7 Edelleute, 9 Bürger, ein bäuerlicher Gutsbesitzer u. s. w. Begreiflich also, daß Präsident Schönberg den Zweifel äußerte, "ob die Einberufenen wirklich alle Wünsche der Provinzen zur Sprache gebracht hätten." Die altständische Partei war durch einige ihrer thätigsten Führer vertreten. Vom märkischen Adel kamen Rochow-Rekahn und Quast, zwei sehr angesehene Männer, Beide so hoch conservativ, daß Marwitz sie sich als branden- burgische Provinzialminister dachte; vom westphälischen die alten Kämpen Merveldt, Hövel, Romberg; vom schlesischen Herr v. Lüttwitz, der soeben als Schriftsteller für die Adelsinteressen auftrat, mit ihm freilich auch der liberale Graf Dyhrn und Herr v. Gruttschreiber, ein unruhiger Kopf, der mehrmals auf eigene Faust schlesische Volksrepräsentanten versammelt hatte. Den alten Marwitz hielt man fern; man fürchtete wohl den un- bändigen Freimuth des eisernen Mannes. Dieselbe Sorge und das alte Mißtrauen, das Voß und Wittgenstein noch gegen den großen Reformer hegten, mochten auch verschulden, daß der Freiherr vom Stein nur um ein schriftliches Gutachten ersucht wurde.
Die Verhandlungen mit den einzelnen Gruppen der Vertrauens- männer währten selten mehr als acht Tage; sie waren ebenso leer als kurz. Die Notabeln sollten, auf Befehl des Königs, nur über die Zusam- mensetzung der Provinzialstände, nicht über den Umfang ihrer Rechte, be- fragt werden; denn bei aller Verehrung für die Sonderrechte der Pro- vinzen konnte man doch nicht verkennen, daß es unmöglich sei, einen Ver- fassungsplan mit zehn Versammlungen zu vereinbaren. Die Commission beschloß daher über alle wesentlichen Grundsätze der Verfassung durchaus selbständig. Die Einberufenen fühlten, wie wenig an der beschlossenen Sache zu ändern sei, traten still und bescheiden auf; ihr Gutachten gab nur in geringfügigen Nebenfragen den Ausschlag. Selbst die Rheinländer wagten nur schüchtern eine beschränkte Oeffentlichkeit für die Landtage zu fordern, und die Absicht sich für ihren Landsmann Görres zu verwenden ließen sie bald fallen. Leider zog man aus diesen Erfahrungen nicht den nahe liegenden Schluß, daß die Provinzialstände selber der gleichen Unfrucht- barkeit verfallen mußten.
Innerhalb der Commission entbrannte aber sofort von Neuem der alte Parteikampf. Die altständische Ansicht des Kronprinzen und seines Ancillon fand jetzt einen mächtigen Beistand an Herrn v. Voß-Buch. Ein achtungswerther wohlmeinender Mann, ein pflichtgetreuer altpreußischer Beamter, war der Führer des brandenburgischen Adels seit vielen Jahren mürrisch auf seinen Gütern geblieben, gleich seinem Freunde, dem alten Minister von Angern im Magdeburgischen, grollend über die neuen Agrar- gesetze, über die meisterlose Zeit, die an der hergebrachten Gliederung der Stände rüttelte. Er sah den Staat durch doktrinäre Thoren dicht an den Rand des Abgrunds gedrängt; innezuhalten auf dem Wege der Neuerung, die Gewerbefreiheit, die Ablösung der bäuerlichen Lasten wieder
Die Notabeln. Voß-Buch.
7 Edelleute, 9 Bürger, ein bäuerlicher Gutsbeſitzer u. ſ. w. Begreiflich alſo, daß Präſident Schönberg den Zweifel äußerte, „ob die Einberufenen wirklich alle Wünſche der Provinzen zur Sprache gebracht hätten.“ Die altſtändiſche Partei war durch einige ihrer thätigſten Führer vertreten. Vom märkiſchen Adel kamen Rochow-Rekahn und Quaſt, zwei ſehr angeſehene Männer, Beide ſo hoch conſervativ, daß Marwitz ſie ſich als branden- burgiſche Provinzialminiſter dachte; vom weſtphäliſchen die alten Kämpen Merveldt, Hövel, Romberg; vom ſchleſiſchen Herr v. Lüttwitz, der ſoeben als Schriftſteller für die Adelsintereſſen auftrat, mit ihm freilich auch der liberale Graf Dyhrn und Herr v. Gruttſchreiber, ein unruhiger Kopf, der mehrmals auf eigene Fauſt ſchleſiſche Volksrepräſentanten verſammelt hatte. Den alten Marwitz hielt man fern; man fürchtete wohl den un- bändigen Freimuth des eiſernen Mannes. Dieſelbe Sorge und das alte Mißtrauen, das Voß und Wittgenſtein noch gegen den großen Reformer hegten, mochten auch verſchulden, daß der Freiherr vom Stein nur um ein ſchriftliches Gutachten erſucht wurde.
Die Verhandlungen mit den einzelnen Gruppen der Vertrauens- männer währten ſelten mehr als acht Tage; ſie waren ebenſo leer als kurz. Die Notabeln ſollten, auf Befehl des Königs, nur über die Zuſam- menſetzung der Provinzialſtände, nicht über den Umfang ihrer Rechte, be- fragt werden; denn bei aller Verehrung für die Sonderrechte der Pro- vinzen konnte man doch nicht verkennen, daß es unmöglich ſei, einen Ver- faſſungsplan mit zehn Verſammlungen zu vereinbaren. Die Commiſſion beſchloß daher über alle weſentlichen Grundſätze der Verfaſſung durchaus ſelbſtändig. Die Einberufenen fühlten, wie wenig an der beſchloſſenen Sache zu ändern ſei, traten ſtill und beſcheiden auf; ihr Gutachten gab nur in geringfügigen Nebenfragen den Ausſchlag. Selbſt die Rheinländer wagten nur ſchüchtern eine beſchränkte Oeffentlichkeit für die Landtage zu fordern, und die Abſicht ſich für ihren Landsmann Görres zu verwenden ließen ſie bald fallen. Leider zog man aus dieſen Erfahrungen nicht den nahe liegenden Schluß, daß die Provinzialſtände ſelber der gleichen Unfrucht- barkeit verfallen mußten.
Innerhalb der Commiſſion entbrannte aber ſofort von Neuem der alte Parteikampf. Die altſtändiſche Anſicht des Kronprinzen und ſeines Ancillon fand jetzt einen mächtigen Beiſtand an Herrn v. Voß-Buch. Ein achtungswerther wohlmeinender Mann, ein pflichtgetreuer altpreußiſcher Beamter, war der Führer des brandenburgiſchen Adels ſeit vielen Jahren mürriſch auf ſeinen Gütern geblieben, gleich ſeinem Freunde, dem alten Miniſter von Angern im Magdeburgiſchen, grollend über die neuen Agrar- geſetze, über die meiſterloſe Zeit, die an der hergebrachten Gliederung der Stände rüttelte. Er ſah den Staat durch doktrinäre Thoren dicht an den Rand des Abgrunds gedrängt; innezuhalten auf dem Wege der Neuerung, die Gewerbefreiheit, die Ablöſung der bäuerlichen Laſten wieder
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Die Notabeln. Voß-Buch.
7 Edelleute, 9 Bürger, ein bäuerlicher Gutsbeſitzer u. ſ. w. Begreiflich
alſo, daß Präſident Schönberg den Zweifel äußerte, „ob die Einberufenen
wirklich alle Wünſche der Provinzen zur Sprache gebracht hätten.“ Die
altſtändiſche Partei war durch einige ihrer thätigſten Führer vertreten.
Vom märkiſchen Adel kamen Rochow-Rekahn und Quaſt, zwei ſehr angeſehene
Männer, Beide ſo hoch conſervativ, daß Marwitz ſie ſich als branden-
burgiſche Provinzialminiſter dachte; vom weſtphäliſchen die alten Kämpen
Merveldt, Hövel, Romberg; vom ſchleſiſchen Herr v. Lüttwitz, der ſoeben
als Schriftſteller für die Adelsintereſſen auftrat, mit ihm freilich auch
der liberale Graf Dyhrn und Herr v. Gruttſchreiber, ein unruhiger Kopf,
der mehrmals auf eigene Fauſt ſchleſiſche Volksrepräſentanten verſammelt
hatte. Den alten Marwitz hielt man fern; man fürchtete wohl den un-
bändigen Freimuth des eiſernen Mannes. Dieſelbe Sorge und das alte
Mißtrauen, das Voß und Wittgenſtein noch gegen den großen Reformer
hegten, mochten auch verſchulden, daß der Freiherr vom Stein nur um ein
ſchriftliches Gutachten erſucht wurde.
Die Verhandlungen mit den einzelnen Gruppen der Vertrauens-
männer währten ſelten mehr als acht Tage; ſie waren ebenſo leer als
kurz. Die Notabeln ſollten, auf Befehl des Königs, nur über die Zuſam-
menſetzung der Provinzialſtände, nicht über den Umfang ihrer Rechte, be-
fragt werden; denn bei aller Verehrung für die Sonderrechte der Pro-
vinzen konnte man doch nicht verkennen, daß es unmöglich ſei, einen Ver-
faſſungsplan mit zehn Verſammlungen zu vereinbaren. Die Commiſſion
beſchloß daher über alle weſentlichen Grundſätze der Verfaſſung durchaus
ſelbſtändig. Die Einberufenen fühlten, wie wenig an der beſchloſſenen Sache
zu ändern ſei, traten ſtill und beſcheiden auf; ihr Gutachten gab nur in
geringfügigen Nebenfragen den Ausſchlag. Selbſt die Rheinländer wagten
nur ſchüchtern eine beſchränkte Oeffentlichkeit für die Landtage zu fordern,
und die Abſicht ſich für ihren Landsmann Görres zu verwenden ließen
ſie bald fallen. Leider zog man aus dieſen Erfahrungen nicht den nahe
liegenden Schluß, daß die Provinzialſtände ſelber der gleichen Unfrucht-
barkeit verfallen mußten.
Innerhalb der Commiſſion entbrannte aber ſofort von Neuem der
alte Parteikampf. Die altſtändiſche Anſicht des Kronprinzen und ſeines
Ancillon fand jetzt einen mächtigen Beiſtand an Herrn v. Voß-Buch. Ein
achtungswerther wohlmeinender Mann, ein pflichtgetreuer altpreußiſcher
Beamter, war der Führer des brandenburgiſchen Adels ſeit vielen Jahren
mürriſch auf ſeinen Gütern geblieben, gleich ſeinem Freunde, dem alten
Miniſter von Angern im Magdeburgiſchen, grollend über die neuen Agrar-
geſetze, über die meiſterloſe Zeit, die an der hergebrachten Gliederung
der Stände rüttelte. Er ſah den Staat durch doktrinäre Thoren dicht
an den Rand des Abgrunds gedrängt; innezuhalten auf dem Wege der
Neuerung, die Gewerbefreiheit, die Ablöſung der bäuerlichen Laſten wieder
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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