bekämpfte, wendete sich jenen revolutionären Naturrechtslehren zu, die von der deutschen Wissenschaft längst überwunden waren. Im Zorn über das erlittene Unrecht gerieth der deutsche Liberalismus recht eigentlich außer sich; er vergaß des unschätzbaren Segens der Befreiungskriege, er begann die Helden jener Kämpfe als Betrogene oder Betrüger gering zu schätzen und verfiel nach und nach einer weltbürgerlichen, radikalen Schwärmerei, die für ein werdendes Volk schlechthin verderblich werden mußte.
Obwohl die Presse unter der Obhut der sofort in Wirksamkeit treten- den Censur nur wenig sagen durfte, so konnte doch selbst der Diplomatie der allgemeine Zorn nicht entgehen. In Frankfurt, in Stuttgart, in München, überall äußerte sich die Entrüstung der gebildeten Stände in heftigen Reden, überall verglich man die neue schwarze Commission mit dem Wohlfahrtsausschusse des Convents.*) Niemand aber empfand die Unbill schwerer als die Professoren, die sich wegen der Thorheiten einiger Jenenser jetzt allesammt von Bundeswegen geschmäht und verleumdet sahen. Was mußten Dahlmann und Falck, die beiden Vorkämpfer des deutschen Rechts in Kiel empfinden, als Holstein und zugleich auch das nicht zum Bunde gehörige Schleswig jetzt als erstes Geschenk von dem befreiten Deutschland die Censur empfingen, nachdem sie fünfzig Jahre lang, seit den Tagen Struensees, unter der absoluten Herrschaft der dänischen Allein- gewalt-Erbkönige sich der unbeschränkten Preßfreiheit erfreut hatten. Die Kieler Blätter gingen ein, weil sie sich keinem Censor unterwerfen wollten. Dahlmann aber, der noch so oft für die Empfindungen des empörten natio- nalen Gewissens das rechte Wort finden sollte, nannte die deutschen Uni- versitäten durch jene Bundesbeschlüsse "unvergeßlich herabgewürdigt und be- leidigt". Er kündigte dem Freiherrn vom Stein die Mitarbeiterschaft an den Monumenta Germaniae auf, so lange an der Spitze des Unternehmens jene Bundesgesandten stünden, welche an der Beschimpfung des deutschen Gelehrtenstandes Theil genommen: "Mein guter Name ist mir mehr werth als ein wissenschaftliches Unternehmen. Ich möchte nicht, daß es gelänge, auf dem mit Unterdrückung und Verfolgung -- und womit vielleicht bald? -- befleckten Boden edle Früchte der Wissenschaft durch gebundene Hände zu ziehen." Zum Geburtstage des König-Herzogs trat er sodann in akademischer Festrede unerschrocken als Anwalt der verläumdeten Universitäten auf; er nannte das Majestätsverbrechen "das einzige und eigenthümliche Verbrechen derer, welche nie ein Unrecht gethan"; er vertheidigte das Recht der neuen Zeit sich ihre eigenen politischen Formen zu finden: "ein Neuerer ist auch wer das Veraltete herzustellen sucht" -- und sagte voraus, die neuen Bundes- gesetze würden, da sie den leeren Formen des Friedens sein inneres Wesen opferten, nur polizeiliche Ruhe, nicht den Frieden begründen.
*) Berichte von Goltz aus Frankfurt 22., 28. Sept., 26. Okt., von Zastrow aus München 9. Okt., von Küster aus Stuttgart 12. Okt. 1819.
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
bekämpfte, wendete ſich jenen revolutionären Naturrechtslehren zu, die von der deutſchen Wiſſenſchaft längſt überwunden waren. Im Zorn über das erlittene Unrecht gerieth der deutſche Liberalismus recht eigentlich außer ſich; er vergaß des unſchätzbaren Segens der Befreiungskriege, er begann die Helden jener Kämpfe als Betrogene oder Betrüger gering zu ſchätzen und verfiel nach und nach einer weltbürgerlichen, radikalen Schwärmerei, die für ein werdendes Volk ſchlechthin verderblich werden mußte.
Obwohl die Preſſe unter der Obhut der ſofort in Wirkſamkeit treten- den Cenſur nur wenig ſagen durfte, ſo konnte doch ſelbſt der Diplomatie der allgemeine Zorn nicht entgehen. In Frankfurt, in Stuttgart, in München, überall äußerte ſich die Entrüſtung der gebildeten Stände in heftigen Reden, überall verglich man die neue ſchwarze Commiſſion mit dem Wohlfahrtsausſchuſſe des Convents.*) Niemand aber empfand die Unbill ſchwerer als die Profeſſoren, die ſich wegen der Thorheiten einiger Jenenſer jetzt alleſammt von Bundeswegen geſchmäht und verleumdet ſahen. Was mußten Dahlmann und Falck, die beiden Vorkämpfer des deutſchen Rechts in Kiel empfinden, als Holſtein und zugleich auch das nicht zum Bunde gehörige Schleswig jetzt als erſtes Geſchenk von dem befreiten Deutſchland die Cenſur empfingen, nachdem ſie fünfzig Jahre lang, ſeit den Tagen Struenſees, unter der abſoluten Herrſchaft der däniſchen Allein- gewalt-Erbkönige ſich der unbeſchränkten Preßfreiheit erfreut hatten. Die Kieler Blätter gingen ein, weil ſie ſich keinem Cenſor unterwerfen wollten. Dahlmann aber, der noch ſo oft für die Empfindungen des empörten natio- nalen Gewiſſens das rechte Wort finden ſollte, nannte die deutſchen Uni- verſitäten durch jene Bundesbeſchlüſſe „unvergeßlich herabgewürdigt und be- leidigt“. Er kündigte dem Freiherrn vom Stein die Mitarbeiterſchaft an den Monumenta Germaniae auf, ſo lange an der Spitze des Unternehmens jene Bundesgeſandten ſtünden, welche an der Beſchimpfung des deutſchen Gelehrtenſtandes Theil genommen: „Mein guter Name iſt mir mehr werth als ein wiſſenſchaftliches Unternehmen. Ich möchte nicht, daß es gelänge, auf dem mit Unterdrückung und Verfolgung — und womit vielleicht bald? — befleckten Boden edle Früchte der Wiſſenſchaft durch gebundene Hände zu ziehen.“ Zum Geburtstage des König-Herzogs trat er ſodann in akademiſcher Feſtrede unerſchrocken als Anwalt der verläumdeten Univerſitäten auf; er nannte das Majeſtätsverbrechen „das einzige und eigenthümliche Verbrechen derer, welche nie ein Unrecht gethan“; er vertheidigte das Recht der neuen Zeit ſich ihre eigenen politiſchen Formen zu finden: „ein Neuerer iſt auch wer das Veraltete herzuſtellen ſucht“ — und ſagte voraus, die neuen Bundes- geſetze würden, da ſie den leeren Formen des Friedens ſein inneres Weſen opferten, nur polizeiliche Ruhe, nicht den Frieden begründen.
*) Berichte von Goltz aus Frankfurt 22., 28. Sept., 26. Okt., von Zaſtrow aus München 9. Okt., von Küſter aus Stuttgart 12. Okt. 1819.
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bekämpfte, wendete ſich jenen revolutionären Naturrechtslehren zu, die von
der deutſchen Wiſſenſchaft längſt überwunden waren. Im Zorn über das
erlittene Unrecht gerieth der deutſche Liberalismus recht eigentlich außer ſich;
er vergaß des unſchätzbaren Segens der Befreiungskriege, er begann die
Helden jener Kämpfe als Betrogene oder Betrüger gering zu ſchätzen und
verfiel nach und nach einer weltbürgerlichen, radikalen Schwärmerei, die
für ein werdendes Volk ſchlechthin verderblich werden mußte.
Obwohl die Preſſe unter der Obhut der ſofort in Wirkſamkeit treten-
den Cenſur nur wenig ſagen durfte, ſo konnte doch ſelbſt der Diplomatie
der allgemeine Zorn nicht entgehen. In Frankfurt, in Stuttgart, in
München, überall äußerte ſich die Entrüſtung der gebildeten Stände in
heftigen Reden, überall verglich man die neue ſchwarze Commiſſion mit
dem Wohlfahrtsausſchuſſe des Convents. *) Niemand aber empfand die
Unbill ſchwerer als die Profeſſoren, die ſich wegen der Thorheiten einiger
Jenenſer jetzt alleſammt von Bundeswegen geſchmäht und verleumdet ſahen.
Was mußten Dahlmann und Falck, die beiden Vorkämpfer des deutſchen
Rechts in Kiel empfinden, als Holſtein und zugleich auch das nicht zum
Bunde gehörige Schleswig jetzt als erſtes Geſchenk von dem befreiten
Deutſchland die Cenſur empfingen, nachdem ſie fünfzig Jahre lang, ſeit
den Tagen Struenſees, unter der abſoluten Herrſchaft der däniſchen Allein-
gewalt-Erbkönige ſich der unbeſchränkten Preßfreiheit erfreut hatten. Die
Kieler Blätter gingen ein, weil ſie ſich keinem Cenſor unterwerfen wollten.
Dahlmann aber, der noch ſo oft für die Empfindungen des empörten natio-
nalen Gewiſſens das rechte Wort finden ſollte, nannte die deutſchen Uni-
verſitäten durch jene Bundesbeſchlüſſe „unvergeßlich herabgewürdigt und be-
leidigt“. Er kündigte dem Freiherrn vom Stein die Mitarbeiterſchaft an
den Monumenta Germaniae auf, ſo lange an der Spitze des Unternehmens
jene Bundesgeſandten ſtünden, welche an der Beſchimpfung des deutſchen
Gelehrtenſtandes Theil genommen: „Mein guter Name iſt mir mehr werth
als ein wiſſenſchaftliches Unternehmen. Ich möchte nicht, daß es gelänge,
auf dem mit Unterdrückung und Verfolgung — und womit vielleicht bald?
— befleckten Boden edle Früchte der Wiſſenſchaft durch gebundene Hände zu
ziehen.“ Zum Geburtstage des König-Herzogs trat er ſodann in akademiſcher
Feſtrede unerſchrocken als Anwalt der verläumdeten Univerſitäten auf; er
nannte das Majeſtätsverbrechen „das einzige und eigenthümliche Verbrechen
derer, welche nie ein Unrecht gethan“; er vertheidigte das Recht der neuen
Zeit ſich ihre eigenen politiſchen Formen zu finden: „ein Neuerer iſt auch
wer das Veraltete herzuſtellen ſucht“ — und ſagte voraus, die neuen Bundes-
geſetze würden, da ſie den leeren Formen des Friedens ſein inneres Weſen
opferten, nur polizeiliche Ruhe, nicht den Frieden begründen.
*) Berichte von Goltz aus Frankfurt 22., 28. Sept., 26. Okt., von Zaſtrow aus
München 9. Okt., von Küſter aus Stuttgart 12. Okt. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/588>, abgerufen am 22.11.2024.
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