief er den Genoſſen die nur allzu treu-
lich beherzigte Mahnung zu:

Singe wem Geſang gegeben
In dem deutſchen Dichterwald!
Das iſt Freude, das iſt Leben,
Wenn’s von allen Zweigen ſchallt!

Der ſchlichte Mann konnte ſich nicht ſatt ſehen an dem lärmenden
Gewimmel der Volksfeſte, und das waren ihm die Augenblicke des höch-
ſten Dichterlohnes, wenn er einmal auf einer Rheinreiſe irgendwo im
Walde junges Volk mit friſchen Stimmen ſeine eigenen Lieder ſingen
hörte, oder wenn ein Tübinger bemooſtes Haupt in feſtlichem Comitat
über die Neckarbrücke hinauszog und das Abſchiedslied „es ziehet der
Burſch in die Weite“ bis in den Rebgarten des Dichterhauſes am Oſter-
berge hinüberklang.

Wohl umſpannten ſeine Gedichte nur einen ziemlich engen Kreis von

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[31/0045] Uhland. Liedern vornehmlich verdankte er die Liebe des Volkes, die ihm zuerſt in der ſchwäbiſchen Heimath, dann auch im übrigen Deutſchland frohlockend entgegenkam bis er endlich der volksthümlichſte aller unſerer großen Dichter wurde. In den ſchlichten, tief empfundenen Worten von Liebes Leid und Freude, von Wanderglück und Abſchiedsſchmerz, von der Luſt des Weines und der Waffen fanden Alle, Vornehm und Gering, die Erinnerungen ihres eigenen Lebens wieder. Zumal die Oberdeutſchen fühlten ſich an- geheimelt, wenn ihnen zwiſchen den Zeilen des Dichters ſtets die ſchwäbi- ſche Landſchaft mit ihren Rebenhügeln und ſonnigen Flüſſen, mit ihrem heiteren ſangesluſtigen Völkchen entgegenwinkte. Die einfachen, dem Volks- liede nachgebildeten Weiſen forderten unwillkürlich zum Singen auf; bald wetteiferten die Tonſetzer ſich ihrer zu bemächtigen. Die ganze Jugend ſtimmte mit ein. Uhlands Lieder erklangen wo immer deutſche Soldaten über Land marſchirten, wo Studenten, Sänger und Turner ſich zum fröhlichen Feſte zuſammenfanden; ſie wurden eine Macht des Segens für das friſch aufblühende kräftige Volksleben des neuen Jahrhunderts. Das junge im Kriege geſtählte Geſchlecht drängte überall aus der Stubenluft der guten alten Zeit hinaus ins Freie, die deutſche Wanderluſt forderte ihr Recht, alte halbvergeſſene Volksfeſte gelangten wieder zu Ehren. Der neue Volksgeſang ſchlug eine Brücke über die tiefe Kluft, welche die Ge- bildeten von den Ungebildeten trennte, führte die Maſſen, die nichts laſen, zuerſt in die Kunſtdichtung der Gegenwart ein; und wenngleich jene köſtliche ungebrochene Einheit der nationalen Geſittung, wie ſie einſt in den Tagen der Staufer beſtanden, für die gelehrte Bildung der moder- nen Welt immer unerreichbar blieb, ſo war es doch eine heilſame Rückkehr zur Natur, daß allmählich mindeſtens ein Theil der ſchönſten deutſchen Gedichte der ganzen Nation lieb und verſtändlich wurde. Wie ſchlug dem ſchwäbiſchen Dichter das Herz, als er die neu erwachende Liederfreude ſeines Volkes ſah; voll Zuverſicht rief er den Genoſſen die nur allzu treu- lich beherzigte Mahnung zu: Singe wem Geſang gegeben In dem deutſchen Dichterwald! Das iſt Freude, das iſt Leben, Wenn’s von allen Zweigen ſchallt! Der ſchlichte Mann konnte ſich nicht ſatt ſehen an dem lärmenden Gewimmel der Volksfeſte, und das waren ihm die Augenblicke des höch- ſten Dichterlohnes, wenn er einmal auf einer Rheinreiſe irgendwo im Walde junges Volk mit friſchen Stimmen ſeine eigenen Lieder ſingen hörte, oder wenn ein Tübinger bemooſtes Haupt in feſtlichem Comitat über die Neckarbrücke hinauszog und das Abſchiedslied „es ziehet der Burſch in die Weite“ bis in den Rebgarten des Dichterhauſes am Oſter- berge hinüberklang. Wohl umſpannten ſeine Gedichte nur einen ziemlich engen Kreis von

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/45>, abgerufen am 21.11.2024.