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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.

So zäh hielt der greise Staatsmann bei seinem Plane aus. Doch
leider fehlte seiner Denkschrift gerade das Eine, was ihr vielleicht Nach-
druck geben konnte: die bestimmte Erklärung, daß er mit seinem Verfas-
sungswerke stehen oder fallen wolle. Indem er eine Verfassungscom-
mission vorschlug, welche nicht unter seinem Vorsitze tagen sollte, ver-
zichtete er selber auf die unbestreitbaren Rechte seines Staatskanzleramts.
So gab er den Gegnern gewonnenes Spiel. Die Commission säumte
nicht, diese Schwäche zu benutzen. Sie hielt ihre Ansicht aufrecht und
beschloß, der Krone die Entscheidung anheimzustellen; fiel der Entschluß
des Königs gegen den Staatskanzler, so blieb diesem nur noch Unterwer-
fung oder Rücktritt offen. Man fühlte lebhaft den Ernst des entschei-
denden Augenblicks. In drei eigenhändigen Entwürfen stellten Wittgen-
stein, Ancillon, Schuckmann die Streitpunkte für den Monarchen zu-
sammen; Wittgenstein faßte den Gegensatz dahin auf, daß die Commission
nur die zeitgemäße Wiederherstellung der älteren Verfassung in den ver-
schiedenen Provinzen wolle, während der Staatskanzler zugleich eine neue,
eine reichsständische Verfassung und mithin die "Begründung einer con-
stitutionellen Monarchie" beabsichtige.*)

Im Sinne dieser Entwürfe wurde nunmehr eine Uebersicht der Streit-
punkte für den König ausgearbeitet und zugleich (28. Mai) ein Bericht
eingereicht, der rundweg aussprach: "Eine Verfassungsurkunde würde immer
nur nach dem Vorbilde der bairischen, württembergischen, badischen beur-
theilt werden. Zufriedenheit würde sie nicht befördern, weil sie den For-
derungen der Schreier unmöglich genügen könnte. Eine solche Verfas-
sungsurkunde würde den Schein herbeiführen, als solle der preußische Staat
nach veränderten Fundamental-Grundsätzen neu constituirt werden." Die
Commission sagte voraus, daß die Verfassung in Preußen wie in allen
andern Staaten sofort den lebhaftesten Kampf über die Deutung der ver-
liehenen Rechte hervorrufen müsse, und verstieg sich endlich zu dem kühnen
Satze: "Es bleibt da, wo eine Verfassungsurkunde verliehen werden soll,
nur die offene Wahl, entweder das reine monarchische Prinzip festzuhalten
und daher sich auf berathende Landstände zu beschränken, oder ihm das
demokratische Prinzip wirklich beizufügen. Auf Letzteres trägt der Staats-
kanzler so wenig als wir an, und es kann kein treuer und verständiger
Beamter und Unterthan darauf antragen. Dann bedarf es aber auch
keiner Verfassungsurkunde." Und wie viel leichter -- so fuhr die Commis-
sion fort -- ließen sich die Formen und die Rechte eines späterhin etwa
nöthigen allgemeinen Landtags dereinst feststellen, wenn die Provinzialstände
bereits ins Leben getreten seien!

Der Bericht stammte aus Schuckmann's Feder; er trug in Allem

*) Wittgenstein, Hauptpunkte, in welchem von einander abweichen die Vorschläge
der Commission und des Staatskanzlers, s. Beilage 11.
III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.

So zäh hielt der greiſe Staatsmann bei ſeinem Plane aus. Doch
leider fehlte ſeiner Denkſchrift gerade das Eine, was ihr vielleicht Nach-
druck geben konnte: die beſtimmte Erklärung, daß er mit ſeinem Verfaſ-
ſungswerke ſtehen oder fallen wolle. Indem er eine Verfaſſungscom-
miſſion vorſchlug, welche nicht unter ſeinem Vorſitze tagen ſollte, ver-
zichtete er ſelber auf die unbeſtreitbaren Rechte ſeines Staatskanzleramts.
So gab er den Gegnern gewonnenes Spiel. Die Commiſſion ſäumte
nicht, dieſe Schwäche zu benutzen. Sie hielt ihre Anſicht aufrecht und
beſchloß, der Krone die Entſcheidung anheimzuſtellen; fiel der Entſchluß
des Königs gegen den Staatskanzler, ſo blieb dieſem nur noch Unterwer-
fung oder Rücktritt offen. Man fühlte lebhaft den Ernſt des entſchei-
denden Augenblicks. In drei eigenhändigen Entwürfen ſtellten Wittgen-
ſtein, Ancillon, Schuckmann die Streitpunkte für den Monarchen zu-
ſammen; Wittgenſtein faßte den Gegenſatz dahin auf, daß die Commiſſion
nur die zeitgemäße Wiederherſtellung der älteren Verfaſſung in den ver-
ſchiedenen Provinzen wolle, während der Staatskanzler zugleich eine neue,
eine reichsſtändiſche Verfaſſung und mithin die „Begründung einer con-
ſtitutionellen Monarchie“ beabſichtige.*)

Im Sinne dieſer Entwürfe wurde nunmehr eine Ueberſicht der Streit-
punkte für den König ausgearbeitet und zugleich (28. Mai) ein Bericht
eingereicht, der rundweg ausſprach: „Eine Verfaſſungsurkunde würde immer
nur nach dem Vorbilde der bairiſchen, württembergiſchen, badiſchen beur-
theilt werden. Zufriedenheit würde ſie nicht befördern, weil ſie den For-
derungen der Schreier unmöglich genügen könnte. Eine ſolche Verfaſ-
ſungsurkunde würde den Schein herbeiführen, als ſolle der preußiſche Staat
nach veränderten Fundamental-Grundſätzen neu conſtituirt werden.“ Die
Commiſſion ſagte voraus, daß die Verfaſſung in Preußen wie in allen
andern Staaten ſofort den lebhafteſten Kampf über die Deutung der ver-
liehenen Rechte hervorrufen müſſe, und verſtieg ſich endlich zu dem kühnen
Satze: „Es bleibt da, wo eine Verfaſſungsurkunde verliehen werden ſoll,
nur die offene Wahl, entweder das reine monarchiſche Prinzip feſtzuhalten
und daher ſich auf berathende Landſtände zu beſchränken, oder ihm das
demokratiſche Prinzip wirklich beizufügen. Auf Letzteres trägt der Staats-
kanzler ſo wenig als wir an, und es kann kein treuer und verſtändiger
Beamter und Unterthan darauf antragen. Dann bedarf es aber auch
keiner Verfaſſungsurkunde.“ Und wie viel leichter — ſo fuhr die Commiſ-
ſion fort — ließen ſich die Formen und die Rechte eines ſpäterhin etwa
nöthigen allgemeinen Landtags dereinſt feſtſtellen, wenn die Provinzialſtände
bereits ins Leben getreten ſeien!

Der Bericht ſtammte aus Schuckmann’s Feder; er trug in Allem

*) Wittgenſtein, Hauptpunkte, in welchem von einander abweichen die Vorſchläge
der Commiſſion und des Staatskanzlers, ſ. Beilage 11.
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[230/0246] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. So zäh hielt der greiſe Staatsmann bei ſeinem Plane aus. Doch leider fehlte ſeiner Denkſchrift gerade das Eine, was ihr vielleicht Nach- druck geben konnte: die beſtimmte Erklärung, daß er mit ſeinem Verfaſ- ſungswerke ſtehen oder fallen wolle. Indem er eine Verfaſſungscom- miſſion vorſchlug, welche nicht unter ſeinem Vorſitze tagen ſollte, ver- zichtete er ſelber auf die unbeſtreitbaren Rechte ſeines Staatskanzleramts. So gab er den Gegnern gewonnenes Spiel. Die Commiſſion ſäumte nicht, dieſe Schwäche zu benutzen. Sie hielt ihre Anſicht aufrecht und beſchloß, der Krone die Entſcheidung anheimzuſtellen; fiel der Entſchluß des Königs gegen den Staatskanzler, ſo blieb dieſem nur noch Unterwer- fung oder Rücktritt offen. Man fühlte lebhaft den Ernſt des entſchei- denden Augenblicks. In drei eigenhändigen Entwürfen ſtellten Wittgen- ſtein, Ancillon, Schuckmann die Streitpunkte für den Monarchen zu- ſammen; Wittgenſtein faßte den Gegenſatz dahin auf, daß die Commiſſion nur die zeitgemäße Wiederherſtellung der älteren Verfaſſung in den ver- ſchiedenen Provinzen wolle, während der Staatskanzler zugleich eine neue, eine reichsſtändiſche Verfaſſung und mithin die „Begründung einer con- ſtitutionellen Monarchie“ beabſichtige. *) Im Sinne dieſer Entwürfe wurde nunmehr eine Ueberſicht der Streit- punkte für den König ausgearbeitet und zugleich (28. Mai) ein Bericht eingereicht, der rundweg ausſprach: „Eine Verfaſſungsurkunde würde immer nur nach dem Vorbilde der bairiſchen, württembergiſchen, badiſchen beur- theilt werden. Zufriedenheit würde ſie nicht befördern, weil ſie den For- derungen der Schreier unmöglich genügen könnte. Eine ſolche Verfaſ- ſungsurkunde würde den Schein herbeiführen, als ſolle der preußiſche Staat nach veränderten Fundamental-Grundſätzen neu conſtituirt werden.“ Die Commiſſion ſagte voraus, daß die Verfaſſung in Preußen wie in allen andern Staaten ſofort den lebhafteſten Kampf über die Deutung der ver- liehenen Rechte hervorrufen müſſe, und verſtieg ſich endlich zu dem kühnen Satze: „Es bleibt da, wo eine Verfaſſungsurkunde verliehen werden ſoll, nur die offene Wahl, entweder das reine monarchiſche Prinzip feſtzuhalten und daher ſich auf berathende Landſtände zu beſchränken, oder ihm das demokratiſche Prinzip wirklich beizufügen. Auf Letzteres trägt der Staats- kanzler ſo wenig als wir an, und es kann kein treuer und verſtändiger Beamter und Unterthan darauf antragen. Dann bedarf es aber auch keiner Verfaſſungsurkunde.“ Und wie viel leichter — ſo fuhr die Commiſ- ſion fort — ließen ſich die Formen und die Rechte eines ſpäterhin etwa nöthigen allgemeinen Landtags dereinſt feſtſtellen, wenn die Provinzialſtände bereits ins Leben getreten ſeien! Der Bericht ſtammte aus Schuckmann’s Feder; er trug in Allem *) Wittgenſtein, Hauptpunkte, in welchem von einander abweichen die Vorſchläge der Commiſſion und des Staatskanzlers, ſ. Beilage 11.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/246>, abgerufen am 21.11.2024.