Republiken förmlich anerkannt, und Henry Clay in mächtiger Rede ver- kündigt, das sei Amerikas Antwort an die unheilige Verschwörung der Despoten. Eben jetzt sahen sich britische Kriegsschiffe genöthigt, die spa- nische Blokade vor Puerto Cabello zu sprengen um den Kauffahrern die Einfahrt zu sichern. Dies England, das selber so viele gewalsame Herr- schaftswechsel erlebt hatte und in seinen Strafgesetzen den Gehorsam gegen eine thatsächliche Regierung ausdrücklich erlaubte, konnte die legitimistische Rücksicht für den spanischen Hof unmöglich so weit treiben, daß die ergie- bigen Märkte von Venezuela und Peru unterdessen an die nordamerika- nischen Nebenbuhler verloren gingen.
In dem trockenen Tone einer kaufmännischen Geschäftsanzeige machte Wellington daher den Mächten die Mittheilung: England müsse sich mit den Staatsgewalten der Kolonien über die gemeinsame Bekämpfung des See- raubs einigen, und dies Zusammenwirken werde unvermeidlich zur An- erkennung des thatsächlichen Bestandes dieser revolutionären Regierungen führen. Alle die anderen Mächte widersprachen lebhaft. Kaiser Franz ließ rundweg erklären, er werde die Unabhängigkeit der Kolonien niemals anerkennen so lange ihr legitimer König dies nicht selbst gethan. Bern- storff sprach ebenfalls den lebhaften Widerwillen seines Monarchen aus und fand mindestens den Augenblick schlecht gewählt, da die Veroneser Beschlüsse vielleicht die Ordnung in Spanien herstellen und eine Ver- ständigung der Kolonien mit dem Mutterlande ermöglichen würden. Der Czar wollte erst die Wirkungen eines großen Versöhnungsplanes abwarten, welchen er mit König Ferdinand verabredet hatte. Frankreich endlich be- kundete den Wunsch, daß die Allianz sich "dereinst" über ein gemeinsames Vorgehen vereinbaren möge, damit nicht eine einzelne Macht durch vor- eilige Schritte die Handelseifersucht der übrigen errege. Mit dieser legi- timistischen Bedachtsamkeit, die sich so ängstlich vor dem Eingeständniß vollendeter Thatsachen scheute, war den drängenden Interessen des briti- schen Handels nicht gedient. Wellington säumte nicht sich darüber in seiner kühlen Weise sehr nachdrücklich auszusprechen, und beim Schlusse des Congresses hielt Bernstorff schon für sicher, daß England nunmehr bald, ohne die Alliirten zu fragen, sich mit den Rebellenstaaten Südamerikas völlig verständigen werde.*)
Ebenso unbekümmert um die Meinung der übrigen Mächte vertrat Wellington auch ein anderes wichtiges Interesse der englischen Handels- politik, die Unterdrückung des Negerhandels. Mit welcher Freude hatte die gesittete Welt diesen menschenfreundlichen Gedanken einst begrüßt, als ihn der edle, gläubige Wilberforce zuerst anregte. Seitdem war der fromme Eifer auf dem Festlande längst erkaltet, weil Englands Staatsmänner die
*) Oesterreichische Erklärung über die spanischen Kolonien 24. November, preußische 28. Nov., russische 24. Nov., französische o. D. Bernstorff's Bericht 30. Nov. 1822.
Englands Abfall von der Allianz.
Republiken förmlich anerkannt, und Henry Clay in mächtiger Rede ver- kündigt, das ſei Amerikas Antwort an die unheilige Verſchwörung der Despoten. Eben jetzt ſahen ſich britiſche Kriegsſchiffe genöthigt, die ſpa- niſche Blokade vor Puerto Cabello zu ſprengen um den Kauffahrern die Einfahrt zu ſichern. Dies England, das ſelber ſo viele gewalſame Herr- ſchaftswechſel erlebt hatte und in ſeinen Strafgeſetzen den Gehorſam gegen eine thatſächliche Regierung ausdrücklich erlaubte, konnte die legitimiſtiſche Rückſicht für den ſpaniſchen Hof unmöglich ſo weit treiben, daß die ergie- bigen Märkte von Venezuela und Peru unterdeſſen an die nordamerika- niſchen Nebenbuhler verloren gingen.
In dem trockenen Tone einer kaufmänniſchen Geſchäftsanzeige machte Wellington daher den Mächten die Mittheilung: England müſſe ſich mit den Staatsgewalten der Kolonien über die gemeinſame Bekämpfung des See- raubs einigen, und dies Zuſammenwirken werde unvermeidlich zur An- erkennung des thatſächlichen Beſtandes dieſer revolutionären Regierungen führen. Alle die anderen Mächte widerſprachen lebhaft. Kaiſer Franz ließ rundweg erklären, er werde die Unabhängigkeit der Kolonien niemals anerkennen ſo lange ihr legitimer König dies nicht ſelbſt gethan. Bern- ſtorff ſprach ebenfalls den lebhaften Widerwillen ſeines Monarchen aus und fand mindeſtens den Augenblick ſchlecht gewählt, da die Veroneſer Beſchlüſſe vielleicht die Ordnung in Spanien herſtellen und eine Ver- ſtändigung der Kolonien mit dem Mutterlande ermöglichen würden. Der Czar wollte erſt die Wirkungen eines großen Verſöhnungsplanes abwarten, welchen er mit König Ferdinand verabredet hatte. Frankreich endlich be- kundete den Wunſch, daß die Allianz ſich „dereinſt“ über ein gemeinſames Vorgehen vereinbaren möge, damit nicht eine einzelne Macht durch vor- eilige Schritte die Handelseiferſucht der übrigen errege. Mit dieſer legi- timiſtiſchen Bedachtſamkeit, die ſich ſo ängſtlich vor dem Eingeſtändniß vollendeter Thatſachen ſcheute, war den drängenden Intereſſen des briti- ſchen Handels nicht gedient. Wellington ſäumte nicht ſich darüber in ſeiner kühlen Weiſe ſehr nachdrücklich auszuſprechen, und beim Schluſſe des Congreſſes hielt Bernſtorff ſchon für ſicher, daß England nunmehr bald, ohne die Alliirten zu fragen, ſich mit den Rebellenſtaaten Südamerikas völlig verſtändigen werde.*)
Ebenſo unbekümmert um die Meinung der übrigen Mächte vertrat Wellington auch ein anderes wichtiges Intereſſe der engliſchen Handels- politik, die Unterdrückung des Negerhandels. Mit welcher Freude hatte die geſittete Welt dieſen menſchenfreundlichen Gedanken einſt begrüßt, als ihn der edle, gläubige Wilberforce zuerſt anregte. Seitdem war der fromme Eifer auf dem Feſtlande längſt erkaltet, weil Englands Staatsmänner die
*) Oeſterreichiſche Erklärung über die ſpaniſchen Kolonien 24. November, preußiſche 28. Nov., ruſſiſche 24. Nov., franzöſiſche o. D. Bernſtorff’s Bericht 30. Nov. 1822.
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Englands Abfall von der Allianz.
Republiken förmlich anerkannt, und Henry Clay in mächtiger Rede ver-
kündigt, das ſei Amerikas Antwort an die unheilige Verſchwörung der
Despoten. Eben jetzt ſahen ſich britiſche Kriegsſchiffe genöthigt, die ſpa-
niſche Blokade vor Puerto Cabello zu ſprengen um den Kauffahrern die
Einfahrt zu ſichern. Dies England, das ſelber ſo viele gewalſame Herr-
ſchaftswechſel erlebt hatte und in ſeinen Strafgeſetzen den Gehorſam gegen
eine thatſächliche Regierung ausdrücklich erlaubte, konnte die legitimiſtiſche
Rückſicht für den ſpaniſchen Hof unmöglich ſo weit treiben, daß die ergie-
bigen Märkte von Venezuela und Peru unterdeſſen an die nordamerika-
niſchen Nebenbuhler verloren gingen.
In dem trockenen Tone einer kaufmänniſchen Geſchäftsanzeige machte
Wellington daher den Mächten die Mittheilung: England müſſe ſich mit den
Staatsgewalten der Kolonien über die gemeinſame Bekämpfung des See-
raubs einigen, und dies Zuſammenwirken werde unvermeidlich zur An-
erkennung des thatſächlichen Beſtandes dieſer revolutionären Regierungen
führen. Alle die anderen Mächte widerſprachen lebhaft. Kaiſer Franz
ließ rundweg erklären, er werde die Unabhängigkeit der Kolonien niemals
anerkennen ſo lange ihr legitimer König dies nicht ſelbſt gethan. Bern-
ſtorff ſprach ebenfalls den lebhaften Widerwillen ſeines Monarchen aus
und fand mindeſtens den Augenblick ſchlecht gewählt, da die Veroneſer
Beſchlüſſe vielleicht die Ordnung in Spanien herſtellen und eine Ver-
ſtändigung der Kolonien mit dem Mutterlande ermöglichen würden. Der
Czar wollte erſt die Wirkungen eines großen Verſöhnungsplanes abwarten,
welchen er mit König Ferdinand verabredet hatte. Frankreich endlich be-
kundete den Wunſch, daß die Allianz ſich „dereinſt“ über ein gemeinſames
Vorgehen vereinbaren möge, damit nicht eine einzelne Macht durch vor-
eilige Schritte die Handelseiferſucht der übrigen errege. Mit dieſer legi-
timiſtiſchen Bedachtſamkeit, die ſich ſo ängſtlich vor dem Eingeſtändniß
vollendeter Thatſachen ſcheute, war den drängenden Intereſſen des briti-
ſchen Handels nicht gedient. Wellington ſäumte nicht ſich darüber in
ſeiner kühlen Weiſe ſehr nachdrücklich auszuſprechen, und beim Schluſſe des
Congreſſes hielt Bernſtorff ſchon für ſicher, daß England nunmehr bald,
ohne die Alliirten zu fragen, ſich mit den Rebellenſtaaten Südamerikas
völlig verſtändigen werde. *)
Ebenſo unbekümmert um die Meinung der übrigen Mächte vertrat
Wellington auch ein anderes wichtiges Intereſſe der engliſchen Handels-
politik, die Unterdrückung des Negerhandels. Mit welcher Freude hatte
die geſittete Welt dieſen menſchenfreundlichen Gedanken einſt begrüßt, als
ihn der edle, gläubige Wilberforce zuerſt anregte. Seitdem war der fromme
Eifer auf dem Feſtlande längſt erkaltet, weil Englands Staatsmänner die
*) Oeſterreichiſche Erklärung über die ſpaniſchen Kolonien 24. November, preußiſche
28. Nov., ruſſiſche 24. Nov., franzöſiſche o. D. Bernſtorff’s Bericht 30. Nov. 1822.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/293>, abgerufen am 22.11.2024.
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