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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
kundig und verschärfte sich dermaßen, daß Bernstorff und Wittgenstein
für nöthig hielten sich von dem regelmäßigen Besuche der Sitzungen des
Staatsministeriums entbinden zu lassen. General Witzleben, der den beiden
Streitenden persönlich nahe stand und beide für unentbehrlich hielt, be-
mühte sich umsonst für einen Ausgleich.*) Hardenberg drohte mit seinem
Rücktritt und erreichte, nachdem der König einen allzuscharfen Entwurf
zurückgewiesen hatte, am 21. Oktober den Erlaß einer immerhin noch sehr
ungnädigen Cabinetsordre, welche dem Ministerium das Befremden des
Monarchen über die Oberflächlichkeit des letzten Berichts aussprach und
den Staatskanzler in allen seinen Befugnissen bestätigte: in Zukunft sollten
die Berichte der Minister zwar unmittelbar an die Krone gesendet werden,
aber dem Kanzler gebühre das Recht zu bestimmen, über welche dieser Be-
richte er selber Vortrag halten wolle.**) Die Minister verblieben mithin
in einer abhängigen Stellung, welche ihnen selber lästig und der raschen Er-
ledigung der Geschäfte vielfach nachtheilig, aber so lange das Staatskanzleramt
bestand schlechthin unvermeidlich war. Zum Schluß rügte der König noch,
daß ihm die Abstimmungen der einzelnen Minister, seinem Befehle vom
11. Januar zuwider, nicht eingereicht worden seien. Die Uebersendung
dieser Gutachten hatten die Minister bisher wohlweislich unterlassen; auf
den wiederholten Befehl des Monarchen mußten sie jetzt das Versäumte
nachholen,***) und nunmehr ergab sich unwidersprechlich, daß der Kampf
gegen den Staatskanzler allein durch Humboldt veranlaßt war. In ihren
früheren Gutachten hatten nur drei der Minister über Hardenbergs Vor-
mundschaft geklagt,+) erst seit Humboldts Eintritt war ihnen allen plötz-
lich die Erkenntniß gekommen, daß der Urgrund des Uebels in der Macht-
stellung des Staatskanzlers zu suchen sei. In solcher Lage konnte ein
neuer Vermittlungsversuch des wackeren Witzleben zu keinem Ergebniß
führen.++) Humboldt mußte zurücktreten, nachdem Hardenberg zum zweiten
male seine Angriffe abgeschlagen hatte. --

Mit diesem Machtkampf verkettete sich nunmehr der ungleich wichtigere
Streit über die jüngste Wendung der Bundespolitik. Am 8. September brachte
Humboldt die Demagogenverfolgung zur Sprache und bewog die Minister,
gegen den Widerspruch Bernstorffs und Schuckmanns, bei dem Monarchen
anzufragen, ob die ergriffenen Sicherheitsmaßregeln als gesetzliche oder als
außerordentliche Maßregeln zu behandeln seien. Eine strenge Mahnung zum

*) Zwei Cabinetsordres an Wittgenstein und Bernstorff 7. Okt. Witzleben, Denk-
schrift über den Bericht des Staatsministeriums und die Randbemerkungen des Staats-
kanzlers, Sept. 1819.
**) Zwei Cabinetsordres an den Staatskanzler und das Staatsministerium, 21. Okt.
Hardenbergs Tagebuch, 12., 14. Okt. 1819.
***) Bericht des Staatsministeriums an den König, 10. Nov. 1819.
+) S. o. S. 494.
++) Witzleben, Denkschrift über die Cabinetsordre vom 21. Okt. 1819.

II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
kundig und verſchärfte ſich dermaßen, daß Bernſtorff und Wittgenſtein
für nöthig hielten ſich von dem regelmäßigen Beſuche der Sitzungen des
Staatsminiſteriums entbinden zu laſſen. General Witzleben, der den beiden
Streitenden perſönlich nahe ſtand und beide für unentbehrlich hielt, be-
mühte ſich umſonſt für einen Ausgleich.*) Hardenberg drohte mit ſeinem
Rücktritt und erreichte, nachdem der König einen allzuſcharfen Entwurf
zurückgewieſen hatte, am 21. Oktober den Erlaß einer immerhin noch ſehr
ungnädigen Cabinetsordre, welche dem Miniſterium das Befremden des
Monarchen über die Oberflächlichkeit des letzten Berichts ausſprach und
den Staatskanzler in allen ſeinen Befugniſſen beſtätigte: in Zukunft ſollten
die Berichte der Miniſter zwar unmittelbar an die Krone geſendet werden,
aber dem Kanzler gebühre das Recht zu beſtimmen, über welche dieſer Be-
richte er ſelber Vortrag halten wolle.**) Die Miniſter verblieben mithin
in einer abhängigen Stellung, welche ihnen ſelber läſtig und der raſchen Er-
ledigung der Geſchäfte vielfach nachtheilig, aber ſo lange das Staatskanzleramt
beſtand ſchlechthin unvermeidlich war. Zum Schluß rügte der König noch,
daß ihm die Abſtimmungen der einzelnen Miniſter, ſeinem Befehle vom
11. Januar zuwider, nicht eingereicht worden ſeien. Die Ueberſendung
dieſer Gutachten hatten die Miniſter bisher wohlweislich unterlaſſen; auf
den wiederholten Befehl des Monarchen mußten ſie jetzt das Verſäumte
nachholen,***) und nunmehr ergab ſich unwiderſprechlich, daß der Kampf
gegen den Staatskanzler allein durch Humboldt veranlaßt war. In ihren
früheren Gutachten hatten nur drei der Miniſter über Hardenbergs Vor-
mundſchaft geklagt,†) erſt ſeit Humboldts Eintritt war ihnen allen plötz-
lich die Erkenntniß gekommen, daß der Urgrund des Uebels in der Macht-
ſtellung des Staatskanzlers zu ſuchen ſei. In ſolcher Lage konnte ein
neuer Vermittlungsverſuch des wackeren Witzleben zu keinem Ergebniß
führen.††) Humboldt mußte zurücktreten, nachdem Hardenberg zum zweiten
male ſeine Angriffe abgeſchlagen hatte. —

Mit dieſem Machtkampf verkettete ſich nunmehr der ungleich wichtigere
Streit über die jüngſte Wendung der Bundespolitik. Am 8. September brachte
Humboldt die Demagogenverfolgung zur Sprache und bewog die Miniſter,
gegen den Widerſpruch Bernſtorffs und Schuckmanns, bei dem Monarchen
anzufragen, ob die ergriffenen Sicherheitsmaßregeln als geſetzliche oder als
außerordentliche Maßregeln zu behandeln ſeien. Eine ſtrenge Mahnung zum

*) Zwei Cabinetsordres an Wittgenſtein und Bernſtorff 7. Okt. Witzleben, Denk-
ſchrift über den Bericht des Staatsminiſteriums und die Randbemerkungen des Staats-
kanzlers, Sept. 1819.
**) Zwei Cabinetsordres an den Staatskanzler und das Staatsminiſterium, 21. Okt.
Hardenbergs Tagebuch, 12., 14. Okt. 1819.
***) Bericht des Staatsminiſteriums an den König, 10. Nov. 1819.
†) S. o. S. 494.
††) Witzleben, Denkſchrift über die Cabinetsordre vom 21. Okt. 1819.
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[596/0610] II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. kundig und verſchärfte ſich dermaßen, daß Bernſtorff und Wittgenſtein für nöthig hielten ſich von dem regelmäßigen Beſuche der Sitzungen des Staatsminiſteriums entbinden zu laſſen. General Witzleben, der den beiden Streitenden perſönlich nahe ſtand und beide für unentbehrlich hielt, be- mühte ſich umſonſt für einen Ausgleich. *) Hardenberg drohte mit ſeinem Rücktritt und erreichte, nachdem der König einen allzuſcharfen Entwurf zurückgewieſen hatte, am 21. Oktober den Erlaß einer immerhin noch ſehr ungnädigen Cabinetsordre, welche dem Miniſterium das Befremden des Monarchen über die Oberflächlichkeit des letzten Berichts ausſprach und den Staatskanzler in allen ſeinen Befugniſſen beſtätigte: in Zukunft ſollten die Berichte der Miniſter zwar unmittelbar an die Krone geſendet werden, aber dem Kanzler gebühre das Recht zu beſtimmen, über welche dieſer Be- richte er ſelber Vortrag halten wolle. **) Die Miniſter verblieben mithin in einer abhängigen Stellung, welche ihnen ſelber läſtig und der raſchen Er- ledigung der Geſchäfte vielfach nachtheilig, aber ſo lange das Staatskanzleramt beſtand ſchlechthin unvermeidlich war. Zum Schluß rügte der König noch, daß ihm die Abſtimmungen der einzelnen Miniſter, ſeinem Befehle vom 11. Januar zuwider, nicht eingereicht worden ſeien. Die Ueberſendung dieſer Gutachten hatten die Miniſter bisher wohlweislich unterlaſſen; auf den wiederholten Befehl des Monarchen mußten ſie jetzt das Verſäumte nachholen, ***) und nunmehr ergab ſich unwiderſprechlich, daß der Kampf gegen den Staatskanzler allein durch Humboldt veranlaßt war. In ihren früheren Gutachten hatten nur drei der Miniſter über Hardenbergs Vor- mundſchaft geklagt, †) erſt ſeit Humboldts Eintritt war ihnen allen plötz- lich die Erkenntniß gekommen, daß der Urgrund des Uebels in der Macht- ſtellung des Staatskanzlers zu ſuchen ſei. In ſolcher Lage konnte ein neuer Vermittlungsverſuch des wackeren Witzleben zu keinem Ergebniß führen. ††) Humboldt mußte zurücktreten, nachdem Hardenberg zum zweiten male ſeine Angriffe abgeſchlagen hatte. — Mit dieſem Machtkampf verkettete ſich nunmehr der ungleich wichtigere Streit über die jüngſte Wendung der Bundespolitik. Am 8. September brachte Humboldt die Demagogenverfolgung zur Sprache und bewog die Miniſter, gegen den Widerſpruch Bernſtorffs und Schuckmanns, bei dem Monarchen anzufragen, ob die ergriffenen Sicherheitsmaßregeln als geſetzliche oder als außerordentliche Maßregeln zu behandeln ſeien. Eine ſtrenge Mahnung zum *) Zwei Cabinetsordres an Wittgenſtein und Bernſtorff 7. Okt. Witzleben, Denk- ſchrift über den Bericht des Staatsminiſteriums und die Randbemerkungen des Staats- kanzlers, Sept. 1819. **) Zwei Cabinetsordres an den Staatskanzler und das Staatsminiſterium, 21. Okt. Hardenbergs Tagebuch, 12., 14. Okt. 1819. ***) Bericht des Staatsminiſteriums an den König, 10. Nov. 1819. †) S. o. S. 494. ††) Witzleben, Denkſchrift über die Cabinetsordre vom 21. Okt. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/610>, abgerufen am 22.11.2024.