Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Vertagung der Kammern. Varnhagen. fassung für gebrochen erklären; dann könnten durch Vermittelung desBundestags berathende Stände eingeführt werden. Der Großherzog aber wies den Plan vorderhand zurück, er hoffte mit Hilfe der Beschlüsse, die soeben in Karlsbad verabredet wurden, seinen Landtag zu bändigen. -- Das also war das Ergebniß der ersten Jahre unseres constitutionellen Lebens. In Württemberg hatte ein harter Streit mit den Landständen vorläufig die Dictatur des Königs herbeigeführt; in Baiern rief die Krone den Beistand der Großmächte gegen ihren Landtag an; in Baden gingen Fürst und Stände in Unfrieden auseinander, und die Volksver- treter lehnten sich wider die Bundesakte auf. Angesichts solcher Thatsachen begann der König von Preußen ernstlich zu bezweifeln, ob sein so müh- sam zusammenwachsender Staat dem rasch bereuten Vorgehen Baierns fol- gen dürfte. König Friedrich Wilhelm IV. sagte die volle Wahrheit, als er bald nach seiner Thronbesteigung versicherte, sein Vater sei durch die constitutionellen Erfahrungen der deutschen Nachbarstaaten bewogen worden, das Versprechen vom Mai 1815 in reifliche Erwägung zu ziehen. -- Noch bevor das ungewohnte Schauspiel dieser parlamentarischen Karl Sand war der Sohn eines vormals preußischen Beamten und Vertagung der Kammern. Varnhagen. faſſung für gebrochen erklären; dann könnten durch Vermittelung desBundestags berathende Stände eingeführt werden. Der Großherzog aber wies den Plan vorderhand zurück, er hoffte mit Hilfe der Beſchlüſſe, die ſoeben in Karlsbad verabredet wurden, ſeinen Landtag zu bändigen. — Das alſo war das Ergebniß der erſten Jahre unſeres conſtitutionellen Lebens. In Württemberg hatte ein harter Streit mit den Landſtänden vorläufig die Dictatur des Königs herbeigeführt; in Baiern rief die Krone den Beiſtand der Großmächte gegen ihren Landtag an; in Baden gingen Fürſt und Stände in Unfrieden auseinander, und die Volksver- treter lehnten ſich wider die Bundesakte auf. Angeſichts ſolcher Thatſachen begann der König von Preußen ernſtlich zu bezweifeln, ob ſein ſo müh- ſam zuſammenwachſender Staat dem raſch bereuten Vorgehen Baierns fol- gen dürfte. König Friedrich Wilhelm IV. ſagte die volle Wahrheit, als er bald nach ſeiner Thronbeſteigung verſicherte, ſein Vater ſei durch die conſtitutionellen Erfahrungen der deutſchen Nachbarſtaaten bewogen worden, das Verſprechen vom Mai 1815 in reifliche Erwägung zu ziehen. — Noch bevor das ungewohnte Schauſpiel dieſer parlamentariſchen Karl Sand war der Sohn eines vormals preußiſchen Beamten und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0533" n="519"/><fw place="top" type="header">Vertagung der Kammern. Varnhagen.</fw><lb/> faſſung für gebrochen erklären; dann könnten durch Vermittelung des<lb/> Bundestags berathende Stände eingeführt werden. Der Großherzog aber<lb/> wies den Plan vorderhand zurück, er hoffte mit Hilfe der Beſchlüſſe,<lb/> die ſoeben in Karlsbad verabredet wurden, ſeinen Landtag zu bändigen. —<lb/> Das alſo war das Ergebniß der erſten Jahre unſeres conſtitutionellen<lb/> Lebens. 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Vertagung der Kammern. Varnhagen.
faſſung für gebrochen erklären; dann könnten durch Vermittelung des
Bundestags berathende Stände eingeführt werden. Der Großherzog aber
wies den Plan vorderhand zurück, er hoffte mit Hilfe der Beſchlüſſe,
die ſoeben in Karlsbad verabredet wurden, ſeinen Landtag zu bändigen. —
Das alſo war das Ergebniß der erſten Jahre unſeres conſtitutionellen
Lebens. In Württemberg hatte ein harter Streit mit den Landſtänden
vorläufig die Dictatur des Königs herbeigeführt; in Baiern rief die
Krone den Beiſtand der Großmächte gegen ihren Landtag an; in Baden
gingen Fürſt und Stände in Unfrieden auseinander, und die Volksver-
treter lehnten ſich wider die Bundesakte auf. Angeſichts ſolcher Thatſachen
begann der König von Preußen ernſtlich zu bezweifeln, ob ſein ſo müh-
ſam zuſammenwachſender Staat dem raſch bereuten Vorgehen Baierns fol-
gen dürfte. König Friedrich Wilhelm IV. ſagte die volle Wahrheit, als
er bald nach ſeiner Thronbeſteigung verſicherte, ſein Vater ſei durch die
conſtitutionellen Erfahrungen der deutſchen Nachbarſtaaten bewogen worden,
das Verſprechen vom Mai 1815 in reifliche Erwägung zu ziehen. —
Noch bevor das ungewohnte Schauſpiel dieſer parlamentariſchen
Kämpfe zu Ende ging, war ein Ereigniß eingetreten, das alle Höfe mit
paniſchem Schrecken betäubte und zu einem Wendepunkt in der Geſchichte
des deutſchen Bundes werden ſollte. Am 23. März 1819 wurde Kotzebue
durch den Jenenſer Burſchenſchafter Sand ermordet. Freund und Feind
empfanden ſofort, daß in der blutigen That nicht die Ruchloſigkeit eines
Einzelnen, ſondern der lang angeſammelte Parteihaß der radikalen Sekten
der Studentenſchaft ſich entladen hatte. Der dämoniſche Reiz des Un-
begreiflichen verführt die Welt leicht, in den Urhebern ſchwerer Verbrechen
einen Zug von Größe zu ſuchen; das Leben dieſes Mörders aber bot zwar
der krankhaften Züge genug und manchen Anlaß zu menſchlichen Mitleid,
bewunderungswerth war nichts an ihm als jene finſtere, geſammelte
Willenskraft, die den Fanatiker macht.
Karl Sand war der Sohn eines vormals preußiſchen Beamten und
im Fichtelgebirge unter den treuen brandenburgiſchen Franken aufge-
wachſen, in einem Lande, wo Jedermann über die neue Ordnung der
deutſchen Dinge grollte. Das ſtarre Auge und die niedere, von langem,
dunklem Haar umrahmte Stirn verriethen einen beſchränkten Geiſt, der
bei eiſernem Fleiße nur langſam faßte und dann die ſchwer errungene
Erkenntniß mit zähem Eigenſinn gegen jede Einrede behauptete. Eine tugend-
ſtolze Mutter erfüllte den Sinn des Knaben ſchon frühe mit unkindlicher
Selbſtgerechtigkeit. Alſo vorbereitet trat er als Student in jene teuto-
niſchen Kreiſe, wo die grüne Jugend ſich ſo zuverſichtlich im Bewußtſein
ihrer eignen Kraft und Keuſchheit ſonnte und wider die geile Schlaffheit
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