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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Verabredung eines neuen Congresses.
des Krieges, wenn es einmal zum Schlagen kam, über beide Halbinseln
fast unvermeidlich eine harte Reaktion heraufführen wußte. Da die Hof-
burg bei ihrer Weigerung verblieb, so griff der Czar endlich zu einem oft
erprobten Mittel und beschwor seinen königlichen Freund in einem zärtlichen
Briefe, ihm diesen Herzenswunsch nicht zu versagen. Der Sprache des
Gemüths vermochte Friedrich Wilhelm selten zu widerstehen, sofern es sich
nicht um Gewissensfragen handelte. Er willigte in die Berufung einer
Reunion -- sehr ungern freilich und ohne seine Meinung über die ita-
lienische Frage zu ändern.*) Nunmehr mußte auch Metternich nachgeben,
wenn er den Czaren nicht beleidigen wollte, und die drei Monarchen ver-
abredeten, da der Czar des Reichstags halber in Warschau weilte, um
Mitte Oktober in dem nahen Troppau zusammenzutreffen. Wie einst
die Niederlande unter Wilhelm III., so bildete jetzt Oesterreich den Mittel-
punkt der Staatengesellschaft, und wie man damals alle großen Congresse,
vom Nymwegener bis zum Utrechter Frieden, auf niederländischem Ge-
biete abzuhalten pflegte, so ward es jetzt zur Regel, daß die Beherrscher
Europas sich um Kaiser Franz, in seinen Kronländern zusammenfanden.

Den Westmächten kam die Abrede der drei Monarchen sehr unge-
legen. Richelieu erschrak über die Folgen seines eigenen Vorschlags, er
begann zu ahnen, welche peinliche Rolle die beiden constitutionellen Höfe
des Westens in Troppau neben den drei Ostmächten spielen würden;
doch es war zu spät zur Umkehr. In seiner Verstimmung verfiel er dann
auf eine unglückliche Halbheit und beschloß, mindestens nicht selber auf
dem Congresse zu erscheinen. Castlereagh aber wurde durch den Prozeß der
Königin in London festgehalten und beauftragte seinen Bruder, den Ge-
sandten in Wien, Lord Charles Stewart, dem Kaiser Franz nach Troppau
zu folgen. Das ließ sich zur Noth vor dem Parlament entschuldigen;
über die Herzensmeinung seiner britischen Freunde konnte Metternich doch
nicht in Zweifel sein, da sie eben jetzt zum Schutze der königlichen Fa-
milie eine Flotte nach Neapel sendeten. Während also die drei Monar-
chen des Ostens mit ihren leitenden Ministern persönlich in Troppau er-
schienen, war England nur durch einen Staatsmann zweiten Ranges,
einen unbedeutenden, launischen Sonderling vertreten. Fast noch deut-
licher spiegelte sich die Rathlosigkeit des französischen Hofes in den Per-
sonen seiner Vertreter wieder. Was vermochte der kluge, aufrichtig con-
stitutionell gesinnte Graf La Ferronays zu leisten, da ihm als erster Be-
vollmächtigter der Marquis von Caraman vorgesetzt war, ein erklärter
politischer Gegner, der den Ultras nahe stand? So traten die Westmächte
von Haus aus unsicher und schwächlich auf. Nur die beiden deutschen
Höfe wußten genau was sie wollten: die Vernichtung der Revolution durch
Oesterreich allein.

*) Bernstorff's Weisung an Krusemark, 17. Sept. 1820.

Verabredung eines neuen Congreſſes.
des Krieges, wenn es einmal zum Schlagen kam, über beide Halbinſeln
faſt unvermeidlich eine harte Reaktion heraufführen wußte. Da die Hof-
burg bei ihrer Weigerung verblieb, ſo griff der Czar endlich zu einem oft
erprobten Mittel und beſchwor ſeinen königlichen Freund in einem zärtlichen
Briefe, ihm dieſen Herzenswunſch nicht zu verſagen. Der Sprache des
Gemüths vermochte Friedrich Wilhelm ſelten zu widerſtehen, ſofern es ſich
nicht um Gewiſſensfragen handelte. Er willigte in die Berufung einer
Reunion — ſehr ungern freilich und ohne ſeine Meinung über die ita-
lieniſche Frage zu ändern.*) Nunmehr mußte auch Metternich nachgeben,
wenn er den Czaren nicht beleidigen wollte, und die drei Monarchen ver-
abredeten, da der Czar des Reichstags halber in Warſchau weilte, um
Mitte Oktober in dem nahen Troppau zuſammenzutreffen. Wie einſt
die Niederlande unter Wilhelm III., ſo bildete jetzt Oeſterreich den Mittel-
punkt der Staatengeſellſchaft, und wie man damals alle großen Congreſſe,
vom Nymwegener bis zum Utrechter Frieden, auf niederländiſchem Ge-
biete abzuhalten pflegte, ſo ward es jetzt zur Regel, daß die Beherrſcher
Europas ſich um Kaiſer Franz, in ſeinen Kronländern zuſammenfanden.

Den Weſtmächten kam die Abrede der drei Monarchen ſehr unge-
legen. Richelieu erſchrak über die Folgen ſeines eigenen Vorſchlags, er
begann zu ahnen, welche peinliche Rolle die beiden conſtitutionellen Höfe
des Weſtens in Troppau neben den drei Oſtmächten ſpielen würden;
doch es war zu ſpät zur Umkehr. In ſeiner Verſtimmung verfiel er dann
auf eine unglückliche Halbheit und beſchloß, mindeſtens nicht ſelber auf
dem Congreſſe zu erſcheinen. Caſtlereagh aber wurde durch den Prozeß der
Königin in London feſtgehalten und beauftragte ſeinen Bruder, den Ge-
ſandten in Wien, Lord Charles Stewart, dem Kaiſer Franz nach Troppau
zu folgen. Das ließ ſich zur Noth vor dem Parlament entſchuldigen;
über die Herzensmeinung ſeiner britiſchen Freunde konnte Metternich doch
nicht in Zweifel ſein, da ſie eben jetzt zum Schutze der königlichen Fa-
milie eine Flotte nach Neapel ſendeten. Während alſo die drei Monar-
chen des Oſtens mit ihren leitenden Miniſtern perſönlich in Troppau er-
ſchienen, war England nur durch einen Staatsmann zweiten Ranges,
einen unbedeutenden, launiſchen Sonderling vertreten. Faſt noch deut-
licher ſpiegelte ſich die Rathloſigkeit des franzöſiſchen Hofes in den Per-
ſonen ſeiner Vertreter wieder. Was vermochte der kluge, aufrichtig con-
ſtitutionell geſinnte Graf La Ferronays zu leiſten, da ihm als erſter Be-
vollmächtigter der Marquis von Caraman vorgeſetzt war, ein erklärter
politiſcher Gegner, der den Ultras nahe ſtand? So traten die Weſtmächte
von Haus aus unſicher und ſchwächlich auf. Nur die beiden deutſchen
Höfe wußten genau was ſie wollten: die Vernichtung der Revolution durch
Oeſterreich allein.

*) Bernſtorff’s Weiſung an Kruſemark, 17. Sept. 1820.
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[159/0175] Verabredung eines neuen Congreſſes. des Krieges, wenn es einmal zum Schlagen kam, über beide Halbinſeln faſt unvermeidlich eine harte Reaktion heraufführen wußte. Da die Hof- burg bei ihrer Weigerung verblieb, ſo griff der Czar endlich zu einem oft erprobten Mittel und beſchwor ſeinen königlichen Freund in einem zärtlichen Briefe, ihm dieſen Herzenswunſch nicht zu verſagen. Der Sprache des Gemüths vermochte Friedrich Wilhelm ſelten zu widerſtehen, ſofern es ſich nicht um Gewiſſensfragen handelte. Er willigte in die Berufung einer Reunion — ſehr ungern freilich und ohne ſeine Meinung über die ita- lieniſche Frage zu ändern. *) Nunmehr mußte auch Metternich nachgeben, wenn er den Czaren nicht beleidigen wollte, und die drei Monarchen ver- abredeten, da der Czar des Reichstags halber in Warſchau weilte, um Mitte Oktober in dem nahen Troppau zuſammenzutreffen. Wie einſt die Niederlande unter Wilhelm III., ſo bildete jetzt Oeſterreich den Mittel- punkt der Staatengeſellſchaft, und wie man damals alle großen Congreſſe, vom Nymwegener bis zum Utrechter Frieden, auf niederländiſchem Ge- biete abzuhalten pflegte, ſo ward es jetzt zur Regel, daß die Beherrſcher Europas ſich um Kaiſer Franz, in ſeinen Kronländern zuſammenfanden. Den Weſtmächten kam die Abrede der drei Monarchen ſehr unge- legen. Richelieu erſchrak über die Folgen ſeines eigenen Vorſchlags, er begann zu ahnen, welche peinliche Rolle die beiden conſtitutionellen Höfe des Weſtens in Troppau neben den drei Oſtmächten ſpielen würden; doch es war zu ſpät zur Umkehr. In ſeiner Verſtimmung verfiel er dann auf eine unglückliche Halbheit und beſchloß, mindeſtens nicht ſelber auf dem Congreſſe zu erſcheinen. Caſtlereagh aber wurde durch den Prozeß der Königin in London feſtgehalten und beauftragte ſeinen Bruder, den Ge- ſandten in Wien, Lord Charles Stewart, dem Kaiſer Franz nach Troppau zu folgen. Das ließ ſich zur Noth vor dem Parlament entſchuldigen; über die Herzensmeinung ſeiner britiſchen Freunde konnte Metternich doch nicht in Zweifel ſein, da ſie eben jetzt zum Schutze der königlichen Fa- milie eine Flotte nach Neapel ſendeten. Während alſo die drei Monar- chen des Oſtens mit ihren leitenden Miniſtern perſönlich in Troppau er- ſchienen, war England nur durch einen Staatsmann zweiten Ranges, einen unbedeutenden, launiſchen Sonderling vertreten. Faſt noch deut- licher ſpiegelte ſich die Rathloſigkeit des franzöſiſchen Hofes in den Per- ſonen ſeiner Vertreter wieder. Was vermochte der kluge, aufrichtig con- ſtitutionell geſinnte Graf La Ferronays zu leiſten, da ihm als erſter Be- vollmächtigter der Marquis von Caraman vorgeſetzt war, ein erklärter politiſcher Gegner, der den Ultras nahe ſtand? So traten die Weſtmächte von Haus aus unſicher und ſchwächlich auf. Nur die beiden deutſchen Höfe wußten genau was ſie wollten: die Vernichtung der Revolution durch Oeſterreich allein. *) Bernſtorff’s Weiſung an Kruſemark, 17. Sept. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/175>, abgerufen am 29.11.2024.