mochte die Stuttgarter Politik nie zu handeln. Als Gehilfe, ohne Stimm- recht, wurde dem harmlosen Gesandten der Freiherr v. Trott beigegeben, ein liberaler Rheinbundsbureaukrat, wie der Schwabenkönig sie liebte, gescheidt, thätig, ehrgeizig. Er galt seit einigen Monaten für den nächsten Vertrauten König Wilhelms; freilich wußte Niemand zu sagen, wie lange dies Glück währen würde, da die Rollen am Stuttgarter Hofe sehr rasch zu wechseln pflegten. In Wien fand er von vornherein eine üble Auf- nahme, weil er als Bonapartist verrufen war und den Triasplänen Wan- genheim's nahe stand; der kurhessische Gesandte Münchhausen weigerte sich sogar mit ihm gemeinsam zu berathen, der einst als Präfekt unter König Jerome gedient hatte. Also von allen Seiten beargwöhnt, und über- dies mit seinem Vorgesetzten persönlich verfeindet, vermochte Trott auf den Conferenzen keine Rolle zu spielen; nur zuweilen, wenn von Stuttgart her ein kleines Ränkespiel eingeleitet wurde, trat er aus dem Dunkel heraus.*)
Unter den übrigen Bevollmächtigten ragte der darmstädtische Minister Freiherr du Thil hervor, ein scharfer staatsmännischer Kopf, der als streng conservativer Monarchist verrufen, gleichwohl die praktischen Ziele der nationalen Politik und den deutschen Beruf des preußischen Staates freier, richtiger beurtheilte als die Mehrzahl der Liberalen; er erwarb sich hier bei den preußischen Staatsmännern ein Ansehen, das dereinst noch für Deutschlands Einheit seine Früchte tragen sollte.**) Aber auch er zeigte sich immer bedenklich, so oft von erweiterten Befugnissen des Bun- des die Rede war. Aehnlich dachten die meisten anderen Minister, bis herab zu dem wackeren Fritsch, der die ernestinischen Höfe vertrat, und dem Senator Hach, dem Bevollmächtigten der freien Städte. Und diese Gesinnung der Staatsmänner entsprach unzweifelhaft der Meinung der Nation.
Es war der Fluch der Karlsbader Politik, daß jede Verstärkung der Bundesgewalt nunmehr als eine Gefahr für die bürgerliche Freiheit be- trachtet wurde. In einem Volke, das den nationalen Stolz, den Gedanken des Vaterlandes kaum erst wiederzufinden begann, mußte der Partikularis- mus unvermeidlich mit verjüngter Kraft erwachen, nachdem die Politik der Centralisation sich auf falsche Ziele gerichtet hatte. Eben in diesen Tagen veröffentlichte der Führer der fränkischen Liberalen, W. J. Behr in Würz- burg eine Schrift über "die Einwirkung des Bundes auf die Verfassung seiner Gliederstaaten", die in der Presse warmen Beifall fand und die liberalen Durchschnittsansichten treulich wiedergab. Hier ward die partiku- laristische Doctrin des Münchener Hofes noch weit überboten. Kein Wort mehr von einer deutschen Nation, von allen den großen Culturaufgaben,
*) Einiges Nähere bei Aegidi, die Schlußakte der Wiener Ministerial-Conferenzen, II. 62.
**) Otterstedt's Bericht, Darmstadt 10. Juni 1820 ff.
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
mochte die Stuttgarter Politik nie zu handeln. Als Gehilfe, ohne Stimm- recht, wurde dem harmloſen Geſandten der Freiherr v. Trott beigegeben, ein liberaler Rheinbundsbureaukrat, wie der Schwabenkönig ſie liebte, geſcheidt, thätig, ehrgeizig. Er galt ſeit einigen Monaten für den nächſten Vertrauten König Wilhelms; freilich wußte Niemand zu ſagen, wie lange dies Glück währen würde, da die Rollen am Stuttgarter Hofe ſehr raſch zu wechſeln pflegten. In Wien fand er von vornherein eine üble Auf- nahme, weil er als Bonapartiſt verrufen war und den Triasplänen Wan- genheim’s nahe ſtand; der kurheſſiſche Geſandte Münchhauſen weigerte ſich ſogar mit ihm gemeinſam zu berathen, der einſt als Präfekt unter König Jerome gedient hatte. Alſo von allen Seiten beargwöhnt, und über- dies mit ſeinem Vorgeſetzten perſönlich verfeindet, vermochte Trott auf den Conferenzen keine Rolle zu ſpielen; nur zuweilen, wenn von Stuttgart her ein kleines Ränkeſpiel eingeleitet wurde, trat er aus dem Dunkel heraus.*)
Unter den übrigen Bevollmächtigten ragte der darmſtädtiſche Miniſter Freiherr du Thil hervor, ein ſcharfer ſtaatsmänniſcher Kopf, der als ſtreng conſervativer Monarchiſt verrufen, gleichwohl die praktiſchen Ziele der nationalen Politik und den deutſchen Beruf des preußiſchen Staates freier, richtiger beurtheilte als die Mehrzahl der Liberalen; er erwarb ſich hier bei den preußiſchen Staatsmännern ein Anſehen, das dereinſt noch für Deutſchlands Einheit ſeine Früchte tragen ſollte.**) Aber auch er zeigte ſich immer bedenklich, ſo oft von erweiterten Befugniſſen des Bun- des die Rede war. Aehnlich dachten die meiſten anderen Miniſter, bis herab zu dem wackeren Fritſch, der die erneſtiniſchen Höfe vertrat, und dem Senator Hach, dem Bevollmächtigten der freien Städte. Und dieſe Geſinnung der Staatsmänner entſprach unzweifelhaft der Meinung der Nation.
Es war der Fluch der Karlsbader Politik, daß jede Verſtärkung der Bundesgewalt nunmehr als eine Gefahr für die bürgerliche Freiheit be- trachtet wurde. In einem Volke, das den nationalen Stolz, den Gedanken des Vaterlandes kaum erſt wiederzufinden begann, mußte der Partikularis- mus unvermeidlich mit verjüngter Kraft erwachen, nachdem die Politik der Centraliſation ſich auf falſche Ziele gerichtet hatte. Eben in dieſen Tagen veröffentlichte der Führer der fränkiſchen Liberalen, W. J. Behr in Würz- burg eine Schrift über „die Einwirkung des Bundes auf die Verfaſſung ſeiner Gliederſtaaten“, die in der Preſſe warmen Beifall fand und die liberalen Durchſchnittsanſichten treulich wiedergab. Hier ward die partiku- lariſtiſche Doctrin des Münchener Hofes noch weit überboten. Kein Wort mehr von einer deutſchen Nation, von allen den großen Culturaufgaben,
*) Einiges Nähere bei Aegidi, die Schlußakte der Wiener Miniſterial-Conferenzen, II. 62.
**) Otterſtedt’s Bericht, Darmſtadt 10. Juni 1820 ff.
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recht, wurde dem harmloſen Geſandten der Freiherr v. Trott beigegeben,
ein liberaler Rheinbundsbureaukrat, wie der Schwabenkönig ſie liebte,
geſcheidt, thätig, ehrgeizig. Er galt ſeit einigen Monaten für den nächſten
Vertrauten König Wilhelms; freilich wußte Niemand zu ſagen, wie lange
dies Glück währen würde, da die Rollen am Stuttgarter Hofe ſehr raſch
zu wechſeln pflegten. In Wien fand er von vornherein eine üble Auf-
nahme, weil er als Bonapartiſt verrufen war und den Triasplänen Wan-
genheim’s nahe ſtand; der kurheſſiſche Geſandte Münchhauſen weigerte
ſich ſogar mit ihm gemeinſam zu berathen, der einſt als Präfekt unter
König Jerome gedient hatte. Alſo von allen Seiten beargwöhnt, und über-
dies mit ſeinem Vorgeſetzten perſönlich verfeindet, vermochte Trott auf den
Conferenzen keine Rolle zu ſpielen; nur zuweilen, wenn von Stuttgart
her ein kleines Ränkeſpiel eingeleitet wurde, trat er aus dem Dunkel
heraus. *)
Unter den übrigen Bevollmächtigten ragte der darmſtädtiſche Miniſter
Freiherr du Thil hervor, ein ſcharfer ſtaatsmänniſcher Kopf, der als
ſtreng conſervativer Monarchiſt verrufen, gleichwohl die praktiſchen Ziele
der nationalen Politik und den deutſchen Beruf des preußiſchen Staates
freier, richtiger beurtheilte als die Mehrzahl der Liberalen; er erwarb ſich
hier bei den preußiſchen Staatsmännern ein Anſehen, das dereinſt noch
für Deutſchlands Einheit ſeine Früchte tragen ſollte. **) Aber auch er
zeigte ſich immer bedenklich, ſo oft von erweiterten Befugniſſen des Bun-
des die Rede war. Aehnlich dachten die meiſten anderen Miniſter, bis
herab zu dem wackeren Fritſch, der die erneſtiniſchen Höfe vertrat, und
dem Senator Hach, dem Bevollmächtigten der freien Städte. Und dieſe
Geſinnung der Staatsmänner entſprach unzweifelhaft der Meinung der
Nation.
Es war der Fluch der Karlsbader Politik, daß jede Verſtärkung der
Bundesgewalt nunmehr als eine Gefahr für die bürgerliche Freiheit be-
trachtet wurde. In einem Volke, das den nationalen Stolz, den Gedanken
des Vaterlandes kaum erſt wiederzufinden begann, mußte der Partikularis-
mus unvermeidlich mit verjüngter Kraft erwachen, nachdem die Politik der
Centraliſation ſich auf falſche Ziele gerichtet hatte. Eben in dieſen Tagen
veröffentlichte der Führer der fränkiſchen Liberalen, W. J. Behr in Würz-
burg eine Schrift über „die Einwirkung des Bundes auf die Verfaſſung
ſeiner Gliederſtaaten“, die in der Preſſe warmen Beifall fand und die
liberalen Durchſchnittsanſichten treulich wiedergab. Hier ward die partiku-
lariſtiſche Doctrin des Münchener Hofes noch weit überboten. Kein Wort
mehr von einer deutſchen Nation, von allen den großen Culturaufgaben,
*) Einiges Nähere bei Aegidi, die Schlußakte der Wiener Miniſterial-Conferenzen,
II. 62.
**) Otterſtedt’s Bericht, Darmſtadt 10. Juni 1820 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/24>, abgerufen am 16.07.2024.
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