fassungsausschuß sein größtes Talent, der Ministerrath die einzigen seiner Mitglieder, welche den Abschluß der Verfassung ernstlich wollten. Nicht Hardenberg war der Sieger in diesem verworrenen Kampfe, sondern Witt- genstein, der immer aus dem Dunkel heraus mitgeholfen hatte, und hinter ihm Metternich. Noch eine Weile, und die österreichische Partei, welche der Staatskanzler gegen seinen Nebenbuhler aufgerufen hatte, wendete sich wider ihn selber, um ihm sein Verfassungswerk zu zerstören, das jetzt nirgends mehr am Hofe eine Stütze fand. --
Alles historische Werden entspringt der beständigen Wechselwirkung zwischen dem bewußten Menschenwillen und den gegebenen Zuständen. Wie die Vernunft, die in den Dingen liegt, nur durch die Willenskraft eines großen, die Zeichen der Zeit verstehenden Mannes verwirklicht werden kann, so finden auch die Sünden und Irrthümer der Politiker ihre Schranke an dem Charakter der Staaten, an der Macht der Ideen, die sich im Ver- laufe der Geschichte angesammelt haben. Schwer hatte die Krone Preußen gefehlt, als sie in Karlsbad sich den lebendigen Kräften des jungen Jahr- hunderts entgegenstemmte; und doch war dieser Staat modern von Grund aus, er konnte sich der neuen Zeit nicht gänzlich entfremden und begann eben jetzt eine Reform seines Haushalts, welche ihn befähigte in seiner wirth- schaftlichen Entwicklung alle anderen deutschen Staaten zu überflügeln. Nachgiebig bis zur Selbstvergessenheit war Hardenberg in Teplitz allen Wünschen Oesterreichs entgegengekommen, der Glaube an die unbedingte Interessengemeinschaft der beiden Großmächte beherrschte ihn ganz und gar; und doch war der Gegensatz der beiden Mächte in einer alten Geschichte begründet und, so lange die Machtfrage der deutschen Zukunft ungelöst blieb, durch menschlichen Willen nicht mehr beizulegen. Fast in dem näm- lichen Augenblicke, da der Berliner Hof sich gänzlich der Führung Oester- reichs zu überlassen schien, that er wieder einen Schritt vorwärts auf den Bahnen der fridericianischen Politik und begann die deutschen Nachbarlande in seine Zollgemeinschaft aufzunehmen. Es war ein winziger, nach dem Maße der Gegenwart fast lächerlicher Erfolg, aber der unscheinbare Beginn einer Staatskunst, welche die deutschen Staaten durch das Band wirth- schaftlicher Interessen unlösbar an Preußen ketten und die Befreiung von Oesterreich vorbereiten sollte.
Seit das preußische Zollgesetz in Kraft gesetzt und den kleinen Nach- barn zunächst nur durch seine Härten fühlbar wurde, erhob sich überall mit erneuter Stärke der Ruf nach Aufhebung aller Binnenmauthen, und es begann eine leidenschaftliche Agitation für die deutsche Handelseinheit, der Vorläufer und das Vorbild der späteren Kämpfe um die politische Ein- heit. Die ganze Nation schien einig in einem großen Gedanken; gleich-
Der Kampf gegen das preußiſche Zollgeſetz.
faſſungsausſchuß ſein größtes Talent, der Miniſterrath die einzigen ſeiner Mitglieder, welche den Abſchluß der Verfaſſung ernſtlich wollten. Nicht Hardenberg war der Sieger in dieſem verworrenen Kampfe, ſondern Witt- genſtein, der immer aus dem Dunkel heraus mitgeholfen hatte, und hinter ihm Metternich. Noch eine Weile, und die öſterreichiſche Partei, welche der Staatskanzler gegen ſeinen Nebenbuhler aufgerufen hatte, wendete ſich wider ihn ſelber, um ihm ſein Verfaſſungswerk zu zerſtören, das jetzt nirgends mehr am Hofe eine Stütze fand. —
Alles hiſtoriſche Werden entſpringt der beſtändigen Wechſelwirkung zwiſchen dem bewußten Menſchenwillen und den gegebenen Zuſtänden. Wie die Vernunft, die in den Dingen liegt, nur durch die Willenskraft eines großen, die Zeichen der Zeit verſtehenden Mannes verwirklicht werden kann, ſo finden auch die Sünden und Irrthümer der Politiker ihre Schranke an dem Charakter der Staaten, an der Macht der Ideen, die ſich im Ver- laufe der Geſchichte angeſammelt haben. Schwer hatte die Krone Preußen gefehlt, als ſie in Karlsbad ſich den lebendigen Kräften des jungen Jahr- hunderts entgegenſtemmte; und doch war dieſer Staat modern von Grund aus, er konnte ſich der neuen Zeit nicht gänzlich entfremden und begann eben jetzt eine Reform ſeines Haushalts, welche ihn befähigte in ſeiner wirth- ſchaftlichen Entwicklung alle anderen deutſchen Staaten zu überflügeln. Nachgiebig bis zur Selbſtvergeſſenheit war Hardenberg in Teplitz allen Wünſchen Oeſterreichs entgegengekommen, der Glaube an die unbedingte Intereſſengemeinſchaft der beiden Großmächte beherrſchte ihn ganz und gar; und doch war der Gegenſatz der beiden Mächte in einer alten Geſchichte begründet und, ſo lange die Machtfrage der deutſchen Zukunft ungelöſt blieb, durch menſchlichen Willen nicht mehr beizulegen. Faſt in dem näm- lichen Augenblicke, da der Berliner Hof ſich gänzlich der Führung Oeſter- reichs zu überlaſſen ſchien, that er wieder einen Schritt vorwärts auf den Bahnen der fridericianiſchen Politik und begann die deutſchen Nachbarlande in ſeine Zollgemeinſchaft aufzunehmen. Es war ein winziger, nach dem Maße der Gegenwart faſt lächerlicher Erfolg, aber der unſcheinbare Beginn einer Staatskunſt, welche die deutſchen Staaten durch das Band wirth- ſchaftlicher Intereſſen unlösbar an Preußen ketten und die Befreiung von Oeſterreich vorbereiten ſollte.
Seit das preußiſche Zollgeſetz in Kraft geſetzt und den kleinen Nach- barn zunächſt nur durch ſeine Härten fühlbar wurde, erhob ſich überall mit erneuter Stärke der Ruf nach Aufhebung aller Binnenmauthen, und es begann eine leidenſchaftliche Agitation für die deutſche Handelseinheit, der Vorläufer und das Vorbild der ſpäteren Kämpfe um die politiſche Ein- heit. Die ganze Nation ſchien einig in einem großen Gedanken; gleich-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0621"n="607"/><fwplace="top"type="header">Der Kampf gegen das preußiſche Zollgeſetz.</fw><lb/>
faſſungsausſchuß ſein größtes Talent, der Miniſterrath die einzigen ſeiner<lb/>
Mitglieder, welche den Abſchluß der Verfaſſung ernſtlich wollten. Nicht<lb/>
Hardenberg war der Sieger in dieſem verworrenen Kampfe, ſondern Witt-<lb/>
genſtein, der immer aus dem Dunkel heraus mitgeholfen hatte, und hinter<lb/>
ihm Metternich. Noch eine Weile, und die öſterreichiſche Partei, welche der<lb/>
Staatskanzler gegen ſeinen Nebenbuhler aufgerufen hatte, wendete ſich wider<lb/>
ihn ſelber, um ihm ſein Verfaſſungswerk zu zerſtören, das jetzt nirgends<lb/>
mehr am Hofe eine Stütze fand. —</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Alles hiſtoriſche Werden entſpringt der beſtändigen Wechſelwirkung<lb/>
zwiſchen dem bewußten Menſchenwillen und den gegebenen Zuſtänden. Wie<lb/>
die Vernunft, die in den Dingen liegt, nur durch die Willenskraft eines<lb/>
großen, die Zeichen der Zeit verſtehenden Mannes verwirklicht werden kann,<lb/>ſo finden auch die Sünden und Irrthümer der Politiker ihre Schranke<lb/>
an dem Charakter der Staaten, an der Macht der Ideen, die ſich im Ver-<lb/>
laufe der Geſchichte angeſammelt haben. Schwer hatte die Krone Preußen<lb/>
gefehlt, als ſie in Karlsbad ſich den lebendigen Kräften des jungen Jahr-<lb/>
hunderts entgegenſtemmte; und doch war dieſer Staat modern von Grund<lb/>
aus, er konnte ſich der neuen Zeit nicht gänzlich entfremden und begann<lb/>
eben jetzt eine Reform ſeines Haushalts, welche ihn befähigte in ſeiner wirth-<lb/>ſchaftlichen Entwicklung alle anderen deutſchen Staaten zu überflügeln.<lb/>
Nachgiebig bis zur Selbſtvergeſſenheit war Hardenberg in Teplitz allen<lb/>
Wünſchen Oeſterreichs entgegengekommen, der Glaube an die unbedingte<lb/>
Intereſſengemeinſchaft der beiden Großmächte beherrſchte ihn ganz und gar;<lb/>
und doch war der Gegenſatz der beiden Mächte in einer alten Geſchichte<lb/>
begründet und, ſo lange die Machtfrage der deutſchen Zukunft ungelöſt<lb/>
blieb, durch menſchlichen Willen nicht mehr beizulegen. Faſt in dem näm-<lb/>
lichen Augenblicke, da der Berliner Hof ſich gänzlich der Führung Oeſter-<lb/>
reichs zu überlaſſen ſchien, that er wieder einen Schritt vorwärts auf den<lb/>
Bahnen der fridericianiſchen Politik und begann die deutſchen Nachbarlande<lb/>
in ſeine Zollgemeinſchaft aufzunehmen. Es war ein winziger, nach dem<lb/>
Maße der Gegenwart faſt lächerlicher Erfolg, aber der unſcheinbare Beginn<lb/>
einer Staatskunſt, welche die deutſchen Staaten durch das Band wirth-<lb/>ſchaftlicher Intereſſen unlösbar an Preußen ketten und die Befreiung von<lb/>
Oeſterreich vorbereiten ſollte.</p><lb/><p>Seit das preußiſche Zollgeſetz in Kraft geſetzt und den kleinen Nach-<lb/>
barn zunächſt nur durch ſeine Härten fühlbar wurde, erhob ſich überall<lb/>
mit erneuter Stärke der Ruf nach Aufhebung aller Binnenmauthen, und<lb/>
es begann eine leidenſchaftliche Agitation für die deutſche Handelseinheit,<lb/>
der Vorläufer und das Vorbild der ſpäteren Kämpfe um die politiſche Ein-<lb/>
heit. Die ganze Nation ſchien einig in einem großen Gedanken; gleich-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[607/0621]
Der Kampf gegen das preußiſche Zollgeſetz.
faſſungsausſchuß ſein größtes Talent, der Miniſterrath die einzigen ſeiner
Mitglieder, welche den Abſchluß der Verfaſſung ernſtlich wollten. Nicht
Hardenberg war der Sieger in dieſem verworrenen Kampfe, ſondern Witt-
genſtein, der immer aus dem Dunkel heraus mitgeholfen hatte, und hinter
ihm Metternich. Noch eine Weile, und die öſterreichiſche Partei, welche der
Staatskanzler gegen ſeinen Nebenbuhler aufgerufen hatte, wendete ſich wider
ihn ſelber, um ihm ſein Verfaſſungswerk zu zerſtören, das jetzt nirgends
mehr am Hofe eine Stütze fand. —
Alles hiſtoriſche Werden entſpringt der beſtändigen Wechſelwirkung
zwiſchen dem bewußten Menſchenwillen und den gegebenen Zuſtänden. Wie
die Vernunft, die in den Dingen liegt, nur durch die Willenskraft eines
großen, die Zeichen der Zeit verſtehenden Mannes verwirklicht werden kann,
ſo finden auch die Sünden und Irrthümer der Politiker ihre Schranke
an dem Charakter der Staaten, an der Macht der Ideen, die ſich im Ver-
laufe der Geſchichte angeſammelt haben. Schwer hatte die Krone Preußen
gefehlt, als ſie in Karlsbad ſich den lebendigen Kräften des jungen Jahr-
hunderts entgegenſtemmte; und doch war dieſer Staat modern von Grund
aus, er konnte ſich der neuen Zeit nicht gänzlich entfremden und begann
eben jetzt eine Reform ſeines Haushalts, welche ihn befähigte in ſeiner wirth-
ſchaftlichen Entwicklung alle anderen deutſchen Staaten zu überflügeln.
Nachgiebig bis zur Selbſtvergeſſenheit war Hardenberg in Teplitz allen
Wünſchen Oeſterreichs entgegengekommen, der Glaube an die unbedingte
Intereſſengemeinſchaft der beiden Großmächte beherrſchte ihn ganz und gar;
und doch war der Gegenſatz der beiden Mächte in einer alten Geſchichte
begründet und, ſo lange die Machtfrage der deutſchen Zukunft ungelöſt
blieb, durch menſchlichen Willen nicht mehr beizulegen. Faſt in dem näm-
lichen Augenblicke, da der Berliner Hof ſich gänzlich der Führung Oeſter-
reichs zu überlaſſen ſchien, that er wieder einen Schritt vorwärts auf den
Bahnen der fridericianiſchen Politik und begann die deutſchen Nachbarlande
in ſeine Zollgemeinſchaft aufzunehmen. Es war ein winziger, nach dem
Maße der Gegenwart faſt lächerlicher Erfolg, aber der unſcheinbare Beginn
einer Staatskunſt, welche die deutſchen Staaten durch das Band wirth-
ſchaftlicher Intereſſen unlösbar an Preußen ketten und die Befreiung von
Oeſterreich vorbereiten ſollte.
Seit das preußiſche Zollgeſetz in Kraft geſetzt und den kleinen Nach-
barn zunächſt nur durch ſeine Härten fühlbar wurde, erhob ſich überall
mit erneuter Stärke der Ruf nach Aufhebung aller Binnenmauthen, und
es begann eine leidenſchaftliche Agitation für die deutſche Handelseinheit,
der Vorläufer und das Vorbild der ſpäteren Kämpfe um die politiſche Ein-
heit. Die ganze Nation ſchien einig in einem großen Gedanken; gleich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/621>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.