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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Verzögerung der Verfassungsarbeit.
Petition gewährte, aber alle Aufforderungen zu gemeinsamen Bitten
streng untersagte, am wenigsten in dieser gährenden neuen Provinz über-
treten sehen. Darum ertheilte er, obgleich Hardenberg dringend abrieth,
der Coblenzer Regierung einen scharfen Verweis und erwiderte den Un-
terzeichnern der Adresse in einer ungnädigen Cabinetsordre, daß er sich
allein den Zeitpunkt für die Ausführung seiner Zusage vorbehalte. Die
Hatzenporter wurden wegen ihrer gesetzlichen Gesinnung belobt und blieben
fortan viele Jahre lang als Rheinlands Abderiten das Stichblatt für
die Witze ihrer Landsleute.*) Erst durch diese Beweise des königlichen
Unwillens erhielt der thörichte Mummenschanz der Coblenzer Deputation
eine Bedeutung, die ihm keineswegs zukam. Die ganze Provinz murrte
über die Härte des Königs, obwohl die constitutionelle Partei unter den
Rheinländern in Wahrheit erst sehr wenig überzeugte Anhänger zählte.
Hardenberg errieth sogleich, daß der Zorn des gütigen Monarchen offen-
bar durch boshafte Einflüsterungen veranlaßt war; er hegte Argwohn
gegen Ancillon und den Herzog Karl von Mecklenburg, doch den schlauesten
und gefährlichsten seiner Feinde, den Fürsten Wittgenstein durchschaute
er noch immer nicht und forderte ihn sogar vertrauensvoll auf, die Ver-
stimmung des Hofes beschwichtigen zu helfen. Um den König ganz zu
versöhnen kehrte er selber schon zu Anfang April, früher als er gedacht,
nach Berlin zurück und ließ zum Abschied ein "Deutsches Wort aus
Preußen an die Rheinländer" drucken -- eine von seinem Vertrauten
Koreff entworfene und von ihm selber durchgesehene Flugschrift, die dem
rheinischen Volke neben freundlichen Zusicherungen auch einige wohlver-
diente Lehren gab: die Rheinländer, hieß es da, sollten doch nicht ver-
gessen, daß sie selber zur Abschüttelung des fremden Joches keinen Finger
geregt hätten und ihre Freiheit, ihr wieder gesichertes deutsches Leben
allein dem preußischen Staate verdankten. Seinen Briefwechsel mit
Görres brach der Staatskanzler ab, denn "cela mettrait du louche
dans ma marche."
Alles was den Argwohn des Königs erregte, wollte
er aus dem Wege räumen, um nur seinen Hauptzweck, den Abschluß der
Verfassung zu erreichen.**)

Die Verzögerung der großen Entscheidung ward mit jedem Tage
peinlicher empfunden. Von allen Seiten liefen Mahnungen ein. Die
märkische Ritterschaft forderte nochmals, wie so oft schon, die Verein-
barung des neuen Grundgesetzes mit den alten Ständen und ward vom
Könige auf die Berathungen des Staatsraths verwiesen. Die Merse-
burger Regierung dagegen bat um schleunige Einrichtung mindestens der
Kreistage; sonst könne man den herrschsüchtigen Ansprüchen der alten
Stände, die das Volk hasse, nicht widerstehen. Selbst die sonst so stillen

*) Zwei Cabinetsordres vom 21. März 1818.
**) Hardenbergs Tagebuch, 1., 7., 12. März, 26. April 1818.

Verzögerung der Verfaſſungsarbeit.
Petition gewährte, aber alle Aufforderungen zu gemeinſamen Bitten
ſtreng unterſagte, am wenigſten in dieſer gährenden neuen Provinz über-
treten ſehen. Darum ertheilte er, obgleich Hardenberg dringend abrieth,
der Coblenzer Regierung einen ſcharfen Verweis und erwiderte den Un-
terzeichnern der Adreſſe in einer ungnädigen Cabinetsordre, daß er ſich
allein den Zeitpunkt für die Ausführung ſeiner Zuſage vorbehalte. Die
Hatzenporter wurden wegen ihrer geſetzlichen Geſinnung belobt und blieben
fortan viele Jahre lang als Rheinlands Abderiten das Stichblatt für
die Witze ihrer Landsleute.*) Erſt durch dieſe Beweiſe des königlichen
Unwillens erhielt der thörichte Mummenſchanz der Coblenzer Deputation
eine Bedeutung, die ihm keineswegs zukam. Die ganze Provinz murrte
über die Härte des Königs, obwohl die conſtitutionelle Partei unter den
Rheinländern in Wahrheit erſt ſehr wenig überzeugte Anhänger zählte.
Hardenberg errieth ſogleich, daß der Zorn des gütigen Monarchen offen-
bar durch boshafte Einflüſterungen veranlaßt war; er hegte Argwohn
gegen Ancillon und den Herzog Karl von Mecklenburg, doch den ſchlaueſten
und gefährlichſten ſeiner Feinde, den Fürſten Wittgenſtein durchſchaute
er noch immer nicht und forderte ihn ſogar vertrauensvoll auf, die Ver-
ſtimmung des Hofes beſchwichtigen zu helfen. Um den König ganz zu
verſöhnen kehrte er ſelber ſchon zu Anfang April, früher als er gedacht,
nach Berlin zurück und ließ zum Abſchied ein „Deutſches Wort aus
Preußen an die Rheinländer“ drucken — eine von ſeinem Vertrauten
Koreff entworfene und von ihm ſelber durchgeſehene Flugſchrift, die dem
rheiniſchen Volke neben freundlichen Zuſicherungen auch einige wohlver-
diente Lehren gab: die Rheinländer, hieß es da, ſollten doch nicht ver-
geſſen, daß ſie ſelber zur Abſchüttelung des fremden Joches keinen Finger
geregt hätten und ihre Freiheit, ihr wieder geſichertes deutſches Leben
allein dem preußiſchen Staate verdankten. Seinen Briefwechſel mit
Görres brach der Staatskanzler ab, denn „cela mettrait du louche
dans ma marche.“
Alles was den Argwohn des Königs erregte, wollte
er aus dem Wege räumen, um nur ſeinen Hauptzweck, den Abſchluß der
Verfaſſung zu erreichen.**)

Die Verzögerung der großen Entſcheidung ward mit jedem Tage
peinlicher empfunden. Von allen Seiten liefen Mahnungen ein. Die
märkiſche Ritterſchaft forderte nochmals, wie ſo oft ſchon, die Verein-
barung des neuen Grundgeſetzes mit den alten Ständen und ward vom
Könige auf die Berathungen des Staatsraths verwieſen. Die Merſe-
burger Regierung dagegen bat um ſchleunige Einrichtung mindeſtens der
Kreistage; ſonſt könne man den herrſchſüchtigen Anſprüchen der alten
Stände, die das Volk haſſe, nicht widerſtehen. Selbſt die ſonſt ſo ſtillen

*) Zwei Cabinetsordres vom 21. März 1818.
**) Hardenbergs Tagebuch, 1., 7., 12. März, 26. April 1818.
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[457/0471] Verzögerung der Verfaſſungsarbeit. Petition gewährte, aber alle Aufforderungen zu gemeinſamen Bitten ſtreng unterſagte, am wenigſten in dieſer gährenden neuen Provinz über- treten ſehen. Darum ertheilte er, obgleich Hardenberg dringend abrieth, der Coblenzer Regierung einen ſcharfen Verweis und erwiderte den Un- terzeichnern der Adreſſe in einer ungnädigen Cabinetsordre, daß er ſich allein den Zeitpunkt für die Ausführung ſeiner Zuſage vorbehalte. Die Hatzenporter wurden wegen ihrer geſetzlichen Geſinnung belobt und blieben fortan viele Jahre lang als Rheinlands Abderiten das Stichblatt für die Witze ihrer Landsleute. *) Erſt durch dieſe Beweiſe des königlichen Unwillens erhielt der thörichte Mummenſchanz der Coblenzer Deputation eine Bedeutung, die ihm keineswegs zukam. Die ganze Provinz murrte über die Härte des Königs, obwohl die conſtitutionelle Partei unter den Rheinländern in Wahrheit erſt ſehr wenig überzeugte Anhänger zählte. Hardenberg errieth ſogleich, daß der Zorn des gütigen Monarchen offen- bar durch boshafte Einflüſterungen veranlaßt war; er hegte Argwohn gegen Ancillon und den Herzog Karl von Mecklenburg, doch den ſchlaueſten und gefährlichſten ſeiner Feinde, den Fürſten Wittgenſtein durchſchaute er noch immer nicht und forderte ihn ſogar vertrauensvoll auf, die Ver- ſtimmung des Hofes beſchwichtigen zu helfen. Um den König ganz zu verſöhnen kehrte er ſelber ſchon zu Anfang April, früher als er gedacht, nach Berlin zurück und ließ zum Abſchied ein „Deutſches Wort aus Preußen an die Rheinländer“ drucken — eine von ſeinem Vertrauten Koreff entworfene und von ihm ſelber durchgeſehene Flugſchrift, die dem rheiniſchen Volke neben freundlichen Zuſicherungen auch einige wohlver- diente Lehren gab: die Rheinländer, hieß es da, ſollten doch nicht ver- geſſen, daß ſie ſelber zur Abſchüttelung des fremden Joches keinen Finger geregt hätten und ihre Freiheit, ihr wieder geſichertes deutſches Leben allein dem preußiſchen Staate verdankten. Seinen Briefwechſel mit Görres brach der Staatskanzler ab, denn „cela mettrait du louche dans ma marche.“ Alles was den Argwohn des Königs erregte, wollte er aus dem Wege räumen, um nur ſeinen Hauptzweck, den Abſchluß der Verfaſſung zu erreichen. **) Die Verzögerung der großen Entſcheidung ward mit jedem Tage peinlicher empfunden. Von allen Seiten liefen Mahnungen ein. Die märkiſche Ritterſchaft forderte nochmals, wie ſo oft ſchon, die Verein- barung des neuen Grundgeſetzes mit den alten Ständen und ward vom Könige auf die Berathungen des Staatsraths verwieſen. Die Merſe- burger Regierung dagegen bat um ſchleunige Einrichtung mindeſtens der Kreistage; ſonſt könne man den herrſchſüchtigen Anſprüchen der alten Stände, die das Volk haſſe, nicht widerſtehen. Selbſt die ſonſt ſo ſtillen *) Zwei Cabinetsordres vom 21. März 1818. **) Hardenbergs Tagebuch, 1., 7., 12. März, 26. April 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/471>, abgerufen am 22.11.2024.