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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
aus: "Wir haben lauter freie Eigenthümer;" an den freien Grundbesitz
sollten sich alle ständischen Rechte anschließen. Daher ward eine Communal-
Ordnung, welche den Gemeinden die Verwaltung ihrer eigenen Angelegen-
heiten übertragen sollte, als das nächste dringende Bedürfniß bezeichnet.
Aus indirekten Wahlen der ländlichen sowie der städtischen Gemeinden und
aus direkten Wahlen der Rittergutsbesitzer geht sodann der Kreistag her-
vor, eine Vertretung von drei (oder wo sich Standesherren vorfinden, von
vier) Ständen, die aber eine ungetheilte, nicht an Mandate gebundene Ver-
sammlung bilden. Also nicht der Landadel, sondern der gesammte Großgrund-
besitz soll eine besondere Vertretung erhalten; die Rittergutsbesitzer heißen
zwar Kreisstände, doch sie erhalten nicht Virilstimmen, sondern blos das
Wahlrecht für die Kreistage. Wählbar ist jeder mündige, unbescholtene
christliche Grundbefitzer. Auf den Kreistagen werden dann die Vertreter
der drei Stände für den Provinziallandtag gewählt, zu denen die Standes-
herren und die Bischöfe hinzutreten; eine Vertretung der Universitäten hatte
der König selbst, sofern sie nicht Grundbesitzer seien, für bedenklich erklärt.
Alle diese ständischen Körperschaften befassen sich wesentlich mit der Ver-
waltung ihrer Communalanstalten, dem Schuldenwesen, der Steuerver-
theilung. Dagegen soll der aus Provinziallandtagen gewählte Allgemeine
Landtag gar keine eigene Verwaltung haben, sondern lediglich jährliche
Uebersichten über den Gang der Verwaltung, vornehmlich über den Stand
der Finanzen, von den Ministern erhalten und die neuen Gesetze für die
gesammte Monarchie berathen.

Hier zeigte sich's nun, wie anders als Metternich der preußische Staats-
kanzler die Zusagen des Teplitzer Vertrages verstand: er wollte im Ernst
einen angesehenen, wenn auch nicht allzu zahlreichen preußischen Landtag,
nicht einen kümmerlichen Centralausschuß, und gab der Verfassungscom-
mission zu erwägen, ob das Ein- oder das Zweikammersystem für diese
Gesammtvertretung der drei Stände vorzuziehen sei. Auch die schwierigen
Fragen der Initiative, der Oeffentlichkeit, der Verantwortlichkeit der Mi-
nister hielt er noch vorsichtig offen. Desgleichen die Frage, ob die Pro-
vinziallandtage sich an die neugebildeten Provinzen oder an die altständi-
schen Territorien anschließen sollten. Die auswärtigen Angelegenheiten und
die militärischen Verhältnisse, soweit sie nicht persönliche Verpflichtungen
beträfen, sollten den Berathungen der Stände entzogen bleiben. Dann
folgte noch die Aufzählung einiger Grundrechte: Gleichheit vor dem Gesetz,
Gewissensfreiheit u. s. w. Auch Vorschriften über die Preßfreiheit und die
öffentliche Rechtspflege waren in Aussicht genommen. Und Alles dies in
dem nämlichen Augenblick, da Hardenberg die Karlsbader Politik förderte;
in seinen Augen waren die neuen Bundesgesetze nur Ausnahmegesetze für
wenige Jahre der Noth. Zum Schluß betonte der Staatskanzler nach-
drücklich die Befestigung des monarchischen Princips und erinnerte an den
Grundsatz: salus publica suprema lex esto.

II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
aus: „Wir haben lauter freie Eigenthümer;“ an den freien Grundbeſitz
ſollten ſich alle ſtändiſchen Rechte anſchließen. Daher ward eine Communal-
Ordnung, welche den Gemeinden die Verwaltung ihrer eigenen Angelegen-
heiten übertragen ſollte, als das nächſte dringende Bedürfniß bezeichnet.
Aus indirekten Wahlen der ländlichen ſowie der ſtädtiſchen Gemeinden und
aus direkten Wahlen der Rittergutsbeſitzer geht ſodann der Kreistag her-
vor, eine Vertretung von drei (oder wo ſich Standesherren vorfinden, von
vier) Ständen, die aber eine ungetheilte, nicht an Mandate gebundene Ver-
ſammlung bilden. Alſo nicht der Landadel, ſondern der geſammte Großgrund-
beſitz ſoll eine beſondere Vertretung erhalten; die Rittergutsbeſitzer heißen
zwar Kreisſtände, doch ſie erhalten nicht Virilſtimmen, ſondern blos das
Wahlrecht für die Kreistage. Wählbar iſt jeder mündige, unbeſcholtene
chriſtliche Grundbefitzer. Auf den Kreistagen werden dann die Vertreter
der drei Stände für den Provinziallandtag gewählt, zu denen die Standes-
herren und die Biſchöfe hinzutreten; eine Vertretung der Univerſitäten hatte
der König ſelbſt, ſofern ſie nicht Grundbeſitzer ſeien, für bedenklich erklärt.
Alle dieſe ſtändiſchen Körperſchaften befaſſen ſich weſentlich mit der Ver-
waltung ihrer Communalanſtalten, dem Schuldenweſen, der Steuerver-
theilung. Dagegen ſoll der aus Provinziallandtagen gewählte Allgemeine
Landtag gar keine eigene Verwaltung haben, ſondern lediglich jährliche
Ueberſichten über den Gang der Verwaltung, vornehmlich über den Stand
der Finanzen, von den Miniſtern erhalten und die neuen Geſetze für die
geſammte Monarchie berathen.

Hier zeigte ſich’s nun, wie anders als Metternich der preußiſche Staats-
kanzler die Zuſagen des Teplitzer Vertrages verſtand: er wollte im Ernſt
einen angeſehenen, wenn auch nicht allzu zahlreichen preußiſchen Landtag,
nicht einen kümmerlichen Centralausſchuß, und gab der Verfaſſungscom-
miſſion zu erwägen, ob das Ein- oder das Zweikammerſyſtem für dieſe
Geſammtvertretung der drei Stände vorzuziehen ſei. Auch die ſchwierigen
Fragen der Initiative, der Oeffentlichkeit, der Verantwortlichkeit der Mi-
niſter hielt er noch vorſichtig offen. Desgleichen die Frage, ob die Pro-
vinziallandtage ſich an die neugebildeten Provinzen oder an die altſtändi-
ſchen Territorien anſchließen ſollten. Die auswärtigen Angelegenheiten und
die militäriſchen Verhältniſſe, ſoweit ſie nicht perſönliche Verpflichtungen
beträfen, ſollten den Berathungen der Stände entzogen bleiben. Dann
folgte noch die Aufzählung einiger Grundrechte: Gleichheit vor dem Geſetz,
Gewiſſensfreiheit u. ſ. w. Auch Vorſchriften über die Preßfreiheit und die
öffentliche Rechtspflege waren in Ausſicht genommen. Und Alles dies in
dem nämlichen Augenblick, da Hardenberg die Karlsbader Politik förderte;
in ſeinen Augen waren die neuen Bundesgeſetze nur Ausnahmegeſetze für
wenige Jahre der Noth. Zum Schluß betonte der Staatskanzler nach-
drücklich die Befeſtigung des monarchiſchen Princips und erinnerte an den
Grundſatz: salus publica suprema lex esto.

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[590/0604] II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. aus: „Wir haben lauter freie Eigenthümer;“ an den freien Grundbeſitz ſollten ſich alle ſtändiſchen Rechte anſchließen. Daher ward eine Communal- Ordnung, welche den Gemeinden die Verwaltung ihrer eigenen Angelegen- heiten übertragen ſollte, als das nächſte dringende Bedürfniß bezeichnet. Aus indirekten Wahlen der ländlichen ſowie der ſtädtiſchen Gemeinden und aus direkten Wahlen der Rittergutsbeſitzer geht ſodann der Kreistag her- vor, eine Vertretung von drei (oder wo ſich Standesherren vorfinden, von vier) Ständen, die aber eine ungetheilte, nicht an Mandate gebundene Ver- ſammlung bilden. Alſo nicht der Landadel, ſondern der geſammte Großgrund- beſitz ſoll eine beſondere Vertretung erhalten; die Rittergutsbeſitzer heißen zwar Kreisſtände, doch ſie erhalten nicht Virilſtimmen, ſondern blos das Wahlrecht für die Kreistage. Wählbar iſt jeder mündige, unbeſcholtene chriſtliche Grundbefitzer. Auf den Kreistagen werden dann die Vertreter der drei Stände für den Provinziallandtag gewählt, zu denen die Standes- herren und die Biſchöfe hinzutreten; eine Vertretung der Univerſitäten hatte der König ſelbſt, ſofern ſie nicht Grundbeſitzer ſeien, für bedenklich erklärt. Alle dieſe ſtändiſchen Körperſchaften befaſſen ſich weſentlich mit der Ver- waltung ihrer Communalanſtalten, dem Schuldenweſen, der Steuerver- theilung. Dagegen ſoll der aus Provinziallandtagen gewählte Allgemeine Landtag gar keine eigene Verwaltung haben, ſondern lediglich jährliche Ueberſichten über den Gang der Verwaltung, vornehmlich über den Stand der Finanzen, von den Miniſtern erhalten und die neuen Geſetze für die geſammte Monarchie berathen. Hier zeigte ſich’s nun, wie anders als Metternich der preußiſche Staats- kanzler die Zuſagen des Teplitzer Vertrages verſtand: er wollte im Ernſt einen angeſehenen, wenn auch nicht allzu zahlreichen preußiſchen Landtag, nicht einen kümmerlichen Centralausſchuß, und gab der Verfaſſungscom- miſſion zu erwägen, ob das Ein- oder das Zweikammerſyſtem für dieſe Geſammtvertretung der drei Stände vorzuziehen ſei. Auch die ſchwierigen Fragen der Initiative, der Oeffentlichkeit, der Verantwortlichkeit der Mi- niſter hielt er noch vorſichtig offen. Desgleichen die Frage, ob die Pro- vinziallandtage ſich an die neugebildeten Provinzen oder an die altſtändi- ſchen Territorien anſchließen ſollten. Die auswärtigen Angelegenheiten und die militäriſchen Verhältniſſe, ſoweit ſie nicht perſönliche Verpflichtungen beträfen, ſollten den Berathungen der Stände entzogen bleiben. Dann folgte noch die Aufzählung einiger Grundrechte: Gleichheit vor dem Geſetz, Gewiſſensfreiheit u. ſ. w. Auch Vorſchriften über die Preßfreiheit und die öffentliche Rechtspflege waren in Ausſicht genommen. Und Alles dies in dem nämlichen Augenblick, da Hardenberg die Karlsbader Politik förderte; in ſeinen Augen waren die neuen Bundesgeſetze nur Ausnahmegeſetze für wenige Jahre der Noth. Zum Schluß betonte der Staatskanzler nach- drücklich die Befeſtigung des monarchiſchen Princips und erinnerte an den Grundſatz: salus publica suprema lex esto.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/604>, abgerufen am 22.11.2024.