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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Hardenberg in Laibach.

In den ersten Tagen des Januar trafen die Mitglieder des Con-
gresses in Laibach wieder zusammen. Die liebliche Stadt mitten im
Kranze der Krainischen Schneeberge, dicht am Eingangsthore des warmen
Südens gelegen, bot zwar etwas mehr Genüsse als das langweilige Trop-
pau; immerhin erschien auch dieser Aufenthalt den verwöhnten Großstädtern
als ein harter Frohndienst, und auch die politischen Sorgen, welche die
letzten Tage in Troppau verdüstert hatten, schwanden nicht so bald. Denn
mittlerweile, gerade als die Troppauer Versammlung auseinander ging,
war eine zweite, noch schärfere Depesche Lord Castlereagh's an seinen
Bruder (vom 16. Dec.) eingelaufen. Der Lord wies darin die Grund-
sätze des Troppauer Protokolls entschieden zurück; er erklärte sich "ent-
setzt bei dem bloßen Gedanken, der großen Allianz in einer förmlichen
Urkunde den Anspruch auf die Ausübung einer so beispiellosen Gewalt
zu übertragen", und verwahrte sich feierlich dawider, daß diese Grund-
sätze "unter irgend welchen denkbaren Umständen" jemals gegen England
angewendet werden sollten. Am 19. Januar sendete er noch eine dritte
Depesche an die Gesandtschaften bei den kleinen Höfen, welche die Troppauer
Grundsätze als den Gesetzen Englands widersprechend nochmals verwarf;
das Recht der Einmischung, so schloß sie, lasse sich nur von Fall zu Fall er-
weisen, für einen unmittelbar betheiligten Staat und auf Grund beson-
derer Umstände.*) Währenddem erdröhnte das englische Parlament von
Zornreden wider die große Allianz. Lord Grey und Lord Holland be-
wiesen, wie unversöhnlich ein Fürstenbund, der alle Staaten in ihrem
inneren Leben meistern wolle, den altenglischen Ueberlieferungen insula-
rischer Selbständigkeit gegenüberstehe; und unter dem Jubel der Whigs
rief Mackintosh, nach der Troppauer Verabredung könne es dereinst noch
dahin kommen, daß Kroaten und Kosaken als europäische Polizeiwache im
Hyde-Park einzögen.

Mancher der kleinen Höfe, die in der That guten Grund hatten für
ihre Selbständigkeit zu zittern, mochte diese Reden mit stillem Behagen lesen;
aber nur einer, der Stuttgarter, wagte der englischen Regierung zu
danken, und auch er nur mit behutsamer Umschreibung. Er stellte sich
an, als ob Castlereagh's Meinung mit den Absichten der Ostmächte selbst
vollkommen übereinstimme; und nur unter dieser boshaften Voraussetzung
erklärte er sein freudiges Einverständniß. König Wilhelm, so erwiderte
Wintzingerode dem englischen Gesandten, hält sich versichert, "daß die Be-
freier Europas nicht beabsichtigen konnten, den Völkern dieses Welttheils,
die sie vom Joche befreit, ein anderes ebenso erniedrigendes Joch aufzu-
legen. Nein, dies hat, nach der festen Ueberzeugung des Königs, nicht die
Absicht der Troppauer Conferenzen sein können." Noch deutlicher äußerte
sich der König persönlich in Gegenwart des preußischen Gesandten: er liebe

*) Castlereagh an Stewart, 16. Dec. 1820, an die Gesandtschaften, 19. Jan. 1821.
Hardenberg in Laibach.

In den erſten Tagen des Januar trafen die Mitglieder des Con-
greſſes in Laibach wieder zuſammen. Die liebliche Stadt mitten im
Kranze der Krainiſchen Schneeberge, dicht am Eingangsthore des warmen
Südens gelegen, bot zwar etwas mehr Genüſſe als das langweilige Trop-
pau; immerhin erſchien auch dieſer Aufenthalt den verwöhnten Großſtädtern
als ein harter Frohndienſt, und auch die politiſchen Sorgen, welche die
letzten Tage in Troppau verdüſtert hatten, ſchwanden nicht ſo bald. Denn
mittlerweile, gerade als die Troppauer Verſammlung auseinander ging,
war eine zweite, noch ſchärfere Depeſche Lord Caſtlereagh’s an ſeinen
Bruder (vom 16. Dec.) eingelaufen. Der Lord wies darin die Grund-
ſätze des Troppauer Protokolls entſchieden zurück; er erklärte ſich „ent-
ſetzt bei dem bloßen Gedanken, der großen Allianz in einer förmlichen
Urkunde den Anſpruch auf die Ausübung einer ſo beiſpielloſen Gewalt
zu übertragen“, und verwahrte ſich feierlich dawider, daß dieſe Grund-
ſätze „unter irgend welchen denkbaren Umſtänden“ jemals gegen England
angewendet werden ſollten. Am 19. Januar ſendete er noch eine dritte
Depeſche an die Geſandtſchaften bei den kleinen Höfen, welche die Troppauer
Grundſätze als den Geſetzen Englands widerſprechend nochmals verwarf;
das Recht der Einmiſchung, ſo ſchloß ſie, laſſe ſich nur von Fall zu Fall er-
weiſen, für einen unmittelbar betheiligten Staat und auf Grund beſon-
derer Umſtände.*) Währenddem erdröhnte das engliſche Parlament von
Zornreden wider die große Allianz. Lord Grey und Lord Holland be-
wieſen, wie unverſöhnlich ein Fürſtenbund, der alle Staaten in ihrem
inneren Leben meiſtern wolle, den altengliſchen Ueberlieferungen inſula-
riſcher Selbſtändigkeit gegenüberſtehe; und unter dem Jubel der Whigs
rief Mackintoſh, nach der Troppauer Verabredung könne es dereinſt noch
dahin kommen, daß Kroaten und Koſaken als europäiſche Polizeiwache im
Hyde-Park einzögen.

Mancher der kleinen Höfe, die in der That guten Grund hatten für
ihre Selbſtändigkeit zu zittern, mochte dieſe Reden mit ſtillem Behagen leſen;
aber nur einer, der Stuttgarter, wagte der engliſchen Regierung zu
danken, und auch er nur mit behutſamer Umſchreibung. Er ſtellte ſich
an, als ob Caſtlereagh’s Meinung mit den Abſichten der Oſtmächte ſelbſt
vollkommen übereinſtimme; und nur unter dieſer boshaften Vorausſetzung
erklärte er ſein freudiges Einverſtändniß. König Wilhelm, ſo erwiderte
Wintzingerode dem engliſchen Geſandten, hält ſich verſichert, „daß die Be-
freier Europas nicht beabſichtigen konnten, den Völkern dieſes Welttheils,
die ſie vom Joche befreit, ein anderes ebenſo erniedrigendes Joch aufzu-
legen. Nein, dies hat, nach der feſten Ueberzeugung des Königs, nicht die
Abſicht der Troppauer Conferenzen ſein können.“ Noch deutlicher äußerte
ſich der König perſönlich in Gegenwart des preußiſchen Geſandten: er liebe

*) Caſtlereagh an Stewart, 16. Dec. 1820, an die Geſandtſchaften, 19. Jan. 1821.
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[175/0191] Hardenberg in Laibach. In den erſten Tagen des Januar trafen die Mitglieder des Con- greſſes in Laibach wieder zuſammen. Die liebliche Stadt mitten im Kranze der Krainiſchen Schneeberge, dicht am Eingangsthore des warmen Südens gelegen, bot zwar etwas mehr Genüſſe als das langweilige Trop- pau; immerhin erſchien auch dieſer Aufenthalt den verwöhnten Großſtädtern als ein harter Frohndienſt, und auch die politiſchen Sorgen, welche die letzten Tage in Troppau verdüſtert hatten, ſchwanden nicht ſo bald. Denn mittlerweile, gerade als die Troppauer Verſammlung auseinander ging, war eine zweite, noch ſchärfere Depeſche Lord Caſtlereagh’s an ſeinen Bruder (vom 16. Dec.) eingelaufen. Der Lord wies darin die Grund- ſätze des Troppauer Protokolls entſchieden zurück; er erklärte ſich „ent- ſetzt bei dem bloßen Gedanken, der großen Allianz in einer förmlichen Urkunde den Anſpruch auf die Ausübung einer ſo beiſpielloſen Gewalt zu übertragen“, und verwahrte ſich feierlich dawider, daß dieſe Grund- ſätze „unter irgend welchen denkbaren Umſtänden“ jemals gegen England angewendet werden ſollten. Am 19. Januar ſendete er noch eine dritte Depeſche an die Geſandtſchaften bei den kleinen Höfen, welche die Troppauer Grundſätze als den Geſetzen Englands widerſprechend nochmals verwarf; das Recht der Einmiſchung, ſo ſchloß ſie, laſſe ſich nur von Fall zu Fall er- weiſen, für einen unmittelbar betheiligten Staat und auf Grund beſon- derer Umſtände. *) Währenddem erdröhnte das engliſche Parlament von Zornreden wider die große Allianz. Lord Grey und Lord Holland be- wieſen, wie unverſöhnlich ein Fürſtenbund, der alle Staaten in ihrem inneren Leben meiſtern wolle, den altengliſchen Ueberlieferungen inſula- riſcher Selbſtändigkeit gegenüberſtehe; und unter dem Jubel der Whigs rief Mackintoſh, nach der Troppauer Verabredung könne es dereinſt noch dahin kommen, daß Kroaten und Koſaken als europäiſche Polizeiwache im Hyde-Park einzögen. Mancher der kleinen Höfe, die in der That guten Grund hatten für ihre Selbſtändigkeit zu zittern, mochte dieſe Reden mit ſtillem Behagen leſen; aber nur einer, der Stuttgarter, wagte der engliſchen Regierung zu danken, und auch er nur mit behutſamer Umſchreibung. Er ſtellte ſich an, als ob Caſtlereagh’s Meinung mit den Abſichten der Oſtmächte ſelbſt vollkommen übereinſtimme; und nur unter dieſer boshaften Vorausſetzung erklärte er ſein freudiges Einverſtändniß. König Wilhelm, ſo erwiderte Wintzingerode dem engliſchen Geſandten, hält ſich verſichert, „daß die Be- freier Europas nicht beabſichtigen konnten, den Völkern dieſes Welttheils, die ſie vom Joche befreit, ein anderes ebenſo erniedrigendes Joch aufzu- legen. Nein, dies hat, nach der feſten Ueberzeugung des Königs, nicht die Abſicht der Troppauer Conferenzen ſein können.“ Noch deutlicher äußerte ſich der König perſönlich in Gegenwart des preußiſchen Geſandten: er liebe *) Caſtlereagh an Stewart, 16. Dec. 1820, an die Geſandtſchaften, 19. Jan. 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/191>, abgerufen am 23.11.2024.