Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.B. Constant über die preußische Verfassung. abgewiesen.*) Am Hofe aber besprach man mit wachsendem Beifall dieAnsicht des alten Marwitz: es sei ein toller Gedanke, einem so zusammen- gesetzten Staate einen Reichstag zu geben. Ein anderer brandenburgi- scher Grundherr, v. Rochow-Rekahn verkündete in einer dem Kronprinzen eingereichten Denkschrift triumphirend: die Wiederbelebung der alten Pro- vinzialstände trage in den beiden größten deutschen Staaten endlich den Sieg davon "über die Einführung jenes trügerischen und revolutionären Constitutionswesens". Da es unbegreiflicherweise "noch immer selbst recht- liche und wohlgesinnte Leute gebe, die in dem Letzteren nicht das Werk des Wahns und der Lüge erblicken", so möge der König in jeder Provinz Ver- treter der berechtigten Stände, aber nur ganz unzweifelhafte Gegner der neuen verderblichen Theorien, versammeln um mit ihnen über die Her- stellung der alten Landtage zu berathen.**) Auch ein literarischer Kämpe des altständischen Partikularismus war mittlerweile aufgetreten, derselbe J. F. J. Sommer, der kürzlich als Westfalus Eremita die Unabhängigkeit der römischen Kirche vertheidigt hatte. In seinem Buche "von deutscher Verfassung im germanischen Preußen" erklärte er für ganz unzweifelhaft, daß sein altes kurkölnisches Herzogthum Westphalen noch fortbestehe, und hoffte, die Krone werde schon noch einsehen, daß herzoglich westphälische und markanische Brüder, wie sehr sie sich auch liebten, unmöglich in dem- selben landräthlichen Kreise beisammen bleiben könnten. Während also die Gegner immer zuversichtlicher auftraten, sah sich *) Cabinetsordre an Schuckmann, 16. Febr. Eingabe des Frhrn. v. Bodelschwingh- Plettenberg und Gen. an den Staatskanzler, 21. April 1821. **) v. Rochow-Rekahn, eines Landedelmanns aus der Erfahrung abstrahirte Ansicht über Provinzial-Ständeverfassungen, Febr. 1821. 15*
B. Conſtant über die preußiſche Verfaſſung. abgewieſen.*) Am Hofe aber beſprach man mit wachſendem Beifall dieAnſicht des alten Marwitz: es ſei ein toller Gedanke, einem ſo zuſammen- geſetzten Staate einen Reichstag zu geben. Ein anderer brandenburgi- ſcher Grundherr, v. Rochow-Rekahn verkündete in einer dem Kronprinzen eingereichten Denkſchrift triumphirend: die Wiederbelebung der alten Pro- vinzialſtände trage in den beiden größten deutſchen Staaten endlich den Sieg davon „über die Einführung jenes trügeriſchen und revolutionären Conſtitutionsweſens“. Da es unbegreiflicherweiſe „noch immer ſelbſt recht- liche und wohlgeſinnte Leute gebe, die in dem Letzteren nicht das Werk des Wahns und der Lüge erblicken“, ſo möge der König in jeder Provinz Ver- treter der berechtigten Stände, aber nur ganz unzweifelhafte Gegner der neuen verderblichen Theorien, verſammeln um mit ihnen über die Her- ſtellung der alten Landtage zu berathen.**) Auch ein literariſcher Kämpe des altſtändiſchen Partikularismus war mittlerweile aufgetreten, derſelbe J. F. J. Sommer, der kürzlich als Weſtfalus Eremita die Unabhängigkeit der römiſchen Kirche vertheidigt hatte. In ſeinem Buche „von deutſcher Verfaſſung im germaniſchen Preußen“ erklärte er für ganz unzweifelhaft, daß ſein altes kurkölniſches Herzogthum Weſtphalen noch fortbeſtehe, und hoffte, die Krone werde ſchon noch einſehen, daß herzoglich weſtphäliſche und markaniſche Brüder, wie ſehr ſie ſich auch liebten, unmöglich in dem- ſelben landräthlichen Kreiſe beiſammen bleiben könnten. Während alſo die Gegner immer zuverſichtlicher auftraten, ſah ſich *) Cabinetsordre an Schuckmann, 16. Febr. Eingabe des Frhrn. v. Bodelſchwingh- Plettenberg und Gen. an den Staatskanzler, 21. April 1821. **) v. Rochow-Rekahn, eines Landedelmanns aus der Erfahrung abſtrahirte Anſicht über Provinzial-Ständeverfaſſungen, Febr. 1821. 15*
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B. Conſtant über die preußiſche Verfaſſung.
abgewieſen. *) Am Hofe aber beſprach man mit wachſendem Beifall die
Anſicht des alten Marwitz: es ſei ein toller Gedanke, einem ſo zuſammen-
geſetzten Staate einen Reichstag zu geben. Ein anderer brandenburgi-
ſcher Grundherr, v. Rochow-Rekahn verkündete in einer dem Kronprinzen
eingereichten Denkſchrift triumphirend: die Wiederbelebung der alten Pro-
vinzialſtände trage in den beiden größten deutſchen Staaten endlich den
Sieg davon „über die Einführung jenes trügeriſchen und revolutionären
Conſtitutionsweſens“. Da es unbegreiflicherweiſe „noch immer ſelbſt recht-
liche und wohlgeſinnte Leute gebe, die in dem Letzteren nicht das Werk des
Wahns und der Lüge erblicken“, ſo möge der König in jeder Provinz Ver-
treter der berechtigten Stände, aber nur ganz unzweifelhafte Gegner der
neuen verderblichen Theorien, verſammeln um mit ihnen über die Her-
ſtellung der alten Landtage zu berathen. **) Auch ein literariſcher Kämpe
des altſtändiſchen Partikularismus war mittlerweile aufgetreten, derſelbe
J. F. J. Sommer, der kürzlich als Weſtfalus Eremita die Unabhängigkeit
der römiſchen Kirche vertheidigt hatte. In ſeinem Buche „von deutſcher
Verfaſſung im germaniſchen Preußen“ erklärte er für ganz unzweifelhaft,
daß ſein altes kurkölniſches Herzogthum Weſtphalen noch fortbeſtehe, und
hoffte, die Krone werde ſchon noch einſehen, daß herzoglich weſtphäliſche
und markaniſche Brüder, wie ſehr ſie ſich auch liebten, unmöglich in dem-
ſelben landräthlichen Kreiſe beiſammen bleiben könnten.
Während alſo die Gegner immer zuverſichtlicher auftraten, ſah ſich
Hardenberg gleich nach ſeiner Rückkehr durch eine Uebereilung ungeſchickter
Freunde abermals ſchlimmen Verdächtigungen preisgegeben. Sein wun-
derthätiger Arzt Koreff hatte jene unglückliche Schrift Benzenberg’s an
Benjamin Conſtant, den gefeierten Publiciſten der franzöſiſchen Doctrinäre,
geſendet, mit der Aufſchrift: de la part de l’auteur; er ſetzte voraus,
daß der Empfänger den Namen des Verfaſſers, der längſt in allen deut-
ſchen Zeitungen ſtand, kennen müſſe. Conſtant aber ſchloß aus den ihm
wohlbekannten Schriftzügen der Aufſchrift, das Buch rühre von Koreff
ſelber her, und war freudig überraſcht, die allein wahren Gedanken ſeines
conſtitutionellen Syſtems alſo durch den Vertrauten des preußiſchen
Staatskanzlers anerkannt zu ſehen. Er ließ eine freie franzöſiſche Be-
arbeitung der Schrift beſorgen, verſah ſie mit ſelbſtgefälligen Anmerkun-
gen, erklärte ſie im Vorwort für ein officielles Buch und nannte kurzweg
Koreff als den Verfaſſer. Im März 1821 erſchien das ſonderbare Mach-
werk unter dem dröhnenden Titel: Du triomphe inévitable et prochain
des principes constitutionnels en Prusse. Die kecken Sätze Benzen-
berg’s kehren hier wieder im franzöſiſchen Gewande, bis zum Unkenntlichen
*) Cabinetsordre an Schuckmann, 16. Febr. Eingabe des Frhrn. v. Bodelſchwingh-
Plettenberg und Gen. an den Staatskanzler, 21. April 1821.
**) v. Rochow-Rekahn, eines Landedelmanns aus der Erfahrung abſtrahirte Anſicht
über Provinzial-Ständeverfaſſungen, Febr. 1821.
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