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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Friedrich Wilhelm verhindert den bairischen Staatsstreich.
schen Politik hinausgeworfene Baiern habe sich durch die moralische Macht
seiner Verfassung wieder erhoben, sein Monarch werde jetzt von der ge-
sammten Nation "als der König der deutschen Herzen" begrüßt. "Dieses
europäische Ereigniß macht Baiern wieder zu einer europäischen Macht."
Wenn der König seinem Landtage in Allem entgegenkommt, "dann wird
die wittelsbachische Dynastie der Anhaltspunkt werden für alle Völker,
welche sich als reif für die repräsentative Verfassung bewährt haben, und
dann wird ein beträchtliches Heer für Baiern erst seine wahre Bedeutung
erhalten." So tauchten die phantastischen Triaspläne des württembergi-
schen Hofes jetzt in bairischer Färbung wieder auf; die Münchener Oppo-
sition stand mit den Liberalen des Nachbarlandes in regem Verkehre, die
Neue Stuttgarter Zeitung diente ihnen gemeinsam zum Organ. Aber
bei dem Wittelsbacher verfing der Lockruf nicht. Max Joseph erschrak
über die radikale Sprache seiner Volksvertreter und sendete den Grafen
Rechberg nochmals zu General Zastrow um diesem die Denkschrift der
Liberalen einzuhändigen; es war gerade an demselben Tage (23. Mai), da
die Verfassungsdenkmünze den Kammern überreicht wurde. Noch einmal
beschwor er den König von Preußen, mit ihm Hand in Hand zu gehen,
damit diese demokratischen Grundsätze im Keime zerstört würden. Friedrich
Wilhelm antwortete kurz und würdig, er wolle sich nicht in die inneren
Angelegenheiten Baierns mischen, und wiederholte nur den Rath, daß der
König "jede verfassungswidrige Anmaßung oder Zumuthung kräftig zurück-
weise; dann wird die bairische Regierung sich nicht bethören lassen durch
so gleißnerische Vorspiegelungen, so heuchlerische Schmeicheleien, wie sie
jenes Memoire enthält."*)

Den Schluß der Session bildete eine jener Militärdebatten, bei
denen die tiefe Unwahrheit der kleinstaatlichen Souveränität sich immer
besonders widerwärtig offenbarte: im Grunde fühlte Jedermann, daß die
beträchtlichen Ausgaben für die Armeen der Mittelstaaten fast zwecklos
aufgewendet wurden, so lange ein fest geeintes deutsches Heer nicht bestand,
aber Niemand wagte diese dem Partikularismus unbequeme Wahrheit
offen auszusprechen. In Baiern wünschten fast alle Parteien ein starkes
stehendes Heer, da sie sämmtlich von der europäischen Macht des Staates
der Wittelsbacher sehr überspannte Vorstellungen hegten und doch zur
Einführung einer kriegstüchtigen Landwehr, nach dem Vorbilde des so
gründlich verachteten preußischen Staates, sich nimmermehr entschließen
wollten. Um so lebhafter stritt man über den Aufwand, der allerdings
auch nach dem Urtheil des preußischen Gesandten viel zu hoch war. Die
von den Abgeordneten bewilligten 6,7 Mill. fl. erschienen dem Könige so
unzureichend, daß er in einem Handschreiben an Wrede erklärte, lieber wolle
er seine Hausarmen darben lassen und 300,000 fl. aus seiner Chatoulle zu-

*) Zastrows Bericht, 23. Mai; Ministerialschreiben an Zastrow, 11. Juni 1819.

Friedrich Wilhelm verhindert den bairiſchen Staatsſtreich.
ſchen Politik hinausgeworfene Baiern habe ſich durch die moraliſche Macht
ſeiner Verfaſſung wieder erhoben, ſein Monarch werde jetzt von der ge-
ſammten Nation „als der König der deutſchen Herzen“ begrüßt. „Dieſes
europäiſche Ereigniß macht Baiern wieder zu einer europäiſchen Macht.“
Wenn der König ſeinem Landtage in Allem entgegenkommt, „dann wird
die wittelsbachiſche Dynaſtie der Anhaltspunkt werden für alle Völker,
welche ſich als reif für die repräſentative Verfaſſung bewährt haben, und
dann wird ein beträchtliches Heer für Baiern erſt ſeine wahre Bedeutung
erhalten.“ So tauchten die phantaſtiſchen Triaspläne des württembergi-
ſchen Hofes jetzt in bairiſcher Färbung wieder auf; die Münchener Oppo-
ſition ſtand mit den Liberalen des Nachbarlandes in regem Verkehre, die
Neue Stuttgarter Zeitung diente ihnen gemeinſam zum Organ. Aber
bei dem Wittelsbacher verfing der Lockruf nicht. Max Joſeph erſchrak
über die radikale Sprache ſeiner Volksvertreter und ſendete den Grafen
Rechberg nochmals zu General Zaſtrow um dieſem die Denkſchrift der
Liberalen einzuhändigen; es war gerade an demſelben Tage (23. Mai), da
die Verfaſſungsdenkmünze den Kammern überreicht wurde. Noch einmal
beſchwor er den König von Preußen, mit ihm Hand in Hand zu gehen,
damit dieſe demokratiſchen Grundſätze im Keime zerſtört würden. Friedrich
Wilhelm antwortete kurz und würdig, er wolle ſich nicht in die inneren
Angelegenheiten Baierns miſchen, und wiederholte nur den Rath, daß der
König „jede verfaſſungswidrige Anmaßung oder Zumuthung kräftig zurück-
weiſe; dann wird die bairiſche Regierung ſich nicht bethören laſſen durch
ſo gleißneriſche Vorſpiegelungen, ſo heuchleriſche Schmeicheleien, wie ſie
jenes Memoire enthält.“*)

Den Schluß der Seſſion bildete eine jener Militärdebatten, bei
denen die tiefe Unwahrheit der kleinſtaatlichen Souveränität ſich immer
beſonders widerwärtig offenbarte: im Grunde fühlte Jedermann, daß die
beträchtlichen Ausgaben für die Armeen der Mittelſtaaten faſt zwecklos
aufgewendet wurden, ſo lange ein feſt geeintes deutſches Heer nicht beſtand,
aber Niemand wagte dieſe dem Partikularismus unbequeme Wahrheit
offen auszuſprechen. In Baiern wünſchten faſt alle Parteien ein ſtarkes
ſtehendes Heer, da ſie ſämmtlich von der europäiſchen Macht des Staates
der Wittelsbacher ſehr überſpannte Vorſtellungen hegten und doch zur
Einführung einer kriegstüchtigen Landwehr, nach dem Vorbilde des ſo
gründlich verachteten preußiſchen Staates, ſich nimmermehr entſchließen
wollten. Um ſo lebhafter ſtritt man über den Aufwand, der allerdings
auch nach dem Urtheil des preußiſchen Geſandten viel zu hoch war. Die
von den Abgeordneten bewilligten 6,7 Mill. fl. erſchienen dem Könige ſo
unzureichend, daß er in einem Handſchreiben an Wrede erklärte, lieber wolle
er ſeine Hausarmen darben laſſen und 300,000 fl. aus ſeiner Chatoulle zu-

*) Zaſtrows Bericht, 23. Mai; Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 11. Juni 1819.
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[507/0521] Friedrich Wilhelm verhindert den bairiſchen Staatsſtreich. ſchen Politik hinausgeworfene Baiern habe ſich durch die moraliſche Macht ſeiner Verfaſſung wieder erhoben, ſein Monarch werde jetzt von der ge- ſammten Nation „als der König der deutſchen Herzen“ begrüßt. „Dieſes europäiſche Ereigniß macht Baiern wieder zu einer europäiſchen Macht.“ Wenn der König ſeinem Landtage in Allem entgegenkommt, „dann wird die wittelsbachiſche Dynaſtie der Anhaltspunkt werden für alle Völker, welche ſich als reif für die repräſentative Verfaſſung bewährt haben, und dann wird ein beträchtliches Heer für Baiern erſt ſeine wahre Bedeutung erhalten.“ So tauchten die phantaſtiſchen Triaspläne des württembergi- ſchen Hofes jetzt in bairiſcher Färbung wieder auf; die Münchener Oppo- ſition ſtand mit den Liberalen des Nachbarlandes in regem Verkehre, die Neue Stuttgarter Zeitung diente ihnen gemeinſam zum Organ. Aber bei dem Wittelsbacher verfing der Lockruf nicht. Max Joſeph erſchrak über die radikale Sprache ſeiner Volksvertreter und ſendete den Grafen Rechberg nochmals zu General Zaſtrow um dieſem die Denkſchrift der Liberalen einzuhändigen; es war gerade an demſelben Tage (23. Mai), da die Verfaſſungsdenkmünze den Kammern überreicht wurde. Noch einmal beſchwor er den König von Preußen, mit ihm Hand in Hand zu gehen, damit dieſe demokratiſchen Grundſätze im Keime zerſtört würden. Friedrich Wilhelm antwortete kurz und würdig, er wolle ſich nicht in die inneren Angelegenheiten Baierns miſchen, und wiederholte nur den Rath, daß der König „jede verfaſſungswidrige Anmaßung oder Zumuthung kräftig zurück- weiſe; dann wird die bairiſche Regierung ſich nicht bethören laſſen durch ſo gleißneriſche Vorſpiegelungen, ſo heuchleriſche Schmeicheleien, wie ſie jenes Memoire enthält.“ *) Den Schluß der Seſſion bildete eine jener Militärdebatten, bei denen die tiefe Unwahrheit der kleinſtaatlichen Souveränität ſich immer beſonders widerwärtig offenbarte: im Grunde fühlte Jedermann, daß die beträchtlichen Ausgaben für die Armeen der Mittelſtaaten faſt zwecklos aufgewendet wurden, ſo lange ein feſt geeintes deutſches Heer nicht beſtand, aber Niemand wagte dieſe dem Partikularismus unbequeme Wahrheit offen auszuſprechen. In Baiern wünſchten faſt alle Parteien ein ſtarkes ſtehendes Heer, da ſie ſämmtlich von der europäiſchen Macht des Staates der Wittelsbacher ſehr überſpannte Vorſtellungen hegten und doch zur Einführung einer kriegstüchtigen Landwehr, nach dem Vorbilde des ſo gründlich verachteten preußiſchen Staates, ſich nimmermehr entſchließen wollten. Um ſo lebhafter ſtritt man über den Aufwand, der allerdings auch nach dem Urtheil des preußiſchen Geſandten viel zu hoch war. Die von den Abgeordneten bewilligten 6,7 Mill. fl. erſchienen dem Könige ſo unzureichend, daß er in einem Handſchreiben an Wrede erklärte, lieber wolle er ſeine Hausarmen darben laſſen und 300,000 fl. aus ſeiner Chatoulle zu- *) Zaſtrows Bericht, 23. Mai; Miniſterialſchreiben an Zaſtrow, 11. Juni 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/521>, abgerufen am 22.11.2024.