Mit dem ganzen Ungestüm ihres Hasses und ihrer Begeisterung stürzten sich die beiden größten politischen Dichter der Zeit, Byron und Moore, die Wortführer des weltbürgerlichen Radikalismus, in den Strudel der wilden Bewegung und begrüßten freudetrunken "das erste Jahr des zweiten Freiheitsmorgens". Thomas Moore sah den Eispalast, den sich die heilige Allianz auf den winterlichen Schollen der Newa aufgebaut, vor dem Sonnenstrahl aus Süden zusammenschmelzen, er sah die Völker im Fackelreigen die Leuchte der Freiheit von Hand zu Hand geben und hoffte den Tag noch zu erleben, da dies heilige Feuer auf allen Altären der Erde lodern, da der Bund der Fürsten der Brüderschaft freier Na- tionen weichen würde. Byron aber ließ im Don Juan den schmetternden Weckruf erschallen: "die Revolution allein kann von der Hölle Koth die Welt befrei'n!" -- und bald kam die Zeit, da er triumphirend verkünden konnte:
Auf Athos Höh'n, am Stillen Oceane, In beiden Welten weht dieselbe Fahne!
Wie hätten die Deutschen, denen die ästhetische Weltanschauung noch im Blute lag, den abenteuerlichen Anblick dieser vulkanischen Erschütterung nicht mit Entzücken genießen sollen? Entmuthigt durch die traurigen Enttäuschungen ihrer ersten politischen Lehrjahre stand die Nation schon im Begriff, sich wieder gänzlich von den Fragen des Staatslebens ab- zuwenden; nur der romanhafte Zauber, der jene entlegenen Kämpfe um- spielte, vermochte sie aus ihrer Schlummersucht aufzurütteln. Echte Ideale, gesunde politische Gedanken konnte sie aus den Revolutionen des Südens freilich nicht gewinnen. Rasch nach einander war eine Glanzzeit des litera- rischen Schaffens und dann wieder eine Epoche kriegerischen Ruhmes über Deutschland dahingegangen. Nach all dem Wunderbaren, was man erlebt, erschienen die stillen Friedensjahre schal und leer, und in dem tapferen Geschlechte, das die Schlachten des Befreiungskrieges geschlagen, erklang jetzt schon häufig die verzweifelte Klage, man lebe in einer Zeit des Epigonenthums, die mit dem Fluche der Unfruchtbarkeit beladen sei. Welch eine Freude daher, als endlich wieder große Kämpfe und große Leidenschaften das Einerlei des Daseins zu unterbrechen schienen. Mit nervöser Neugierde verschlangen die deutschen Zeitungsleser alle die wun- derbaren Nachrichten aus dem Süden und begeisterten sich für das oft sehr zweifelhafte Heldenthum der romanischen Volksführer, derweil Stein und Gneisenau noch unter den Lebenden weilten; selbst der nüchterne Nieder- sachse Rehberg meinte, die spanischen Ereignisse seien vielleicht das Größte, was die Welt seit dreißig Jahren gesehen. Die christlich-germanischen Ideale der Studenten, die stolzen Erinnerungen von Leipzig und Belle Alliance verblaßten mehr und mehr. Die kosmopolitische Schwärmerei für die Ideen von 89 kam wieder obenauf, und dies Weltbürgerthum trug französische Farben, denn von dem Glorienscheine, der die südländischen
III. 3. Troppau und Laibach.
Mit dem ganzen Ungeſtüm ihres Haſſes und ihrer Begeiſterung ſtürzten ſich die beiden größten politiſchen Dichter der Zeit, Byron und Moore, die Wortführer des weltbürgerlichen Radikalismus, in den Strudel der wilden Bewegung und begrüßten freudetrunken „das erſte Jahr des zweiten Freiheitsmorgens“. Thomas Moore ſah den Eispalaſt, den ſich die heilige Allianz auf den winterlichen Schollen der Newa aufgebaut, vor dem Sonnenſtrahl aus Süden zuſammenſchmelzen, er ſah die Völker im Fackelreigen die Leuchte der Freiheit von Hand zu Hand geben und hoffte den Tag noch zu erleben, da dies heilige Feuer auf allen Altären der Erde lodern, da der Bund der Fürſten der Brüderſchaft freier Na- tionen weichen würde. Byron aber ließ im Don Juan den ſchmetternden Weckruf erſchallen: „die Revolution allein kann von der Hölle Koth die Welt befrei’n!“ — und bald kam die Zeit, da er triumphirend verkünden konnte:
Auf Athos Höh’n, am Stillen Oceane, In beiden Welten weht dieſelbe Fahne!
Wie hätten die Deutſchen, denen die äſthetiſche Weltanſchauung noch im Blute lag, den abenteuerlichen Anblick dieſer vulkaniſchen Erſchütterung nicht mit Entzücken genießen ſollen? Entmuthigt durch die traurigen Enttäuſchungen ihrer erſten politiſchen Lehrjahre ſtand die Nation ſchon im Begriff, ſich wieder gänzlich von den Fragen des Staatslebens ab- zuwenden; nur der romanhafte Zauber, der jene entlegenen Kämpfe um- ſpielte, vermochte ſie aus ihrer Schlummerſucht aufzurütteln. Echte Ideale, geſunde politiſche Gedanken konnte ſie aus den Revolutionen des Südens freilich nicht gewinnen. Raſch nach einander war eine Glanzzeit des litera- riſchen Schaffens und dann wieder eine Epoche kriegeriſchen Ruhmes über Deutſchland dahingegangen. Nach all dem Wunderbaren, was man erlebt, erſchienen die ſtillen Friedensjahre ſchal und leer, und in dem tapferen Geſchlechte, das die Schlachten des Befreiungskrieges geſchlagen, erklang jetzt ſchon häufig die verzweifelte Klage, man lebe in einer Zeit des Epigonenthums, die mit dem Fluche der Unfruchtbarkeit beladen ſei. Welch eine Freude daher, als endlich wieder große Kämpfe und große Leidenſchaften das Einerlei des Daſeins zu unterbrechen ſchienen. Mit nervöſer Neugierde verſchlangen die deutſchen Zeitungsleſer alle die wun- derbaren Nachrichten aus dem Süden und begeiſterten ſich für das oft ſehr zweifelhafte Heldenthum der romaniſchen Volksführer, derweil Stein und Gneiſenau noch unter den Lebenden weilten; ſelbſt der nüchterne Nieder- ſachſe Rehberg meinte, die ſpaniſchen Ereigniſſe ſeien vielleicht das Größte, was die Welt ſeit dreißig Jahren geſehen. Die chriſtlich-germaniſchen Ideale der Studenten, die ſtolzen Erinnerungen von Leipzig und Belle Alliance verblaßten mehr und mehr. Die kosmopolitiſche Schwärmerei für die Ideen von 89 kam wieder obenauf, und dies Weltbürgerthum trug franzöſiſche Farben, denn von dem Glorienſcheine, der die ſüdländiſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0148"n="132"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 3. Troppau und Laibach.</fw><lb/><p>Mit dem ganzen Ungeſtüm ihres Haſſes und ihrer Begeiſterung<lb/>ſtürzten ſich die beiden größten politiſchen Dichter der Zeit, Byron und<lb/>
Moore, die Wortführer des weltbürgerlichen Radikalismus, in den Strudel<lb/>
der wilden Bewegung und begrüßten freudetrunken „das erſte Jahr des<lb/>
zweiten Freiheitsmorgens“. Thomas Moore ſah den Eispalaſt, den ſich<lb/>
die heilige Allianz auf den winterlichen Schollen der Newa aufgebaut,<lb/>
vor dem Sonnenſtrahl aus Süden zuſammenſchmelzen, er ſah die Völker<lb/>
im Fackelreigen die Leuchte der Freiheit von Hand zu Hand geben und<lb/>
hoffte den Tag noch zu erleben, da dies heilige Feuer auf allen Altären<lb/>
der Erde lodern, da der Bund der Fürſten der Brüderſchaft freier Na-<lb/>
tionen weichen würde. Byron aber ließ im Don Juan den ſchmetternden<lb/>
Weckruf erſchallen: „die Revolution allein kann von der Hölle Koth die<lb/>
Welt befrei’n!“— und bald kam die Zeit, da er triumphirend verkünden<lb/>
konnte:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Auf Athos Höh’n, am Stillen Oceane,</l><lb/><l>In beiden Welten weht dieſelbe Fahne!</l></lg><lb/><p>Wie hätten die Deutſchen, denen die äſthetiſche Weltanſchauung noch<lb/>
im Blute lag, den abenteuerlichen Anblick dieſer vulkaniſchen Erſchütterung<lb/>
nicht mit Entzücken genießen ſollen? Entmuthigt durch die traurigen<lb/>
Enttäuſchungen ihrer erſten politiſchen Lehrjahre ſtand die Nation ſchon<lb/>
im Begriff, ſich wieder gänzlich von den Fragen des Staatslebens ab-<lb/>
zuwenden; nur der romanhafte Zauber, der jene entlegenen Kämpfe um-<lb/>ſpielte, vermochte ſie aus ihrer Schlummerſucht aufzurütteln. Echte Ideale,<lb/>
geſunde politiſche Gedanken konnte ſie aus den Revolutionen des Südens<lb/>
freilich nicht gewinnen. Raſch nach einander war eine Glanzzeit des litera-<lb/>
riſchen Schaffens und dann wieder eine Epoche kriegeriſchen Ruhmes<lb/>
über Deutſchland dahingegangen. Nach all dem Wunderbaren, was man<lb/>
erlebt, erſchienen die ſtillen Friedensjahre ſchal und leer, und in dem<lb/>
tapferen Geſchlechte, das die Schlachten des Befreiungskrieges geſchlagen,<lb/>
erklang jetzt ſchon häufig die verzweifelte Klage, man lebe in einer Zeit<lb/>
des Epigonenthums, die mit dem Fluche der Unfruchtbarkeit beladen ſei.<lb/>
Welch eine Freude daher, als endlich wieder große Kämpfe und große<lb/>
Leidenſchaften das Einerlei des Daſeins zu unterbrechen ſchienen. Mit<lb/>
nervöſer Neugierde verſchlangen die deutſchen Zeitungsleſer alle die wun-<lb/>
derbaren Nachrichten aus dem Süden und begeiſterten ſich für das oft ſehr<lb/>
zweifelhafte Heldenthum der romaniſchen Volksführer, derweil Stein und<lb/>
Gneiſenau noch unter den Lebenden weilten; ſelbſt der nüchterne Nieder-<lb/>ſachſe Rehberg meinte, die ſpaniſchen Ereigniſſe ſeien vielleicht das Größte,<lb/>
was die Welt ſeit dreißig Jahren geſehen. Die chriſtlich-germaniſchen<lb/>
Ideale der Studenten, die ſtolzen Erinnerungen von Leipzig und Belle<lb/>
Alliance verblaßten mehr und mehr. Die kosmopolitiſche Schwärmerei<lb/>
für die Ideen von 89 kam wieder obenauf, und dies Weltbürgerthum trug<lb/>
franzöſiſche Farben, denn von dem Glorienſcheine, der die ſüdländiſchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[132/0148]
III. 3. Troppau und Laibach.
Mit dem ganzen Ungeſtüm ihres Haſſes und ihrer Begeiſterung
ſtürzten ſich die beiden größten politiſchen Dichter der Zeit, Byron und
Moore, die Wortführer des weltbürgerlichen Radikalismus, in den Strudel
der wilden Bewegung und begrüßten freudetrunken „das erſte Jahr des
zweiten Freiheitsmorgens“. Thomas Moore ſah den Eispalaſt, den ſich
die heilige Allianz auf den winterlichen Schollen der Newa aufgebaut,
vor dem Sonnenſtrahl aus Süden zuſammenſchmelzen, er ſah die Völker
im Fackelreigen die Leuchte der Freiheit von Hand zu Hand geben und
hoffte den Tag noch zu erleben, da dies heilige Feuer auf allen Altären
der Erde lodern, da der Bund der Fürſten der Brüderſchaft freier Na-
tionen weichen würde. Byron aber ließ im Don Juan den ſchmetternden
Weckruf erſchallen: „die Revolution allein kann von der Hölle Koth die
Welt befrei’n!“ — und bald kam die Zeit, da er triumphirend verkünden
konnte:
Auf Athos Höh’n, am Stillen Oceane,
In beiden Welten weht dieſelbe Fahne!
Wie hätten die Deutſchen, denen die äſthetiſche Weltanſchauung noch
im Blute lag, den abenteuerlichen Anblick dieſer vulkaniſchen Erſchütterung
nicht mit Entzücken genießen ſollen? Entmuthigt durch die traurigen
Enttäuſchungen ihrer erſten politiſchen Lehrjahre ſtand die Nation ſchon
im Begriff, ſich wieder gänzlich von den Fragen des Staatslebens ab-
zuwenden; nur der romanhafte Zauber, der jene entlegenen Kämpfe um-
ſpielte, vermochte ſie aus ihrer Schlummerſucht aufzurütteln. Echte Ideale,
geſunde politiſche Gedanken konnte ſie aus den Revolutionen des Südens
freilich nicht gewinnen. Raſch nach einander war eine Glanzzeit des litera-
riſchen Schaffens und dann wieder eine Epoche kriegeriſchen Ruhmes
über Deutſchland dahingegangen. Nach all dem Wunderbaren, was man
erlebt, erſchienen die ſtillen Friedensjahre ſchal und leer, und in dem
tapferen Geſchlechte, das die Schlachten des Befreiungskrieges geſchlagen,
erklang jetzt ſchon häufig die verzweifelte Klage, man lebe in einer Zeit
des Epigonenthums, die mit dem Fluche der Unfruchtbarkeit beladen ſei.
Welch eine Freude daher, als endlich wieder große Kämpfe und große
Leidenſchaften das Einerlei des Daſeins zu unterbrechen ſchienen. Mit
nervöſer Neugierde verſchlangen die deutſchen Zeitungsleſer alle die wun-
derbaren Nachrichten aus dem Süden und begeiſterten ſich für das oft ſehr
zweifelhafte Heldenthum der romaniſchen Volksführer, derweil Stein und
Gneiſenau noch unter den Lebenden weilten; ſelbſt der nüchterne Nieder-
ſachſe Rehberg meinte, die ſpaniſchen Ereigniſſe ſeien vielleicht das Größte,
was die Welt ſeit dreißig Jahren geſehen. Die chriſtlich-germaniſchen
Ideale der Studenten, die ſtolzen Erinnerungen von Leipzig und Belle
Alliance verblaßten mehr und mehr. Die kosmopolitiſche Schwärmerei
für die Ideen von 89 kam wieder obenauf, und dies Weltbürgerthum trug
franzöſiſche Farben, denn von dem Glorienſcheine, der die ſüdländiſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/148>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.