Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Gemeinheitstheilung. Zank. Die Staatsgewalt aber schritt unbekümmert vorwärts, und biszum Jahre 1848 wurden noch fast 43 Mill. Morgen Gemeindeland auf- getheilt oder von Servituten befreit. Fast überall schämten sich die Bauern ihres Widerstandes, sobald das Werk gelungen war, und die verhaßten Generalcommissionen gelangten nach und nach zu hohem Ansehen. Das Landvolk begann einzusehen, daß die Gemeinheitstheilung ein unentbehr- liches Glied war in der langen Kette jener Reformen, welche den frohnen- den Scharwerker zum freien Eigenthümer erheben sollten. Mit den Ge- meinheiten fiel auch der Flurzwang. Nun erst ward auf den Dorffluren ein leidliches Bewässerungs- und Wegenetz möglich, dessen gerade Linien allerdings die Schönheit der Landschaft oft beeinträchtigten. Nun erst konnte der Bauer die altväterische Dreifelderwirthschaft aufgeben und auf seinem abgerundeten Gute einen intensiveren Anbau versuchen. Er war jetzt seines Besitzthums völlig Herr und durfte bei Fleiß und gutem Glück auf steigenden Wohlstand zählen. Im Mißgeschick bekam er freilich die Härten des Systems der freien Concurrenz schwer zu fühlen; dann fehlte ihm der Nothpfennig der Gemeindenutzung, und da die landwirthschaft- lichen Creditinstitute nur den großen Grundbesitzern zu gute kamen, so lief er leicht Gefahr von den benachbarten Grundherren ausgekauft zu werden. Die Gemeinheitstheilung verstopfte einen Quell ewigen Haders zwischen den Grundherren und den Bauerschaften, wie andererseits die meisten der Grenzstreitigkeiten, welche die proceßlustigen Bauern unter einander verfeindet hatten, durch die Zusammenlegung der Güter beseitigt wurden. Sie wirkte auf das Communalleben des flachen Landes in ähn- licher Weise wie einst die Aufhebung der Zunft- und Bannrechte auf die Städte. Der Gemeinheiten entledigt konnte das Dorf nunmehr in Wahr- heit zu einer politischen Gemeinde werden. Auf diesen großen Umschwung der ländlichen Verhältnisse hatte die Gemeinheitstheilung. Zank. Die Staatsgewalt aber ſchritt unbekümmert vorwärts, und biszum Jahre 1848 wurden noch faſt 43 Mill. Morgen Gemeindeland auf- getheilt oder von Servituten befreit. Faſt überall ſchämten ſich die Bauern ihres Widerſtandes, ſobald das Werk gelungen war, und die verhaßten Generalcommiſſionen gelangten nach und nach zu hohem Anſehen. Das Landvolk begann einzuſehen, daß die Gemeinheitstheilung ein unentbehr- liches Glied war in der langen Kette jener Reformen, welche den frohnen- den Scharwerker zum freien Eigenthümer erheben ſollten. Mit den Ge- meinheiten fiel auch der Flurzwang. Nun erſt ward auf den Dorffluren ein leidliches Bewäſſerungs- und Wegenetz möglich, deſſen gerade Linien allerdings die Schönheit der Landſchaft oft beeinträchtigten. Nun erſt konnte der Bauer die altväteriſche Dreifelderwirthſchaft aufgeben und auf ſeinem abgerundeten Gute einen intenſiveren Anbau verſuchen. Er war jetzt ſeines Beſitzthums völlig Herr und durfte bei Fleiß und gutem Glück auf ſteigenden Wohlſtand zählen. Im Mißgeſchick bekam er freilich die Härten des Syſtems der freien Concurrenz ſchwer zu fühlen; dann fehlte ihm der Nothpfennig der Gemeindenutzung, und da die landwirthſchaft- lichen Creditinſtitute nur den großen Grundbeſitzern zu gute kamen, ſo lief er leicht Gefahr von den benachbarten Grundherren ausgekauft zu werden. Die Gemeinheitstheilung verſtopfte einen Quell ewigen Haders zwiſchen den Grundherren und den Bauerſchaften, wie andererſeits die meiſten der Grenzſtreitigkeiten, welche die proceßluſtigen Bauern unter einander verfeindet hatten, durch die Zuſammenlegung der Güter beſeitigt wurden. Sie wirkte auf das Communalleben des flachen Landes in ähn- licher Weiſe wie einſt die Aufhebung der Zunft- und Bannrechte auf die Städte. Der Gemeinheiten entledigt konnte das Dorf nunmehr in Wahr- heit zu einer politiſchen Gemeinde werden. Auf dieſen großen Umſchwung der ländlichen Verhältniſſe hatte die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0123" n="107"/><fw place="top" type="header">Gemeinheitstheilung.</fw><lb/> Zank. Die Staatsgewalt aber ſchritt unbekümmert vorwärts, und bis<lb/> zum Jahre 1848 wurden noch faſt 43 Mill. Morgen Gemeindeland auf-<lb/> getheilt oder von Servituten befreit. Faſt überall ſchämten ſich die Bauern<lb/> ihres Widerſtandes, ſobald das Werk gelungen war, und die verhaßten<lb/> Generalcommiſſionen gelangten nach und nach zu hohem Anſehen. Das<lb/> Landvolk begann einzuſehen, daß die Gemeinheitstheilung ein unentbehr-<lb/> liches Glied war in der langen Kette jener Reformen, welche den frohnen-<lb/> den Scharwerker zum freien Eigenthümer erheben ſollten. Mit den Ge-<lb/> meinheiten fiel auch der Flurzwang. Nun erſt ward auf den Dorffluren<lb/> ein leidliches Bewäſſerungs- und Wegenetz möglich, deſſen gerade Linien<lb/> allerdings die Schönheit der Landſchaft oft beeinträchtigten. Nun erſt<lb/> konnte der Bauer die altväteriſche Dreifelderwirthſchaft aufgeben und auf<lb/> ſeinem abgerundeten Gute einen intenſiveren Anbau verſuchen. Er war<lb/> jetzt ſeines Beſitzthums völlig Herr und durfte bei Fleiß und gutem Glück<lb/> auf ſteigenden Wohlſtand zählen. Im Mißgeſchick bekam er freilich die<lb/> Härten des Syſtems der freien Concurrenz ſchwer zu fühlen; dann fehlte<lb/> ihm der Nothpfennig der Gemeindenutzung, und da die landwirthſchaft-<lb/> lichen Creditinſtitute nur den großen Grundbeſitzern zu gute kamen, ſo<lb/> lief er leicht Gefahr von den benachbarten Grundherren ausgekauft zu<lb/> werden. Die Gemeinheitstheilung verſtopfte einen Quell ewigen Haders<lb/> zwiſchen den Grundherren und den Bauerſchaften, wie andererſeits die<lb/> meiſten der Grenzſtreitigkeiten, welche die proceßluſtigen Bauern unter<lb/> einander verfeindet hatten, durch die Zuſammenlegung der Güter beſeitigt<lb/> wurden. Sie wirkte auf das Communalleben des flachen Landes in ähn-<lb/> licher Weiſe wie einſt die Aufhebung der Zunft- und Bannrechte auf die<lb/> Städte. Der Gemeinheiten entledigt konnte das Dorf nunmehr in Wahr-<lb/> heit zu einer politiſchen Gemeinde werden.</p><lb/> <p>Auf dieſen großen Umſchwung der ländlichen Verhältniſſe hatte die<lb/> Commiſſion ihre Entwürfe berechnet. Es war ihr ganzer Ernſt mit dem<lb/> Fundamentalſatze des Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes: „wir haben<lb/> lauter freie Eigenthümer.“ Und ohne den redlichen Eifer für das ge-<lb/> meine Recht konnte die Reform allerdings nicht gelingen. Aber auch Scho-<lb/> nung für das hiſtoriſch Gegebene, für die unendliche Mannichfaltigkeit des<lb/> communalen Lebens war unentbehrlich, und von ſolchem Verſtändniß beſaß<lb/> das liberale Beamtenthum, das die Mehrheit der Commiſſion bildete, nur<lb/> wenig. Frieſe vornehmlich war ſehr geneigt den berechtigten Gedanken<lb/> der Staatseinheit auf die Spitze zu treiben; hatte er doch vor neun<lb/> Jahren geradezu die Aufhebung der Provinzen befürwortet, weil der Pro-<lb/> vinzialgeiſt die Staatsgeſinnung ertöde. Gleich zu Beginn der Berathung<lb/> ward die unabweisbare Frage aufgeworfen, ob eine Communalordnung<lb/> für den ganzen Staat, wie Hardenberg ſie verlangt hatte, überhaupt mög-<lb/> lich ſei. Vincke erklärte nach ſeiner Kenntniß von Land und Leuten,<lb/> daß der Weſten ſeiner Bürgermeiſtereien und Aemter nicht entbehren<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0123]
Gemeinheitstheilung.
Zank. Die Staatsgewalt aber ſchritt unbekümmert vorwärts, und bis
zum Jahre 1848 wurden noch faſt 43 Mill. Morgen Gemeindeland auf-
getheilt oder von Servituten befreit. Faſt überall ſchämten ſich die Bauern
ihres Widerſtandes, ſobald das Werk gelungen war, und die verhaßten
Generalcommiſſionen gelangten nach und nach zu hohem Anſehen. Das
Landvolk begann einzuſehen, daß die Gemeinheitstheilung ein unentbehr-
liches Glied war in der langen Kette jener Reformen, welche den frohnen-
den Scharwerker zum freien Eigenthümer erheben ſollten. Mit den Ge-
meinheiten fiel auch der Flurzwang. Nun erſt ward auf den Dorffluren
ein leidliches Bewäſſerungs- und Wegenetz möglich, deſſen gerade Linien
allerdings die Schönheit der Landſchaft oft beeinträchtigten. Nun erſt
konnte der Bauer die altväteriſche Dreifelderwirthſchaft aufgeben und auf
ſeinem abgerundeten Gute einen intenſiveren Anbau verſuchen. Er war
jetzt ſeines Beſitzthums völlig Herr und durfte bei Fleiß und gutem Glück
auf ſteigenden Wohlſtand zählen. Im Mißgeſchick bekam er freilich die
Härten des Syſtems der freien Concurrenz ſchwer zu fühlen; dann fehlte
ihm der Nothpfennig der Gemeindenutzung, und da die landwirthſchaft-
lichen Creditinſtitute nur den großen Grundbeſitzern zu gute kamen, ſo
lief er leicht Gefahr von den benachbarten Grundherren ausgekauft zu
werden. Die Gemeinheitstheilung verſtopfte einen Quell ewigen Haders
zwiſchen den Grundherren und den Bauerſchaften, wie andererſeits die
meiſten der Grenzſtreitigkeiten, welche die proceßluſtigen Bauern unter
einander verfeindet hatten, durch die Zuſammenlegung der Güter beſeitigt
wurden. Sie wirkte auf das Communalleben des flachen Landes in ähn-
licher Weiſe wie einſt die Aufhebung der Zunft- und Bannrechte auf die
Städte. Der Gemeinheiten entledigt konnte das Dorf nunmehr in Wahr-
heit zu einer politiſchen Gemeinde werden.
Auf dieſen großen Umſchwung der ländlichen Verhältniſſe hatte die
Commiſſion ihre Entwürfe berechnet. Es war ihr ganzer Ernſt mit dem
Fundamentalſatze des Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes: „wir haben
lauter freie Eigenthümer.“ Und ohne den redlichen Eifer für das ge-
meine Recht konnte die Reform allerdings nicht gelingen. Aber auch Scho-
nung für das hiſtoriſch Gegebene, für die unendliche Mannichfaltigkeit des
communalen Lebens war unentbehrlich, und von ſolchem Verſtändniß beſaß
das liberale Beamtenthum, das die Mehrheit der Commiſſion bildete, nur
wenig. Frieſe vornehmlich war ſehr geneigt den berechtigten Gedanken
der Staatseinheit auf die Spitze zu treiben; hatte er doch vor neun
Jahren geradezu die Aufhebung der Provinzen befürwortet, weil der Pro-
vinzialgeiſt die Staatsgeſinnung ertöde. Gleich zu Beginn der Berathung
ward die unabweisbare Frage aufgeworfen, ob eine Communalordnung
für den ganzen Staat, wie Hardenberg ſie verlangt hatte, überhaupt mög-
lich ſei. Vincke erklärte nach ſeiner Kenntniß von Land und Leuten,
daß der Weſten ſeiner Bürgermeiſtereien und Aemter nicht entbehren
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |