müthigkeit aller Bundesglieder" zu sichern. Der würdige alte Herr zeigte sich wenig erfreut über die drohende Beschränkung seiner Souveränität, aber auch er glaubte an die große Demagogengefahr und behielt sich nur vor, bei der Verkündigung der Karlsbader Beschlüsse seinem Lande zu- gleich zu versprechen, daß die Verfassung bis zum 1. Mai 1820 erscheinen solle; die Regierungen, so warnte er, dürfen sich nicht den Anschein geben, als ob sie Anderer Willkür beschränken wollten, nur ihre eigene nicht.*)
Also war Alles für den großen Schlag vorbereitet. Am 14. Sep- tember gab Buol dem Bundestage die erste vertrauliche Mittheilung über die Karlsbader Conferenzen. Am 16. verlas er den ihm von Metternich zugesendeten großen Präsidialvortrag und beantragte sodann die schleunige Annahme der verabredeten Bemerkungen über den Art. 13, sowie der vier Gesetze. Die meisten der Bundesgesandten lernten jetzt zum ersten male den Text der Karlsbader Beschlüsse kennen. Es war die wichtigste und umfangreichste Vorlage, welche dem Bundestage je unterbreitet worden, und für die Erledigung dieser Aufgabe setzte Buol, ohne daß ein Wider- spruch laut ward, eine Frist von vier Tagen, eine Frist, welche bei den Verkehrsverhältnissen jener Zeit nicht einmal zur Einholung der Instruk- tion ausreichte. Am 20. September sollte die Abstimmung stattfinden, während die Geschäftsordnung eine Frist von mindestens vierzehn Tagen verlangte; die große Mehrzahl der deutschen Regierungen war also von dem Wortlaut der Beschlüsse noch gar nicht unterrichtet, als sie in Frank- furt durchgingen. Auch die verfassungsmäßige Berathung der Anträge unterblieb gänzlich, und kein Gesandter unterstand sich dies zu rügen.
Am Tage der Abstimmung wagte zwar Niemand förmlich zu wider- sprechen; aber zum Schrecken Oesterreichs ergab sich, daß trotz allen Dro- hungen doch nur ein Theil der Gesandten zur unbedingten Genehmigung bevollmächtigt war. Viele warteten noch auf Instruktionen, Andere hatten nach deutscher Weise allerhand Bedenken und Wünsche kundzugeben. So fand der Dresdner Hof die Karlsbader Beschlüsse noch zu liberal und ließ die Hoffnung aussprechen, daß überall in Deutschland, wie im König- reich Sachsen, alle Druckschriften ohne Ausnahme der Censur unter- worfen würden. Auch Wangenheim brachte eine ganze Reihe von Aus- stellungen vor -- ein neuer Beweis für die Treulosigkeit des württem- bergischen Hofes, nachdem Wintzingerode in Karlsbad allen vier Gesetzen freudig zugestimmt; er hatte partikularistische Bedenken gegen die Execu- tionsordnung, er fand es zu hart, daß jeder Bundesstaat für die Haltung seiner Presse verantwortlich sein sollte u. s. w. Desgleichen Kurhessen konnte eine Klage über die Executionsordnung, die so tief in die Rechte der Souveränität einschneide, nicht unterdrücken.
müthigkeit aller Bundesglieder“ zu ſichern. Der würdige alte Herr zeigte ſich wenig erfreut über die drohende Beſchränkung ſeiner Souveränität, aber auch er glaubte an die große Demagogengefahr und behielt ſich nur vor, bei der Verkündigung der Karlsbader Beſchlüſſe ſeinem Lande zu- gleich zu verſprechen, daß die Verfaſſung bis zum 1. Mai 1820 erſcheinen ſolle; die Regierungen, ſo warnte er, dürfen ſich nicht den Anſchein geben, als ob ſie Anderer Willkür beſchränken wollten, nur ihre eigene nicht.*)
Alſo war Alles für den großen Schlag vorbereitet. Am 14. Sep- tember gab Buol dem Bundestage die erſte vertrauliche Mittheilung über die Karlsbader Conferenzen. Am 16. verlas er den ihm von Metternich zugeſendeten großen Präſidialvortrag und beantragte ſodann die ſchleunige Annahme der verabredeten Bemerkungen über den Art. 13, ſowie der vier Geſetze. Die meiſten der Bundesgeſandten lernten jetzt zum erſten male den Text der Karlsbader Beſchlüſſe kennen. Es war die wichtigſte und umfangreichſte Vorlage, welche dem Bundestage je unterbreitet worden, und für die Erledigung dieſer Aufgabe ſetzte Buol, ohne daß ein Wider- ſpruch laut ward, eine Friſt von vier Tagen, eine Friſt, welche bei den Verkehrsverhältniſſen jener Zeit nicht einmal zur Einholung der Inſtruk- tion ausreichte. Am 20. September ſollte die Abſtimmung ſtattfinden, während die Geſchäftsordnung eine Friſt von mindeſtens vierzehn Tagen verlangte; die große Mehrzahl der deutſchen Regierungen war alſo von dem Wortlaut der Beſchlüſſe noch gar nicht unterrichtet, als ſie in Frank- furt durchgingen. Auch die verfaſſungsmäßige Berathung der Anträge unterblieb gänzlich, und kein Geſandter unterſtand ſich dies zu rügen.
Am Tage der Abſtimmung wagte zwar Niemand förmlich zu wider- ſprechen; aber zum Schrecken Oeſterreichs ergab ſich, daß trotz allen Dro- hungen doch nur ein Theil der Geſandten zur unbedingten Genehmigung bevollmächtigt war. Viele warteten noch auf Inſtruktionen, Andere hatten nach deutſcher Weiſe allerhand Bedenken und Wünſche kundzugeben. So fand der Dresdner Hof die Karlsbader Beſchlüſſe noch zu liberal und ließ die Hoffnung ausſprechen, daß überall in Deutſchland, wie im König- reich Sachſen, alle Druckſchriften ohne Ausnahme der Cenſur unter- worfen würden. Auch Wangenheim brachte eine ganze Reihe von Aus- ſtellungen vor — ein neuer Beweis für die Treuloſigkeit des württem- bergiſchen Hofes, nachdem Wintzingerode in Karlsbad allen vier Geſetzen freudig zugeſtimmt; er hatte partikulariſtiſche Bedenken gegen die Execu- tionsordnung, er fand es zu hart, daß jeder Bundesſtaat für die Haltung ſeiner Preſſe verantwortlich ſein ſollte u. ſ. w. Desgleichen Kurheſſen konnte eine Klage über die Executionsordnung, die ſo tief in die Rechte der Souveränität einſchneide, nicht unterdrücken.
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[570/0584]
II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
müthigkeit aller Bundesglieder“ zu ſichern. Der würdige alte Herr zeigte
ſich wenig erfreut über die drohende Beſchränkung ſeiner Souveränität,
aber auch er glaubte an die große Demagogengefahr und behielt ſich nur
vor, bei der Verkündigung der Karlsbader Beſchlüſſe ſeinem Lande zu-
gleich zu verſprechen, daß die Verfaſſung bis zum 1. Mai 1820 erſcheinen
ſolle; die Regierungen, ſo warnte er, dürfen ſich nicht den Anſchein geben,
als ob ſie Anderer Willkür beſchränken wollten, nur ihre eigene nicht. *)
Alſo war Alles für den großen Schlag vorbereitet. Am 14. Sep-
tember gab Buol dem Bundestage die erſte vertrauliche Mittheilung über
die Karlsbader Conferenzen. Am 16. verlas er den ihm von Metternich
zugeſendeten großen Präſidialvortrag und beantragte ſodann die ſchleunige
Annahme der verabredeten Bemerkungen über den Art. 13, ſowie der
vier Geſetze. Die meiſten der Bundesgeſandten lernten jetzt zum erſten
male den Text der Karlsbader Beſchlüſſe kennen. Es war die wichtigſte
und umfangreichſte Vorlage, welche dem Bundestage je unterbreitet worden,
und für die Erledigung dieſer Aufgabe ſetzte Buol, ohne daß ein Wider-
ſpruch laut ward, eine Friſt von vier Tagen, eine Friſt, welche bei den
Verkehrsverhältniſſen jener Zeit nicht einmal zur Einholung der Inſtruk-
tion ausreichte. Am 20. September ſollte die Abſtimmung ſtattfinden,
während die Geſchäftsordnung eine Friſt von mindeſtens vierzehn Tagen
verlangte; die große Mehrzahl der deutſchen Regierungen war alſo von
dem Wortlaut der Beſchlüſſe noch gar nicht unterrichtet, als ſie in Frank-
furt durchgingen. Auch die verfaſſungsmäßige Berathung der Anträge
unterblieb gänzlich, und kein Geſandter unterſtand ſich dies zu rügen.
Am Tage der Abſtimmung wagte zwar Niemand förmlich zu wider-
ſprechen; aber zum Schrecken Oeſterreichs ergab ſich, daß trotz allen Dro-
hungen doch nur ein Theil der Geſandten zur unbedingten Genehmigung
bevollmächtigt war. Viele warteten noch auf Inſtruktionen, Andere hatten
nach deutſcher Weiſe allerhand Bedenken und Wünſche kundzugeben. So
fand der Dresdner Hof die Karlsbader Beſchlüſſe noch zu liberal und
ließ die Hoffnung ausſprechen, daß überall in Deutſchland, wie im König-
reich Sachſen, alle Druckſchriften ohne Ausnahme der Cenſur unter-
worfen würden. Auch Wangenheim brachte eine ganze Reihe von Aus-
ſtellungen vor — ein neuer Beweis für die Treuloſigkeit des württem-
bergiſchen Hofes, nachdem Wintzingerode in Karlsbad allen vier Geſetzen
freudig zugeſtimmt; er hatte partikulariſtiſche Bedenken gegen die Execu-
tionsordnung, er fand es zu hart, daß jeder Bundesſtaat für die Haltung
ſeiner Preſſe verantwortlich ſein ſollte u. ſ. w. Desgleichen Kurheſſen
konnte eine Klage über die Executionsordnung, die ſo tief in die Rechte
der Souveränität einſchneide, nicht unterdrücken.
*) Bernſtorff, Weiſung an Otterſtedt 1. Sept.; Otterſtedts Berichte, Darmſtadt
11., 13. Sept. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/584>, abgerufen am 22.11.2024.
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