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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Das Troppauer Protokoll.
Folgen für andere Staaten bedrohlich sind, hören dadurch von selbst auf,
an der europäischen Allianz theilzunehmen und bleiben davon ausgeschlossen,
bis ihre Lage Bürgschaften gesetzlicher Ordnung und Beständigkeit bietet."
Entstehen durch solche Aenderungen -- so fuhr das Protokoll fort --
unmittelbar Gefahren für andere Staaten, dann verpflichten sich die
Mächte, durch friedliche Mittel oder nöthigenfalls durch die Waffen den
schuldigen Staat "in den Schooß der großen Allianz zurückzuführen". So
weit war man also in zwei Jahren schon hinabgeglitten auf den abschüs-
sigen Bahnen der Reaktion! Welches Befremden hatte diese legitimistische
Parteidoktrin noch auf dem Aachener Congresse erregt, als sie dort in
Ancillon's Denkschrift zuerst ausgesprochen wurde. Jetzt nahm man sie
willig auf. Die Ostmächte verkündeten geradezu, daß die große Allianz
nicht das Recht gegen Jedermann wahren, sondern nur die Throne gegen
den Aufruhr vertheidigen wolle; und wie furchtbar mußte die radikale
Verbitterung zunehmen, sobald die Welt zu dem Glauben gelangte, daß
aus dem großen europäischen Friedensbunde ein Bund der Fürsten wider
die Völker geworden sei. Auf jene doktrinären Vordersätze folgte sodann
der praktische Schluß, daß ein österreichisches Heer im Namen der Mächte
in Neapel einrücken solle, aber "zu dem einzigen Zwecke, dem Könige und
der Nation die Freiheit wiederzugeben." Am folgenden Tage wurde König
Ferdinand durch gleichlautende Schreiben der drei Monarchen eingeladen,
vor ihnen in Laibach zu erscheinen; dorthin wollte der Congreß, um dem
Schauplatz der Revolution näher zu sein, mittlerweile übersiedeln. Die
Oesterreicher bezweifelten kaum, daß der Bourbone der Ladung Folge
leisten würde; schlimmsten Falls sollten jedoch die Geschäftsträger in Neapel
erklären, die Monarchen machten jeden einzelnen Neapolitaner für die
Sicherheit der königlichen Familie verantwortlich.*)

Und das Alles geschah ohne die Mitwirkung der Westmächte. Man
speiste sie ab mit dem Troste, dies rasche Vorgehen werde ihnen den nach-
träglichen Beitritt erleichtern. Die Lage der englischen und französischen
Bevollmächtigten wurde mit jedem Tage peinlicher; sie glichen wirklich,
wie Tierney in einer Parlamentsrede höhnend bemerkte, den Zuhörern
im Unterhause, die sich bei der Abstimmung entfernen müssen. Für Eng-
land war das Protokoll vom 19. Nov. geradezu beleidigend; denn auch
die moderne englische Verfassung war aus einem "Aufruhr" hervorge-
gangen, und das Thronrecht des Hauses Hannover beruhte auf dem revo-
lutionären Grundsatze, daß der legitime König Jakob II. den ursprüng-
lichen Vertrag zwischen Fürst und Volk gebrochen habe. Unbekümmert
um den Groll der constitutionellen Höfe schritten die Ostmächte vorwärts.
Sie nannten sich selber les puissances deliberantes und verkündeten

*) Protocole preliminaire, 19. November. Drei Weisungen Bernstorff's an
Ramdohr in Neapel, 22. Nov.; Hardenberg's Tagebuch, 19. Nov. 1820.

Das Troppauer Protokoll.
Folgen für andere Staaten bedrohlich ſind, hören dadurch von ſelbſt auf,
an der europäiſchen Allianz theilzunehmen und bleiben davon ausgeſchloſſen,
bis ihre Lage Bürgſchaften geſetzlicher Ordnung und Beſtändigkeit bietet.“
Entſtehen durch ſolche Aenderungen — ſo fuhr das Protokoll fort —
unmittelbar Gefahren für andere Staaten, dann verpflichten ſich die
Mächte, durch friedliche Mittel oder nöthigenfalls durch die Waffen den
ſchuldigen Staat „in den Schooß der großen Allianz zurückzuführen“. So
weit war man alſo in zwei Jahren ſchon hinabgeglitten auf den abſchüſ-
ſigen Bahnen der Reaktion! Welches Befremden hatte dieſe legitimiſtiſche
Parteidoktrin noch auf dem Aachener Congreſſe erregt, als ſie dort in
Ancillon’s Denkſchrift zuerſt ausgeſprochen wurde. Jetzt nahm man ſie
willig auf. Die Oſtmächte verkündeten geradezu, daß die große Allianz
nicht das Recht gegen Jedermann wahren, ſondern nur die Throne gegen
den Aufruhr vertheidigen wolle; und wie furchtbar mußte die radikale
Verbitterung zunehmen, ſobald die Welt zu dem Glauben gelangte, daß
aus dem großen europäiſchen Friedensbunde ein Bund der Fürſten wider
die Völker geworden ſei. Auf jene doktrinären Vorderſätze folgte ſodann
der praktiſche Schluß, daß ein öſterreichiſches Heer im Namen der Mächte
in Neapel einrücken ſolle, aber „zu dem einzigen Zwecke, dem Könige und
der Nation die Freiheit wiederzugeben.“ Am folgenden Tage wurde König
Ferdinand durch gleichlautende Schreiben der drei Monarchen eingeladen,
vor ihnen in Laibach zu erſcheinen; dorthin wollte der Congreß, um dem
Schauplatz der Revolution näher zu ſein, mittlerweile überſiedeln. Die
Oeſterreicher bezweifelten kaum, daß der Bourbone der Ladung Folge
leiſten würde; ſchlimmſten Falls ſollten jedoch die Geſchäftsträger in Neapel
erklären, die Monarchen machten jeden einzelnen Neapolitaner für die
Sicherheit der königlichen Familie verantwortlich.*)

Und das Alles geſchah ohne die Mitwirkung der Weſtmächte. Man
ſpeiſte ſie ab mit dem Troſte, dies raſche Vorgehen werde ihnen den nach-
träglichen Beitritt erleichtern. Die Lage der engliſchen und franzöſiſchen
Bevollmächtigten wurde mit jedem Tage peinlicher; ſie glichen wirklich,
wie Tierney in einer Parlamentsrede höhnend bemerkte, den Zuhörern
im Unterhauſe, die ſich bei der Abſtimmung entfernen müſſen. Für Eng-
land war das Protokoll vom 19. Nov. geradezu beleidigend; denn auch
die moderne engliſche Verfaſſung war aus einem „Aufruhr“ hervorge-
gangen, und das Thronrecht des Hauſes Hannover beruhte auf dem revo-
lutionären Grundſatze, daß der legitime König Jakob II. den urſprüng-
lichen Vertrag zwiſchen Fürſt und Volk gebrochen habe. Unbekümmert
um den Groll der conſtitutionellen Höfe ſchritten die Oſtmächte vorwärts.
Sie nannten ſich ſelber les puissances délibérantes und verkündeten

*) Protocole préliminaire, 19. November. Drei Weiſungen Bernſtorff’s an
Ramdohr in Neapel, 22. Nov.; Hardenberg’s Tagebuch, 19. Nov. 1820.
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[165/0181] Das Troppauer Protokoll. Folgen für andere Staaten bedrohlich ſind, hören dadurch von ſelbſt auf, an der europäiſchen Allianz theilzunehmen und bleiben davon ausgeſchloſſen, bis ihre Lage Bürgſchaften geſetzlicher Ordnung und Beſtändigkeit bietet.“ Entſtehen durch ſolche Aenderungen — ſo fuhr das Protokoll fort — unmittelbar Gefahren für andere Staaten, dann verpflichten ſich die Mächte, durch friedliche Mittel oder nöthigenfalls durch die Waffen den ſchuldigen Staat „in den Schooß der großen Allianz zurückzuführen“. So weit war man alſo in zwei Jahren ſchon hinabgeglitten auf den abſchüſ- ſigen Bahnen der Reaktion! Welches Befremden hatte dieſe legitimiſtiſche Parteidoktrin noch auf dem Aachener Congreſſe erregt, als ſie dort in Ancillon’s Denkſchrift zuerſt ausgeſprochen wurde. Jetzt nahm man ſie willig auf. Die Oſtmächte verkündeten geradezu, daß die große Allianz nicht das Recht gegen Jedermann wahren, ſondern nur die Throne gegen den Aufruhr vertheidigen wolle; und wie furchtbar mußte die radikale Verbitterung zunehmen, ſobald die Welt zu dem Glauben gelangte, daß aus dem großen europäiſchen Friedensbunde ein Bund der Fürſten wider die Völker geworden ſei. Auf jene doktrinären Vorderſätze folgte ſodann der praktiſche Schluß, daß ein öſterreichiſches Heer im Namen der Mächte in Neapel einrücken ſolle, aber „zu dem einzigen Zwecke, dem Könige und der Nation die Freiheit wiederzugeben.“ Am folgenden Tage wurde König Ferdinand durch gleichlautende Schreiben der drei Monarchen eingeladen, vor ihnen in Laibach zu erſcheinen; dorthin wollte der Congreß, um dem Schauplatz der Revolution näher zu ſein, mittlerweile überſiedeln. Die Oeſterreicher bezweifelten kaum, daß der Bourbone der Ladung Folge leiſten würde; ſchlimmſten Falls ſollten jedoch die Geſchäftsträger in Neapel erklären, die Monarchen machten jeden einzelnen Neapolitaner für die Sicherheit der königlichen Familie verantwortlich. *) Und das Alles geſchah ohne die Mitwirkung der Weſtmächte. Man ſpeiſte ſie ab mit dem Troſte, dies raſche Vorgehen werde ihnen den nach- träglichen Beitritt erleichtern. Die Lage der engliſchen und franzöſiſchen Bevollmächtigten wurde mit jedem Tage peinlicher; ſie glichen wirklich, wie Tierney in einer Parlamentsrede höhnend bemerkte, den Zuhörern im Unterhauſe, die ſich bei der Abſtimmung entfernen müſſen. Für Eng- land war das Protokoll vom 19. Nov. geradezu beleidigend; denn auch die moderne engliſche Verfaſſung war aus einem „Aufruhr“ hervorge- gangen, und das Thronrecht des Hauſes Hannover beruhte auf dem revo- lutionären Grundſatze, daß der legitime König Jakob II. den urſprüng- lichen Vertrag zwiſchen Fürſt und Volk gebrochen habe. Unbekümmert um den Groll der conſtitutionellen Höfe ſchritten die Oſtmächte vorwärts. Sie nannten ſich ſelber les puissances délibérantes und verkündeten *) Protocole préliminaire, 19. November. Drei Weiſungen Bernſtorff’s an Ramdohr in Neapel, 22. Nov.; Hardenberg’s Tagebuch, 19. Nov. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/181>, abgerufen am 28.11.2024.