bereitet; denn wollte man die Ritterschaft, die bisher die Kreistage allein beherrscht hatte, mit einem male in die Minderzahl hinabstoßen, so for- derten die Klugheit und die Gerechtigkeit, daß man den großen Grund- besitzern die Möglichkeit gewährte, sich durch die Ehrenämter der Kreis- verwaltung ihren wohlberechtigten Einfluß auf dem flachen Lande zu sichern. Doch für die Lebensbedingungen der ländlichen Selbstverwal- tung, die überall aristokratisch ist, besaß die liberale Bureaukratie keinen Sinn. Und durfte man den Gegensatz von Stadt und Land, der in der großen Mehrzahl der Kreise unverkennbar noch bestand, durch einen Befehl des Gesetzgebers einfach auslöschen?
Wie schablonenhaft vollends war der Versuch, den Großgrundbesitzern überall, trotz der ungeheuren Verschiedenheit der socialen Verhältnisse, dasselbe Drittel der Stimmen zu gewähren. Um diesen künstlichen Ge- danken auch nur auf dem Papier durchzuführen, mußte die Commission alle Eigenthümer, die 100 Thlr. Grundsteuer zahlten, zu den großen Grundbesitzern rechnen, sonst konnte sie in vielen Kreisen der westlichen Provinzen gar keinen Großgrundbesitzer auftreiben. Das verfehlte Un- ternehmen bewies unwiderleglich, daß eine gemeinsame Kreisordnung für den Osten und den Westen ebenso unmöglich war wie eine Landgemeinde- ordnung für das ganze Staatsgebiet. Am Ende ihrer Arbeiten sprach die Commission noch freimüthig die Befürchtung aus, daß man im Volke vielleicht glauben werde, "hiermit solle nun die ganze ständische Angelegen- heit abgethan, das Wort Sr. Majestät gelöst und von einer Verfassung für die Monarchie nicht mehr die Rede sein". Um solche Zweifel abzu- schneiden, schlug sie einen Schlußartikel vor, worin der König erklärte, das Verhältniß der Kreistage zu den künftigen Ständen der Monarchie würde "in der Urkunde über die Verfassung" näher bestimmt werden.
Die Arbeit der Commission war verunglückt. Ein Werk aus einem Gusse, einen haltbaren Unterbau für Preußens Verfassung hatte sie nicht geschaffen. Grade die beiden wichtigsten Entwürfe, Landgemeinde- und Kreisordnung beruhten auf falschen Grundgedanken, während die minder erheblichen Vorschläge zur Reform der Städteordnung auch minder an- fechtbar waren. Und Angesichts der mächtigen Feinde, welche das ganze Verfassungswerk bekämpften, ließ sich der begangene Fehler schwerlich noch zur rechten Zeit sühnen. Stein in seiner Verstimmung hielt sich von vornherein überzeugt, daß die Gehilfen Hardenberg's nur ein Werk "des Buralismus und Liberalismus" schaffen könnten. Und schon im Februar, als die Commission ihre Arbeit noch kaum begonnen, hatte das Comite der ostpreußischen Stände, voran der Minister Alexander Dohna, an den König eine Adresse gerichtet, welche sich heftig gegen die Karlsbader Be-
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 8
Mängel der Kreisordnung.
bereitet; denn wollte man die Ritterſchaft, die bisher die Kreistage allein beherrſcht hatte, mit einem male in die Minderzahl hinabſtoßen, ſo for- derten die Klugheit und die Gerechtigkeit, daß man den großen Grund- beſitzern die Möglichkeit gewährte, ſich durch die Ehrenämter der Kreis- verwaltung ihren wohlberechtigten Einfluß auf dem flachen Lande zu ſichern. Doch für die Lebensbedingungen der ländlichen Selbſtverwal- tung, die überall ariſtokratiſch iſt, beſaß die liberale Bureaukratie keinen Sinn. Und durfte man den Gegenſatz von Stadt und Land, der in der großen Mehrzahl der Kreiſe unverkennbar noch beſtand, durch einen Befehl des Geſetzgebers einfach auslöſchen?
Wie ſchablonenhaft vollends war der Verſuch, den Großgrundbeſitzern überall, trotz der ungeheuren Verſchiedenheit der ſocialen Verhältniſſe, daſſelbe Drittel der Stimmen zu gewähren. Um dieſen künſtlichen Ge- danken auch nur auf dem Papier durchzuführen, mußte die Commiſſion alle Eigenthümer, die 100 Thlr. Grundſteuer zahlten, zu den großen Grundbeſitzern rechnen, ſonſt konnte ſie in vielen Kreiſen der weſtlichen Provinzen gar keinen Großgrundbeſitzer auftreiben. Das verfehlte Un- ternehmen bewies unwiderleglich, daß eine gemeinſame Kreisordnung für den Oſten und den Weſten ebenſo unmöglich war wie eine Landgemeinde- ordnung für das ganze Staatsgebiet. Am Ende ihrer Arbeiten ſprach die Commiſſion noch freimüthig die Befürchtung aus, daß man im Volke vielleicht glauben werde, „hiermit ſolle nun die ganze ſtändiſche Angelegen- heit abgethan, das Wort Sr. Majeſtät gelöſt und von einer Verfaſſung für die Monarchie nicht mehr die Rede ſein“. Um ſolche Zweifel abzu- ſchneiden, ſchlug ſie einen Schlußartikel vor, worin der König erklärte, das Verhältniß der Kreistage zu den künftigen Ständen der Monarchie würde „in der Urkunde über die Verfaſſung“ näher beſtimmt werden.
Die Arbeit der Commiſſion war verunglückt. Ein Werk aus einem Guſſe, einen haltbaren Unterbau für Preußens Verfaſſung hatte ſie nicht geſchaffen. Grade die beiden wichtigſten Entwürfe, Landgemeinde- und Kreisordnung beruhten auf falſchen Grundgedanken, während die minder erheblichen Vorſchläge zur Reform der Städteordnung auch minder an- fechtbar waren. Und Angeſichts der mächtigen Feinde, welche das ganze Verfaſſungswerk bekämpften, ließ ſich der begangene Fehler ſchwerlich noch zur rechten Zeit ſühnen. Stein in ſeiner Verſtimmung hielt ſich von vornherein überzeugt, daß die Gehilfen Hardenberg’s nur ein Werk „des Buralismus und Liberalismus“ ſchaffen könnten. Und ſchon im Februar, als die Commiſſion ihre Arbeit noch kaum begonnen, hatte das Comité der oſtpreußiſchen Stände, voran der Miniſter Alexander Dohna, an den König eine Adreſſe gerichtet, welche ſich heftig gegen die Karlsbader Be-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 8
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0129"n="113"/><fwplace="top"type="header">Mängel der Kreisordnung.</fw><lb/>
bereitet; denn wollte man die Ritterſchaft, die bisher die Kreistage allein<lb/>
beherrſcht hatte, mit einem male in die Minderzahl hinabſtoßen, ſo for-<lb/>
derten die Klugheit und die Gerechtigkeit, daß man den großen Grund-<lb/>
beſitzern die Möglichkeit gewährte, ſich durch die Ehrenämter der Kreis-<lb/>
verwaltung ihren wohlberechtigten Einfluß auf dem flachen Lande zu<lb/>ſichern. Doch für die Lebensbedingungen der ländlichen Selbſtverwal-<lb/>
tung, die überall ariſtokratiſch iſt, beſaß die liberale Bureaukratie keinen<lb/>
Sinn. Und durfte man den Gegenſatz von Stadt und Land, der in<lb/>
der großen Mehrzahl der Kreiſe unverkennbar noch beſtand, durch einen<lb/>
Befehl des Geſetzgebers einfach auslöſchen?</p><lb/><p>Wie ſchablonenhaft vollends war der Verſuch, den Großgrundbeſitzern<lb/>
überall, trotz der ungeheuren Verſchiedenheit der ſocialen Verhältniſſe,<lb/>
daſſelbe Drittel der Stimmen zu gewähren. Um dieſen künſtlichen Ge-<lb/>
danken auch nur auf dem Papier durchzuführen, mußte die Commiſſion<lb/>
alle Eigenthümer, die 100 Thlr. Grundſteuer zahlten, zu den großen<lb/>
Grundbeſitzern rechnen, ſonſt konnte ſie in vielen Kreiſen der weſtlichen<lb/>
Provinzen gar keinen Großgrundbeſitzer auftreiben. Das verfehlte Un-<lb/>
ternehmen bewies unwiderleglich, daß eine gemeinſame Kreisordnung für<lb/>
den Oſten und den Weſten ebenſo unmöglich war wie eine Landgemeinde-<lb/>
ordnung für das ganze Staatsgebiet. Am Ende ihrer Arbeiten ſprach<lb/>
die Commiſſion noch freimüthig die Befürchtung aus, daß man im Volke<lb/>
vielleicht glauben werde, „hiermit ſolle nun die ganze ſtändiſche Angelegen-<lb/>
heit abgethan, das Wort Sr. Majeſtät gelöſt und von einer Verfaſſung<lb/>
für die Monarchie nicht mehr die Rede ſein“. Um ſolche Zweifel abzu-<lb/>ſchneiden, ſchlug ſie einen Schlußartikel vor, worin der König erklärte,<lb/>
das Verhältniß der Kreistage zu den künftigen Ständen der Monarchie<lb/>
würde „in der Urkunde über die Verfaſſung“ näher beſtimmt werden.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Die Arbeit der Commiſſion war verunglückt. Ein Werk aus einem<lb/>
Guſſe, einen haltbaren Unterbau für Preußens Verfaſſung hatte ſie nicht<lb/>
geſchaffen. Grade die beiden wichtigſten Entwürfe, Landgemeinde- und<lb/>
Kreisordnung beruhten auf falſchen Grundgedanken, während die minder<lb/>
erheblichen Vorſchläge zur Reform der Städteordnung auch minder an-<lb/>
fechtbar waren. Und Angeſichts der mächtigen Feinde, welche das ganze<lb/>
Verfaſſungswerk bekämpften, ließ ſich der begangene Fehler ſchwerlich noch<lb/>
zur rechten Zeit ſühnen. Stein in ſeiner Verſtimmung hielt ſich von<lb/>
vornherein überzeugt, daß die Gehilfen Hardenberg’s nur ein Werk „des<lb/>
Buralismus und Liberalismus“ſchaffen könnten. Und ſchon im Februar,<lb/>
als die Commiſſion ihre Arbeit noch kaum begonnen, hatte das Comit<hirendition="#aq">é</hi><lb/>
der oſtpreußiſchen Stände, voran der Miniſter Alexander Dohna, an den<lb/>
König eine Adreſſe gerichtet, welche ſich heftig gegen die Karlsbader Be-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hirendition="#aq">III.</hi> 8</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[113/0129]
Mängel der Kreisordnung.
bereitet; denn wollte man die Ritterſchaft, die bisher die Kreistage allein
beherrſcht hatte, mit einem male in die Minderzahl hinabſtoßen, ſo for-
derten die Klugheit und die Gerechtigkeit, daß man den großen Grund-
beſitzern die Möglichkeit gewährte, ſich durch die Ehrenämter der Kreis-
verwaltung ihren wohlberechtigten Einfluß auf dem flachen Lande zu
ſichern. Doch für die Lebensbedingungen der ländlichen Selbſtverwal-
tung, die überall ariſtokratiſch iſt, beſaß die liberale Bureaukratie keinen
Sinn. Und durfte man den Gegenſatz von Stadt und Land, der in
der großen Mehrzahl der Kreiſe unverkennbar noch beſtand, durch einen
Befehl des Geſetzgebers einfach auslöſchen?
Wie ſchablonenhaft vollends war der Verſuch, den Großgrundbeſitzern
überall, trotz der ungeheuren Verſchiedenheit der ſocialen Verhältniſſe,
daſſelbe Drittel der Stimmen zu gewähren. Um dieſen künſtlichen Ge-
danken auch nur auf dem Papier durchzuführen, mußte die Commiſſion
alle Eigenthümer, die 100 Thlr. Grundſteuer zahlten, zu den großen
Grundbeſitzern rechnen, ſonſt konnte ſie in vielen Kreiſen der weſtlichen
Provinzen gar keinen Großgrundbeſitzer auftreiben. Das verfehlte Un-
ternehmen bewies unwiderleglich, daß eine gemeinſame Kreisordnung für
den Oſten und den Weſten ebenſo unmöglich war wie eine Landgemeinde-
ordnung für das ganze Staatsgebiet. Am Ende ihrer Arbeiten ſprach
die Commiſſion noch freimüthig die Befürchtung aus, daß man im Volke
vielleicht glauben werde, „hiermit ſolle nun die ganze ſtändiſche Angelegen-
heit abgethan, das Wort Sr. Majeſtät gelöſt und von einer Verfaſſung
für die Monarchie nicht mehr die Rede ſein“. Um ſolche Zweifel abzu-
ſchneiden, ſchlug ſie einen Schlußartikel vor, worin der König erklärte,
das Verhältniß der Kreistage zu den künftigen Ständen der Monarchie
würde „in der Urkunde über die Verfaſſung“ näher beſtimmt werden.
Die Arbeit der Commiſſion war verunglückt. Ein Werk aus einem
Guſſe, einen haltbaren Unterbau für Preußens Verfaſſung hatte ſie nicht
geſchaffen. Grade die beiden wichtigſten Entwürfe, Landgemeinde- und
Kreisordnung beruhten auf falſchen Grundgedanken, während die minder
erheblichen Vorſchläge zur Reform der Städteordnung auch minder an-
fechtbar waren. Und Angeſichts der mächtigen Feinde, welche das ganze
Verfaſſungswerk bekämpften, ließ ſich der begangene Fehler ſchwerlich noch
zur rechten Zeit ſühnen. Stein in ſeiner Verſtimmung hielt ſich von
vornherein überzeugt, daß die Gehilfen Hardenberg’s nur ein Werk „des
Buralismus und Liberalismus“ ſchaffen könnten. Und ſchon im Februar,
als die Commiſſion ihre Arbeit noch kaum begonnen, hatte das Comité
der oſtpreußiſchen Stände, voran der Miniſter Alexander Dohna, an den
König eine Adreſſe gerichtet, welche ſich heftig gegen die Karlsbader Be-
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 8
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/129>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.