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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
konnte. Ueber den vielen geheimen Verschwörungen, so begann er, über-
sieht man die eine große, die murrend an jedem Heerde sitzt, auf Märkten
und Straßen sich laut ausspricht. Dann folgte ein Schauergemälde der
neuen deutschen Geschichte: seit drei Jahrhunderten Alles nur ein Welken,
eine Dürre; das Ganze ruht, nachdem Liebe und Vertrauen gestorben
sind, einzig auf dem Instinkt des Gehorsams. Von bestimmten Gründen
des deutschen Elends wußte er freilich nur zwei anzugeben: die Vernich-
tung des alten Kaiserthums der Habsburger und die stehenden Heere,
diese Müßiggänger, die den Staat im Frieden aussaugen, im Kriege ihn
unvertheidigt lassen. Wer schärfer hinsah, konnte leicht erkennen, daß
der phantastische Mann, der sich auch diesmal wieder als Wortführer der
preußischen Rheinlande gebärdete, schon im Begriffe stand mit Sack
und Pack in das ultramontane Heer einzutreten. Unter den wenigen
erfreulichen Zeichen der Zeit pries er vor Allem das bairische Concordat,
das nur den einen Fehler habe, dem Staate noch allzu große Rechte zu-
zugestehen. Daher urtheilten Gentz und Adam Müller sehr freundlich
über das wunderliche Buch. Für die preußische Rheinprovinz aber war
Niemand gefährlicher als ein demagogischer Kapuziner, und König Friedrich
Wilhelm wußte wohl, warum er diese Schrift als einen Versuch, die
Rheinländer gegen den preußischen Staat aufzuwiegeln betrachtete.

Während also eine unklare, ziellose, ingrimmige Erbitterung in den
gebildeten Klassen sich zeigte, geriethen im Verlaufe des Sommers mit
einem male auch die Massen in Unruhe. Der alte Rassenhaß wider die
Juden und der Groll über die schweren Wuchersünden der jüngsten Jahre
brachen furchtbar aus; in Würzburg, in Karlsruhe, Heidelberg, Darm-
stadt, Frankfurt rottete sich der Pöbel zusammen, stürmte einzelne jüdische
Häuser, mißhandelte die Bewohner. Weithin durch die germanische Welt,
bis nach Kopenhagen und Amsterdam hinauf pflanzte sich die Bewegung
fort. Es schien, als ob der alte Volksaberglaube Recht behielte und der
große Komet, der in diesem heißen Sommer leuchtend am Himmel stand,
Unheil und Verwirrung über die Welt brächte. Da und dort haben sich
wohl einzelne teutonische Burschen an dem Unfug betheiligt, und der
Spottruf Hephep, der damals zuerst erklang, scheint in gelehrten Kreisen
entstanden zu sein (er sollte bedeuten: Hierosolyma est perdita). Gleich-
wohl ist ein Zusammenhang zwischen den christlich-germanischen Träumen
der Burschenschaft und jenen wüsten Ausbrüchen einer lange verhaltenen
Volksleidenschaft weder nachweisbar noch wahrscheinlich; die politischen
Ideen der akademischen Jugend blieben den Massen unverständlich, in
Heidelberg schaarten sich sogar die Studenten unter Thibauts Führung
zusammen, um die Juden mit Lebensgefahr gegen den wüthenden Pöbel
zu vertheidigen. Die Regierungen aber, erschreckt wie sie waren, sahen
in diesen Tumulten nur einen neuen Beweis für die geheime Wirksam-
keit einer revolutionären Partei. In höchster Angst befahl Metternich dem

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
konnte. Ueber den vielen geheimen Verſchwörungen, ſo begann er, über-
ſieht man die eine große, die murrend an jedem Heerde ſitzt, auf Märkten
und Straßen ſich laut ausſpricht. Dann folgte ein Schauergemälde der
neuen deutſchen Geſchichte: ſeit drei Jahrhunderten Alles nur ein Welken,
eine Dürre; das Ganze ruht, nachdem Liebe und Vertrauen geſtorben
ſind, einzig auf dem Inſtinkt des Gehorſams. Von beſtimmten Gründen
des deutſchen Elends wußte er freilich nur zwei anzugeben: die Vernich-
tung des alten Kaiſerthums der Habsburger und die ſtehenden Heere,
dieſe Müßiggänger, die den Staat im Frieden ausſaugen, im Kriege ihn
unvertheidigt laſſen. Wer ſchärfer hinſah, konnte leicht erkennen, daß
der phantaſtiſche Mann, der ſich auch diesmal wieder als Wortführer der
preußiſchen Rheinlande gebärdete, ſchon im Begriffe ſtand mit Sack
und Pack in das ultramontane Heer einzutreten. Unter den wenigen
erfreulichen Zeichen der Zeit pries er vor Allem das bairiſche Concordat,
das nur den einen Fehler habe, dem Staate noch allzu große Rechte zu-
zugeſtehen. Daher urtheilten Gentz und Adam Müller ſehr freundlich
über das wunderliche Buch. Für die preußiſche Rheinprovinz aber war
Niemand gefährlicher als ein demagogiſcher Kapuziner, und König Friedrich
Wilhelm wußte wohl, warum er dieſe Schrift als einen Verſuch, die
Rheinländer gegen den preußiſchen Staat aufzuwiegeln betrachtete.

Während alſo eine unklare, zielloſe, ingrimmige Erbitterung in den
gebildeten Klaſſen ſich zeigte, geriethen im Verlaufe des Sommers mit
einem male auch die Maſſen in Unruhe. Der alte Raſſenhaß wider die
Juden und der Groll über die ſchweren Wucherſünden der jüngſten Jahre
brachen furchtbar aus; in Würzburg, in Karlsruhe, Heidelberg, Darm-
ſtadt, Frankfurt rottete ſich der Pöbel zuſammen, ſtürmte einzelne jüdiſche
Häuſer, mißhandelte die Bewohner. Weithin durch die germaniſche Welt,
bis nach Kopenhagen und Amſterdam hinauf pflanzte ſich die Bewegung
fort. Es ſchien, als ob der alte Volksaberglaube Recht behielte und der
große Komet, der in dieſem heißen Sommer leuchtend am Himmel ſtand,
Unheil und Verwirrung über die Welt brächte. Da und dort haben ſich
wohl einzelne teutoniſche Burſchen an dem Unfug betheiligt, und der
Spottruf Hephep, der damals zuerſt erklang, ſcheint in gelehrten Kreiſen
entſtanden zu ſein (er ſollte bedeuten: Hierosolyma est perdita). Gleich-
wohl iſt ein Zuſammenhang zwiſchen den chriſtlich-germaniſchen Träumen
der Burſchenſchaft und jenen wüſten Ausbrüchen einer lange verhaltenen
Volksleidenſchaft weder nachweisbar noch wahrſcheinlich; die politiſchen
Ideen der akademiſchen Jugend blieben den Maſſen unverſtändlich, in
Heidelberg ſchaarten ſich ſogar die Studenten unter Thibauts Führung
zuſammen, um die Juden mit Lebensgefahr gegen den wüthenden Pöbel
zu vertheidigen. Die Regierungen aber, erſchreckt wie ſie waren, ſahen
in dieſen Tumulten nur einen neuen Beweis für die geheime Wirkſam-
keit einer revolutionären Partei. In höchſter Angſt befahl Metternich dem

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[528/0542] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. konnte. Ueber den vielen geheimen Verſchwörungen, ſo begann er, über- ſieht man die eine große, die murrend an jedem Heerde ſitzt, auf Märkten und Straßen ſich laut ausſpricht. Dann folgte ein Schauergemälde der neuen deutſchen Geſchichte: ſeit drei Jahrhunderten Alles nur ein Welken, eine Dürre; das Ganze ruht, nachdem Liebe und Vertrauen geſtorben ſind, einzig auf dem Inſtinkt des Gehorſams. Von beſtimmten Gründen des deutſchen Elends wußte er freilich nur zwei anzugeben: die Vernich- tung des alten Kaiſerthums der Habsburger und die ſtehenden Heere, dieſe Müßiggänger, die den Staat im Frieden ausſaugen, im Kriege ihn unvertheidigt laſſen. Wer ſchärfer hinſah, konnte leicht erkennen, daß der phantaſtiſche Mann, der ſich auch diesmal wieder als Wortführer der preußiſchen Rheinlande gebärdete, ſchon im Begriffe ſtand mit Sack und Pack in das ultramontane Heer einzutreten. Unter den wenigen erfreulichen Zeichen der Zeit pries er vor Allem das bairiſche Concordat, das nur den einen Fehler habe, dem Staate noch allzu große Rechte zu- zugeſtehen. Daher urtheilten Gentz und Adam Müller ſehr freundlich über das wunderliche Buch. Für die preußiſche Rheinprovinz aber war Niemand gefährlicher als ein demagogiſcher Kapuziner, und König Friedrich Wilhelm wußte wohl, warum er dieſe Schrift als einen Verſuch, die Rheinländer gegen den preußiſchen Staat aufzuwiegeln betrachtete. Während alſo eine unklare, zielloſe, ingrimmige Erbitterung in den gebildeten Klaſſen ſich zeigte, geriethen im Verlaufe des Sommers mit einem male auch die Maſſen in Unruhe. Der alte Raſſenhaß wider die Juden und der Groll über die ſchweren Wucherſünden der jüngſten Jahre brachen furchtbar aus; in Würzburg, in Karlsruhe, Heidelberg, Darm- ſtadt, Frankfurt rottete ſich der Pöbel zuſammen, ſtürmte einzelne jüdiſche Häuſer, mißhandelte die Bewohner. Weithin durch die germaniſche Welt, bis nach Kopenhagen und Amſterdam hinauf pflanzte ſich die Bewegung fort. Es ſchien, als ob der alte Volksaberglaube Recht behielte und der große Komet, der in dieſem heißen Sommer leuchtend am Himmel ſtand, Unheil und Verwirrung über die Welt brächte. Da und dort haben ſich wohl einzelne teutoniſche Burſchen an dem Unfug betheiligt, und der Spottruf Hephep, der damals zuerſt erklang, ſcheint in gelehrten Kreiſen entſtanden zu ſein (er ſollte bedeuten: Hierosolyma est perdita). Gleich- wohl iſt ein Zuſammenhang zwiſchen den chriſtlich-germaniſchen Träumen der Burſchenſchaft und jenen wüſten Ausbrüchen einer lange verhaltenen Volksleidenſchaft weder nachweisbar noch wahrſcheinlich; die politiſchen Ideen der akademiſchen Jugend blieben den Maſſen unverſtändlich, in Heidelberg ſchaarten ſich ſogar die Studenten unter Thibauts Führung zuſammen, um die Juden mit Lebensgefahr gegen den wüthenden Pöbel zu vertheidigen. Die Regierungen aber, erſchreckt wie ſie waren, ſahen in dieſen Tumulten nur einen neuen Beweis für die geheime Wirkſam- keit einer revolutionären Partei. In höchſter Angſt befahl Metternich dem

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/542>, abgerufen am 22.11.2024.