Und wie selten hegte der Bauer jetzt noch zu seinem Grundherrn das herzliche Zutrauen, das allein die Macht der Ortsobrigkeit erträglich machen konnte! Schon früherhin hatte sich der arme Adel des Nordostens bei den ewig wiederkehrenden Kriegsnöthen nur selten lange in seinem Besitz behauptet, und es galt schon als Merkwürdigkeit, daß noch einzelne alte Geschlechter, wie die Bredow's im Havellande, die Brandt's von Lin- dau in dem kursächsischen Brandtswinkel, seit Jahrhunderten auf ihren Stammgütern hausten. Neuerdings, seit die Rittergüter frei veräußert werden durften, ward der Besitzwechsel noch häufiger und die Ueberlegen- heit des bürgerlichen Kapitals auch auf dem Lande bald bemerkbar. Zu- erst die Amtmänner der Domänen, dann auch andere Bürgerliche siedelten sich in den alten Rittersitzen an; in Ostpreußen war schon jetzt die Mehr- zahl der großen Güter in bürgerlichen Händen, hier und da regte sich auch schon die gewerbmäßige Güterspekulation. Mancher der neuen Be- sitzer blieb seinen Bauern ganz fremd, und war er hartherzig, so ver- suchte er sich der Ortsarmen mit jedem Mittel zu entledigen, auch wohl die kleinen Nachbarn, die ihm zur Last fallen konnten, auszukaufen.
Trotzdem waren diese verschrobenen Zustände im Volke keineswegs unbeliebt. Der Bauer haftete zäh am alten Herkommen und fand es bequem, Gericht und Polizei so nahe vor der Thür zu haben; er blickte über manche grobe Mängel der gutsherrlichen Verwaltung gleichgiltig hin- weg, da die Grundherrschaft jetzt nichts mehr von ihm zu fordern, son- dern nur für ihn Lasten zu tragen hatte. Noch in den vierziger Jahren dankten die Bauern des brandenburgischen Provinziallandtags ihrem Kö- nige aus vollem Herzen, weil er ihnen ihre alte Gemeindeverfassung un- angetastet gelassen habe. Der Adel andererseits betrachtete die Grund- herrschaft als ein theueres Ehrenrecht seines Standes, und es war nicht blos Junkerhochmuth, was aus solchen Ansichten sprach. Die Grundherren durften sich rühmen, daß sie sich ihre Machtstellung auf dem flachen Lande durch schwere Opfer täglich neu erwarben; viele von ihnen empfanden wirklich den Drang nach freier gemeinnütziger Thätigkeit, der in der Aristo- kratie gesunder Völker immer lebendig ist. Mit Entrüstung hatten sich schon im Jahre 1809 die Stände des Mohrunger Kreises, voran die Grafen Dohna und Dönhoff, wider die geplante Aufhebung der gutsherr- lichen Polizei verwahrt, weil sie es für eine unwürdige Zumuthung hielten, daß der Grundherr fortan unthätig von seinen Einkünften leben solle. Wenn der Gesetzgeber diese ehrenhafte Gesinnung auf ein richtiges Ziel zu lenken verstand, wenn er die Privilegien des Landadels entschlossen be- seitigte und ihm dafür auf dem Boden des gemeinen Rechtes einen neuen fruchtbaren Wirkungskreis eröffnete, dann konnte das vorurtheilsvolle Jun- kerthum des Nordostens dereinst noch zu einer festen Stütze der länd- lichen Selbstverwaltung werden.
Wie anders die Landgemeinden der westlichen Provinzen! Hier hatte
III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
Und wie ſelten hegte der Bauer jetzt noch zu ſeinem Grundherrn das herzliche Zutrauen, das allein die Macht der Ortsobrigkeit erträglich machen konnte! Schon früherhin hatte ſich der arme Adel des Nordoſtens bei den ewig wiederkehrenden Kriegsnöthen nur ſelten lange in ſeinem Beſitz behauptet, und es galt ſchon als Merkwürdigkeit, daß noch einzelne alte Geſchlechter, wie die Bredow’s im Havellande, die Brandt’s von Lin- dau in dem kurſächſiſchen Brandtswinkel, ſeit Jahrhunderten auf ihren Stammgütern hauſten. Neuerdings, ſeit die Rittergüter frei veräußert werden durften, ward der Beſitzwechſel noch häufiger und die Ueberlegen- heit des bürgerlichen Kapitals auch auf dem Lande bald bemerkbar. Zu- erſt die Amtmänner der Domänen, dann auch andere Bürgerliche ſiedelten ſich in den alten Ritterſitzen an; in Oſtpreußen war ſchon jetzt die Mehr- zahl der großen Güter in bürgerlichen Händen, hier und da regte ſich auch ſchon die gewerbmäßige Güterſpekulation. Mancher der neuen Be- ſitzer blieb ſeinen Bauern ganz fremd, und war er hartherzig, ſo ver- ſuchte er ſich der Ortsarmen mit jedem Mittel zu entledigen, auch wohl die kleinen Nachbarn, die ihm zur Laſt fallen konnten, auszukaufen.
Trotzdem waren dieſe verſchrobenen Zuſtände im Volke keineswegs unbeliebt. Der Bauer haftete zäh am alten Herkommen und fand es bequem, Gericht und Polizei ſo nahe vor der Thür zu haben; er blickte über manche grobe Mängel der gutsherrlichen Verwaltung gleichgiltig hin- weg, da die Grundherrſchaft jetzt nichts mehr von ihm zu fordern, ſon- dern nur für ihn Laſten zu tragen hatte. Noch in den vierziger Jahren dankten die Bauern des brandenburgiſchen Provinziallandtags ihrem Kö- nige aus vollem Herzen, weil er ihnen ihre alte Gemeindeverfaſſung un- angetaſtet gelaſſen habe. Der Adel andererſeits betrachtete die Grund- herrſchaft als ein theueres Ehrenrecht ſeines Standes, und es war nicht blos Junkerhochmuth, was aus ſolchen Anſichten ſprach. Die Grundherren durften ſich rühmen, daß ſie ſich ihre Machtſtellung auf dem flachen Lande durch ſchwere Opfer täglich neu erwarben; viele von ihnen empfanden wirklich den Drang nach freier gemeinnütziger Thätigkeit, der in der Ariſto- kratie geſunder Völker immer lebendig iſt. Mit Entrüſtung hatten ſich ſchon im Jahre 1809 die Stände des Mohrunger Kreiſes, voran die Grafen Dohna und Dönhoff, wider die geplante Aufhebung der gutsherr- lichen Polizei verwahrt, weil ſie es für eine unwürdige Zumuthung hielten, daß der Grundherr fortan unthätig von ſeinen Einkünften leben ſolle. Wenn der Geſetzgeber dieſe ehrenhafte Geſinnung auf ein richtiges Ziel zu lenken verſtand, wenn er die Privilegien des Landadels entſchloſſen be- ſeitigte und ihm dafür auf dem Boden des gemeinen Rechtes einen neuen fruchtbaren Wirkungskreis eröffnete, dann konnte das vorurtheilsvolle Jun- kerthum des Nordoſtens dereinſt noch zu einer feſten Stütze der länd- lichen Selbſtverwaltung werden.
Wie anders die Landgemeinden der weſtlichen Provinzen! Hier hatte
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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
Und wie ſelten hegte der Bauer jetzt noch zu ſeinem Grundherrn
das herzliche Zutrauen, das allein die Macht der Ortsobrigkeit erträglich
machen konnte! Schon früherhin hatte ſich der arme Adel des Nordoſtens
bei den ewig wiederkehrenden Kriegsnöthen nur ſelten lange in ſeinem
Beſitz behauptet, und es galt ſchon als Merkwürdigkeit, daß noch einzelne
alte Geſchlechter, wie die Bredow’s im Havellande, die Brandt’s von Lin-
dau in dem kurſächſiſchen Brandtswinkel, ſeit Jahrhunderten auf ihren
Stammgütern hauſten. Neuerdings, ſeit die Rittergüter frei veräußert
werden durften, ward der Beſitzwechſel noch häufiger und die Ueberlegen-
heit des bürgerlichen Kapitals auch auf dem Lande bald bemerkbar. Zu-
erſt die Amtmänner der Domänen, dann auch andere Bürgerliche ſiedelten
ſich in den alten Ritterſitzen an; in Oſtpreußen war ſchon jetzt die Mehr-
zahl der großen Güter in bürgerlichen Händen, hier und da regte ſich
auch ſchon die gewerbmäßige Güterſpekulation. Mancher der neuen Be-
ſitzer blieb ſeinen Bauern ganz fremd, und war er hartherzig, ſo ver-
ſuchte er ſich der Ortsarmen mit jedem Mittel zu entledigen, auch wohl
die kleinen Nachbarn, die ihm zur Laſt fallen konnten, auszukaufen.
Trotzdem waren dieſe verſchrobenen Zuſtände im Volke keineswegs
unbeliebt. Der Bauer haftete zäh am alten Herkommen und fand es
bequem, Gericht und Polizei ſo nahe vor der Thür zu haben; er blickte
über manche grobe Mängel der gutsherrlichen Verwaltung gleichgiltig hin-
weg, da die Grundherrſchaft jetzt nichts mehr von ihm zu fordern, ſon-
dern nur für ihn Laſten zu tragen hatte. Noch in den vierziger Jahren
dankten die Bauern des brandenburgiſchen Provinziallandtags ihrem Kö-
nige aus vollem Herzen, weil er ihnen ihre alte Gemeindeverfaſſung un-
angetaſtet gelaſſen habe. Der Adel andererſeits betrachtete die Grund-
herrſchaft als ein theueres Ehrenrecht ſeines Standes, und es war nicht
blos Junkerhochmuth, was aus ſolchen Anſichten ſprach. Die Grundherren
durften ſich rühmen, daß ſie ſich ihre Machtſtellung auf dem flachen Lande
durch ſchwere Opfer täglich neu erwarben; viele von ihnen empfanden
wirklich den Drang nach freier gemeinnütziger Thätigkeit, der in der Ariſto-
kratie geſunder Völker immer lebendig iſt. Mit Entrüſtung hatten ſich
ſchon im Jahre 1809 die Stände des Mohrunger Kreiſes, voran die
Grafen Dohna und Dönhoff, wider die geplante Aufhebung der gutsherr-
lichen Polizei verwahrt, weil ſie es für eine unwürdige Zumuthung hielten,
daß der Grundherr fortan unthätig von ſeinen Einkünften leben ſolle.
Wenn der Geſetzgeber dieſe ehrenhafte Geſinnung auf ein richtiges Ziel
zu lenken verſtand, wenn er die Privilegien des Landadels entſchloſſen be-
ſeitigte und ihm dafür auf dem Boden des gemeinen Rechtes einen neuen
fruchtbaren Wirkungskreis eröffnete, dann konnte das vorurtheilsvolle Jun-
kerthum des Nordoſtens dereinſt noch zu einer feſten Stütze der länd-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/118>, abgerufen am 04.12.2024.
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