Auch das Volk hielt seine Gemeindeverfassung hoch, schon weil sie rheinisch war. "Wir wolle bleibe was wir sin" hieß es kurzab, sobald man ver- nahm, daß der Preuß eine Aenderung beabsichtige. Der kleine rheinische Landmann, der mit der Gartenwirthschaft und dem Glücksspiele des Wein- baues schon seine liebe Noth hatte, sah es keineswegs ungern, daß ihm der gestrenge Bürgermeister die Arbeit und Sorge für das Gemeindewesen abnahm; auch konnten die großen Bürgermeistereien für die Zwecke der Wohlfahrtspolizei ungleich mehr leisten als die Zwerggemeinden der alten Provinzen. Dieser praktische Vortheil war so unleugbar, und die Volks- meinung so entschieden, daß selbst die abgesagten Feinde der französischen Gesetzgebung, Stein und Vincke, die Bürgermeistereien und Aemter nicht antasten wollten.
Ebenso schroffe Unterschiede zeigten sich im Städtewesen. In den alten Provinzen war Stein's Städteordnung, nachdem sie die schwere Prü- fungszeit des Befreiungskrieges glücklich überstanden, den Bürgern all- mählich fest ans Herz gewachsen, und Stein hoffte, sein erprobtes Werk mit einigen unwesentlichen Aenderungen bald auch in den neuen Provinzen eingeführt zu sehen, weil die Selbstverwaltung die beste Schule preußischer Staatsgesinnung sei. Die Rheinländer aber ließen sich's nicht träumen, wie viel freier die Städteverfassung des verachteten Ostens war. Die formale Gleichheit der französischen Municipalitäten genügte ihnen; bei uns, sagte man stolz, gehen alle Klassen der Gesellschaft in dem einen Begriffe des Bürgers auf. Der ernannte Bürgermeister mit seinen Bei- geordneten war nach rheinischer Anschauung den deutschen Magistraten des Ostens ebenso überlegen wie der napoleonische Präfekt den preußischen Regierungscollegien. Der rheinländische Bürger freute sich, daß ihm die vielen lästigen Ehrenämter der Stein'schen Städteordnung erspart blieben, und Niemand bemerkte, daß ein Gemeinderath, der nicht selbst verwaltete, auch keine wirksame Controle über den allmächtigen Bürgermeister aus- üben konnte. Gewählte Magistrate wünschte man schon darum nicht, weil man die Wiederkehr des Kölnischen Klüngels und seiner Vetternherrschaft befürchtete. Die tiefsinnige Auffassung vom Staate und seinen Pflichten, welche der Städteordnung Stein's zu Grunde lag, erschien hier im Westen, wo Alles für die Ideen von 89 schwärmte, ganz unverständlich. Noch im Jahre 1845 behauptete L. Buhl in einer Schrift über die Gemeinde- verfassung der preußischen Rheinprovinz: das Beispiel "des Musterlandes Frankreich" beweise genugsam, daß Freiheit des Staates und Freiheit der Gemeinden einander ausschlössen; vor diese Wahl gestellt müsse das libe- rale Rheinland die Freiheit des Staates vorziehen. Der wackere Publicist, einer der klügsten Liberalen der Rheinpfalz, hatte damit fast allen Be- wohnern des linken Rheinufers aus der Seele gesprochen. Ein Volk, das in solchen Anschauungen lebte und sich dabei noch seines Freisinns rühmte, war für die harten Pflichten deutscher Selbstverwaltung offenbar noch
III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
Auch das Volk hielt ſeine Gemeindeverfaſſung hoch, ſchon weil ſie rheiniſch war. „Wir wolle bleibe was wir ſin“ hieß es kurzab, ſobald man ver- nahm, daß der Preuß eine Aenderung beabſichtige. Der kleine rheiniſche Landmann, der mit der Gartenwirthſchaft und dem Glücksſpiele des Wein- baues ſchon ſeine liebe Noth hatte, ſah es keineswegs ungern, daß ihm der geſtrenge Bürgermeiſter die Arbeit und Sorge für das Gemeindeweſen abnahm; auch konnten die großen Bürgermeiſtereien für die Zwecke der Wohlfahrtspolizei ungleich mehr leiſten als die Zwerggemeinden der alten Provinzen. Dieſer praktiſche Vortheil war ſo unleugbar, und die Volks- meinung ſo entſchieden, daß ſelbſt die abgeſagten Feinde der franzöſiſchen Geſetzgebung, Stein und Vincke, die Bürgermeiſtereien und Aemter nicht antaſten wollten.
Ebenſo ſchroffe Unterſchiede zeigten ſich im Städteweſen. In den alten Provinzen war Stein’s Städteordnung, nachdem ſie die ſchwere Prü- fungszeit des Befreiungskrieges glücklich überſtanden, den Bürgern all- mählich feſt ans Herz gewachſen, und Stein hoffte, ſein erprobtes Werk mit einigen unweſentlichen Aenderungen bald auch in den neuen Provinzen eingeführt zu ſehen, weil die Selbſtverwaltung die beſte Schule preußiſcher Staatsgeſinnung ſei. Die Rheinländer aber ließen ſich’s nicht träumen, wie viel freier die Städteverfaſſung des verachteten Oſtens war. Die formale Gleichheit der franzöſiſchen Municipalitäten genügte ihnen; bei uns, ſagte man ſtolz, gehen alle Klaſſen der Geſellſchaft in dem einen Begriffe des Bürgers auf. Der ernannte Bürgermeiſter mit ſeinen Bei- geordneten war nach rheiniſcher Anſchauung den deutſchen Magiſtraten des Oſtens ebenſo überlegen wie der napoleoniſche Präfekt den preußiſchen Regierungscollegien. Der rheinländiſche Bürger freute ſich, daß ihm die vielen läſtigen Ehrenämter der Stein’ſchen Städteordnung erſpart blieben, und Niemand bemerkte, daß ein Gemeinderath, der nicht ſelbſt verwaltete, auch keine wirkſame Controle über den allmächtigen Bürgermeiſter aus- üben konnte. Gewählte Magiſtrate wünſchte man ſchon darum nicht, weil man die Wiederkehr des Kölniſchen Klüngels und ſeiner Vetternherrſchaft befürchtete. Die tiefſinnige Auffaſſung vom Staate und ſeinen Pflichten, welche der Städteordnung Stein’s zu Grunde lag, erſchien hier im Weſten, wo Alles für die Ideen von 89 ſchwärmte, ganz unverſtändlich. Noch im Jahre 1845 behauptete L. Buhl in einer Schrift über die Gemeinde- verfaſſung der preußiſchen Rheinprovinz: das Beiſpiel „des Muſterlandes Frankreich“ beweiſe genugſam, daß Freiheit des Staates und Freiheit der Gemeinden einander ausſchlöſſen; vor dieſe Wahl geſtellt müſſe das libe- rale Rheinland die Freiheit des Staates vorziehen. Der wackere Publiciſt, einer der klügſten Liberalen der Rheinpfalz, hatte damit faſt allen Be- wohnern des linken Rheinufers aus der Seele geſprochen. Ein Volk, das in ſolchen Anſchauungen lebte und ſich dabei noch ſeines Freiſinns rühmte, war für die harten Pflichten deutſcher Selbſtverwaltung offenbar noch
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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
Auch das Volk hielt ſeine Gemeindeverfaſſung hoch, ſchon weil ſie rheiniſch
war. „Wir wolle bleibe was wir ſin“ hieß es kurzab, ſobald man ver-
nahm, daß der Preuß eine Aenderung beabſichtige. Der kleine rheiniſche
Landmann, der mit der Gartenwirthſchaft und dem Glücksſpiele des Wein-
baues ſchon ſeine liebe Noth hatte, ſah es keineswegs ungern, daß ihm
der geſtrenge Bürgermeiſter die Arbeit und Sorge für das Gemeindeweſen
abnahm; auch konnten die großen Bürgermeiſtereien für die Zwecke der
Wohlfahrtspolizei ungleich mehr leiſten als die Zwerggemeinden der alten
Provinzen. Dieſer praktiſche Vortheil war ſo unleugbar, und die Volks-
meinung ſo entſchieden, daß ſelbſt die abgeſagten Feinde der franzöſiſchen
Geſetzgebung, Stein und Vincke, die Bürgermeiſtereien und Aemter nicht
antaſten wollten.
Ebenſo ſchroffe Unterſchiede zeigten ſich im Städteweſen. In den
alten Provinzen war Stein’s Städteordnung, nachdem ſie die ſchwere Prü-
fungszeit des Befreiungskrieges glücklich überſtanden, den Bürgern all-
mählich feſt ans Herz gewachſen, und Stein hoffte, ſein erprobtes Werk
mit einigen unweſentlichen Aenderungen bald auch in den neuen Provinzen
eingeführt zu ſehen, weil die Selbſtverwaltung die beſte Schule preußiſcher
Staatsgeſinnung ſei. Die Rheinländer aber ließen ſich’s nicht träumen,
wie viel freier die Städteverfaſſung des verachteten Oſtens war. Die
formale Gleichheit der franzöſiſchen Municipalitäten genügte ihnen; bei
uns, ſagte man ſtolz, gehen alle Klaſſen der Geſellſchaft in dem einen
Begriffe des Bürgers auf. Der ernannte Bürgermeiſter mit ſeinen Bei-
geordneten war nach rheiniſcher Anſchauung den deutſchen Magiſtraten
des Oſtens ebenſo überlegen wie der napoleoniſche Präfekt den preußiſchen
Regierungscollegien. Der rheinländiſche Bürger freute ſich, daß ihm die
vielen läſtigen Ehrenämter der Stein’ſchen Städteordnung erſpart blieben,
und Niemand bemerkte, daß ein Gemeinderath, der nicht ſelbſt verwaltete,
auch keine wirkſame Controle über den allmächtigen Bürgermeiſter aus-
üben konnte. Gewählte Magiſtrate wünſchte man ſchon darum nicht, weil
man die Wiederkehr des Kölniſchen Klüngels und ſeiner Vetternherrſchaft
befürchtete. Die tiefſinnige Auffaſſung vom Staate und ſeinen Pflichten,
welche der Städteordnung Stein’s zu Grunde lag, erſchien hier im Weſten,
wo Alles für die Ideen von 89 ſchwärmte, ganz unverſtändlich. Noch
im Jahre 1845 behauptete L. Buhl in einer Schrift über die Gemeinde-
verfaſſung der preußiſchen Rheinprovinz: das Beiſpiel „des Muſterlandes
Frankreich“ beweiſe genugſam, daß Freiheit des Staates und Freiheit der
Gemeinden einander ausſchlöſſen; vor dieſe Wahl geſtellt müſſe das libe-
rale Rheinland die Freiheit des Staates vorziehen. Der wackere Publiciſt,
einer der klügſten Liberalen der Rheinpfalz, hatte damit faſt allen Be-
wohnern des linken Rheinufers aus der Seele geſprochen. Ein Volk, das
in ſolchen Anſchauungen lebte und ſich dabei noch ſeines Freiſinns rühmte,
war für die harten Pflichten deutſcher Selbſtverwaltung offenbar noch
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/120>, abgerufen am 04.12.2024.
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