Vierter Abschnitt. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
In Berlin tagte die neue Verfassungscommission unter dem Vorsitze des Kronprinzen und schickte sich an, über Hardenberg's Gemeindegesetzen den Stab zu brechen. Währenddem durchreiste der Staatskanzler ver- gnüglich die Städte Oberitaliens, als ob ihn der Zusammenbruch seines Verfassungswerkes gar nicht berührte; er verlebte in Venedig eine Stunde peinlichen Wiedersehens mit seinem alten Amtsgenossen, dem ganz im Trunk verkommenen Grafen Haugwitz, besuchte mit jugendlicher Wißbe- gier die Kirchen und Kunstschätze, und beobachtete scharfen Blickes auch die politischen Zustände des Landes, den Verfall des venetianischen Handels, den unversöhnlichen Haß der Italiener wider die österreichischen Behörden. Als er im März 1821 in Rom eintraf, fand er dort ein ungewöhnlich reges Fremdentreiben: außer dem treuen Stammgaste der römischen Museen, dem Kronprinzen von Baiern hatten sich auch Prinz August von Preußen, der Freiherr vom Stein und zahlreiche vornehme Englän- der, unbekümmert um die Wirren im nahen Neapel, am Tiber einge- funden. Der alte Herr verkehrte am liebsten in dem munteren Kreise der deutschen Maler und freute sich herzlich der aufblühenden vaterlän- dischen Kunst, als ihm Veit und Schadow in der Casa Bartholdi die neuen Fresken zeigten. Die Zerstreuungen des Reiselebens nahmen ihn ganz in Anspruch und nur für ein ernstes politisches Geschäft behielt er noch Zeit: für den Abschluß der Verhandlungen mit dem heiligen Stuhle.*)
Wie alle die schroffen Gegensätze des deutschen Lebens in den großen Verhältnissen Preußens ihre ganze Schärfe zeigten, so bot auch die Wah- rung des kirchlichen Friedens nirgends größere Schwierigkeiten als in diesem Staate, der trotz seiner altbewährten Duldsamkeit doch auf einer streng protestantischen Geschichte stand und nun ein zu zwei Fünfteln katho- lisches Volk regieren sollte. Fast die Hälfte seiner katholischen Unter- thanen war polnisch, schon durch ihr Volksthum dem Herrscherhause ent-
*) Hardenberg's Tagebuch, Febr., März 1821.
Vierter Abſchnitt. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
In Berlin tagte die neue Verfaſſungscommiſſion unter dem Vorſitze des Kronprinzen und ſchickte ſich an, über Hardenberg’s Gemeindegeſetzen den Stab zu brechen. Währenddem durchreiſte der Staatskanzler ver- gnüglich die Städte Oberitaliens, als ob ihn der Zuſammenbruch ſeines Verfaſſungswerkes gar nicht berührte; er verlebte in Venedig eine Stunde peinlichen Wiederſehens mit ſeinem alten Amtsgenoſſen, dem ganz im Trunk verkommenen Grafen Haugwitz, beſuchte mit jugendlicher Wißbe- gier die Kirchen und Kunſtſchätze, und beobachtete ſcharfen Blickes auch die politiſchen Zuſtände des Landes, den Verfall des venetianiſchen Handels, den unverſöhnlichen Haß der Italiener wider die öſterreichiſchen Behörden. Als er im März 1821 in Rom eintraf, fand er dort ein ungewöhnlich reges Fremdentreiben: außer dem treuen Stammgaſte der römiſchen Muſeen, dem Kronprinzen von Baiern hatten ſich auch Prinz Auguſt von Preußen, der Freiherr vom Stein und zahlreiche vornehme Englän- der, unbekümmert um die Wirren im nahen Neapel, am Tiber einge- funden. Der alte Herr verkehrte am liebſten in dem munteren Kreiſe der deutſchen Maler und freute ſich herzlich der aufblühenden vaterlän- diſchen Kunſt, als ihm Veit und Schadow in der Caſa Bartholdi die neuen Fresken zeigten. Die Zerſtreuungen des Reiſelebens nahmen ihn ganz in Anſpruch und nur für ein ernſtes politiſches Geſchäft behielt er noch Zeit: für den Abſchluß der Verhandlungen mit dem heiligen Stuhle.*)
Wie alle die ſchroffen Gegenſätze des deutſchen Lebens in den großen Verhältniſſen Preußens ihre ganze Schärfe zeigten, ſo bot auch die Wah- rung des kirchlichen Friedens nirgends größere Schwierigkeiten als in dieſem Staate, der trotz ſeiner altbewährten Duldſamkeit doch auf einer ſtreng proteſtantiſchen Geſchichte ſtand und nun ein zu zwei Fünfteln katho- liſches Volk regieren ſollte. Faſt die Hälfte ſeiner katholiſchen Unter- thanen war polniſch, ſchon durch ihr Volksthum dem Herrſcherhauſe ent-
*) Hardenberg’s Tagebuch, Febr., März 1821.
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Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
In Berlin tagte die neue Verfaſſungscommiſſion unter dem Vorſitze
des Kronprinzen und ſchickte ſich an, über Hardenberg’s Gemeindegeſetzen
den Stab zu brechen. Währenddem durchreiſte der Staatskanzler ver-
gnüglich die Städte Oberitaliens, als ob ihn der Zuſammenbruch ſeines
Verfaſſungswerkes gar nicht berührte; er verlebte in Venedig eine Stunde
peinlichen Wiederſehens mit ſeinem alten Amtsgenoſſen, dem ganz im
Trunk verkommenen Grafen Haugwitz, beſuchte mit jugendlicher Wißbe-
gier die Kirchen und Kunſtſchätze, und beobachtete ſcharfen Blickes auch die
politiſchen Zuſtände des Landes, den Verfall des venetianiſchen Handels,
den unverſöhnlichen Haß der Italiener wider die öſterreichiſchen Behörden.
Als er im März 1821 in Rom eintraf, fand er dort ein ungewöhnlich
reges Fremdentreiben: außer dem treuen Stammgaſte der römiſchen
Muſeen, dem Kronprinzen von Baiern hatten ſich auch Prinz Auguſt
von Preußen, der Freiherr vom Stein und zahlreiche vornehme Englän-
der, unbekümmert um die Wirren im nahen Neapel, am Tiber einge-
funden. Der alte Herr verkehrte am liebſten in dem munteren Kreiſe
der deutſchen Maler und freute ſich herzlich der aufblühenden vaterlän-
diſchen Kunſt, als ihm Veit und Schadow in der Caſa Bartholdi die
neuen Fresken zeigten. Die Zerſtreuungen des Reiſelebens nahmen ihn
ganz in Anſpruch und nur für ein ernſtes politiſches Geſchäft behielt er
noch Zeit: für den Abſchluß der Verhandlungen mit dem heiligen Stuhle. *)
Wie alle die ſchroffen Gegenſätze des deutſchen Lebens in den großen
Verhältniſſen Preußens ihre ganze Schärfe zeigten, ſo bot auch die Wah-
rung des kirchlichen Friedens nirgends größere Schwierigkeiten als in
dieſem Staate, der trotz ſeiner altbewährten Duldſamkeit doch auf einer
ſtreng proteſtantiſchen Geſchichte ſtand und nun ein zu zwei Fünfteln katho-
liſches Volk regieren ſollte. Faſt die Hälfte ſeiner katholiſchen Unter-
thanen war polniſch, ſchon durch ihr Volksthum dem Herrſcherhauſe ent-
*) Hardenberg’s Tagebuch, Febr., März 1821.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. [198]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/214>, abgerufen am 21.11.2024.
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