Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. hielten sie von Hardenberg und drei Ministern die Versicherung: "daß diepreußische Regierung, weit entfernt, durch einseitige Maßregeln den Wohl- stand der deutschen Nachbarstaaten untergraben zu wollen, sich freuen würde, wenn alle Regierungen Deutschlands über die Grundsätze eines gemeinschaftlichen, die Wohlfahrt aller Theile fördernden Handelssystems sich vereinigen könnten, wozu die preußische Regierung sehr gern die Hände bieten werde, um ihrerseits mitzuwirken, daß dem ganzen Deutschland die Wohlthat eines freien, auf Gerechtigkeit gegründeten Handels zu theil werde. Es ist ihnen aber auch nicht verhehlt worden, daß der Zustand und die Verfassung der einzelnen deutschen Staaten noch keineswegs zu gemeinsamen Anordnungen vorbereitet erscheine; wozu auch besonders ge- höre, daß die gemeinsamen Anordnungen in einem gemeinsamen Sinne von Allen gehalten würden. Die Sache scheine daher jetzt nur darauf zu führen, daß einzelne Staaten, welche sich durch den jetzigen Zustand be- schwert glaubten, mit denjenigen Bundesgliedern, von denen nach ihrer Meinung die Beschwerden veranlaßt werden, sich zu vereinigen suchten und daß auf diesem Wege übereinstimmende Anordnungen von Grenze zu Grenze weiter geleitet würden, welche den Zweck hätten, die inneren Scheidewände mehr und mehr wegfallen zu lassen."*) Damit war rund und nett der Grundgedanke einer nationalen Handels- Auf so naive Vorschläge konnte Eichhorn sich nicht einlassen. Er durfte *) Preußische Staatszeitung 1819 Nr. 131. Ebendaselbst, 28. Dec. 1819. **) Schreiben der Geh.-Räthe Edling und Conta an Graf Bernstorff, Weimar
26. Januar 1819. II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. hielten ſie von Hardenberg und drei Miniſtern die Verſicherung: „daß diepreußiſche Regierung, weit entfernt, durch einſeitige Maßregeln den Wohl- ſtand der deutſchen Nachbarſtaaten untergraben zu wollen, ſich freuen würde, wenn alle Regierungen Deutſchlands über die Grundſätze eines gemeinſchaftlichen, die Wohlfahrt aller Theile fördernden Handelsſyſtems ſich vereinigen könnten, wozu die preußiſche Regierung ſehr gern die Hände bieten werde, um ihrerſeits mitzuwirken, daß dem ganzen Deutſchland die Wohlthat eines freien, auf Gerechtigkeit gegründeten Handels zu theil werde. Es iſt ihnen aber auch nicht verhehlt worden, daß der Zuſtand und die Verfaſſung der einzelnen deutſchen Staaten noch keineswegs zu gemeinſamen Anordnungen vorbereitet erſcheine; wozu auch beſonders ge- höre, daß die gemeinſamen Anordnungen in einem gemeinſamen Sinne von Allen gehalten würden. Die Sache ſcheine daher jetzt nur darauf zu führen, daß einzelne Staaten, welche ſich durch den jetzigen Zuſtand be- ſchwert glaubten, mit denjenigen Bundesgliedern, von denen nach ihrer Meinung die Beſchwerden veranlaßt werden, ſich zu vereinigen ſuchten und daß auf dieſem Wege übereinſtimmende Anordnungen von Grenze zu Grenze weiter geleitet würden, welche den Zweck hätten, die inneren Scheidewände mehr und mehr wegfallen zu laſſen.“*) Damit war rund und nett der Grundgedanke einer nationalen Handels- Auf ſo naive Vorſchläge konnte Eichhorn ſich nicht einlaſſen. Er durfte *) Preußiſche Staatszeitung 1819 Nr. 131. Ebendaſelbſt, 28. Dec. 1819. **) Schreiben der Geh.-Räthe Edling und Conta an Graf Bernſtorff, Weimar
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II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
hielten ſie von Hardenberg und drei Miniſtern die Verſicherung: „daß die
preußiſche Regierung, weit entfernt, durch einſeitige Maßregeln den Wohl-
ſtand der deutſchen Nachbarſtaaten untergraben zu wollen, ſich freuen
würde, wenn alle Regierungen Deutſchlands über die Grundſätze eines
gemeinſchaftlichen, die Wohlfahrt aller Theile fördernden Handelsſyſtems
ſich vereinigen könnten, wozu die preußiſche Regierung ſehr gern die Hände
bieten werde, um ihrerſeits mitzuwirken, daß dem ganzen Deutſchland die
Wohlthat eines freien, auf Gerechtigkeit gegründeten Handels zu theil
werde. Es iſt ihnen aber auch nicht verhehlt worden, daß der Zuſtand
und die Verfaſſung der einzelnen deutſchen Staaten noch keineswegs zu
gemeinſamen Anordnungen vorbereitet erſcheine; wozu auch beſonders ge-
höre, daß die gemeinſamen Anordnungen in einem gemeinſamen Sinne
von Allen gehalten würden. Die Sache ſcheine daher jetzt nur darauf zu
führen, daß einzelne Staaten, welche ſich durch den jetzigen Zuſtand be-
ſchwert glaubten, mit denjenigen Bundesgliedern, von denen nach ihrer
Meinung die Beſchwerden veranlaßt werden, ſich zu vereinigen ſuchten
und daß auf dieſem Wege übereinſtimmende Anordnungen von Grenze zu
Grenze weiter geleitet würden, welche den Zweck hätten, die inneren
Scheidewände mehr und mehr wegfallen zu laſſen.“ *)
Damit war rund und nett der Grundgedanke einer nationalen Handels-
politik ausgeſprochen, welche bei der Nichtigkeit des Bundestags die einzig
mögliche war. Deutlicher als Preußen ſprach, konnte eine Regierung über
noch unfertige Entwürfe ſchlechterdings nicht reden. Aber in der epidemiſchen
Verblendung, die nunmehr über die öffentliche Meinung hereinbrach, in
dem donnernden Lärm der Anklagen, die auf das abſolutiſtiſche Peußen her-
niederpraſſelten, wurden die offenkundigen Worte und Thaten des Berliner
Cabinets völlig vergeſſen. Man redete ſich hinein in den Wahn, daß Preußen
ſich ſelbſtgefällig von dem großen Vaterlande abſondere. Alles ſchalt auf
den Berliner Hochmuth und Partikularismus, am Lauteſten jene kleinen Höfe,
welche das Enclavenſyſtem ertragen mußten. Selbſt Karl Auguſt von
Weimar betrachtete es als eine höchſt anmaßende Zumuthung, daß er ſeine
rings von Preußen umſchloſſenen Aemter Allſtedt und Oldisleben dem
preußiſchen Zollſyſtem einfügen ſollte, und ließ dem Berliner Hofe ſchreiben:
„Eine ſtrenge Durchführung des Geſetzes vom 26. Mai ſcheint mit dem
Geiſte und den Grundſätzen der Bundesacte ſo wenig in Einklang zu
ſtehen, daß nicht zu bezweifeln ſteht, es werde dieſe Angelegenheit Gegen-
ſtand der nächſten Verhandlungen des Bundestags werden und S. K. Ma-
jeſtät von Preußen als Bundesfürſt ſelbſt geruhen, conciliatoriſche Anträge
deshalb an den Bund gelangen zu laſſen.“ **)
Auf ſo naive Vorſchläge konnte Eichhorn ſich nicht einlaſſen. Er durfte
*) Preußiſche Staatszeitung 1819 Nr. 131. Ebendaſelbſt, 28. Dec. 1819.
**) Schreiben der Geh.-Räthe Edling und Conta an Graf Bernſtorff, Weimar
26. Januar 1819.
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