fand. Er wollte die Gesammtsumme der Staatssteuern, mit Ausnahme der Zölle, nach der Kopfzahl auf die Provinzen vertheilen, dann jeder ein- zelnen Provinz ihre Grundsteuern sowie ihre Staatssteuern von Wein, Branntwein und Tabak anrechnen und nur den Rest durch die neuen Steuern aufbringen.
Dies schwächliche Zugeständniß an die mißleitete öffentliche Meinung ward im Staatsrath sofort und mit guten Gründen bekämpft. Welche Unbilligkeit, die ausgesogenen alten Provinzen mit einer höheren Klassen- steuer zu belasten als das wohlhabende Rheinland; in Schlesien lagen die wirthschaftlichen Verhältnisse so verzweifelt, daß auf dem rechten Oder- ufer viele Rittergüter, deren Inventar im Kriege zerstört war, noch jahre- lang herrenlos blieben, weil sich kein Käufer finden wollte. Und war es denn sicher, daß die Rheinländer wirklich eine so unbillige Last trugen, wie sie behaupteten? Bei dem kläglichen Zustande der Kataster konnte Niemand diese Frage bestimmt beantworten. Legte man den Maßstab der Bevölkerung an, der in den preußischen Büreaus als der immerhin sicherste Werthmesser für das Volksvermögen galt und auch bei den Zoll- verhandlungen mit den Nachbarstaaten regelmäßig angewendet wurde, so ergab sich unzweifelhaft, daß der Kopf der Bevölkerung in der Provinz Sachsen reichlich um die Hälfte mehr Grundsteuern trug als am Rhein, und als vierzig Jahre später die Ausgleichung der Grundsteuer endlich gelang, da stellte sich heraus, daß bisher nicht die Rheinländer, sondern die Schlesier, nach diesen die Westphalen und die Sachsen die höchsten Procente vom Reinertrage des Bodens gezahlt hatten. Solche Durch- schnittsberechnungen nach der Gesammtbelastung der Provinzen gaben über- haupt kein treues Bild von der wirklichen Lage; denn die ärgsten Un- gleichheiten des alten Grundsteuerwesens zeigten sich innerhalb der ein- zelnen Provinzen. Durfte man den märkischen und pommerschen Bauer, der bereits schwere Grundsteuern zahlte, darum noch mit einer erhöhten Klassensteuer beladen, weil in seiner Nachbarschaft zahlreiche steuerfreie Ritterhufen lagen? Noch ernster als alle diese berechtigten Bedenken schien die Gefahr, welche der Staatseinheit drohte. Wurden die Steuern quoti- sirt, so konnten sie fortan nur nach Anhörung von acht oder zehn Pro- vinziallandtagen erhöht werden, der Staatshaushalt gerieth abermals, wie vor 1806, unter den lähmenden Einfluß des ständischen Partikularismus und verfiel wieder in jene hilflose Unbeweglichkeit, die zur Zeit der Re- volutionskriege so viel Unheil angerichtet hatte. Diese Erwägungen, von Bülow nachdrücklich hervorgehoben, gaben den Ausschlag, der Staatsrath verwarf die Quotisation mit 36 gegen 13 Stimmen, und der Kanzler selber mußte jetzt zugestehen, daß die Vorschläge seiner Commission die vorhandene Ungleichheit nicht aufheben, sondern vielleicht noch verstärken würden.*) Also wurde das schlimmste Gebrechen der neuen Entwürfe
*) Hardenberg's Votum über die Quotisation, 19. April 1820.
Verwerfung der Quotiſation.
fand. Er wollte die Geſammtſumme der Staatsſteuern, mit Ausnahme der Zölle, nach der Kopfzahl auf die Provinzen vertheilen, dann jeder ein- zelnen Provinz ihre Grundſteuern ſowie ihre Staatsſteuern von Wein, Branntwein und Tabak anrechnen und nur den Reſt durch die neuen Steuern aufbringen.
Dies ſchwächliche Zugeſtändniß an die mißleitete öffentliche Meinung ward im Staatsrath ſofort und mit guten Gründen bekämpft. Welche Unbilligkeit, die ausgeſogenen alten Provinzen mit einer höheren Klaſſen- ſteuer zu belaſten als das wohlhabende Rheinland; in Schleſien lagen die wirthſchaftlichen Verhältniſſe ſo verzweifelt, daß auf dem rechten Oder- ufer viele Rittergüter, deren Inventar im Kriege zerſtört war, noch jahre- lang herrenlos blieben, weil ſich kein Käufer finden wollte. Und war es denn ſicher, daß die Rheinländer wirklich eine ſo unbillige Laſt trugen, wie ſie behaupteten? Bei dem kläglichen Zuſtande der Kataſter konnte Niemand dieſe Frage beſtimmt beantworten. Legte man den Maßſtab der Bevölkerung an, der in den preußiſchen Büreaus als der immerhin ſicherſte Werthmeſſer für das Volksvermögen galt und auch bei den Zoll- verhandlungen mit den Nachbarſtaaten regelmäßig angewendet wurde, ſo ergab ſich unzweifelhaft, daß der Kopf der Bevölkerung in der Provinz Sachſen reichlich um die Hälfte mehr Grundſteuern trug als am Rhein, und als vierzig Jahre ſpäter die Ausgleichung der Grundſteuer endlich gelang, da ſtellte ſich heraus, daß bisher nicht die Rheinländer, ſondern die Schleſier, nach dieſen die Weſtphalen und die Sachſen die höchſten Procente vom Reinertrage des Bodens gezahlt hatten. Solche Durch- ſchnittsberechnungen nach der Geſammtbelaſtung der Provinzen gaben über- haupt kein treues Bild von der wirklichen Lage; denn die ärgſten Un- gleichheiten des alten Grundſteuerweſens zeigten ſich innerhalb der ein- zelnen Provinzen. Durfte man den märkiſchen und pommerſchen Bauer, der bereits ſchwere Grundſteuern zahlte, darum noch mit einer erhöhten Klaſſenſteuer beladen, weil in ſeiner Nachbarſchaft zahlreiche ſteuerfreie Ritterhufen lagen? Noch ernſter als alle dieſe berechtigten Bedenken ſchien die Gefahr, welche der Staatseinheit drohte. Wurden die Steuern quoti- ſirt, ſo konnten ſie fortan nur nach Anhörung von acht oder zehn Pro- vinziallandtagen erhöht werden, der Staatshaushalt gerieth abermals, wie vor 1806, unter den lähmenden Einfluß des ſtändiſchen Partikularismus und verfiel wieder in jene hilfloſe Unbeweglichkeit, die zur Zeit der Re- volutionskriege ſo viel Unheil angerichtet hatte. Dieſe Erwägungen, von Bülow nachdrücklich hervorgehoben, gaben den Ausſchlag, der Staatsrath verwarf die Quotiſation mit 36 gegen 13 Stimmen, und der Kanzler ſelber mußte jetzt zugeſtehen, daß die Vorſchläge ſeiner Commiſſion die vorhandene Ungleichheit nicht aufheben, ſondern vielleicht noch verſtärken würden.*) Alſo wurde das ſchlimmſte Gebrechen der neuen Entwürfe
*) Hardenberg’s Votum über die Quotiſation, 19. April 1820.
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Verwerfung der Quotiſation.
fand. Er wollte die Geſammtſumme der Staatsſteuern, mit Ausnahme
der Zölle, nach der Kopfzahl auf die Provinzen vertheilen, dann jeder ein-
zelnen Provinz ihre Grundſteuern ſowie ihre Staatsſteuern von Wein,
Branntwein und Tabak anrechnen und nur den Reſt durch die neuen
Steuern aufbringen.
Dies ſchwächliche Zugeſtändniß an die mißleitete öffentliche Meinung
ward im Staatsrath ſofort und mit guten Gründen bekämpft. Welche
Unbilligkeit, die ausgeſogenen alten Provinzen mit einer höheren Klaſſen-
ſteuer zu belaſten als das wohlhabende Rheinland; in Schleſien lagen
die wirthſchaftlichen Verhältniſſe ſo verzweifelt, daß auf dem rechten Oder-
ufer viele Rittergüter, deren Inventar im Kriege zerſtört war, noch jahre-
lang herrenlos blieben, weil ſich kein Käufer finden wollte. Und war es
denn ſicher, daß die Rheinländer wirklich eine ſo unbillige Laſt trugen,
wie ſie behaupteten? Bei dem kläglichen Zuſtande der Kataſter konnte
Niemand dieſe Frage beſtimmt beantworten. Legte man den Maßſtab der
Bevölkerung an, der in den preußiſchen Büreaus als der immerhin
ſicherſte Werthmeſſer für das Volksvermögen galt und auch bei den Zoll-
verhandlungen mit den Nachbarſtaaten regelmäßig angewendet wurde, ſo
ergab ſich unzweifelhaft, daß der Kopf der Bevölkerung in der Provinz
Sachſen reichlich um die Hälfte mehr Grundſteuern trug als am Rhein,
und als vierzig Jahre ſpäter die Ausgleichung der Grundſteuer endlich
gelang, da ſtellte ſich heraus, daß bisher nicht die Rheinländer, ſondern
die Schleſier, nach dieſen die Weſtphalen und die Sachſen die höchſten
Procente vom Reinertrage des Bodens gezahlt hatten. Solche Durch-
ſchnittsberechnungen nach der Geſammtbelaſtung der Provinzen gaben über-
haupt kein treues Bild von der wirklichen Lage; denn die ärgſten Un-
gleichheiten des alten Grundſteuerweſens zeigten ſich innerhalb der ein-
zelnen Provinzen. Durfte man den märkiſchen und pommerſchen Bauer,
der bereits ſchwere Grundſteuern zahlte, darum noch mit einer erhöhten
Klaſſenſteuer beladen, weil in ſeiner Nachbarſchaft zahlreiche ſteuerfreie
Ritterhufen lagen? Noch ernſter als alle dieſe berechtigten Bedenken ſchien
die Gefahr, welche der Staatseinheit drohte. Wurden die Steuern quoti-
ſirt, ſo konnten ſie fortan nur nach Anhörung von acht oder zehn Pro-
vinziallandtagen erhöht werden, der Staatshaushalt gerieth abermals, wie
vor 1806, unter den lähmenden Einfluß des ſtändiſchen Partikularismus
und verfiel wieder in jene hilfloſe Unbeweglichkeit, die zur Zeit der Re-
volutionskriege ſo viel Unheil angerichtet hatte. Dieſe Erwägungen, von
Bülow nachdrücklich hervorgehoben, gaben den Ausſchlag, der Staatsrath
verwarf die Quotiſation mit 36 gegen 13 Stimmen, und der Kanzler
ſelber mußte jetzt zugeſtehen, daß die Vorſchläge ſeiner Commiſſion die
vorhandene Ungleichheit nicht aufheben, ſondern vielleicht noch verſtärken
würden. *) Alſo wurde das ſchlimmſte Gebrechen der neuen Entwürfe
*) Hardenberg’s Votum über die Quotiſation, 19. April 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/103>, abgerufen am 22.11.2024.
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