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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
brachter Arbeit, aber immer scheint es ein Großes zu sein, daß die deut-
schen Fürsten dahin gelangt sind in dem Sturme der Zeit ihre Grund-
sätze und Absichten offen, bestimmt und einmüthig auszusprechen."*) Das
Gefühl der Befriedigung war um so stärker, da die deutschen Staats-
männer ganz unter sich blieben und keine auswärtige Macht auch nur
versuchte einen Einfluß auf die Karlsbader Verhandlungen zu gewinnen.
Noch ließ sich's Niemand träumen, daß dies schöne Schauspiel nationaler
Selbständigkeit und Eintracht nichts anderes war als die Unterwerfung
der deutschen Nation unter die Fremdherrschaft Oesterreichs.

Dafür war freilich in der Mannichfaltigkeit des deutschen Lebens
gesorgt, daß jedes Gewicht irgendwo ein Gegengewicht finden und selbst dieser
glänzende Triumph des Hauses Oesterreich durch einen kleinen Mißerfolg
erkauft werden mußte. Die beiden Großmächte waren übereingekommen,
der Karlsbader Versammlung zunächst nur drei Gegenstände aus dem
Programme der Teplitzer Punktation zu sofortiger Beschließung vorzulegen:
es sollten die Nothgesetze wider die Presse, die Universitäten, die Dema-
gogen alsbald vereinbart, dagegen die anderen Maßregeln zur Verstär-
kung der Bundesgewalt, und namentlich die Auslegung des Art. 13 bis
zu den Minister-Conferenzen des nächsten Herbstes verschoben werden. In
diesem Sinne sprach sich Metternich aus, als er am 6. August die erste
der dreiundzwanzig Conferenzen, welche fortan bis zum 13. August fast
allabendlich gehalten wurden, mit einer langen Rede eröffnete; er legte
der Versammlung zugleich eine Punktation vor, welche mehrere Sätze
der Teplitzer Verabredung wörtlich wiederholte, aber Alles, was sich auf
die beiden Großmächte allein bezog, wohlweislich verschwieg. Alle An-
wesenden erklärten mit lebhaftem Dank ihre Zustimmung; nur Wintzin-
gerode beantragte, auch die Auslegung des Art. 13 unter die dringenden
Gegenstände der Berathung aufzunehmen. Sein König war gern bereit,
eine von Bundeswegen festzustellende "Grenzlinie" für die Rechte der
Landtage, wie er sie früher selbst in Frankfurt beantragt, auch jetzt noch
anzunehmen und also die Ansprüche seines Ludwigsburger Landtags herab-
zustimmen; nur sollte diese Grenzlinie den besonderen Interessen Würt-
tembergs entsprechen.

Mit Freuden ging Metternich auf diesen unerwarteten Antrag ein.
Er faßte die Hoffnung, wie er seinem preußischen Freunde gestand, "wo-
möglich der Abschließung eines übereilten Vertrages zwischen dem König
von Württemberg und den Ständen seines Landes vorzubeugen," und ent-
wickelte ausführlich die neue österreichische Doctrin, wonach der Art. 13
nur Stände, nicht Repräsentativverfassungen erlauben sollte; eigne sich
der Bund diese allein richtige Auslegung förmlich an, dann seien auch
Baiern und Baden verpflichtet, ihre Verfassungen im ständischen Sinne

*) Bernstorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
brachter Arbeit, aber immer ſcheint es ein Großes zu ſein, daß die deut-
ſchen Fürſten dahin gelangt ſind in dem Sturme der Zeit ihre Grund-
ſätze und Abſichten offen, beſtimmt und einmüthig auszuſprechen.“*) Das
Gefühl der Befriedigung war um ſo ſtärker, da die deutſchen Staats-
männer ganz unter ſich blieben und keine auswärtige Macht auch nur
verſuchte einen Einfluß auf die Karlsbader Verhandlungen zu gewinnen.
Noch ließ ſich’s Niemand träumen, daß dies ſchöne Schauſpiel nationaler
Selbſtändigkeit und Eintracht nichts anderes war als die Unterwerfung
der deutſchen Nation unter die Fremdherrſchaft Oeſterreichs.

Dafür war freilich in der Mannichfaltigkeit des deutſchen Lebens
geſorgt, daß jedes Gewicht irgendwo ein Gegengewicht finden und ſelbſt dieſer
glänzende Triumph des Hauſes Oeſterreich durch einen kleinen Mißerfolg
erkauft werden mußte. Die beiden Großmächte waren übereingekommen,
der Karlsbader Verſammlung zunächſt nur drei Gegenſtände aus dem
Programme der Teplitzer Punktation zu ſofortiger Beſchließung vorzulegen:
es ſollten die Nothgeſetze wider die Preſſe, die Univerſitäten, die Dema-
gogen alsbald vereinbart, dagegen die anderen Maßregeln zur Verſtär-
kung der Bundesgewalt, und namentlich die Auslegung des Art. 13 bis
zu den Miniſter-Conferenzen des nächſten Herbſtes verſchoben werden. In
dieſem Sinne ſprach ſich Metternich aus, als er am 6. Auguſt die erſte
der dreiundzwanzig Conferenzen, welche fortan bis zum 13. Auguſt faſt
allabendlich gehalten wurden, mit einer langen Rede eröffnete; er legte
der Verſammlung zugleich eine Punktation vor, welche mehrere Sätze
der Teplitzer Verabredung wörtlich wiederholte, aber Alles, was ſich auf
die beiden Großmächte allein bezog, wohlweislich verſchwieg. Alle An-
weſenden erklärten mit lebhaftem Dank ihre Zuſtimmung; nur Wintzin-
gerode beantragte, auch die Auslegung des Art. 13 unter die dringenden
Gegenſtände der Berathung aufzunehmen. Sein König war gern bereit,
eine von Bundeswegen feſtzuſtellende „Grenzlinie“ für die Rechte der
Landtage, wie er ſie früher ſelbſt in Frankfurt beantragt, auch jetzt noch
anzunehmen und alſo die Anſprüche ſeines Ludwigsburger Landtags herab-
zuſtimmen; nur ſollte dieſe Grenzlinie den beſonderen Intereſſen Würt-
tembergs entſprechen.

Mit Freuden ging Metternich auf dieſen unerwarteten Antrag ein.
Er faßte die Hoffnung, wie er ſeinem preußiſchen Freunde geſtand, „wo-
möglich der Abſchließung eines übereilten Vertrages zwiſchen dem König
von Württemberg und den Ständen ſeines Landes vorzubeugen,“ und ent-
wickelte ausführlich die neue öſterreichiſche Doctrin, wonach der Art. 13
nur Stände, nicht Repräſentativverfaſſungen erlauben ſollte; eigne ſich
der Bund dieſe allein richtige Auslegung förmlich an, dann ſeien auch
Baiern und Baden verpflichtet, ihre Verfaſſungen im ſtändiſchen Sinne

*) Bernſtorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.
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[556/0570] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. brachter Arbeit, aber immer ſcheint es ein Großes zu ſein, daß die deut- ſchen Fürſten dahin gelangt ſind in dem Sturme der Zeit ihre Grund- ſätze und Abſichten offen, beſtimmt und einmüthig auszuſprechen.“ *) Das Gefühl der Befriedigung war um ſo ſtärker, da die deutſchen Staats- männer ganz unter ſich blieben und keine auswärtige Macht auch nur verſuchte einen Einfluß auf die Karlsbader Verhandlungen zu gewinnen. Noch ließ ſich’s Niemand träumen, daß dies ſchöne Schauſpiel nationaler Selbſtändigkeit und Eintracht nichts anderes war als die Unterwerfung der deutſchen Nation unter die Fremdherrſchaft Oeſterreichs. Dafür war freilich in der Mannichfaltigkeit des deutſchen Lebens geſorgt, daß jedes Gewicht irgendwo ein Gegengewicht finden und ſelbſt dieſer glänzende Triumph des Hauſes Oeſterreich durch einen kleinen Mißerfolg erkauft werden mußte. Die beiden Großmächte waren übereingekommen, der Karlsbader Verſammlung zunächſt nur drei Gegenſtände aus dem Programme der Teplitzer Punktation zu ſofortiger Beſchließung vorzulegen: es ſollten die Nothgeſetze wider die Preſſe, die Univerſitäten, die Dema- gogen alsbald vereinbart, dagegen die anderen Maßregeln zur Verſtär- kung der Bundesgewalt, und namentlich die Auslegung des Art. 13 bis zu den Miniſter-Conferenzen des nächſten Herbſtes verſchoben werden. In dieſem Sinne ſprach ſich Metternich aus, als er am 6. Auguſt die erſte der dreiundzwanzig Conferenzen, welche fortan bis zum 13. Auguſt faſt allabendlich gehalten wurden, mit einer langen Rede eröffnete; er legte der Verſammlung zugleich eine Punktation vor, welche mehrere Sätze der Teplitzer Verabredung wörtlich wiederholte, aber Alles, was ſich auf die beiden Großmächte allein bezog, wohlweislich verſchwieg. Alle An- weſenden erklärten mit lebhaftem Dank ihre Zuſtimmung; nur Wintzin- gerode beantragte, auch die Auslegung des Art. 13 unter die dringenden Gegenſtände der Berathung aufzunehmen. Sein König war gern bereit, eine von Bundeswegen feſtzuſtellende „Grenzlinie“ für die Rechte der Landtage, wie er ſie früher ſelbſt in Frankfurt beantragt, auch jetzt noch anzunehmen und alſo die Anſprüche ſeines Ludwigsburger Landtags herab- zuſtimmen; nur ſollte dieſe Grenzlinie den beſonderen Intereſſen Würt- tembergs entſprechen. Mit Freuden ging Metternich auf dieſen unerwarteten Antrag ein. Er faßte die Hoffnung, wie er ſeinem preußiſchen Freunde geſtand, „wo- möglich der Abſchließung eines übereilten Vertrages zwiſchen dem König von Württemberg und den Ständen ſeines Landes vorzubeugen,“ und ent- wickelte ausführlich die neue öſterreichiſche Doctrin, wonach der Art. 13 nur Stände, nicht Repräſentativverfaſſungen erlauben ſollte; eigne ſich der Bund dieſe allein richtige Auslegung förmlich an, dann ſeien auch Baiern und Baden verpflichtet, ihre Verfaſſungen im ſtändiſchen Sinne *) Bernſtorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/570>, abgerufen am 22.11.2024.