hervortreten sollte: der Kronprinz sprach dem Freiherrn v. Hövel sein besonderes Wohlgefallen über die Denkschrift aus.
Noch unwillkommener als diese Adelsgesandtschaft, die immerhin die Klassenanschauungen eines mächtigen Standes vertrat, erschien dem Staats- kanzler der Besuch einer zweiten Deputation, welche lediglich durch eine phantastische Schrulle zusammengeschaart war und für die Unreife der politischen Bildung des Rheinlands ein klägliches Zeugniß ablegte. Seit der Unterdrückung des Rheinischen Merkurs hatte Görres bittere Tage verlebt; die Pension, die ihm Hardenberg verschaffte, konnte ihn über den Müßiggang eines zwecklosen Daseins nicht trösten. Er bemühte sich redlich sein heißes Blut zu bändigen, sprach stets milde und versöhnlich wenn Abgesandte der Burschenschaft sich bei ihm Rathes erholen wollten. Zu- letzt war die Natur doch stärker als die guten Vorsätze. Dies Preußen, das er einst so hoch gepriesen, ward ihm allmählich tödlich verhaßt, und alle jene thörichten Wünsche des rheinischen Partikularismus, welche die kirchliche Parität und die Staatseinheit zugleich bedrohten, erschienen ihm jetzt berechtigt. Ganz so urtheilslos wie die Masse seiner Landsleute polterte er wider die fremden protestantischen Beamten und verlangte, daß die Rheinlande ihren Antheil an den Staatsausgaben nach dem Gut- dünken ihrer Provinziallandtage selber aufbringen sollten. Er fand es entsetzlich, daß der König einen Lehrer, der in einer gemischten Schule die Reformation roh beschimpft hatte, verdientermaßen absetzen ließ, und be- theiligte sich sogar an einer Petition, welche von der Krone forderte, daß in Zukunft das Referat über das Schulwesen in der Coblenzer Regierung nur einem Katholiken übertragen würde. In wiederholten Eingaben an den König und den Staatskanzler gebärdete er sich als der natürliche Wortführer des Rheinlands, obschon er wissen mußte, daß sein Merkur am Rheine niemals viele Leser gefunden hatte. Ehe er es noch selber recht bemerkte ward er durch seinen rheinischen Provinzialstolz zu cleri- calen Anschauungen verleitet, die allerdings dem innersten Wesen seiner phantastischen Natur entsprachen. Nicht lange, so begann er sogar das verrottete Ständewesen der geistlichen Kurfürstenthümer zu bewundern, das er in seiner Jugend mit wohlverdientem Hohne überschüttet hatte, und meinte in den drei Curien des kurtrierischen Landtags die angeblichen drei Urstände der Germanen, Lehr-, Wehr- und Nährstand zu erkennen.
Als die Coblenzer nunmehr den Staatskanzler an das Verfassungs- versprechen zu erinnern beschlossen, gab Görres der Adresse die wunder- liche Fassung: man bitte um "Wiederherstellung der Freiheiten der Land- schaft und der uralten wahrhaft deutschen Verfassung". In solcher Ge- stalt wurde das übrigens bescheidene und unverfängliche Aktenstück von mehr als dreitausend Bürgern und Bauern der Umgegend unterzeichnet; die meisten dachten sich dabei nur das Eine, daß ein Landtag von Ein- geborenen künftighin den Preußen freundlich auf die Finger klopfen solle.
Die Coblenzer Adreſſe.
hervortreten ſollte: der Kronprinz ſprach dem Freiherrn v. Hövel ſein beſonderes Wohlgefallen über die Denkſchrift aus.
Noch unwillkommener als dieſe Adelsgeſandtſchaft, die immerhin die Klaſſenanſchauungen eines mächtigen Standes vertrat, erſchien dem Staats- kanzler der Beſuch einer zweiten Deputation, welche lediglich durch eine phantaſtiſche Schrulle zuſammengeſchaart war und für die Unreife der politiſchen Bildung des Rheinlands ein klägliches Zeugniß ablegte. Seit der Unterdrückung des Rheiniſchen Merkurs hatte Görres bittere Tage verlebt; die Penſion, die ihm Hardenberg verſchaffte, konnte ihn über den Müßiggang eines zweckloſen Daſeins nicht tröſten. Er bemühte ſich redlich ſein heißes Blut zu bändigen, ſprach ſtets milde und verſöhnlich wenn Abgeſandte der Burſchenſchaft ſich bei ihm Rathes erholen wollten. Zu- letzt war die Natur doch ſtärker als die guten Vorſätze. Dies Preußen, das er einſt ſo hoch geprieſen, ward ihm allmählich tödlich verhaßt, und alle jene thörichten Wünſche des rheiniſchen Partikularismus, welche die kirchliche Parität und die Staatseinheit zugleich bedrohten, erſchienen ihm jetzt berechtigt. Ganz ſo urtheilslos wie die Maſſe ſeiner Landsleute polterte er wider die fremden proteſtantiſchen Beamten und verlangte, daß die Rheinlande ihren Antheil an den Staatsausgaben nach dem Gut- dünken ihrer Provinziallandtage ſelber aufbringen ſollten. Er fand es entſetzlich, daß der König einen Lehrer, der in einer gemiſchten Schule die Reformation roh beſchimpft hatte, verdientermaßen abſetzen ließ, und be- theiligte ſich ſogar an einer Petition, welche von der Krone forderte, daß in Zukunft das Referat über das Schulweſen in der Coblenzer Regierung nur einem Katholiken übertragen würde. In wiederholten Eingaben an den König und den Staatskanzler gebärdete er ſich als der natürliche Wortführer des Rheinlands, obſchon er wiſſen mußte, daß ſein Merkur am Rheine niemals viele Leſer gefunden hatte. Ehe er es noch ſelber recht bemerkte ward er durch ſeinen rheiniſchen Provinzialſtolz zu cleri- calen Anſchauungen verleitet, die allerdings dem innerſten Weſen ſeiner phantaſtiſchen Natur entſprachen. Nicht lange, ſo begann er ſogar das verrottete Ständeweſen der geiſtlichen Kurfürſtenthümer zu bewundern, das er in ſeiner Jugend mit wohlverdientem Hohne überſchüttet hatte, und meinte in den drei Curien des kurtrieriſchen Landtags die angeblichen drei Urſtände der Germanen, Lehr-, Wehr- und Nährſtand zu erkennen.
Als die Coblenzer nunmehr den Staatskanzler an das Verfaſſungs- verſprechen zu erinnern beſchloſſen, gab Görres der Adreſſe die wunder- liche Faſſung: man bitte um „Wiederherſtellung der Freiheiten der Land- ſchaft und der uralten wahrhaft deutſchen Verfaſſung“. In ſolcher Ge- ſtalt wurde das übrigens beſcheidene und unverfängliche Aktenſtück von mehr als dreitauſend Bürgern und Bauern der Umgegend unterzeichnet; die meiſten dachten ſich dabei nur das Eine, daß ein Landtag von Ein- geborenen künftighin den Preußen freundlich auf die Finger klopfen ſolle.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0469"n="455"/><fwplace="top"type="header">Die Coblenzer Adreſſe.</fw><lb/>
hervortreten ſollte: der Kronprinz ſprach dem Freiherrn v. Hövel ſein<lb/>
beſonderes Wohlgefallen über die Denkſchrift aus.</p><lb/><p>Noch unwillkommener als dieſe Adelsgeſandtſchaft, die immerhin die<lb/>
Klaſſenanſchauungen eines mächtigen Standes vertrat, erſchien dem Staats-<lb/>
kanzler der Beſuch einer zweiten Deputation, welche lediglich durch eine<lb/>
phantaſtiſche Schrulle zuſammengeſchaart war und für die Unreife der<lb/>
politiſchen Bildung des Rheinlands ein klägliches Zeugniß ablegte. Seit<lb/>
der Unterdrückung des Rheiniſchen Merkurs hatte Görres bittere Tage<lb/>
verlebt; die Penſion, die ihm Hardenberg verſchaffte, konnte ihn über den<lb/>
Müßiggang eines zweckloſen Daſeins nicht tröſten. Er bemühte ſich redlich<lb/>ſein heißes Blut zu bändigen, ſprach ſtets milde und verſöhnlich wenn<lb/>
Abgeſandte der Burſchenſchaft ſich bei ihm Rathes erholen wollten. Zu-<lb/>
letzt war die Natur doch ſtärker als die guten Vorſätze. Dies Preußen,<lb/>
das er einſt ſo hoch geprieſen, ward ihm allmählich tödlich verhaßt, und<lb/>
alle jene thörichten Wünſche des rheiniſchen Partikularismus, welche die<lb/>
kirchliche Parität und die Staatseinheit zugleich bedrohten, erſchienen ihm<lb/>
jetzt berechtigt. Ganz ſo urtheilslos wie die Maſſe ſeiner Landsleute<lb/>
polterte er wider die fremden proteſtantiſchen Beamten und verlangte, daß<lb/>
die Rheinlande ihren Antheil an den Staatsausgaben nach dem Gut-<lb/>
dünken ihrer Provinziallandtage ſelber aufbringen ſollten. Er fand es<lb/>
entſetzlich, daß der König einen Lehrer, der in einer gemiſchten Schule die<lb/>
Reformation roh beſchimpft hatte, verdientermaßen abſetzen ließ, und be-<lb/>
theiligte ſich ſogar an einer Petition, welche von der Krone forderte, daß<lb/>
in Zukunft das Referat über das Schulweſen in der Coblenzer Regierung<lb/>
nur einem Katholiken übertragen würde. In wiederholten Eingaben an<lb/>
den König und den Staatskanzler gebärdete er ſich als der natürliche<lb/>
Wortführer des Rheinlands, obſchon er wiſſen mußte, daß ſein Merkur<lb/>
am Rheine niemals viele Leſer gefunden hatte. Ehe er es noch ſelber<lb/>
recht bemerkte ward er durch ſeinen rheiniſchen Provinzialſtolz zu cleri-<lb/>
calen Anſchauungen verleitet, die allerdings dem innerſten Weſen ſeiner<lb/>
phantaſtiſchen Natur entſprachen. Nicht lange, ſo begann er ſogar das<lb/>
verrottete Ständeweſen der geiſtlichen Kurfürſtenthümer zu bewundern,<lb/>
das er in ſeiner Jugend mit wohlverdientem Hohne überſchüttet hatte,<lb/>
und meinte in den drei Curien des kurtrieriſchen Landtags die angeblichen<lb/>
drei Urſtände der Germanen, Lehr-, Wehr- und Nährſtand zu erkennen.</p><lb/><p>Als die Coblenzer nunmehr den Staatskanzler an das Verfaſſungs-<lb/>
verſprechen zu erinnern beſchloſſen, gab Görres der Adreſſe die wunder-<lb/>
liche Faſſung: man bitte um „Wiederherſtellung der Freiheiten der Land-<lb/>ſchaft und der uralten wahrhaft deutſchen Verfaſſung“. In ſolcher Ge-<lb/>ſtalt wurde das übrigens beſcheidene und unverfängliche Aktenſtück von<lb/>
mehr als dreitauſend Bürgern und Bauern der Umgegend unterzeichnet;<lb/>
die meiſten dachten ſich dabei nur das Eine, daß ein Landtag von Ein-<lb/>
geborenen künftighin den Preußen freundlich auf die Finger klopfen ſolle.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[455/0469]
Die Coblenzer Adreſſe.
hervortreten ſollte: der Kronprinz ſprach dem Freiherrn v. Hövel ſein
beſonderes Wohlgefallen über die Denkſchrift aus.
Noch unwillkommener als dieſe Adelsgeſandtſchaft, die immerhin die
Klaſſenanſchauungen eines mächtigen Standes vertrat, erſchien dem Staats-
kanzler der Beſuch einer zweiten Deputation, welche lediglich durch eine
phantaſtiſche Schrulle zuſammengeſchaart war und für die Unreife der
politiſchen Bildung des Rheinlands ein klägliches Zeugniß ablegte. Seit
der Unterdrückung des Rheiniſchen Merkurs hatte Görres bittere Tage
verlebt; die Penſion, die ihm Hardenberg verſchaffte, konnte ihn über den
Müßiggang eines zweckloſen Daſeins nicht tröſten. Er bemühte ſich redlich
ſein heißes Blut zu bändigen, ſprach ſtets milde und verſöhnlich wenn
Abgeſandte der Burſchenſchaft ſich bei ihm Rathes erholen wollten. Zu-
letzt war die Natur doch ſtärker als die guten Vorſätze. Dies Preußen,
das er einſt ſo hoch geprieſen, ward ihm allmählich tödlich verhaßt, und
alle jene thörichten Wünſche des rheiniſchen Partikularismus, welche die
kirchliche Parität und die Staatseinheit zugleich bedrohten, erſchienen ihm
jetzt berechtigt. Ganz ſo urtheilslos wie die Maſſe ſeiner Landsleute
polterte er wider die fremden proteſtantiſchen Beamten und verlangte, daß
die Rheinlande ihren Antheil an den Staatsausgaben nach dem Gut-
dünken ihrer Provinziallandtage ſelber aufbringen ſollten. Er fand es
entſetzlich, daß der König einen Lehrer, der in einer gemiſchten Schule die
Reformation roh beſchimpft hatte, verdientermaßen abſetzen ließ, und be-
theiligte ſich ſogar an einer Petition, welche von der Krone forderte, daß
in Zukunft das Referat über das Schulweſen in der Coblenzer Regierung
nur einem Katholiken übertragen würde. In wiederholten Eingaben an
den König und den Staatskanzler gebärdete er ſich als der natürliche
Wortführer des Rheinlands, obſchon er wiſſen mußte, daß ſein Merkur
am Rheine niemals viele Leſer gefunden hatte. Ehe er es noch ſelber
recht bemerkte ward er durch ſeinen rheiniſchen Provinzialſtolz zu cleri-
calen Anſchauungen verleitet, die allerdings dem innerſten Weſen ſeiner
phantaſtiſchen Natur entſprachen. Nicht lange, ſo begann er ſogar das
verrottete Ständeweſen der geiſtlichen Kurfürſtenthümer zu bewundern,
das er in ſeiner Jugend mit wohlverdientem Hohne überſchüttet hatte,
und meinte in den drei Curien des kurtrieriſchen Landtags die angeblichen
drei Urſtände der Germanen, Lehr-, Wehr- und Nährſtand zu erkennen.
Als die Coblenzer nunmehr den Staatskanzler an das Verfaſſungs-
verſprechen zu erinnern beſchloſſen, gab Görres der Adreſſe die wunder-
liche Faſſung: man bitte um „Wiederherſtellung der Freiheiten der Land-
ſchaft und der uralten wahrhaft deutſchen Verfaſſung“. In ſolcher Ge-
ſtalt wurde das übrigens beſcheidene und unverfängliche Aktenſtück von
mehr als dreitauſend Bürgern und Bauern der Umgegend unterzeichnet;
die meiſten dachten ſich dabei nur das Eine, daß ein Landtag von Ein-
geborenen künftighin den Preußen freundlich auf die Finger klopfen ſolle.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/469>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.