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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Stourdza über die Universitäten.
Amt Steinfeld wohl gefallen, legte aber Verwahrung ein, behielt sich
seine erloschenen Sponheimer Erbansprüche und sein imaginäres pfälzisches
Heimfallsrecht feierlich vor, kam bei jeder Gelegenheit darauf zurück, so
daß Graf Bernstorff noch viele Jahre später über cette eternelle affaire
de Sponheim
zu seufzen hatte. Indeß die Entscheidung war unwider-
ruflich gefallen. --

Aus allen diesen Beschlüssen sprach unverkennbar die redliche Absicht,
durch Sicherung des Rechts überall in Europa den Frieden zu erhalten.
Gleichwohl war die liberale Presse Deutschlands und Frankreichs nicht
ganz auf falscher Fährte, wenn sie ihren Lesern seltsame Märchen erzählte
von den reaktionären Plänen der Aachener Versammlung. In den ver-
traulichen Gesprächen der Monarchen und der Staatsmänner wurden
allerdings die ersten Verabredungen zum Kampfe gegen die deutsche Be-
wegungspartei getroffen. Alle Ausländer zeigten sich entsetzt über den
fieberischen Zustand Deutschlands; der ganze Bau der Wiener Verträge
ruhte auf der politischen Nichtigkeit dieser Nation, und die Idee der deut-
schen Einheit, selbst wenn sie nur aus dem Thorenmunde erhitzter Studenten
sprach, erschien Allen als ein gemeinsamer Feind. Alle Fremden stimmten
mit Gentz darin überein, daß "die Reaktion von 1813" zwar in Frank-
reich die revolutionäre Bewegung zu einem augenblicklichen Stillstande
gebracht, doch in anderen Staaten, und vornehmlich in Deutschland,
diese dämonischen Mächte erst erweckt habe. Mit lebhafter Theilnahme be-
sprach man eine "Denkschrift über den gegenwärtigen Zustand Deutsch-
lands", welche der Czar auf dem Congresse vertheilen ließ. Ihr Verfasser
Stourdza, ein sanfter, schwermüthiger junger Walache, hatte dem russi-
schen Kaiser vor Kurzem eine phantastische Schrift zur Verherrlichung der
griechischen Kirche überreicht und sich inzwischen ein wenig auf den deut-
schen Universitäten umgesehen. Der laute Freimuth unseres akademischen
Lebens erschreckte den Schüchternen; er glaubte in ganz Deutschland eine
krampfhafte Unruhe, in der Studentenschaft eine gradeswegs auf den
Einheitsstaat gerichtete revolutionäre Bewegung wahrzunehmen und for-
derte im Namen der Religion und Sittlichkeit strenge Maßregeln gegen
die Universitäten: diese "gothischen Trümmer", diese Staaten im Staate
sollten ihrer alten Verfassung beraubt, die Studenten einfach als minder-
jährige Bürger behandelt und zum Einhalten fester Lehrcurse gezwungen
werden; da man die Preßfreiheit leider nicht ganz unterdrücken könne, so
müsse man mindestens der Jugend die schlechten Bücher und Zeitschriften
entziehen. Der ehrlich gemeinte, sehr unbedeutende Aufsatz fand, wenn
auch nicht in allen Punkten, den Beifall des Czaren und der österreichi-
schen Staatsmänner; die Preußen dagegen meinten, der junge Schwärmer
rede wie der Blinde von den Farben.

Da wurde die geheime Denkschrift plötzlich von einer Pariser Buch-
handlung veröffentlicht, vermuthlich durch die Schuld der unsauberen Um-

Stourdza über die Univerſitäten.
Amt Steinfeld wohl gefallen, legte aber Verwahrung ein, behielt ſich
ſeine erloſchenen Sponheimer Erbanſprüche und ſein imaginäres pfälziſches
Heimfallsrecht feierlich vor, kam bei jeder Gelegenheit darauf zurück, ſo
daß Graf Bernſtorff noch viele Jahre ſpäter über cette éternelle affaire
de Sponheim
zu ſeufzen hatte. Indeß die Entſcheidung war unwider-
ruflich gefallen. —

Aus allen dieſen Beſchlüſſen ſprach unverkennbar die redliche Abſicht,
durch Sicherung des Rechts überall in Europa den Frieden zu erhalten.
Gleichwohl war die liberale Preſſe Deutſchlands und Frankreichs nicht
ganz auf falſcher Fährte, wenn ſie ihren Leſern ſeltſame Märchen erzählte
von den reaktionären Plänen der Aachener Verſammlung. In den ver-
traulichen Geſprächen der Monarchen und der Staatsmänner wurden
allerdings die erſten Verabredungen zum Kampfe gegen die deutſche Be-
wegungspartei getroffen. Alle Ausländer zeigten ſich entſetzt über den
fieberiſchen Zuſtand Deutſchlands; der ganze Bau der Wiener Verträge
ruhte auf der politiſchen Nichtigkeit dieſer Nation, und die Idee der deut-
ſchen Einheit, ſelbſt wenn ſie nur aus dem Thorenmunde erhitzter Studenten
ſprach, erſchien Allen als ein gemeinſamer Feind. Alle Fremden ſtimmten
mit Gentz darin überein, daß „die Reaktion von 1813“ zwar in Frank-
reich die revolutionäre Bewegung zu einem augenblicklichen Stillſtande
gebracht, doch in anderen Staaten, und vornehmlich in Deutſchland,
dieſe dämoniſchen Mächte erſt erweckt habe. Mit lebhafter Theilnahme be-
ſprach man eine „Denkſchrift über den gegenwärtigen Zuſtand Deutſch-
lands“, welche der Czar auf dem Congreſſe vertheilen ließ. Ihr Verfaſſer
Stourdza, ein ſanfter, ſchwermüthiger junger Walache, hatte dem ruſſi-
ſchen Kaiſer vor Kurzem eine phantaſtiſche Schrift zur Verherrlichung der
griechiſchen Kirche überreicht und ſich inzwiſchen ein wenig auf den deut-
ſchen Univerſitäten umgeſehen. Der laute Freimuth unſeres akademiſchen
Lebens erſchreckte den Schüchternen; er glaubte in ganz Deutſchland eine
krampfhafte Unruhe, in der Studentenſchaft eine gradeswegs auf den
Einheitsſtaat gerichtete revolutionäre Bewegung wahrzunehmen und for-
derte im Namen der Religion und Sittlichkeit ſtrenge Maßregeln gegen
die Univerſitäten: dieſe „gothiſchen Trümmer“, dieſe Staaten im Staate
ſollten ihrer alten Verfaſſung beraubt, die Studenten einfach als minder-
jährige Bürger behandelt und zum Einhalten feſter Lehrcurſe gezwungen
werden; da man die Preßfreiheit leider nicht ganz unterdrücken könne, ſo
müſſe man mindeſtens der Jugend die ſchlechten Bücher und Zeitſchriften
entziehen. Der ehrlich gemeinte, ſehr unbedeutende Aufſatz fand, wenn
auch nicht in allen Punkten, den Beifall des Czaren und der öſterreichi-
ſchen Staatsmänner; die Preußen dagegen meinten, der junge Schwärmer
rede wie der Blinde von den Farben.

Da wurde die geheime Denkſchrift plötzlich von einer Pariſer Buch-
handlung veröffentlicht, vermuthlich durch die Schuld der unſauberen Um-

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[485/0499] Stourdza über die Univerſitäten. Amt Steinfeld wohl gefallen, legte aber Verwahrung ein, behielt ſich ſeine erloſchenen Sponheimer Erbanſprüche und ſein imaginäres pfälziſches Heimfallsrecht feierlich vor, kam bei jeder Gelegenheit darauf zurück, ſo daß Graf Bernſtorff noch viele Jahre ſpäter über cette éternelle affaire de Sponheim zu ſeufzen hatte. Indeß die Entſcheidung war unwider- ruflich gefallen. — Aus allen dieſen Beſchlüſſen ſprach unverkennbar die redliche Abſicht, durch Sicherung des Rechts überall in Europa den Frieden zu erhalten. Gleichwohl war die liberale Preſſe Deutſchlands und Frankreichs nicht ganz auf falſcher Fährte, wenn ſie ihren Leſern ſeltſame Märchen erzählte von den reaktionären Plänen der Aachener Verſammlung. In den ver- traulichen Geſprächen der Monarchen und der Staatsmänner wurden allerdings die erſten Verabredungen zum Kampfe gegen die deutſche Be- wegungspartei getroffen. Alle Ausländer zeigten ſich entſetzt über den fieberiſchen Zuſtand Deutſchlands; der ganze Bau der Wiener Verträge ruhte auf der politiſchen Nichtigkeit dieſer Nation, und die Idee der deut- ſchen Einheit, ſelbſt wenn ſie nur aus dem Thorenmunde erhitzter Studenten ſprach, erſchien Allen als ein gemeinſamer Feind. Alle Fremden ſtimmten mit Gentz darin überein, daß „die Reaktion von 1813“ zwar in Frank- reich die revolutionäre Bewegung zu einem augenblicklichen Stillſtande gebracht, doch in anderen Staaten, und vornehmlich in Deutſchland, dieſe dämoniſchen Mächte erſt erweckt habe. Mit lebhafter Theilnahme be- ſprach man eine „Denkſchrift über den gegenwärtigen Zuſtand Deutſch- lands“, welche der Czar auf dem Congreſſe vertheilen ließ. Ihr Verfaſſer Stourdza, ein ſanfter, ſchwermüthiger junger Walache, hatte dem ruſſi- ſchen Kaiſer vor Kurzem eine phantaſtiſche Schrift zur Verherrlichung der griechiſchen Kirche überreicht und ſich inzwiſchen ein wenig auf den deut- ſchen Univerſitäten umgeſehen. Der laute Freimuth unſeres akademiſchen Lebens erſchreckte den Schüchternen; er glaubte in ganz Deutſchland eine krampfhafte Unruhe, in der Studentenſchaft eine gradeswegs auf den Einheitsſtaat gerichtete revolutionäre Bewegung wahrzunehmen und for- derte im Namen der Religion und Sittlichkeit ſtrenge Maßregeln gegen die Univerſitäten: dieſe „gothiſchen Trümmer“, dieſe Staaten im Staate ſollten ihrer alten Verfaſſung beraubt, die Studenten einfach als minder- jährige Bürger behandelt und zum Einhalten feſter Lehrcurſe gezwungen werden; da man die Preßfreiheit leider nicht ganz unterdrücken könne, ſo müſſe man mindeſtens der Jugend die ſchlechten Bücher und Zeitſchriften entziehen. Der ehrlich gemeinte, ſehr unbedeutende Aufſatz fand, wenn auch nicht in allen Punkten, den Beifall des Czaren und der öſterreichi- ſchen Staatsmänner; die Preußen dagegen meinten, der junge Schwärmer rede wie der Blinde von den Farben. Da wurde die geheime Denkſchrift plötzlich von einer Pariſer Buch- handlung veröffentlicht, vermuthlich durch die Schuld der unſauberen Um-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/499>, abgerufen am 22.11.2024.