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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Radikale Stimmungen.
geschlossen. Ein radikaler Zug ging durch die Welt; die Sünden der
hergestellten alten Gewalten hatten den Schlauch des Aeolus wieder ge-
öffnet. Darum zog Haller sofort die Sturmglocke und forderte, in jener
grimmigen Schrift über die spanische Verfassung, den Vernichtungskrieg
wider die Revolution. Sein Schweizer Landsmann Troxler antwortete
ihm, indem er Buchanan's und Milton's Schriften über das Recht des
Widerstandes in deutscher Bearbeitung herausgab (1821) und in einem ge-
harnischten Vorwort der Partei Haller's vorwarf, ihr Ultraismus ent-
springe nicht der Ueberzeugung, sondern dem Eigennutz und der Begehr-
lichkeit. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß diese Schrift "Fürst und
Volk" sogleich in zwei starken Auflagen vergriffen wurde, obgleich der ab-
strakte Tyrannenhaß jener beiden kühnen Monarchomachen doch einer längst
überwundenen Weltanschauung, dem kirchlich-politischen Radikalismus des
Jahrhunderts der Religionskriege angehörte. Und gleich als gälte es
die Lehren Buchanan's und Milton's feierlich zu rechtfertigen, verjagte der
clericale Tägliche Rath von Luzern sodann den Uebersetzer aus seinem
Lehramt. Schroff und starr traten fast überall die revolutionäre Doctrin
und das legitime Recht einander entgegen. Der Kampf mußte kommen,
und noch auf lange hinaus schien jede Versöhnung unmöglich.


Schon die ersten Nachrichten von den Unruhen im Südwesten er-
füllten alle Höfe der großen Allianz mit schwerer Sorge. "Der Libera-
lismus geht seine Wege", schrieb Metternich nach der Ermordung des
Herzogs von Berry, "es regnet Mörder, da haben wir schon den vierten
Sand seit neun Monaten!" Einige Wochen schmeichelte man sich noch
mit der Hoffnung, daß die Fluth der Revolution wieder ebben würde;
erst seit der König von Spanien sich der Cortesverfassung unterworfen
hatte, erkannte man den ganzen Umfang der Gefahr. Ueber die Ver-
werflichkeit dieses Grundgesetzes waren alle fünf Mächte einig. Bern-
storff und Ancillon sprachen das allgemeine Urtheil aus, als sie er-
klärten, König Ferdinand habe seine Schande unterschrieben, aus einer
solchen durch Aufruhr ertrotzten Verfassung könne nur eine schlechte Re-
publik mit einem Schattenkönige hervorgehen. Besonders verstimmt zeigte
sich König Friedrich Wilhelm selbst. Hardenberg wollte den Gesandten
Frhrn. v. Werther, einen klugen Diplomaten, der schon seit längerer Zeit
beurlaubt, in Madrid durch einen Geschäftsträger vertreten wurde, jetzt
sofort auf den wichtigen Posten zurücksenden; der König aber weigerte
sich entschieden*), offenbar weil er dieser revolutionären Regierung keine
Höflichkeit gönnte.

*) Hardenberg's Tagebuch, 28. März, 1. April 1820.

Radikale Stimmungen.
geſchloſſen. Ein radikaler Zug ging durch die Welt; die Sünden der
hergeſtellten alten Gewalten hatten den Schlauch des Aeolus wieder ge-
öffnet. Darum zog Haller ſofort die Sturmglocke und forderte, in jener
grimmigen Schrift über die ſpaniſche Verfaſſung, den Vernichtungskrieg
wider die Revolution. Sein Schweizer Landsmann Troxler antwortete
ihm, indem er Buchanan’s und Milton’s Schriften über das Recht des
Widerſtandes in deutſcher Bearbeitung herausgab (1821) und in einem ge-
harniſchten Vorwort der Partei Haller’s vorwarf, ihr Ultraismus ent-
ſpringe nicht der Ueberzeugung, ſondern dem Eigennutz und der Begehr-
lichkeit. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß dieſe Schrift „Fürſt und
Volk“ ſogleich in zwei ſtarken Auflagen vergriffen wurde, obgleich der ab-
ſtrakte Tyrannenhaß jener beiden kühnen Monarchomachen doch einer längſt
überwundenen Weltanſchauung, dem kirchlich-politiſchen Radikalismus des
Jahrhunderts der Religionskriege angehörte. Und gleich als gälte es
die Lehren Buchanan’s und Milton’s feierlich zu rechtfertigen, verjagte der
clericale Tägliche Rath von Luzern ſodann den Ueberſetzer aus ſeinem
Lehramt. Schroff und ſtarr traten faſt überall die revolutionäre Doctrin
und das legitime Recht einander entgegen. Der Kampf mußte kommen,
und noch auf lange hinaus ſchien jede Verſöhnung unmöglich.


Schon die erſten Nachrichten von den Unruhen im Südweſten er-
füllten alle Höfe der großen Allianz mit ſchwerer Sorge. „Der Libera-
lismus geht ſeine Wege“, ſchrieb Metternich nach der Ermordung des
Herzogs von Berry, „es regnet Mörder, da haben wir ſchon den vierten
Sand ſeit neun Monaten!“ Einige Wochen ſchmeichelte man ſich noch
mit der Hoffnung, daß die Fluth der Revolution wieder ebben würde;
erſt ſeit der König von Spanien ſich der Cortesverfaſſung unterworfen
hatte, erkannte man den ganzen Umfang der Gefahr. Ueber die Ver-
werflichkeit dieſes Grundgeſetzes waren alle fünf Mächte einig. Bern-
ſtorff und Ancillon ſprachen das allgemeine Urtheil aus, als ſie er-
klärten, König Ferdinand habe ſeine Schande unterſchrieben, aus einer
ſolchen durch Aufruhr ertrotzten Verfaſſung könne nur eine ſchlechte Re-
publik mit einem Schattenkönige hervorgehen. Beſonders verſtimmt zeigte
ſich König Friedrich Wilhelm ſelbſt. Hardenberg wollte den Geſandten
Frhrn. v. Werther, einen klugen Diplomaten, der ſchon ſeit längerer Zeit
beurlaubt, in Madrid durch einen Geſchäftsträger vertreten wurde, jetzt
ſofort auf den wichtigen Poſten zurückſenden; der König aber weigerte
ſich entſchieden*), offenbar weil er dieſer revolutionären Regierung keine
Höflichkeit gönnte.

*) Hardenberg’s Tagebuch, 28. März, 1. April 1820.
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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/167>, abgerufen am 04.12.2024.