III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
Stein mit seinen westphälischen Freunden forderte, unter leidenschaft- lichen Ausfällen gegen die "zerstörende" Richtung des Beamtenthums, daß der Adel den ersten Stand bilde; vier Ahnen und Grundbesitz müßten der Regel nach den Zutritt zu der Adelskorporation bedingen. Die Mehr- heit der schlesischen Notabeln wünschte nur die adlichen Rittergutsbesitzer in den ersten Stand aufzunehmen; den bürgerlichen Rittergutsbesitzern sollten die ständischen Rechte nur kraft besonderer königlicher Verleihung zustehen, auf daß "verdienstlose Glückspilze" dem ersten Stande fern blieben. Ueberhaupt trat unter den Notabeln der Adelshochmuth der Zeit weit härter auf als im Schooße der Commission. Die ungeheure Um- wälzung, die sich in den Besitzverhältnissen des flachen Landes vollzogen hatte, verbot der Commission auf solche Begehren einzugehen; man be- schloß, alle "Rittergutsbesitzer" ohne Unterschied der Geburt in den ersten Stand aufzunehmen. Der Begriff "Rittergut" war freilich am Rhein ganz unbekannt, auch im Osten so unsicher, daß die sächsischen Notabeln ihn durch einundzwanzig verschiedene Definitionen vergeblich zu erläutern versuchten. Man half aus durch Matrikeln, die in den westlichen Pro- vinzen "auch andere größere Landgüter" aufnehmen sollten. Der erste Stand war mithin eine Vertretung des Großgrundbesitzes. Auf den Vor- schlag der Commission behielt sich die Krone jedoch das Recht vor, den adlichen Besitzern großer Fideicommißgüter ein verstärktes Stimmrecht zu gewähren. Dazu in vier Provinzen ein besonderer, oberster Stand für die Standesherren und die Domkapitel.
Der Satz "das Grundeigenthum ist Bedingung der Standschaft" stand schon seit Hardenberg's erstem Entwurfe fest; man führte ihn jetzt so streng durch, daß sogar die Kirche, der doch ein unbestreitbares histo- risches Anrecht zur Seite stand, keine Vertretung erhielt. Auch für die Wählbarkeit in den Städten wurde Grundbesitz verlangt, und mit Recht zürnte Stein über die Ausschließung der bestgebildeten Kräfte der städti- schen Bevölkerung. Die Vorliebe der historischen Romantik für den Adel und die Klassenselbstsucht der adlichen Notabeln wurden sodann handels- einig über eine Stimmenvertheilung, welche die berechtigten Ansprüche der Städte und der Bauern unbillig verletzte. Die Commission nahm als Regel an, daß dem großen Grundbesitz die Hälfte, den Städten ein Drittel, den Bauern ein Sechstel der Stimmen gebühre; nur im Westen und in Ostpreußen sollten die unteren Stände stärker vertreten werden. Von den 584 Stimmen der acht Landtage kamen 278 auf die Standesherren und Ritter, 182 auf die Städte, 124 auf die Bauern. Die bescheidene Stimmenzahl der Städte entsprach ungefähr dem Verhältniß der Kopf- zahl, da die Städte der Monarchie im Jahre 1820 erst 3 Mill. Einwohner umfaßten, neben 81/4 Mill. Landbewohnern. Doch sie entsprach mit nichten der Machtstellung, welche die Bildung und die längst über das flache Land verbreiteten Capitalkräfte der Städte in der neuen Gesellschaft behaupteten;
III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
Stein mit ſeinen weſtphäliſchen Freunden forderte, unter leidenſchaft- lichen Ausfällen gegen die „zerſtörende“ Richtung des Beamtenthums, daß der Adel den erſten Stand bilde; vier Ahnen und Grundbeſitz müßten der Regel nach den Zutritt zu der Adelskorporation bedingen. Die Mehr- heit der ſchleſiſchen Notabeln wünſchte nur die adlichen Rittergutsbeſitzer in den erſten Stand aufzunehmen; den bürgerlichen Rittergutsbeſitzern ſollten die ſtändiſchen Rechte nur kraft beſonderer königlicher Verleihung zuſtehen, auf daß „verdienſtloſe Glückspilze“ dem erſten Stande fern blieben. Ueberhaupt trat unter den Notabeln der Adelshochmuth der Zeit weit härter auf als im Schooße der Commiſſion. Die ungeheure Um- wälzung, die ſich in den Beſitzverhältniſſen des flachen Landes vollzogen hatte, verbot der Commiſſion auf ſolche Begehren einzugehen; man be- ſchloß, alle „Rittergutsbeſitzer“ ohne Unterſchied der Geburt in den erſten Stand aufzunehmen. Der Begriff „Rittergut“ war freilich am Rhein ganz unbekannt, auch im Oſten ſo unſicher, daß die ſächſiſchen Notabeln ihn durch einundzwanzig verſchiedene Definitionen vergeblich zu erläutern verſuchten. Man half aus durch Matrikeln, die in den weſtlichen Pro- vinzen „auch andere größere Landgüter“ aufnehmen ſollten. Der erſte Stand war mithin eine Vertretung des Großgrundbeſitzes. Auf den Vor- ſchlag der Commiſſion behielt ſich die Krone jedoch das Recht vor, den adlichen Beſitzern großer Fideicommißgüter ein verſtärktes Stimmrecht zu gewähren. Dazu in vier Provinzen ein beſonderer, oberſter Stand für die Standesherren und die Domkapitel.
Der Satz „das Grundeigenthum iſt Bedingung der Standſchaft“ ſtand ſchon ſeit Hardenberg’s erſtem Entwurfe feſt; man führte ihn jetzt ſo ſtreng durch, daß ſogar die Kirche, der doch ein unbeſtreitbares hiſto- riſches Anrecht zur Seite ſtand, keine Vertretung erhielt. Auch für die Wählbarkeit in den Städten wurde Grundbeſitz verlangt, und mit Recht zürnte Stein über die Ausſchließung der beſtgebildeten Kräfte der ſtädti- ſchen Bevölkerung. Die Vorliebe der hiſtoriſchen Romantik für den Adel und die Klaſſenſelbſtſucht der adlichen Notabeln wurden ſodann handels- einig über eine Stimmenvertheilung, welche die berechtigten Anſprüche der Städte und der Bauern unbillig verletzte. Die Commiſſion nahm als Regel an, daß dem großen Grundbeſitz die Hälfte, den Städten ein Drittel, den Bauern ein Sechſtel der Stimmen gebühre; nur im Weſten und in Oſtpreußen ſollten die unteren Stände ſtärker vertreten werden. Von den 584 Stimmen der acht Landtage kamen 278 auf die Standesherren und Ritter, 182 auf die Städte, 124 auf die Bauern. Die beſcheidene Stimmenzahl der Städte entſprach ungefähr dem Verhältniß der Kopf- zahl, da die Städte der Monarchie im Jahre 1820 erſt 3 Mill. Einwohner umfaßten, neben 8¼ Mill. Landbewohnern. Doch ſie entſprach mit nichten der Machtſtellung, welche die Bildung und die längſt über das flache Land verbreiteten Capitalkräfte der Städte in der neuen Geſellſchaft behaupteten;
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Stein mit ſeinen weſtphäliſchen Freunden forderte, unter leidenſchaft-
lichen Ausfällen gegen die „zerſtörende“ Richtung des Beamtenthums, daß
der Adel den erſten Stand bilde; vier Ahnen und Grundbeſitz müßten
der Regel nach den Zutritt zu der Adelskorporation bedingen. Die Mehr-
heit der ſchleſiſchen Notabeln wünſchte nur die adlichen Rittergutsbeſitzer
in den erſten Stand aufzunehmen; den bürgerlichen Rittergutsbeſitzern
ſollten die ſtändiſchen Rechte nur kraft beſonderer königlicher Verleihung
zuſtehen, auf daß „verdienſtloſe Glückspilze“ dem erſten Stande fern
blieben. Ueberhaupt trat unter den Notabeln der Adelshochmuth der Zeit
weit härter auf als im Schooße der Commiſſion. Die ungeheure Um-
wälzung, die ſich in den Beſitzverhältniſſen des flachen Landes vollzogen
hatte, verbot der Commiſſion auf ſolche Begehren einzugehen; man be-
ſchloß, alle „Rittergutsbeſitzer“ ohne Unterſchied der Geburt in den erſten
Stand aufzunehmen. Der Begriff „Rittergut“ war freilich am Rhein
ganz unbekannt, auch im Oſten ſo unſicher, daß die ſächſiſchen Notabeln
ihn durch einundzwanzig verſchiedene Definitionen vergeblich zu erläutern
verſuchten. Man half aus durch Matrikeln, die in den weſtlichen Pro-
vinzen „auch andere größere Landgüter“ aufnehmen ſollten. Der erſte
Stand war mithin eine Vertretung des Großgrundbeſitzes. Auf den Vor-
ſchlag der Commiſſion behielt ſich die Krone jedoch das Recht vor, den
adlichen Beſitzern großer Fideicommißgüter ein verſtärktes Stimmrecht zu
gewähren. Dazu in vier Provinzen ein beſonderer, oberſter Stand für
die Standesherren und die Domkapitel.
Der Satz „das Grundeigenthum iſt Bedingung der Standſchaft“
ſtand ſchon ſeit Hardenberg’s erſtem Entwurfe feſt; man führte ihn jetzt
ſo ſtreng durch, daß ſogar die Kirche, der doch ein unbeſtreitbares hiſto-
riſches Anrecht zur Seite ſtand, keine Vertretung erhielt. Auch für die
Wählbarkeit in den Städten wurde Grundbeſitz verlangt, und mit Recht
zürnte Stein über die Ausſchließung der beſtgebildeten Kräfte der ſtädti-
ſchen Bevölkerung. Die Vorliebe der hiſtoriſchen Romantik für den Adel
und die Klaſſenſelbſtſucht der adlichen Notabeln wurden ſodann handels-
einig über eine Stimmenvertheilung, welche die berechtigten Anſprüche der
Städte und der Bauern unbillig verletzte. Die Commiſſion nahm als
Regel an, daß dem großen Grundbeſitz die Hälfte, den Städten ein Drittel,
den Bauern ein Sechſtel der Stimmen gebühre; nur im Weſten und in
Oſtpreußen ſollten die unteren Stände ſtärker vertreten werden. Von
den 584 Stimmen der acht Landtage kamen 278 auf die Standesherren
und Ritter, 182 auf die Städte, 124 auf die Bauern. Die beſcheidene
Stimmenzahl der Städte entſprach ungefähr dem Verhältniß der Kopf-
zahl, da die Städte der Monarchie im Jahre 1820 erſt 3 Mill. Einwohner
umfaßten, neben 8¼ Mill. Landbewohnern. Doch ſie entſprach mit nichten
der Machtſtellung, welche die Bildung und die längſt über das flache Land
verbreiteten Capitalkräfte der Städte in der neuen Geſellſchaft behaupteten;
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/260>, abgerufen am 22.11.2024.
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