leicht verwundet, seine tapfere Frau und andere Herbeieilende retteten ihm das Leben; aber der jähe Schreck erschütterte den kräftigen Mann der- maßen, daß er bald darauf den Abschied nehmen mußte und erst nach Jahren in den staatsmännischen Beruf zurückkehren konnte. Der Mörder zeigte im Gefängniß dieselbe dämonische Kraft der Selbstbeherrschung wie Sand; um seine Genossen zu sichern gab er sich selbst den Tod auf die gräßlichste Weise, durch verschluckte Glasscherben. --
Unheimlicher noch als die beiden Blutthaten selber war der Eindruck, den sie in der Nation zurückließen. Zwar von Löning sprach man selten, da Ibell außerhalb Nassaus wenig bekannt war; den Mörder Kotzebues aber umstrahlte ein Glorienschein. Uns Nachlebenden, die wir unbefangen zurückschauen, erscheint ein Mord, den ein heißblütiger Jüngling etwa in der Wuth der Eifersucht oder des gekränkten Ehrgefühls unternimmt, unzweifelhaft menschlicher, entschuldbarer mindestens, als die scheußliche, hohle Selbstüberhebung jenes unreifen, tief unter der Mittelmäßigkeit stehenden Schwärmers, der nie etwas Rühmliches gethan, nie ein geist- reiches Wort gesprochen, nie eine schwere Versuchung bestanden hatte und gleichwohl sich zum Sittenrichter aufwarf über seine Zeit und die Ver- derbniß der Welt durch eine rohe Verletzung der einfachsten sittlichen Gesetze zu heilen unternahm. Das Einzige, was uns den Abscheu mildern kann, ist das Mitleid mit dem verblendeten Thoren, der in seinem leeren Kopfe nicht die Waffen fand, um den Irrlehren einer verbrecherischen Doktrin zu widerstehen. Den weiblichen Geist beherrscht das Gefühl, den Geist des Mannes der Verstand; eine unbedeutende Frau kann durch den Adel und die Tiefe ihrer Empfindung das Entzücken ihrer Umgebung werden, ein Mann ohne Verstand vermag auch nicht fein und sicher zu empfinden. Nur darum konnte der Unglückliche in gutem Glauben den Namen Gottes bei seiner Unthat anrufen, weil sein armes Hirn nicht einzusehen ver- mochte, daß der harte Hochmuth seiner sittlichen Weltanschauung das genaue Gegentheil christlicher Liebe und Demuth war.
Die Zeitgenossen urtheilten anders. Die Massen des Volkes freilich, denen die Ideale der teutonischen Jugend immer fremd blieben, verhielten sich gleichgiltig. In jenen gebildeten Kreisen aber, die sich als die Träger der öffentlichen Meinung fühlten, herrschte eine Unsicherheit des sittlichen Urtheils, die zu den traurigsten Verirrungen unserer neuen Geschichte zählt. Nicht blos die akademische Jugend begrüßte Sands That als "ein Zeichen dessen, was kommen wird und kommen muß". Selbst reife Männer verglichen den Mörder mit Tell, mit Brutus, mit Scävola. Während die französische Presse verwundert fragte, wie unter den gewissenhaften Deutschen eine solche Banditenthat möglich geworden sei, citirten deutsche Gelehrte das alte Griechenlied:
Verbirg den Dolch, der dem Tyrannen droht, Im Myrthenkranze wie Harmodios --
Mordanfall auf Ibell.
leicht verwundet, ſeine tapfere Frau und andere Herbeieilende retteten ihm das Leben; aber der jähe Schreck erſchütterte den kräftigen Mann der- maßen, daß er bald darauf den Abſchied nehmen mußte und erſt nach Jahren in den ſtaatsmänniſchen Beruf zurückkehren konnte. Der Mörder zeigte im Gefängniß dieſelbe dämoniſche Kraft der Selbſtbeherrſchung wie Sand; um ſeine Genoſſen zu ſichern gab er ſich ſelbſt den Tod auf die gräßlichſte Weiſe, durch verſchluckte Glasſcherben. —
Unheimlicher noch als die beiden Blutthaten ſelber war der Eindruck, den ſie in der Nation zurückließen. Zwar von Löning ſprach man ſelten, da Ibell außerhalb Naſſaus wenig bekannt war; den Mörder Kotzebues aber umſtrahlte ein Glorienſchein. Uns Nachlebenden, die wir unbefangen zurückſchauen, erſcheint ein Mord, den ein heißblütiger Jüngling etwa in der Wuth der Eiferſucht oder des gekränkten Ehrgefühls unternimmt, unzweifelhaft menſchlicher, entſchuldbarer mindeſtens, als die ſcheußliche, hohle Selbſtüberhebung jenes unreifen, tief unter der Mittelmäßigkeit ſtehenden Schwärmers, der nie etwas Rühmliches gethan, nie ein geiſt- reiches Wort geſprochen, nie eine ſchwere Verſuchung beſtanden hatte und gleichwohl ſich zum Sittenrichter aufwarf über ſeine Zeit und die Ver- derbniß der Welt durch eine rohe Verletzung der einfachſten ſittlichen Geſetze zu heilen unternahm. Das Einzige, was uns den Abſcheu mildern kann, iſt das Mitleid mit dem verblendeten Thoren, der in ſeinem leeren Kopfe nicht die Waffen fand, um den Irrlehren einer verbrecheriſchen Doktrin zu widerſtehen. Den weiblichen Geiſt beherrſcht das Gefühl, den Geiſt des Mannes der Verſtand; eine unbedeutende Frau kann durch den Adel und die Tiefe ihrer Empfindung das Entzücken ihrer Umgebung werden, ein Mann ohne Verſtand vermag auch nicht fein und ſicher zu empfinden. Nur darum konnte der Unglückliche in gutem Glauben den Namen Gottes bei ſeiner Unthat anrufen, weil ſein armes Hirn nicht einzuſehen ver- mochte, daß der harte Hochmuth ſeiner ſittlichen Weltanſchauung das genaue Gegentheil chriſtlicher Liebe und Demuth war.
Die Zeitgenoſſen urtheilten anders. Die Maſſen des Volkes freilich, denen die Ideale der teutoniſchen Jugend immer fremd blieben, verhielten ſich gleichgiltig. In jenen gebildeten Kreiſen aber, die ſich als die Träger der öffentlichen Meinung fühlten, herrſchte eine Unſicherheit des ſittlichen Urtheils, die zu den traurigſten Verirrungen unſerer neuen Geſchichte zählt. Nicht blos die akademiſche Jugend begrüßte Sands That als „ein Zeichen deſſen, was kommen wird und kommen muß“. Selbſt reife Männer verglichen den Mörder mit Tell, mit Brutus, mit Scävola. Während die franzöſiſche Preſſe verwundert fragte, wie unter den gewiſſenhaften Deutſchen eine ſolche Banditenthat möglich geworden ſei, citirten deutſche Gelehrte das alte Griechenlied:
Verbirg den Dolch, der dem Tyrannen droht, Im Myrthenkranze wie Harmodios —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0539"n="525"/><fwplace="top"type="header">Mordanfall auf Ibell.</fw><lb/>
leicht verwundet, ſeine tapfere Frau und andere Herbeieilende retteten ihm<lb/>
das Leben; aber der jähe Schreck erſchütterte den kräftigen Mann der-<lb/>
maßen, daß er bald darauf den Abſchied nehmen mußte und erſt nach<lb/>
Jahren in den ſtaatsmänniſchen Beruf zurückkehren konnte. Der Mörder<lb/>
zeigte im Gefängniß dieſelbe dämoniſche Kraft der Selbſtbeherrſchung wie<lb/>
Sand; um ſeine Genoſſen zu ſichern gab er ſich ſelbſt den Tod auf die<lb/>
gräßlichſte Weiſe, durch verſchluckte Glasſcherben. —</p><lb/><p>Unheimlicher noch als die beiden Blutthaten ſelber war der Eindruck,<lb/>
den ſie in der Nation zurückließen. Zwar von Löning ſprach man ſelten,<lb/>
da Ibell außerhalb Naſſaus wenig bekannt war; den Mörder Kotzebues<lb/>
aber umſtrahlte ein Glorienſchein. Uns Nachlebenden, die wir unbefangen<lb/>
zurückſchauen, erſcheint ein Mord, den ein heißblütiger Jüngling etwa in<lb/>
der Wuth der Eiferſucht oder des gekränkten Ehrgefühls unternimmt,<lb/>
unzweifelhaft menſchlicher, entſchuldbarer mindeſtens, als die ſcheußliche,<lb/>
hohle Selbſtüberhebung jenes unreifen, tief unter der Mittelmäßigkeit<lb/>ſtehenden Schwärmers, der nie etwas Rühmliches gethan, nie ein geiſt-<lb/>
reiches Wort geſprochen, nie eine ſchwere Verſuchung beſtanden hatte und<lb/>
gleichwohl ſich zum Sittenrichter aufwarf über ſeine Zeit und die Ver-<lb/>
derbniß der Welt durch eine rohe Verletzung der einfachſten ſittlichen Geſetze<lb/>
zu heilen unternahm. Das Einzige, was uns den Abſcheu mildern kann,<lb/>
iſt das Mitleid mit dem verblendeten Thoren, der in ſeinem leeren Kopfe<lb/>
nicht die Waffen fand, um den Irrlehren einer verbrecheriſchen Doktrin<lb/>
zu widerſtehen. Den weiblichen Geiſt beherrſcht das Gefühl, den Geiſt<lb/>
des Mannes der Verſtand; eine unbedeutende Frau kann durch den Adel<lb/>
und die Tiefe ihrer Empfindung das Entzücken ihrer Umgebung werden,<lb/>
ein Mann ohne Verſtand vermag auch nicht fein und ſicher zu empfinden.<lb/>
Nur darum konnte der Unglückliche in gutem Glauben den Namen Gottes<lb/>
bei ſeiner Unthat anrufen, weil ſein armes Hirn nicht einzuſehen ver-<lb/>
mochte, daß der harte Hochmuth ſeiner ſittlichen Weltanſchauung das<lb/>
genaue Gegentheil chriſtlicher Liebe und Demuth war.</p><lb/><p>Die Zeitgenoſſen urtheilten anders. Die Maſſen des Volkes freilich,<lb/>
denen die Ideale der teutoniſchen Jugend immer fremd blieben, verhielten<lb/>ſich gleichgiltig. In jenen gebildeten Kreiſen aber, die ſich als die Träger<lb/>
der öffentlichen Meinung fühlten, herrſchte eine Unſicherheit des ſittlichen<lb/>
Urtheils, die zu den traurigſten Verirrungen unſerer neuen Geſchichte<lb/>
zählt. Nicht blos die akademiſche Jugend begrüßte Sands That als „ein<lb/>
Zeichen deſſen, was kommen wird und kommen muß“. Selbſt reife Männer<lb/>
verglichen den Mörder mit Tell, mit Brutus, mit Scävola. Während<lb/>
die franzöſiſche Preſſe verwundert fragte, wie unter den gewiſſenhaften<lb/>
Deutſchen eine ſolche Banditenthat möglich geworden ſei, citirten deutſche<lb/>
Gelehrte das alte Griechenlied:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Verbirg den Dolch, der dem Tyrannen droht,</l><lb/><l>Im Myrthenkranze wie Harmodios —</l></lg><lb/></div></div></body></text></TEI>
[525/0539]
Mordanfall auf Ibell.
leicht verwundet, ſeine tapfere Frau und andere Herbeieilende retteten ihm
das Leben; aber der jähe Schreck erſchütterte den kräftigen Mann der-
maßen, daß er bald darauf den Abſchied nehmen mußte und erſt nach
Jahren in den ſtaatsmänniſchen Beruf zurückkehren konnte. Der Mörder
zeigte im Gefängniß dieſelbe dämoniſche Kraft der Selbſtbeherrſchung wie
Sand; um ſeine Genoſſen zu ſichern gab er ſich ſelbſt den Tod auf die
gräßlichſte Weiſe, durch verſchluckte Glasſcherben. —
Unheimlicher noch als die beiden Blutthaten ſelber war der Eindruck,
den ſie in der Nation zurückließen. Zwar von Löning ſprach man ſelten,
da Ibell außerhalb Naſſaus wenig bekannt war; den Mörder Kotzebues
aber umſtrahlte ein Glorienſchein. Uns Nachlebenden, die wir unbefangen
zurückſchauen, erſcheint ein Mord, den ein heißblütiger Jüngling etwa in
der Wuth der Eiferſucht oder des gekränkten Ehrgefühls unternimmt,
unzweifelhaft menſchlicher, entſchuldbarer mindeſtens, als die ſcheußliche,
hohle Selbſtüberhebung jenes unreifen, tief unter der Mittelmäßigkeit
ſtehenden Schwärmers, der nie etwas Rühmliches gethan, nie ein geiſt-
reiches Wort geſprochen, nie eine ſchwere Verſuchung beſtanden hatte und
gleichwohl ſich zum Sittenrichter aufwarf über ſeine Zeit und die Ver-
derbniß der Welt durch eine rohe Verletzung der einfachſten ſittlichen Geſetze
zu heilen unternahm. Das Einzige, was uns den Abſcheu mildern kann,
iſt das Mitleid mit dem verblendeten Thoren, der in ſeinem leeren Kopfe
nicht die Waffen fand, um den Irrlehren einer verbrecheriſchen Doktrin
zu widerſtehen. Den weiblichen Geiſt beherrſcht das Gefühl, den Geiſt
des Mannes der Verſtand; eine unbedeutende Frau kann durch den Adel
und die Tiefe ihrer Empfindung das Entzücken ihrer Umgebung werden,
ein Mann ohne Verſtand vermag auch nicht fein und ſicher zu empfinden.
Nur darum konnte der Unglückliche in gutem Glauben den Namen Gottes
bei ſeiner Unthat anrufen, weil ſein armes Hirn nicht einzuſehen ver-
mochte, daß der harte Hochmuth ſeiner ſittlichen Weltanſchauung das
genaue Gegentheil chriſtlicher Liebe und Demuth war.
Die Zeitgenoſſen urtheilten anders. Die Maſſen des Volkes freilich,
denen die Ideale der teutoniſchen Jugend immer fremd blieben, verhielten
ſich gleichgiltig. In jenen gebildeten Kreiſen aber, die ſich als die Träger
der öffentlichen Meinung fühlten, herrſchte eine Unſicherheit des ſittlichen
Urtheils, die zu den traurigſten Verirrungen unſerer neuen Geſchichte
zählt. Nicht blos die akademiſche Jugend begrüßte Sands That als „ein
Zeichen deſſen, was kommen wird und kommen muß“. Selbſt reife Männer
verglichen den Mörder mit Tell, mit Brutus, mit Scävola. Während
die franzöſiſche Preſſe verwundert fragte, wie unter den gewiſſenhaften
Deutſchen eine ſolche Banditenthat möglich geworden ſei, citirten deutſche
Gelehrte das alte Griechenlied:
Verbirg den Dolch, der dem Tyrannen droht,
Im Myrthenkranze wie Harmodios —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/539>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.