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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
keineswegs unwillkommen. Aber andererseits wollte er doch den Namen
des liberalsten deutschen Fürsten nicht verlieren und sein Verfassungswerk
als souveräner Herr, unbelästigt durch den Bund, zu Stande bringen.

Seit zwei Jahren befand er sich wohl bei einem Doppelspiele, das
seiner ränkesüchtigen Natur allmählich zum Bedürfniß wurde. Er gewährte
seiner Presse volle Freiheit gegen den Bund und die Großmächte, nur
wider ihn selber durfte sie nichts sagen. Er ließ in Frankfurt durch
Wangenheim, den begeisterten Verehrer des Bundesrechts, die Gedanken
des liberalen Foederalismus vertreten, und wenn es der Heißsporn zu
arg trieb, dann mußte Wintzingerode, der seinerseits die Bundesakte
für "eine widersinnige Conception" hielt, ihn bei der Hofburg entschuldigen
und die hochconservativen Ansichten des Königs betheuern. Wie erfolg-
reich ließ sich diese machiavellistische Politik jetzt fortführen, wenn man
gleichzeitig mit den Karlsbader Conferenzen die Verfassungsberathungen
von Neuem aufnahm. Dann konnten die Landstände durch die Angst vor
den Karlsbader Beschlüssen nachgiebig gestimmt werden; und wenn in
Karlsbad ein Vorschlag auftauchte, der den Interessen des Stuttgarter
Hofes zuwiderlief, so mochte sich der württembergische Bevollmächtigte hinter
den Landtag verschanzen und wehmüthig versichern, dergleichen sei bei den
hartköpfigen Schwaben nicht durchzusetzen. So wurde zugleich der Trotz
der Altrechtler gebrochen und dem Könige sein liberaler Ruf gerettet.

Nicht ohne Geschick ward diese politische Falle eingerichtet. Am
10. Juni überraschte der König sein Land durch die Ausschreibung neuer
Wahlen, am 13. Juli trat der Landtag in Ludwigsburg zusammen.
Welch ein Umschlag der Stimmungen seit zwei Jahren! Die im Ganzen
wohlthätige Wirksamkeit der königlichen Dictatur hatte manchen hitzigen
Altrechtler versöhnt, das Mißtrauen gegen die Krone gemildert. Die Thor-
heit des verstockten Widerstandes der alten Stände war jetzt Vielen klar
geworden; Alle aber beherrschte, wie der Abgeordnete Schott offen aus-
sprach, die Furcht vor den drohenden Karlsbader Beschlüssen, die so leicht
"das kostbarste Recht des Landes, den freien Vertrag gefährden könnten."
Auf diesen Eckstein schwäbischer Freiheit beschränkten sich jetzt die Hoff-
nungen der Ernüchterten; wenn nur die neue Ordnung vertragsmäßig
zu Stande kam, so war man bereit im Einzelnen nachzugeben. Ohne
einen vereinbarten Grundvertrag konnten sich die Alt-Württemberger, die
so lange unter dem Schutze des Tübinger Vertrags und des Erbver-
gleichs gelebt, die politische Freiheit nicht vorstellen; recht nach dem Herzen
seiner Landsleute hatte Schiller gesungen:

Und über jedem Hause, jedem Thron
Schwebt der Vertrag wie eine Chernbswache.

Mehrere Führer der alten Opposition, Waldeck, Massenbach, Bolley,
erschienen in dem neuen Landtage nicht wieder; andere, wie der welt-
kluge Weishaar hatten sich inzwischen der Regierung angeschlossen. Um

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
keineswegs unwillkommen. Aber andererſeits wollte er doch den Namen
des liberalſten deutſchen Fürſten nicht verlieren und ſein Verfaſſungswerk
als ſouveräner Herr, unbeläſtigt durch den Bund, zu Stande bringen.

Seit zwei Jahren befand er ſich wohl bei einem Doppelſpiele, das
ſeiner ränkeſüchtigen Natur allmählich zum Bedürfniß wurde. Er gewährte
ſeiner Preſſe volle Freiheit gegen den Bund und die Großmächte, nur
wider ihn ſelber durfte ſie nichts ſagen. Er ließ in Frankfurt durch
Wangenheim, den begeiſterten Verehrer des Bundesrechts, die Gedanken
des liberalen Foederalismus vertreten, und wenn es der Heißſporn zu
arg trieb, dann mußte Wintzingerode, der ſeinerſeits die Bundesakte
für „eine widerſinnige Conception“ hielt, ihn bei der Hofburg entſchuldigen
und die hochconſervativen Anſichten des Königs betheuern. Wie erfolg-
reich ließ ſich dieſe machiavelliſtiſche Politik jetzt fortführen, wenn man
gleichzeitig mit den Karlsbader Conferenzen die Verfaſſungsberathungen
von Neuem aufnahm. Dann konnten die Landſtände durch die Angſt vor
den Karlsbader Beſchlüſſen nachgiebig geſtimmt werden; und wenn in
Karlsbad ein Vorſchlag auftauchte, der den Intereſſen des Stuttgarter
Hofes zuwiderlief, ſo mochte ſich der württembergiſche Bevollmächtigte hinter
den Landtag verſchanzen und wehmüthig verſichern, dergleichen ſei bei den
hartköpfigen Schwaben nicht durchzuſetzen. So wurde zugleich der Trotz
der Altrechtler gebrochen und dem Könige ſein liberaler Ruf gerettet.

Nicht ohne Geſchick ward dieſe politiſche Falle eingerichtet. Am
10. Juni überraſchte der König ſein Land durch die Ausſchreibung neuer
Wahlen, am 13. Juli trat der Landtag in Ludwigsburg zuſammen.
Welch ein Umſchlag der Stimmungen ſeit zwei Jahren! Die im Ganzen
wohlthätige Wirkſamkeit der königlichen Dictatur hatte manchen hitzigen
Altrechtler verſöhnt, das Mißtrauen gegen die Krone gemildert. Die Thor-
heit des verſtockten Widerſtandes der alten Stände war jetzt Vielen klar
geworden; Alle aber beherrſchte, wie der Abgeordnete Schott offen aus-
ſprach, die Furcht vor den drohenden Karlsbader Beſchlüſſen, die ſo leicht
„das koſtbarſte Recht des Landes, den freien Vertrag gefährden könnten.“
Auf dieſen Eckſtein ſchwäbiſcher Freiheit beſchränkten ſich jetzt die Hoff-
nungen der Ernüchterten; wenn nur die neue Ordnung vertragsmäßig
zu Stande kam, ſo war man bereit im Einzelnen nachzugeben. Ohne
einen vereinbarten Grundvertrag konnten ſich die Alt-Württemberger, die
ſo lange unter dem Schutze des Tübinger Vertrags und des Erbver-
gleichs gelebt, die politiſche Freiheit nicht vorſtellen; recht nach dem Herzen
ſeiner Landsleute hatte Schiller geſungen:

Und über jedem Hauſe, jedem Thron
Schwebt der Vertrag wie eine Chernbswache.

Mehrere Führer der alten Oppoſition, Waldeck, Maſſenbach, Bolley,
erſchienen in dem neuen Landtage nicht wieder; andere, wie der welt-
kluge Weishaar hatten ſich inzwiſchen der Regierung angeſchloſſen. Um

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[546/0560] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. keineswegs unwillkommen. Aber andererſeits wollte er doch den Namen des liberalſten deutſchen Fürſten nicht verlieren und ſein Verfaſſungswerk als ſouveräner Herr, unbeläſtigt durch den Bund, zu Stande bringen. Seit zwei Jahren befand er ſich wohl bei einem Doppelſpiele, das ſeiner ränkeſüchtigen Natur allmählich zum Bedürfniß wurde. Er gewährte ſeiner Preſſe volle Freiheit gegen den Bund und die Großmächte, nur wider ihn ſelber durfte ſie nichts ſagen. Er ließ in Frankfurt durch Wangenheim, den begeiſterten Verehrer des Bundesrechts, die Gedanken des liberalen Foederalismus vertreten, und wenn es der Heißſporn zu arg trieb, dann mußte Wintzingerode, der ſeinerſeits die Bundesakte für „eine widerſinnige Conception“ hielt, ihn bei der Hofburg entſchuldigen und die hochconſervativen Anſichten des Königs betheuern. Wie erfolg- reich ließ ſich dieſe machiavelliſtiſche Politik jetzt fortführen, wenn man gleichzeitig mit den Karlsbader Conferenzen die Verfaſſungsberathungen von Neuem aufnahm. Dann konnten die Landſtände durch die Angſt vor den Karlsbader Beſchlüſſen nachgiebig geſtimmt werden; und wenn in Karlsbad ein Vorſchlag auftauchte, der den Intereſſen des Stuttgarter Hofes zuwiderlief, ſo mochte ſich der württembergiſche Bevollmächtigte hinter den Landtag verſchanzen und wehmüthig verſichern, dergleichen ſei bei den hartköpfigen Schwaben nicht durchzuſetzen. So wurde zugleich der Trotz der Altrechtler gebrochen und dem Könige ſein liberaler Ruf gerettet. Nicht ohne Geſchick ward dieſe politiſche Falle eingerichtet. Am 10. Juni überraſchte der König ſein Land durch die Ausſchreibung neuer Wahlen, am 13. Juli trat der Landtag in Ludwigsburg zuſammen. Welch ein Umſchlag der Stimmungen ſeit zwei Jahren! Die im Ganzen wohlthätige Wirkſamkeit der königlichen Dictatur hatte manchen hitzigen Altrechtler verſöhnt, das Mißtrauen gegen die Krone gemildert. Die Thor- heit des verſtockten Widerſtandes der alten Stände war jetzt Vielen klar geworden; Alle aber beherrſchte, wie der Abgeordnete Schott offen aus- ſprach, die Furcht vor den drohenden Karlsbader Beſchlüſſen, die ſo leicht „das koſtbarſte Recht des Landes, den freien Vertrag gefährden könnten.“ Auf dieſen Eckſtein ſchwäbiſcher Freiheit beſchränkten ſich jetzt die Hoff- nungen der Ernüchterten; wenn nur die neue Ordnung vertragsmäßig zu Stande kam, ſo war man bereit im Einzelnen nachzugeben. Ohne einen vereinbarten Grundvertrag konnten ſich die Alt-Württemberger, die ſo lange unter dem Schutze des Tübinger Vertrags und des Erbver- gleichs gelebt, die politiſche Freiheit nicht vorſtellen; recht nach dem Herzen ſeiner Landsleute hatte Schiller geſungen: Und über jedem Hauſe, jedem Thron Schwebt der Vertrag wie eine Chernbswache. Mehrere Führer der alten Oppoſition, Waldeck, Maſſenbach, Bolley, erſchienen in dem neuen Landtage nicht wieder; andere, wie der welt- kluge Weishaar hatten ſich inzwiſchen der Regierung angeſchloſſen. Um

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/560>, abgerufen am 22.11.2024.