das gute Einverständniß mit den Civilbehörden von der höchsten Wichtigkeit sind und eigentlich das Ministerium des Innern am mehrsten betreffen."*)
Sobald Boyen die Hoffnung aufgab, ließ auch sein Freund Grolman dem lange verhaltenen Mißmuth die Zügel schießen. Der Chef des Ge- neralstabs hatte in der kurzen Zeit seiner Amtsführung eine großartige Thätigkeit entfaltet; er hatte den Entwurf für die Befestigung der östlichen Provinzen ausgearbeitet, im Verein mit Baurath Crelle einen Plan für den Chausseebau in der ganzen Monarchie festgestellt, die trigonometrische Vermessung des Staatsgebietes begonnen und seinem Departement, das noch eine Abtheilung des Kriegsministeriums bildete, einen so bedeutsamen selbständigen Wirkungskreis geschaffen, daß die vollständige Abtrennung des Generalstabs von dem Kriegsministerium nur noch eine Frage der Zeit war. Inmitten dieser mannichfaltigen Arbeiten war er dem Gange der Tagespolitik mit dem ganzen Eifer seiner leidenschaftlicher Natur gefolgt. Der geniale Mann hielt sein Lebtag alle seine Grundsätze mit eiserner Strenge fest; weder 1814 noch 1815 hatte er das wälsche Babylon, das er mit seinem guten Degen zu bezwingen geholfen, betreten mögen. So blieb er auch im Frieden dem idealistischen Pathos der Befreiungskriege treu und vermochte die Erschlaffung, welche nach dem Kampfe die gewöhn- lichen Menschen heimsuchte, schlechterdings nicht zu begreifen. Die ganze Zeit erschien ihm matt, klein, erbärmlich, und als Boyen sich zurückzog, erklärte auch er dem König (17. December), "die jetzt eingetretenen Zeitum- stände und die traurigen Jahre, die er seit 1815 erlebt", nöthigten ihn um seine Entlassung zu bitten. Die schroffe, fast trotzige Fassung dieses Schreibens mußte den König verstimmen; er hatte das Entlassungsgesuch Boyens anfangs wohlwollend aufgenommen, jetzt muthmaßte er, daß die beiden Freunde in geheimem Einverständniß handelten und ertheilte beiden sichtlich unzufrieden den Abschied. Dem Kriegsminister sagte er zwar ein Wort der Anerkennung für seine früheren Verdienste, dem General Grolman aber verhehlte er nicht, daß ihm ganz unklar sei was er unter den trau- rigen Jahren seit 1815 verstehen solle.**)
Welch ein Unheil, daß zwei der treuesten und einsichtigsten Diener des Königs also im Unmuth die Flinte ins Korn warfen, eben jetzt, da alle Guten fest zusammenhalten mußten. Der Wiener Hof begrüßte "diesen neuen Triumph der guten Sache" mit lauter Freude; dort war Boyens fridericianische Gesinnung immer verrufen gewesen.***) In der Armee ward der schwere Verlust allgemein beklagt. Clausewitz hielt sogar für nöthig in einer geistvollen Denkschrift die politische Nothwendigkeit des Landwehr-
*) Voyen an Hardenberg, 13. Dec. 1819.
**) Witzleben an Hardenberg 18. Dec., Grolmans Eingabe an den König 17. Dec., Cabinetsordre an Grolman 20. Dec., an Boyen 25. Dec., Boyen an Hardenberg 17., 27. Dec., Hardenberg an Boyen 25. Dec. 1819.
***) Bernstorff an Hardenberg, Wien 25. Dec. 1819.
II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
das gute Einverſtändniß mit den Civilbehörden von der höchſten Wichtigkeit ſind und eigentlich das Miniſterium des Innern am mehrſten betreffen.“*)
Sobald Boyen die Hoffnung aufgab, ließ auch ſein Freund Grolman dem lange verhaltenen Mißmuth die Zügel ſchießen. Der Chef des Ge- neralſtabs hatte in der kurzen Zeit ſeiner Amtsführung eine großartige Thätigkeit entfaltet; er hatte den Entwurf für die Befeſtigung der öſtlichen Provinzen ausgearbeitet, im Verein mit Baurath Crelle einen Plan für den Chauſſeebau in der ganzen Monarchie feſtgeſtellt, die trigonometriſche Vermeſſung des Staatsgebietes begonnen und ſeinem Departement, das noch eine Abtheilung des Kriegsminiſteriums bildete, einen ſo bedeutſamen ſelbſtändigen Wirkungskreis geſchaffen, daß die vollſtändige Abtrennung des Generalſtabs von dem Kriegsminiſterium nur noch eine Frage der Zeit war. Inmitten dieſer mannichfaltigen Arbeiten war er dem Gange der Tagespolitik mit dem ganzen Eifer ſeiner leidenſchaftlicher Natur gefolgt. Der geniale Mann hielt ſein Lebtag alle ſeine Grundſätze mit eiſerner Strenge feſt; weder 1814 noch 1815 hatte er das wälſche Babylon, das er mit ſeinem guten Degen zu bezwingen geholfen, betreten mögen. So blieb er auch im Frieden dem idealiſtiſchen Pathos der Befreiungskriege treu und vermochte die Erſchlaffung, welche nach dem Kampfe die gewöhn- lichen Menſchen heimſuchte, ſchlechterdings nicht zu begreifen. Die ganze Zeit erſchien ihm matt, klein, erbärmlich, und als Boyen ſich zurückzog, erklärte auch er dem König (17. December), „die jetzt eingetretenen Zeitum- ſtände und die traurigen Jahre, die er ſeit 1815 erlebt“, nöthigten ihn um ſeine Entlaſſung zu bitten. Die ſchroffe, faſt trotzige Faſſung dieſes Schreibens mußte den König verſtimmen; er hatte das Entlaſſungsgeſuch Boyens anfangs wohlwollend aufgenommen, jetzt muthmaßte er, daß die beiden Freunde in geheimem Einverſtändniß handelten und ertheilte beiden ſichtlich unzufrieden den Abſchied. Dem Kriegsminiſter ſagte er zwar ein Wort der Anerkennung für ſeine früheren Verdienſte, dem General Grolman aber verhehlte er nicht, daß ihm ganz unklar ſei was er unter den trau- rigen Jahren ſeit 1815 verſtehen ſolle.**)
Welch ein Unheil, daß zwei der treueſten und einſichtigſten Diener des Königs alſo im Unmuth die Flinte ins Korn warfen, eben jetzt, da alle Guten feſt zuſammenhalten mußten. Der Wiener Hof begrüßte „dieſen neuen Triumph der guten Sache“ mit lauter Freude; dort war Boyens fridericianiſche Geſinnung immer verrufen geweſen.***) In der Armee ward der ſchwere Verluſt allgemein beklagt. Clauſewitz hielt ſogar für nöthig in einer geiſtvollen Denkſchrift die politiſche Nothwendigkeit des Landwehr-
*) Voyen an Hardenberg, 13. Dec. 1819.
**) Witzleben an Hardenberg 18. Dec., Grolmans Eingabe an den König 17. Dec., Cabinetsordre an Grolman 20. Dec., an Boyen 25. Dec., Boyen an Hardenberg 17., 27. Dec., Hardenberg an Boyen 25. Dec. 1819.
***) Bernſtorff an Hardenberg, Wien 25. Dec. 1819.
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das gute Einverſtändniß mit den Civilbehörden von der höchſten Wichtigkeit
ſind und eigentlich das Miniſterium des Innern am mehrſten betreffen.“ *)
Sobald Boyen die Hoffnung aufgab, ließ auch ſein Freund Grolman
dem lange verhaltenen Mißmuth die Zügel ſchießen. Der Chef des Ge-
neralſtabs hatte in der kurzen Zeit ſeiner Amtsführung eine großartige
Thätigkeit entfaltet; er hatte den Entwurf für die Befeſtigung der öſtlichen
Provinzen ausgearbeitet, im Verein mit Baurath Crelle einen Plan für
den Chauſſeebau in der ganzen Monarchie feſtgeſtellt, die trigonometriſche
Vermeſſung des Staatsgebietes begonnen und ſeinem Departement, das
noch eine Abtheilung des Kriegsminiſteriums bildete, einen ſo bedeutſamen
ſelbſtändigen Wirkungskreis geſchaffen, daß die vollſtändige Abtrennung des
Generalſtabs von dem Kriegsminiſterium nur noch eine Frage der Zeit
war. Inmitten dieſer mannichfaltigen Arbeiten war er dem Gange der
Tagespolitik mit dem ganzen Eifer ſeiner leidenſchaftlicher Natur gefolgt.
Der geniale Mann hielt ſein Lebtag alle ſeine Grundſätze mit eiſerner
Strenge feſt; weder 1814 noch 1815 hatte er das wälſche Babylon, das
er mit ſeinem guten Degen zu bezwingen geholfen, betreten mögen. So
blieb er auch im Frieden dem idealiſtiſchen Pathos der Befreiungskriege
treu und vermochte die Erſchlaffung, welche nach dem Kampfe die gewöhn-
lichen Menſchen heimſuchte, ſchlechterdings nicht zu begreifen. Die ganze
Zeit erſchien ihm matt, klein, erbärmlich, und als Boyen ſich zurückzog,
erklärte auch er dem König (17. December), „die jetzt eingetretenen Zeitum-
ſtände und die traurigen Jahre, die er ſeit 1815 erlebt“, nöthigten ihn
um ſeine Entlaſſung zu bitten. Die ſchroffe, faſt trotzige Faſſung dieſes
Schreibens mußte den König verſtimmen; er hatte das Entlaſſungsgeſuch
Boyens anfangs wohlwollend aufgenommen, jetzt muthmaßte er, daß die
beiden Freunde in geheimem Einverſtändniß handelten und ertheilte beiden
ſichtlich unzufrieden den Abſchied. Dem Kriegsminiſter ſagte er zwar ein
Wort der Anerkennung für ſeine früheren Verdienſte, dem General Grolman
aber verhehlte er nicht, daß ihm ganz unklar ſei was er unter den trau-
rigen Jahren ſeit 1815 verſtehen ſolle. **)
Welch ein Unheil, daß zwei der treueſten und einſichtigſten Diener
des Königs alſo im Unmuth die Flinte ins Korn warfen, eben jetzt, da
alle Guten feſt zuſammenhalten mußten. Der Wiener Hof begrüßte „dieſen
neuen Triumph der guten Sache“ mit lauter Freude; dort war Boyens
fridericianiſche Geſinnung immer verrufen geweſen. ***) In der Armee
ward der ſchwere Verluſt allgemein beklagt. Clauſewitz hielt ſogar für nöthig
in einer geiſtvollen Denkſchrift die politiſche Nothwendigkeit des Landwehr-
*) Voyen an Hardenberg, 13. Dec. 1819.
**) Witzleben an Hardenberg 18. Dec., Grolmans Eingabe an den König 17. Dec.,
Cabinetsordre an Grolman 20. Dec., an Boyen 25. Dec., Boyen an Hardenberg 17.,
27. Dec., Hardenberg an Boyen 25. Dec. 1819.
***) Bernſtorff an Hardenberg, Wien 25. Dec. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/616>, abgerufen am 22.11.2024.
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