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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Kirchenpolitik der preußischen Regierung.
betrachteten die römische Kirche mit unverhohlenem Mißtrauen; auch Graf
Solms-Laubach stand dieser Ansicht nahe, da er als rheinischer Ober-
präsident schon manchen Straus mit dem Aachener Generalvicariate hatte
durchfechten müssen. Der fromme Nicolovius hingegen bewahrte noch in
treuer Erinnerung das lichte Bild jenes gläubigen und durchgeistigten
Katholicismus, den er einst in dem gottseligen Kreise der Fürstin Galitzin
lieben gelernt; er vergaß darüber beinahe die politische Macht und Herrsch-
sucht der römischen Kirche und näherte sich unvermerkt den kirchenpoliti-
schen Grundsätzen seines Amtsgenossen Geh. Rath Schmedding, der, ein
verständiger, nüchterner, fast rationalistisch gesinnter Geschäftsmann, doch
von den clericalen Anschauungen seiner münsterländischen Heimath nie-
mals ganz frei wurde und den Ansprüchen der römischen Curie sehr weit
entgegenkam. Schmedding's Urtheil fiel um so schwerer ins Gewicht, da
er der einzige Katholik und der tüchtigste Kanonist im Cultusministerium
war. Fast alle die anderen Räthe der Krone besaßen keine lebendige
Kenntniß von der römischen Kirche -- ein Mangel, der bis zum heutigen
Tage dem preußischen Beamtenthum eigenthümlich geblieben ist; sie über-
trugen ihre ernsthaften protestantischen Begriffe auf die katholische Welt,
betrachteten die wesentlich politische Partei der Ultramontanen als eine
Gesinnungsverwandte der evangelischen Orthodoxie und verstanden nicht
recht zu leben mit diesem Clerus, der, schon von der Schulbank her an
die römischen Künste des silere, dissimulare, scire und tolerare posse
gewöhnt, für die ruhige Sprache der selbstbewußten Macht immer empfäng-
lich ist, aber jede Unsicherheit der weltlichen Gewalt rücksichtslos auszu-
beuten versteht. Also erneuerten sich im Schooße der preußischen Regie-
rung die nämlichen Kämpfe, welche ein Menschenalter zuvor die literarische
Welt bewegt hatten, als Nicolai und Biester in der Berliner Monats-
schrift die Jesuiten und die Finsterlinge anklagten und F. H. Jacobi da-
wider das Recht des gläubigen Herzens vertheidigte. Wahrheit und Irr-
thum lagen seltsam gemischt auf beiden Seiten, und Altenstein fühlte mit
feinem Takt heraus, daß der Cultusminister sich keiner der beiden Par-
teien unbedingt anschließen durfte.

Wieder eine andere ganz eigenthümliche Ansicht der Kirchenpolitik
hegte Niebuhr, der Gesandte in Rom. Preußen war der erste protestan-
tische Hof, der sich im Vatican durch eine stehende Gesandtschaft vertreten
ließ. Der römische Posten hatte bisher nur zur Erledigung unschein-
barer laufender Geschäfte gedient und erhielt jetzt erst, da die Errichtung
der neuen Landesbisthümer bevorstand, eine politische Bedeutung. Bei
seiner Neubesetzung ging Hardenberg von der Erwägung aus, daß nur
ein gegen die geistlichen Waffen der Curie gefeiter Mann, ein Protestant
und ein Weltlicher, die Verhandlungen würdig führen könne; der neue
Gesandte durfte aber auch kein hohes Amt bekleiden, damit der Papst
nicht auf den Einfall geriethe, seinerseits einen Nuntius nach Berlin zu

Kirchenpolitik der preußiſchen Regierung.
betrachteten die römiſche Kirche mit unverhohlenem Mißtrauen; auch Graf
Solms-Laubach ſtand dieſer Anſicht nahe, da er als rheiniſcher Ober-
präſident ſchon manchen Straus mit dem Aachener Generalvicariate hatte
durchfechten müſſen. Der fromme Nicolovius hingegen bewahrte noch in
treuer Erinnerung das lichte Bild jenes gläubigen und durchgeiſtigten
Katholicismus, den er einſt in dem gottſeligen Kreiſe der Fürſtin Galitzin
lieben gelernt; er vergaß darüber beinahe die politiſche Macht und Herrſch-
ſucht der römiſchen Kirche und näherte ſich unvermerkt den kirchenpoliti-
ſchen Grundſätzen ſeines Amtsgenoſſen Geh. Rath Schmedding, der, ein
verſtändiger, nüchterner, faſt rationaliſtiſch geſinnter Geſchäftsmann, doch
von den clericalen Anſchauungen ſeiner münſterländiſchen Heimath nie-
mals ganz frei wurde und den Anſprüchen der römiſchen Curie ſehr weit
entgegenkam. Schmedding’s Urtheil fiel um ſo ſchwerer ins Gewicht, da
er der einzige Katholik und der tüchtigſte Kanoniſt im Cultusminiſterium
war. Faſt alle die anderen Räthe der Krone beſaßen keine lebendige
Kenntniß von der römiſchen Kirche — ein Mangel, der bis zum heutigen
Tage dem preußiſchen Beamtenthum eigenthümlich geblieben iſt; ſie über-
trugen ihre ernſthaften proteſtantiſchen Begriffe auf die katholiſche Welt,
betrachteten die weſentlich politiſche Partei der Ultramontanen als eine
Geſinnungsverwandte der evangeliſchen Orthodoxie und verſtanden nicht
recht zu leben mit dieſem Clerus, der, ſchon von der Schulbank her an
die römiſchen Künſte des silere, dissimulare, scire und tolerare posse
gewöhnt, für die ruhige Sprache der ſelbſtbewußten Macht immer empfäng-
lich iſt, aber jede Unſicherheit der weltlichen Gewalt rückſichtslos auszu-
beuten verſteht. Alſo erneuerten ſich im Schooße der preußiſchen Regie-
rung die nämlichen Kämpfe, welche ein Menſchenalter zuvor die literariſche
Welt bewegt hatten, als Nicolai und Bieſter in der Berliner Monats-
ſchrift die Jeſuiten und die Finſterlinge anklagten und F. H. Jacobi da-
wider das Recht des gläubigen Herzens vertheidigte. Wahrheit und Irr-
thum lagen ſeltſam gemiſcht auf beiden Seiten, und Altenſtein fühlte mit
feinem Takt heraus, daß der Cultusminiſter ſich keiner der beiden Par-
teien unbedingt anſchließen durfte.

Wieder eine andere ganz eigenthümliche Anſicht der Kirchenpolitik
hegte Niebuhr, der Geſandte in Rom. Preußen war der erſte proteſtan-
tiſche Hof, der ſich im Vatican durch eine ſtehende Geſandtſchaft vertreten
ließ. Der römiſche Poſten hatte bisher nur zur Erledigung unſchein-
barer laufender Geſchäfte gedient und erhielt jetzt erſt, da die Errichtung
der neuen Landesbisthümer bevorſtand, eine politiſche Bedeutung. Bei
ſeiner Neubeſetzung ging Hardenberg von der Erwägung aus, daß nur
ein gegen die geiſtlichen Waffen der Curie gefeiter Mann, ein Proteſtant
und ein Weltlicher, die Verhandlungen würdig führen könne; der neue
Geſandte durfte aber auch kein hohes Amt bekleiden, damit der Papſt
nicht auf den Einfall geriethe, ſeinerſeits einen Nuntius nach Berlin zu

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[201/0217] Kirchenpolitik der preußiſchen Regierung. betrachteten die römiſche Kirche mit unverhohlenem Mißtrauen; auch Graf Solms-Laubach ſtand dieſer Anſicht nahe, da er als rheiniſcher Ober- präſident ſchon manchen Straus mit dem Aachener Generalvicariate hatte durchfechten müſſen. Der fromme Nicolovius hingegen bewahrte noch in treuer Erinnerung das lichte Bild jenes gläubigen und durchgeiſtigten Katholicismus, den er einſt in dem gottſeligen Kreiſe der Fürſtin Galitzin lieben gelernt; er vergaß darüber beinahe die politiſche Macht und Herrſch- ſucht der römiſchen Kirche und näherte ſich unvermerkt den kirchenpoliti- ſchen Grundſätzen ſeines Amtsgenoſſen Geh. Rath Schmedding, der, ein verſtändiger, nüchterner, faſt rationaliſtiſch geſinnter Geſchäftsmann, doch von den clericalen Anſchauungen ſeiner münſterländiſchen Heimath nie- mals ganz frei wurde und den Anſprüchen der römiſchen Curie ſehr weit entgegenkam. Schmedding’s Urtheil fiel um ſo ſchwerer ins Gewicht, da er der einzige Katholik und der tüchtigſte Kanoniſt im Cultusminiſterium war. Faſt alle die anderen Räthe der Krone beſaßen keine lebendige Kenntniß von der römiſchen Kirche — ein Mangel, der bis zum heutigen Tage dem preußiſchen Beamtenthum eigenthümlich geblieben iſt; ſie über- trugen ihre ernſthaften proteſtantiſchen Begriffe auf die katholiſche Welt, betrachteten die weſentlich politiſche Partei der Ultramontanen als eine Geſinnungsverwandte der evangeliſchen Orthodoxie und verſtanden nicht recht zu leben mit dieſem Clerus, der, ſchon von der Schulbank her an die römiſchen Künſte des silere, dissimulare, scire und tolerare posse gewöhnt, für die ruhige Sprache der ſelbſtbewußten Macht immer empfäng- lich iſt, aber jede Unſicherheit der weltlichen Gewalt rückſichtslos auszu- beuten verſteht. Alſo erneuerten ſich im Schooße der preußiſchen Regie- rung die nämlichen Kämpfe, welche ein Menſchenalter zuvor die literariſche Welt bewegt hatten, als Nicolai und Bieſter in der Berliner Monats- ſchrift die Jeſuiten und die Finſterlinge anklagten und F. H. Jacobi da- wider das Recht des gläubigen Herzens vertheidigte. Wahrheit und Irr- thum lagen ſeltſam gemiſcht auf beiden Seiten, und Altenſtein fühlte mit feinem Takt heraus, daß der Cultusminiſter ſich keiner der beiden Par- teien unbedingt anſchließen durfte. Wieder eine andere ganz eigenthümliche Anſicht der Kirchenpolitik hegte Niebuhr, der Geſandte in Rom. Preußen war der erſte proteſtan- tiſche Hof, der ſich im Vatican durch eine ſtehende Geſandtſchaft vertreten ließ. Der römiſche Poſten hatte bisher nur zur Erledigung unſchein- barer laufender Geſchäfte gedient und erhielt jetzt erſt, da die Errichtung der neuen Landesbisthümer bevorſtand, eine politiſche Bedeutung. Bei ſeiner Neubeſetzung ging Hardenberg von der Erwägung aus, daß nur ein gegen die geiſtlichen Waffen der Curie gefeiter Mann, ein Proteſtant und ein Weltlicher, die Verhandlungen würdig führen könne; der neue Geſandte durfte aber auch kein hohes Amt bekleiden, damit der Papſt nicht auf den Einfall geriethe, ſeinerſeits einen Nuntius nach Berlin zu

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/217>, abgerufen am 21.11.2024.