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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Provinzialminister.
aus, daß die Reichsstände früher oder später aus den Provinzialständen
hervorgehen würden, und hielt darum für geboten, jetzt schon die Grund-
lagen der Gesammtstaatsverfassung festzustellen. Am letzten Ende laufe
die Frage darauf hinaus: "ob der Staat wieder eine Verbindung mehrerer
Staaten werden oder ein Staat bleiben solle?" Glücklicher als der Staats-
kanzler selber vertheidigte er also die Gedanken Hardenberg's. Welch ein
Unheil, daß diese beiden in der Sache so ganz einigen Männer durch
unversöhnlichen persönlichen Groll einander entfremdet waren. General
Witzleben, der anfangs auf Vincke's Seite gestanden hatte, zeigte sich auch
diesmal zugänglich für einsichtigen Rath. Er wurde durch Humboldt und
Hippel überzeugt, durch ihn der König. Die Altständischen sind dann
noch mehrmals auf ihren Plan zurückgekommen. Marwitz empfahl sein
Programm noch im Frühjahr 1823 dem Kronprinzen, und der badische
Geschäftsträger v. Meyern, ein unbedeutender Mann, dessen Berichte wie
ein Echo die Ansichten der reactionären Partei wiedergeben, meldete nach
Hardenberg's Tode: "Provinzialminister sind der allgemeine Wunsch."*)
Aber der König hielt die Einheit der Verwaltung unbeirrt aufrecht.

Bei ruhiger Prüfung erkannte man doch, daß die Klagen stark übertrieben
und nur wenige der vorhandenen Beamten entbehrlich waren, wenn man
nicht das altbewährte Collegialsystem mit der despotischen Präfektenver-
waltung vertauschen wollte. Die langwierigen Verhandlungen führten
schließlich nur zur Aufhebung von drei Regierungen (Cleve, Reichenbach,
Berlin) und zwei Oberpräsidentenstellen. Der Tod des Grafen Solms-
Laubach im Jahre 1822 bot den Anlaß, das Großherzogthum Nieder-
rhein mit Jülich-Cleve-Berg zu vereinigen und den wackeren alten Ingers-
leben zum Oberpräsidenten dieser neuen Rheinprovinz zu ernennen.
Währenddem betrieb Schön mit Feuereifer die Vereinigung von Ost- und
Westpreußen. Der Wirkungskreis in Danzig genügte seinem Ehrgeiz nicht.
Er fühlte sich als das natürliche Oberhaupt des gesammten altpreußischen
Landes und betrachtete, wie alle echten Ostpreußen, das Weichselland nur
als ein Trümmerstück des glorreichen Ordensstaates, das jetzt wieder ganz
zu der alten Heimath zurückkehren müsse. Hatte doch Friedrich der Große
einst beide Landschaften unter Domhardt's Leitung gestellt und auch Auers-
wald in den napoleonischen Tagen beide Provinzen zugleich verwaltet.**)
Für das geistige Leben beider Lande war Königsberg der Mittelpunkt,
fast in gleichem Maße wie Breslau für Schlesien, während Danzig immer
nur eine Handelsstadt blieb; auch schien es rathsam, dem Polenthum in
Westpreußen ein starkes Gegengewicht zu geben. Freilich waren die Ent-
fernungen ungeheuer und das Reisen auf den schlechten Wegen selbst mit

*) Meyern's Bericht, 10. April 1823.
**) Denkschrift über die Vereinigung von Ost- und Westpreußen, 11. Febr. 1822
(ohne Namen, wahrscheinlich von Schön).

Provinzialminiſter.
aus, daß die Reichsſtände früher oder ſpäter aus den Provinzialſtänden
hervorgehen würden, und hielt darum für geboten, jetzt ſchon die Grund-
lagen der Geſammtſtaatsverfaſſung feſtzuſtellen. Am letzten Ende laufe
die Frage darauf hinaus: „ob der Staat wieder eine Verbindung mehrerer
Staaten werden oder ein Staat bleiben ſolle?“ Glücklicher als der Staats-
kanzler ſelber vertheidigte er alſo die Gedanken Hardenberg’s. Welch ein
Unheil, daß dieſe beiden in der Sache ſo ganz einigen Männer durch
unverſöhnlichen perſönlichen Groll einander entfremdet waren. General
Witzleben, der anfangs auf Vincke’s Seite geſtanden hatte, zeigte ſich auch
diesmal zugänglich für einſichtigen Rath. Er wurde durch Humboldt und
Hippel überzeugt, durch ihn der König. Die Altſtändiſchen ſind dann
noch mehrmals auf ihren Plan zurückgekommen. Marwitz empfahl ſein
Programm noch im Frühjahr 1823 dem Kronprinzen, und der badiſche
Geſchäftsträger v. Meyern, ein unbedeutender Mann, deſſen Berichte wie
ein Echo die Anſichten der reactionären Partei wiedergeben, meldete nach
Hardenberg’s Tode: „Provinzialminiſter ſind der allgemeine Wunſch.“*)
Aber der König hielt die Einheit der Verwaltung unbeirrt aufrecht.

Bei ruhiger Prüfung erkannte man doch, daß die Klagen ſtark übertrieben
und nur wenige der vorhandenen Beamten entbehrlich waren, wenn man
nicht das altbewährte Collegialſyſtem mit der despotiſchen Präfektenver-
waltung vertauſchen wollte. Die langwierigen Verhandlungen führten
ſchließlich nur zur Aufhebung von drei Regierungen (Cleve, Reichenbach,
Berlin) und zwei Oberpräſidentenſtellen. Der Tod des Grafen Solms-
Laubach im Jahre 1822 bot den Anlaß, das Großherzogthum Nieder-
rhein mit Jülich-Cleve-Berg zu vereinigen und den wackeren alten Ingers-
leben zum Oberpräſidenten dieſer neuen Rheinprovinz zu ernennen.
Währenddem betrieb Schön mit Feuereifer die Vereinigung von Oſt- und
Weſtpreußen. Der Wirkungskreis in Danzig genügte ſeinem Ehrgeiz nicht.
Er fühlte ſich als das natürliche Oberhaupt des geſammten altpreußiſchen
Landes und betrachtete, wie alle echten Oſtpreußen, das Weichſelland nur
als ein Trümmerſtück des glorreichen Ordensſtaates, das jetzt wieder ganz
zu der alten Heimath zurückkehren müſſe. Hatte doch Friedrich der Große
einſt beide Landſchaften unter Domhardt’s Leitung geſtellt und auch Auers-
wald in den napoleoniſchen Tagen beide Provinzen zugleich verwaltet.**)
Für das geiſtige Leben beider Lande war Königsberg der Mittelpunkt,
faſt in gleichem Maße wie Breslau für Schleſien, während Danzig immer
nur eine Handelsſtadt blieb; auch ſchien es rathſam, dem Polenthum in
Weſtpreußen ein ſtarkes Gegengewicht zu geben. Freilich waren die Ent-
fernungen ungeheuer und das Reiſen auf den ſchlechten Wegen ſelbſt mit

*) Meyern’s Bericht, 10. April 1823.
**) Denkſchrift über die Vereinigung von Oſt- und Weſtpreußen, 11. Febr. 1822
(ohne Namen, wahrſcheinlich von Schön).
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[235/0251] Provinzialminiſter. aus, daß die Reichsſtände früher oder ſpäter aus den Provinzialſtänden hervorgehen würden, und hielt darum für geboten, jetzt ſchon die Grund- lagen der Geſammtſtaatsverfaſſung feſtzuſtellen. Am letzten Ende laufe die Frage darauf hinaus: „ob der Staat wieder eine Verbindung mehrerer Staaten werden oder ein Staat bleiben ſolle?“ Glücklicher als der Staats- kanzler ſelber vertheidigte er alſo die Gedanken Hardenberg’s. Welch ein Unheil, daß dieſe beiden in der Sache ſo ganz einigen Männer durch unverſöhnlichen perſönlichen Groll einander entfremdet waren. General Witzleben, der anfangs auf Vincke’s Seite geſtanden hatte, zeigte ſich auch diesmal zugänglich für einſichtigen Rath. Er wurde durch Humboldt und Hippel überzeugt, durch ihn der König. Die Altſtändiſchen ſind dann noch mehrmals auf ihren Plan zurückgekommen. Marwitz empfahl ſein Programm noch im Frühjahr 1823 dem Kronprinzen, und der badiſche Geſchäftsträger v. Meyern, ein unbedeutender Mann, deſſen Berichte wie ein Echo die Anſichten der reactionären Partei wiedergeben, meldete nach Hardenberg’s Tode: „Provinzialminiſter ſind der allgemeine Wunſch.“ *) Aber der König hielt die Einheit der Verwaltung unbeirrt aufrecht. Bei ruhiger Prüfung erkannte man doch, daß die Klagen ſtark übertrieben und nur wenige der vorhandenen Beamten entbehrlich waren, wenn man nicht das altbewährte Collegialſyſtem mit der despotiſchen Präfektenver- waltung vertauſchen wollte. Die langwierigen Verhandlungen führten ſchließlich nur zur Aufhebung von drei Regierungen (Cleve, Reichenbach, Berlin) und zwei Oberpräſidentenſtellen. Der Tod des Grafen Solms- Laubach im Jahre 1822 bot den Anlaß, das Großherzogthum Nieder- rhein mit Jülich-Cleve-Berg zu vereinigen und den wackeren alten Ingers- leben zum Oberpräſidenten dieſer neuen Rheinprovinz zu ernennen. Währenddem betrieb Schön mit Feuereifer die Vereinigung von Oſt- und Weſtpreußen. Der Wirkungskreis in Danzig genügte ſeinem Ehrgeiz nicht. Er fühlte ſich als das natürliche Oberhaupt des geſammten altpreußiſchen Landes und betrachtete, wie alle echten Oſtpreußen, das Weichſelland nur als ein Trümmerſtück des glorreichen Ordensſtaates, das jetzt wieder ganz zu der alten Heimath zurückkehren müſſe. Hatte doch Friedrich der Große einſt beide Landſchaften unter Domhardt’s Leitung geſtellt und auch Auers- wald in den napoleoniſchen Tagen beide Provinzen zugleich verwaltet. **) Für das geiſtige Leben beider Lande war Königsberg der Mittelpunkt, faſt in gleichem Maße wie Breslau für Schleſien, während Danzig immer nur eine Handelsſtadt blieb; auch ſchien es rathſam, dem Polenthum in Weſtpreußen ein ſtarkes Gegengewicht zu geben. Freilich waren die Ent- fernungen ungeheuer und das Reiſen auf den ſchlechten Wegen ſelbſt mit *) Meyern’s Bericht, 10. April 1823. **) Denkſchrift über die Vereinigung von Oſt- und Weſtpreußen, 11. Febr. 1822 (ohne Namen, wahrſcheinlich von Schön).

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/251>, abgerufen am 22.11.2024.