Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Plan eines allgemeinen Garantie-Vertrags. eine allgemeine gegenseitige Gewährleistung des europäischen Besitzstandeseinzugehen; denn der friedensseligen Welt war jedes Mittel zur Wahrung des Bestehenden willkommen, und Metternich hoffte insgeheim, die all- gemeine Garantie werde den beiden Ehrgeizigen, die er am meisten fürch- tete, dem Czaren und dem preußischen Heere, einen Zaum anlegen. Aber Lord Castlereagh widersprach entschieden. Mit einem so weit aussehenden Vertrage durfte er dem Parlamente nicht unter die Augen treten; der Plan lief auf die Befestigung der Heiligen Allianz hinaus und konnte also nur ihrem Stifter, der den Briten längst zu mächtig war, zu gute kommen. Auch die regelmäßigen Congresse erschienen der insularischen Politik unannehmbar; nur auf gelegentliche Zusammenkünfte, je nach Zeit und Umständen, wollte sie sich einlassen. Der Lord blieb unerschütterlich, und da auch die beiden deutschen Mächte sich gestehen mußten, daß die handfeste Quadrupel-Allianz mit ihren klaren, greifbaren Verpflichtungen den europäischen Frieden ungleich wirksamer sicherte als der nebelhafte Heilige Bund, so wurde die Berathung über den Garantievertrag vor- läufig vertagt. Der Czar aber hielt die Hoffnung fest, daß die zarte Psyche seines Lieblingswerkes dereinst noch einen Körper gewinnen sollte, erinnerte seine Gesandten in einem Rundschreiben nochmals an die Grund- sätze der heiligen Allianz und erklärte zum Abschied nachdrücklich: er sei bereit sich jedem Garantie-Vertrage anzuschließen, welchen eine der vier Mächte auf Grund der Ancillon'schen Denkschrift noch vorschlagen würde.*) Auch bei manchen andern Fragen trat der alte Gegensatz der eng- *) Bernstorff an Lottum, 5., 23. Nov. 1818. **) König Friedrich Wilhelm an den König von Portugal, 7. Nov. Bernstorff
an Lottum, 29. Okt., 9. Nov. 1818. Plan eines allgemeinen Garantie-Vertrags. eine allgemeine gegenſeitige Gewährleiſtung des europäiſchen Beſitzſtandeseinzugehen; denn der friedensſeligen Welt war jedes Mittel zur Wahrung des Beſtehenden willkommen, und Metternich hoffte insgeheim, die all- gemeine Garantie werde den beiden Ehrgeizigen, die er am meiſten fürch- tete, dem Czaren und dem preußiſchen Heere, einen Zaum anlegen. Aber Lord Caſtlereagh widerſprach entſchieden. Mit einem ſo weit ausſehenden Vertrage durfte er dem Parlamente nicht unter die Augen treten; der Plan lief auf die Befeſtigung der Heiligen Allianz hinaus und konnte alſo nur ihrem Stifter, der den Briten längſt zu mächtig war, zu gute kommen. Auch die regelmäßigen Congreſſe erſchienen der inſulariſchen Politik unannehmbar; nur auf gelegentliche Zuſammenkünfte, je nach Zeit und Umſtänden, wollte ſie ſich einlaſſen. Der Lord blieb unerſchütterlich, und da auch die beiden deutſchen Mächte ſich geſtehen mußten, daß die handfeſte Quadrupel-Allianz mit ihren klaren, greifbaren Verpflichtungen den europäiſchen Frieden ungleich wirkſamer ſicherte als der nebelhafte Heilige Bund, ſo wurde die Berathung über den Garantievertrag vor- läufig vertagt. Der Czar aber hielt die Hoffnung feſt, daß die zarte Pſyche ſeines Lieblingswerkes dereinſt noch einen Körper gewinnen ſollte, erinnerte ſeine Geſandten in einem Rundſchreiben nochmals an die Grund- ſätze der heiligen Allianz und erklärte zum Abſchied nachdrücklich: er ſei bereit ſich jedem Garantie-Vertrage anzuſchließen, welchen eine der vier Mächte auf Grund der Ancillon’ſchen Denkſchrift noch vorſchlagen würde.*) Auch bei manchen andern Fragen trat der alte Gegenſatz der eng- *) Bernſtorff an Lottum, 5., 23. Nov. 1818. **) König Friedrich Wilhelm an den König von Portugal, 7. Nov. Bernſtorff
an Lottum, 29. Okt., 9. Nov. 1818. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0489" n="475"/><fw place="top" type="header">Plan eines allgemeinen Garantie-Vertrags.</fw><lb/> eine allgemeine gegenſeitige Gewährleiſtung des europäiſchen Beſitzſtandes<lb/> einzugehen; denn der friedensſeligen Welt war jedes Mittel zur Wahrung<lb/> des Beſtehenden willkommen, und Metternich hoffte insgeheim, die all-<lb/> gemeine Garantie werde den beiden Ehrgeizigen, die er am meiſten fürch-<lb/> tete, dem Czaren und dem preußiſchen Heere, einen Zaum anlegen. Aber<lb/> Lord Caſtlereagh widerſprach entſchieden. Mit einem ſo weit ausſehenden<lb/> Vertrage durfte er dem Parlamente nicht unter die Augen treten; der<lb/> Plan lief auf die Befeſtigung der Heiligen Allianz hinaus und konnte<lb/> alſo nur ihrem Stifter, der den Briten längſt zu mächtig war, zu gute<lb/> kommen. Auch die regelmäßigen Congreſſe erſchienen der inſulariſchen<lb/> Politik unannehmbar; nur auf gelegentliche Zuſammenkünfte, je nach Zeit<lb/> und Umſtänden, wollte ſie ſich einlaſſen. Der Lord blieb unerſchütterlich,<lb/> und da auch die beiden deutſchen Mächte ſich geſtehen mußten, daß die<lb/> handfeſte Quadrupel-Allianz mit ihren klaren, greifbaren Verpflichtungen<lb/> den europäiſchen Frieden ungleich wirkſamer ſicherte als der nebelhafte<lb/> Heilige Bund, ſo wurde die Berathung über den Garantievertrag vor-<lb/> läufig vertagt. Der Czar aber hielt die Hoffnung feſt, daß die zarte<lb/> Pſyche ſeines Lieblingswerkes dereinſt noch einen Körper gewinnen ſollte,<lb/> erinnerte ſeine Geſandten in einem Rundſchreiben nochmals an die Grund-<lb/> ſätze der heiligen Allianz und erklärte zum Abſchied nachdrücklich: er ſei<lb/> bereit ſich jedem Garantie-Vertrage anzuſchließen, welchen eine der vier<lb/> Mächte auf Grund der Ancillon’ſchen Denkſchrift noch vorſchlagen würde.<note place="foot" n="*)">Bernſtorff an Lottum, 5., 23. Nov. 1818.</note></p><lb/> <p>Auch bei manchen andern Fragen trat der alte Gegenſatz der eng-<lb/> liſchen und der ruſſiſchen Politik wieder grell hervor. Da der Negerhandel<lb/> an der braſilianiſchen Küſte nicht nachließ, ſo verlangte England das Recht,<lb/> alle des Sklavenhandels verdächtigen Fahrzeuge überall durch ſeine Kriegs-<lb/> ſchiffe durchſuchen zu laſſen; Rußland aber und die ſämmtlichen anderen<lb/> Mächte fanden dieſen Anſpruch allzu anmaßend, und Caſtlereagh mußte<lb/> zufrieden ſein, als die drei Monarchen ſich herbeiließen, den König von<lb/> Portugal in eigenhändigen Briefen zur Abſtellung des Unweſens zu er-<lb/> mahnen.<note place="foot" n="**)">König Friedrich Wilhelm an den König von Portugal, 7. Nov. Bernſtorff<lb/> an Lottum, 29. Okt., 9. Nov. 1818.</note> Andererſeits konnten Rußland und Preußen ein gemeinſames<lb/> Vorgehen gegen die Barbaresken nicht durchſetzen, weil England keine<lb/> ruſſiſchen Schiffe im Mittelmeere ſehen wollte. Ebenſo erfolglos blieb<lb/> ein Hilferuf des Madrider Hofes. Die alten Gönner der ſpaniſchen<lb/> Bourbonen, Rußland und Frankreich, wünſchten, daß England die Ver-<lb/> mittlung zwiſchen dem Könige und ſeinen aufſtändiſchen Unterthanen in<lb/> Südamerika übernehmen, wo möglich auch die Vereinigten Staaten<lb/> von der Anerkennung der neuen creoliſchen Republiken abhalten ſollte.<lb/> Wellington aber lehnte die Zumuthung ab. Er erkannte, daß König<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [475/0489]
Plan eines allgemeinen Garantie-Vertrags.
eine allgemeine gegenſeitige Gewährleiſtung des europäiſchen Beſitzſtandes
einzugehen; denn der friedensſeligen Welt war jedes Mittel zur Wahrung
des Beſtehenden willkommen, und Metternich hoffte insgeheim, die all-
gemeine Garantie werde den beiden Ehrgeizigen, die er am meiſten fürch-
tete, dem Czaren und dem preußiſchen Heere, einen Zaum anlegen. Aber
Lord Caſtlereagh widerſprach entſchieden. Mit einem ſo weit ausſehenden
Vertrage durfte er dem Parlamente nicht unter die Augen treten; der
Plan lief auf die Befeſtigung der Heiligen Allianz hinaus und konnte
alſo nur ihrem Stifter, der den Briten längſt zu mächtig war, zu gute
kommen. Auch die regelmäßigen Congreſſe erſchienen der inſulariſchen
Politik unannehmbar; nur auf gelegentliche Zuſammenkünfte, je nach Zeit
und Umſtänden, wollte ſie ſich einlaſſen. Der Lord blieb unerſchütterlich,
und da auch die beiden deutſchen Mächte ſich geſtehen mußten, daß die
handfeſte Quadrupel-Allianz mit ihren klaren, greifbaren Verpflichtungen
den europäiſchen Frieden ungleich wirkſamer ſicherte als der nebelhafte
Heilige Bund, ſo wurde die Berathung über den Garantievertrag vor-
läufig vertagt. Der Czar aber hielt die Hoffnung feſt, daß die zarte
Pſyche ſeines Lieblingswerkes dereinſt noch einen Körper gewinnen ſollte,
erinnerte ſeine Geſandten in einem Rundſchreiben nochmals an die Grund-
ſätze der heiligen Allianz und erklärte zum Abſchied nachdrücklich: er ſei
bereit ſich jedem Garantie-Vertrage anzuſchließen, welchen eine der vier
Mächte auf Grund der Ancillon’ſchen Denkſchrift noch vorſchlagen würde. *)
Auch bei manchen andern Fragen trat der alte Gegenſatz der eng-
liſchen und der ruſſiſchen Politik wieder grell hervor. Da der Negerhandel
an der braſilianiſchen Küſte nicht nachließ, ſo verlangte England das Recht,
alle des Sklavenhandels verdächtigen Fahrzeuge überall durch ſeine Kriegs-
ſchiffe durchſuchen zu laſſen; Rußland aber und die ſämmtlichen anderen
Mächte fanden dieſen Anſpruch allzu anmaßend, und Caſtlereagh mußte
zufrieden ſein, als die drei Monarchen ſich herbeiließen, den König von
Portugal in eigenhändigen Briefen zur Abſtellung des Unweſens zu er-
mahnen. **) Andererſeits konnten Rußland und Preußen ein gemeinſames
Vorgehen gegen die Barbaresken nicht durchſetzen, weil England keine
ruſſiſchen Schiffe im Mittelmeere ſehen wollte. Ebenſo erfolglos blieb
ein Hilferuf des Madrider Hofes. Die alten Gönner der ſpaniſchen
Bourbonen, Rußland und Frankreich, wünſchten, daß England die Ver-
mittlung zwiſchen dem Könige und ſeinen aufſtändiſchen Unterthanen in
Südamerika übernehmen, wo möglich auch die Vereinigten Staaten
von der Anerkennung der neuen creoliſchen Republiken abhalten ſollte.
Wellington aber lehnte die Zumuthung ab. Er erkannte, daß König
*) Bernſtorff an Lottum, 5., 23. Nov. 1818.
**) König Friedrich Wilhelm an den König von Portugal, 7. Nov. Bernſtorff
an Lottum, 29. Okt., 9. Nov. 1818.
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