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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Revolution in Piemont.
ruhmreiche Tricolore des Königreichs Italien. Ein Manifest der Auf-
ständischen erinnerte an das Vorbild York's, der durch rühmlichen Unge-
horsam seinen König von dem Joche der Fremden erlöst habe. Traum-
haft verschwommen, aber unverkennbar stand der Gedanke der nationalen
Monarchie des Hauses Savoyen im Hintergrunde der phantastischen Pläne.
Bernstorff errieth sofort, daß "diese Hyder aus Frankreichs Schooße her-
vorgegangen" sei*); und allerdings hatte sich die Verschwörung in jenen
liberalen Turiner Kreisen vorbereitet, die mit der französischen Gesandt-
schaft verkehrten. Eine Charte, der französischen ähnlich, war ursprüng-
lich der Zweck der Verschworenen, und nur weil sie eines volksthümlichen
Schlagworts bedurften, riefen sie schließlich die unglückliche spanische Ver-
fassung aus.

So gewann auch diese nationale Schilderhebung den Anschein, als
wäre sie nur ein Glied in der Kette einer weltumspannenden radikalen
Verschwörung. Der Erfolg schien Alles zu bestätigen, was Metternich
über die Pläne der im Dunkeln schleichenden Partei vorhergesagt, und
ohne Vorbehalt schloß sich der Czar jetzt dem untrüglichen Wiener Pro-
pheten an. Die Ostmächte beschlossen (15. März) den Aufruhr unver-
züglich niederzuschlagen: die österreichischen Truppen in der Lombardei
sollten sofort verstärkt und unterdessen ein russisches Heer von 80,000
Mann über Ungarn herangezogen werden. Auch von Preußen erwarteten
die beiden Kaiser, für den Nothfall mindestens, die Zusage bewaffneter
Beihilfe. Bernstorff aber erwiderte sehr nachdrücklich, er müsse seinem
Hofe die Freiheit der Entschließung vorbehalten, da der König seinem
Volke keine Last auflegen wolle, die über die Verpflichtungen der Verträge
hinausgehe. Zugleich kündigte er seine bevorstehende Heimkehr an und
reiste in der That nach einigen Tagen ab. Die Kaiser ließen ihn ziehen,
damit er daheim die gemeinsame Sache wirksamer unterstütze; er aber ver-
ließ den Congreß um zu verhindern, daß Preußen tiefer als der König
wünschte in die italienischen Händel verwickelt würde. General Krusemark,
der nunmehr allein als preußischer Bevollmächtigter zurückblieb, konnte
sich allen "weiteren lästigen Zumuthungen" leicht entziehen, da er stets
erst in Berlin anfragen mußte.**) So seltsam durchkreuzten sich am preu-
ßischen Hofe landesväterliches Pflichtgefühl und antirevolutionäre Gesin-
nung. Friedrich Wilhelm wollte die Kräfte seines Volkes den italienischen
Plänen Oesterreichs nimmermehr opfern und übernahm doch unbedenklich
vor aller Welt die Mitschuld an den herrischen Manifesten der Wiener
Interventionspolitik, weil er in dem Bunde der Ostmächte die Bürgschaft
für die Sicherheit seines eigenen Staates sah. Seine Haltung bewies,

*) Bernstorff an Ancillon, 15. März 1821.
**) Bernstorff's Bericht an den König, 15. März, an Hardenberg 21. März. Ge-
heimes Protokoll über Bernstorff's Erklärung, 15. März 1821.

Revolution in Piemont.
ruhmreiche Tricolore des Königreichs Italien. Ein Manifeſt der Auf-
ſtändiſchen erinnerte an das Vorbild York’s, der durch rühmlichen Unge-
horſam ſeinen König von dem Joche der Fremden erlöſt habe. Traum-
haft verſchwommen, aber unverkennbar ſtand der Gedanke der nationalen
Monarchie des Hauſes Savoyen im Hintergrunde der phantaſtiſchen Pläne.
Bernſtorff errieth ſofort, daß „dieſe Hyder aus Frankreichs Schooße her-
vorgegangen“ ſei*); und allerdings hatte ſich die Verſchwörung in jenen
liberalen Turiner Kreiſen vorbereitet, die mit der franzöſiſchen Geſandt-
ſchaft verkehrten. Eine Charte, der franzöſiſchen ähnlich, war urſprüng-
lich der Zweck der Verſchworenen, und nur weil ſie eines volksthümlichen
Schlagworts bedurften, riefen ſie ſchließlich die unglückliche ſpaniſche Ver-
faſſung aus.

So gewann auch dieſe nationale Schilderhebung den Anſchein, als
wäre ſie nur ein Glied in der Kette einer weltumſpannenden radikalen
Verſchwörung. Der Erfolg ſchien Alles zu beſtätigen, was Metternich
über die Pläne der im Dunkeln ſchleichenden Partei vorhergeſagt, und
ohne Vorbehalt ſchloß ſich der Czar jetzt dem untrüglichen Wiener Pro-
pheten an. Die Oſtmächte beſchloſſen (15. März) den Aufruhr unver-
züglich niederzuſchlagen: die öſterreichiſchen Truppen in der Lombardei
ſollten ſofort verſtärkt und unterdeſſen ein ruſſiſches Heer von 80,000
Mann über Ungarn herangezogen werden. Auch von Preußen erwarteten
die beiden Kaiſer, für den Nothfall mindeſtens, die Zuſage bewaffneter
Beihilfe. Bernſtorff aber erwiderte ſehr nachdrücklich, er müſſe ſeinem
Hofe die Freiheit der Entſchließung vorbehalten, da der König ſeinem
Volke keine Laſt auflegen wolle, die über die Verpflichtungen der Verträge
hinausgehe. Zugleich kündigte er ſeine bevorſtehende Heimkehr an und
reiſte in der That nach einigen Tagen ab. Die Kaiſer ließen ihn ziehen,
damit er daheim die gemeinſame Sache wirkſamer unterſtütze; er aber ver-
ließ den Congreß um zu verhindern, daß Preußen tiefer als der König
wünſchte in die italieniſchen Händel verwickelt würde. General Kruſemark,
der nunmehr allein als preußiſcher Bevollmächtigter zurückblieb, konnte
ſich allen „weiteren läſtigen Zumuthungen“ leicht entziehen, da er ſtets
erſt in Berlin anfragen mußte.**) So ſeltſam durchkreuzten ſich am preu-
ßiſchen Hofe landesväterliches Pflichtgefühl und antirevolutionäre Geſin-
nung. Friedrich Wilhelm wollte die Kräfte ſeines Volkes den italieniſchen
Plänen Oeſterreichs nimmermehr opfern und übernahm doch unbedenklich
vor aller Welt die Mitſchuld an den herriſchen Manifeſten der Wiener
Interventionspolitik, weil er in dem Bunde der Oſtmächte die Bürgſchaft
für die Sicherheit ſeines eigenen Staates ſah. Seine Haltung bewies,

*) Bernſtorff an Ancillon, 15. März 1821.
**) Bernſtorff’s Bericht an den König, 15. März, an Hardenberg 21. März. Ge-
heimes Protokoll über Bernſtorff’s Erklärung, 15. März 1821.
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[181/0197] Revolution in Piemont. ruhmreiche Tricolore des Königreichs Italien. Ein Manifeſt der Auf- ſtändiſchen erinnerte an das Vorbild York’s, der durch rühmlichen Unge- horſam ſeinen König von dem Joche der Fremden erlöſt habe. Traum- haft verſchwommen, aber unverkennbar ſtand der Gedanke der nationalen Monarchie des Hauſes Savoyen im Hintergrunde der phantaſtiſchen Pläne. Bernſtorff errieth ſofort, daß „dieſe Hyder aus Frankreichs Schooße her- vorgegangen“ ſei *); und allerdings hatte ſich die Verſchwörung in jenen liberalen Turiner Kreiſen vorbereitet, die mit der franzöſiſchen Geſandt- ſchaft verkehrten. Eine Charte, der franzöſiſchen ähnlich, war urſprüng- lich der Zweck der Verſchworenen, und nur weil ſie eines volksthümlichen Schlagworts bedurften, riefen ſie ſchließlich die unglückliche ſpaniſche Ver- faſſung aus. So gewann auch dieſe nationale Schilderhebung den Anſchein, als wäre ſie nur ein Glied in der Kette einer weltumſpannenden radikalen Verſchwörung. Der Erfolg ſchien Alles zu beſtätigen, was Metternich über die Pläne der im Dunkeln ſchleichenden Partei vorhergeſagt, und ohne Vorbehalt ſchloß ſich der Czar jetzt dem untrüglichen Wiener Pro- pheten an. Die Oſtmächte beſchloſſen (15. März) den Aufruhr unver- züglich niederzuſchlagen: die öſterreichiſchen Truppen in der Lombardei ſollten ſofort verſtärkt und unterdeſſen ein ruſſiſches Heer von 80,000 Mann über Ungarn herangezogen werden. Auch von Preußen erwarteten die beiden Kaiſer, für den Nothfall mindeſtens, die Zuſage bewaffneter Beihilfe. Bernſtorff aber erwiderte ſehr nachdrücklich, er müſſe ſeinem Hofe die Freiheit der Entſchließung vorbehalten, da der König ſeinem Volke keine Laſt auflegen wolle, die über die Verpflichtungen der Verträge hinausgehe. Zugleich kündigte er ſeine bevorſtehende Heimkehr an und reiſte in der That nach einigen Tagen ab. Die Kaiſer ließen ihn ziehen, damit er daheim die gemeinſame Sache wirkſamer unterſtütze; er aber ver- ließ den Congreß um zu verhindern, daß Preußen tiefer als der König wünſchte in die italieniſchen Händel verwickelt würde. General Kruſemark, der nunmehr allein als preußiſcher Bevollmächtigter zurückblieb, konnte ſich allen „weiteren läſtigen Zumuthungen“ leicht entziehen, da er ſtets erſt in Berlin anfragen mußte. **) So ſeltſam durchkreuzten ſich am preu- ßiſchen Hofe landesväterliches Pflichtgefühl und antirevolutionäre Geſin- nung. Friedrich Wilhelm wollte die Kräfte ſeines Volkes den italieniſchen Plänen Oeſterreichs nimmermehr opfern und übernahm doch unbedenklich vor aller Welt die Mitſchuld an den herriſchen Manifeſten der Wiener Interventionspolitik, weil er in dem Bunde der Oſtmächte die Bürgſchaft für die Sicherheit ſeines eigenen Staates ſah. Seine Haltung bewies, *) Bernſtorff an Ancillon, 15. März 1821. **) Bernſtorff’s Bericht an den König, 15. März, an Hardenberg 21. März. Ge- heimes Protokoll über Bernſtorff’s Erklärung, 15. März 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/197>, abgerufen am 22.11.2024.